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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art53Leitsatz
Zurückweisung des – unzulässigen – Antrags eines Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit (mit einem Bundesminister) wegen Nichtbefolgung einer – der Sache nach eine ergänzende Beweisanforderung darstellenden – Aufforderung zur Vorlage von Akten und Unterlagen unmittelbar auf Grundlage des grundsätzlichen Beweisbeschlusses; Einschränkung der Möglichkeit der Mehrheit des Untersuchungsausschusses, den sachlichen Zusammenhang eines Verlangens nach ergänzenden Beweisanforderungen (eines Viertels der Mitglieder) zu prüfen nicht zulässig; Stellung eines Verlangens nach ergänzender Beweisanforderung vor der Aufforderung des informationspflichtigen Organs zur Vorlage von Akten und Unterlagen zur Wahrung des Rechts der Mehrheit des Untersuchungsausschusses auf Bestreitung des sachlichen Zusammenhangs geboten; keine beherrschende Stellung der Minderheit im Verfahren des UntersuchungsausschussesRechtssatz
Der (im ersten Teil des vorliegenden Begehrens enthaltene) Feststellungsantrag des einschreitenden Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungs-ausschusses, die Weigerung des Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), der in der 27. Sitzung des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses am 14.07.2022 wirksam gewordenen Aufforderung gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA nachzukommen, sei rechtswidrig, findet in den einschlägigen Bestimmungen des B-VG und des VfGG keine Rechtsgrundlage.
Der auf Art138b Abs1 Z4 B-VG gestützte Antrag des einschreitenden Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses ist unzulässig, weil die Voraussetzungen für eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem einschreitenden Viertel der Mitglieder und dem BMKÖS (noch) nicht vorliegen.
Das einschreitende Viertel der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses begründet die Aufforderung und Fristsetzung vom 14.07.2022 gemäß §27 Abs4 VO-UA gegenüber dem BMKÖS damit, dass sich die Verpflichtung zur Vorlage der bezeichneten Akten und Unterlagen betreffend die Ausschreibung von dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen sowie die Betrauung von Personen mit dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport betreffend die näher bezeichneten Veröffentlichungen in der Wiener Zeitung schon aus dem grundsätzlichen Beweisbeschluss ergäbe. Aus diesem Grund sei es nicht erforderlich gewesen, vor der Fristsetzung gemäß §27 Abs4 VO-UA ergänzende Beweisanforderungen iSd §25 Abs2 und 3 VO-UA durch das einschreitende Viertel der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses zu verlangen.
Art53 Abs1 B-VG räumt auch einem Viertel der Mitglieder des Nationalrates das Recht ein, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Die Erläuterungen zu dieser Bestimmung führen aus, dass "[...] aus dem Minderheitsrecht auf Einsetzung auch eine gebührende Berücksichtigung der Minderheit bei der weiteren Regelung des Verfahrens im Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates folgen" soll, um dem Charakter als Minderheitsrecht gerecht zu werden. Demnach soll der Minderheit "[...] auch die Möglichkeit gegeben werden, über die Beweiserhebung und den Gang des Verfahrens mitzubestimmen".
Die VO-UA stellt eine Beteiligung der Minderheit im Verfahren sicher, sie vermittelt aber keine beherrschende Stellung der Minderheit im Verfahren. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass die Minderheitsrechte auf ergänzende Beweisanforderungen und Ladung von Auskunftspersonen unter Vorbehalt stehen: Die Mehrheit des Untersuchungsausschusses kann gemäß §25 Abs4 bzw §29 Abs4 VO-UA den sachlichen Zusammenhang eines Verlangens nach ergänzenden Beweisanforderungen bzw nach Ladung einer Auskunftsperson mit dem Untersuchungsgegenstand durch Beschluss bestreiten. Zur Absicherung der Rechte der Minderheit steht dieser jedoch die Möglichkeit offen, diesen Beschluss der Mehrheit im Verfahren gemäß Art138b Abs1 Z3 bzw Z5 B-VG vor dem VfGH anzufechten.
Im vorliegenden Fall hat die einschreitende Minderheit der Sache nach ergänzende Beweisanforderungen verlangt, ohne jedoch zuvor ein entsprechendes Verlangen gemäß §25 Abs2 VO-UA gestellt zu haben; vielmehr richtete das einschreitende Viertel der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses unmittelbar eine Aufforderung nach §27 Abs4 VO-UA an das informationspflichtige Organ. Es steht jedoch nicht im freien Ermessen des Viertels der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses, sich der beiden Instrumente (Verlangen nach ergänzenden Beweisanforderungen und Aufforderung gegenüber dem informationspflichtigen Organ) beliebig zu bedienen:
Den Zuständigkeitsregelungen des VfGH in Art138b Abs1 Z3 und Z4 B-VG und der VO-UA liegt ein System zugrunde, wonach zunächst die Mehrheit des Untersuchungsausschusses darüber zu entscheiden hat, ob ein Verlangen eines Viertels der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses nach Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen (oder Beweiserhebungen) in sachlichem Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand des Untersuchungsausschusses steht. Dies wird - wie bereits dargelegt - insbesondere aus Art138b Abs1 Z3 B-VG iVm §25 Abs2 und 3 VO-UA deutlich, wonach ein Verlangen nach ergänzenden Beweisanforderungen durch Beschluss der Mehrheit des Untersuchungsausschusses bestritten werden kann und dieses Organstreitverfahren gegebenenfalls letztlich vom VfGH in einem Verfahren nach Art138b Abs1 Z3 B-VG zu entscheiden ist.
Räumte man nun einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses die Möglichkeit ein, in jedem Fall unmittelbar eine Aufforderung nach §27 Abs4 VO-UA gegenüber einem informationspflichtigen Organ vorzunehmen, käme der Regelung des §25 VO-UA keinerlei Bedeutung mehr zu bzw wäre der Mehrheit des Untersuchungsausschusses die in §25 Abs2 und 3 VO-UA eingeräumte Möglichkeit genommen, einen Beschluss zu fassen, mit dem der sachliche Zusammenhang des Verlangens des Viertels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird.
Aus dem Ausgeführten ergibt sich, dass die auf §27 Abs4 VO-UA gestützte Aufforderung des Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses an den BMKÖS, ohne vorher ein Verlangen nach ergänzenden Beweisanforderungen gemäß §25 Abs2 und 3 VO-UA gestellt zu haben, unzulässig ist. Da es sich nach Auffassung des VfGH der Sache nach um ergänzende Beweisanforderungen handelt, hätte das einschreitende Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses ein Verlangen nach ergänzenden Beweisanforderungen im Sinne des §25 Abs2 und 3 VO-UA erheben müssen. Erst wenn ein solches Verlangen nach ergänzenden Beweisanforderungen gestellt wurde, die Mehrheit des Untersuchungsausschusses den sachlichen Zusammenhang des Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand nicht bestritten hat oder ein solcher Bestreitungsbeschluss in einem Verfahren nach Art138b Abs1 Z3 B-VG vom VfGH als rechtwidrig erklärt worden ist und in der Folge das informationspflichtige Organ der auf §27 Abs4 VO-UA gegründeten Aufforderung zur Vorlage von Akten oder Unterlagen oder Durchführung von Beweiserhebungen nicht oder ungenügend nachgekommen ist, kann dies zum Gegenstand einer Meinungsverschiedenheit im Verfahren nach Art138b Abs1 Z4 B-VG gemacht werden.
Da das einschreitende Viertel der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses somit den Antrag auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit zu einem Zeitpunkt gestellt hat, zu dem eine solche nach den einschlägigen Regelungen des Art138b Abs1 Z3 und 4 B-VG und der VO-UA noch gar nicht entstanden sein konnte, ist der Antrag auch in seinem zweiten Teil unzulässig.
(Vgl auch die B jeweils v 23.09.2022, UA 76/2022 ua, UA 78/2022 ua, UA 79/2022 ua, UA 80/2022 ua, UA 81/2022 ua, UA 82/2022 ua).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Untersuchungsausschuss, Beweise, Bundesminister, Minderheiten, Nationalrat, VfGH / UntersuchungsausschussEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:UA75.2022Zuletzt aktualisiert am
21.10.2022