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60/02 ArbeitnehmerschutzNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des KinderbetreuungsgeldG betreffend die Verpflichtung zum Ersatz irrtümlich empfangener Leistungen; Rückforderung einer – nicht erkennbar – irrtümlich ausbezahlten Leistung sachlich nicht gerechtfertigt; Kinderbetreuungsgeld zielt auf Anerkennung und Abgeltung der Betreuungsleistung der Eltern ab, hinsichtlich deren Einschränkung der Berufstätigkeit und der – nicht nur kurzfristigen – Reduktion des Erwerbseinkommens; spätere Rückgängigmachung oder Nachholung von Dispositionen durch den Leistungsempfänger im Falle von Behördenfehlern nicht möglich; Rückzahlungsverpflichtung betrifft nicht bloß Härtefälle, sondern ist in der Regelung selbst angelegtSpruch
I. Die Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte," in §31 Abs2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I Nr 103/2001, idF BGBl I Nr 100/2018 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Oktober 2023 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anträge
1. Mit auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestütztem, zu G181/2022 protokolliertem Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof, "in §31 Abs2 erster Satz Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 2001/103 idF BGBl I 2016/53, die Wortfolge 'oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte,' als verfassungswidrig aufzuheben".
2. Mit auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestütztem, zu G203/2021 protokolliertem Antrag begehrt die Antragstellerin, "der VfGH möge die Wortfolge 'oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte' in §31 Abs2 KBGG idF BGBl I 100/2018 als verfassungswidrig aufheben".
3. Mit auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestütztem, zu G232/2022 protokolliertem Antrag begehrt das Arbeits- und Sozialgericht Wien, "in §31 Abs2 erster Satz Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 2001/103 idF BGBl I 2016/53, die Wortfolge 'oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte' als verfassungswidrig aufzuheben".
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG), BGBl I 103/2001, idF BGBl I 61/2022 lauten auszugsweise wie folgt (§27 gilt idF BGBl I 53/2016; §31 Abs2 gilt idF BGBl I 100/2018; die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Entscheidung
§27. (1) Besteht Anspruch auf eine Leistung nach diesem Bundesgesetz, so ist dem Antragsteller eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, voraussichtliches Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen. Die Mitteilung hat eine Aufschlüsselung der Leistungen zu enthalten.
(2) Der Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld ist eine von der Bundesministerin für Familien und Jugend zu erstellende Information, aus der insbesondere Rechte und Pflichten der Bezugsberechtigten hervorgehen, anzuschließen.
(3) Ein Bescheid ist auszustellen,
1. wenn ein Anspruch auf eine Leistung gar nicht oder nur teilweise anerkannt wird oder
2. bei Rückforderung einer Leistung gemäß §31 oder
3. bei Widerruf oder rückwirkender Berichtigung einer Leistung gemäß §30 Abs2, wenn die Bescheiderstellung ausdrücklich verlangt wird.
[…]
Rückforderung
§31. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Leistungsbezieher zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
(2) Die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung besteht auch dann, wenn hervorkommt, dass eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen oder nachträglich weggefallen sind, oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte, oder die zur Ermittlung des Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte (§§8, 8b) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund des von der Abgabenbehörde an die Österreichische Gesundheitskasse übermittelten Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat.
[…]
(4) Rückforderungen, die gemäß den Abs1 bis 3 vorgeschrieben wurden, können auf die zu erbringenden Leistungen bis zur Hälfte derselben aufgerechnet werden; sie vermindern den Leistungsanspruch entsprechend. Zum Zwecke der Forderungssicherung kann eine vorläufige Aufrechnung bis zur Hälfte der zu erbringenden Leistungen erfolgen. Der Krankenversicherungsträger kann unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers
1. die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,
2. die rechtskräftige Rückforderung stunden,
3. auf die rechtskräftige Rückforderung ganz oder teilweise verzichten.
Dabei sind die §§72 bis 74 des Bundeshaushaltsgesetzes 2013 (BHG 2013), BGBl I Nr 139/2009, anzuwenden, sofern in diesem Bundesgesetz keine abweichenden Regelungen vorgesehen sind. Abweichend von §89 Abs4 ASGG obliegt den Gerichten in Angelegenheiten der Leistungen nach diesem Bundesgesetz nicht das Recht, die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen anzuordnen und auch nicht das Recht, die Rückersatzpflicht zum Teil oder zur Gänze entfallen zu lassen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten.
(5) Ratenzahlungen sind zu gewähren, wenn auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners die Hereinbringung der rechtskräftigen Forderung in einem Betrag nicht möglich ist. Die Höhe der Raten ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners festzusetzen.
(6) Werden Ratenzahlungen bewilligt oder Rückforderungen gestundet, so dürfen keine Zinsen ausbedungen werden.
(7) Die Ausstellung von Bescheiden über Rückforderungen von Leistungen nach diesem Bundesgesetz ist nur binnen 7 Jahren, gerechnet ab Ablauf des Kalenderjahres, in welchem diese Leistungen zu Unrecht bezogen wurden, zulässig. Ein Bescheid über eine Rückforderung tritt nach Ablauf von 3 Jahren ab dem Eintritt der Rechtskraft außer Kraft, wenn er bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollzogen wurde; §68 Abs2 ASVG zweiter und dritter Satz gelten sinngemäß. Das Recht auf Berichtigung (§30) der vorläufigen Auszahlung gemäß §33 Abs5 mangels Vorliegen eines erlassenen Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr sowie das Recht auf Berichtigung aufgrund Abänderungen und Aufhebungen des Einkommensteuerbescheides nach §24a Abs2 verjähren nach Ablauf von 3 Jahren ab Bezugsbeginn."
2. §§72, 73 und 74 des Bundesgesetzes über die Führung des Bundeshaushaltes (Bundeshaushaltsgesetz 2013 – BHG 2013), BGBl I 139/2009 lauten, wie folgt:
"Rückforderung nicht geschuldeter Leistungen des Bundes
§72. Eine Leistung des Bundes, die irrtümlich erbracht worden ist (§1431 ABGB), hat das zuständige Organ, sobald es davon Kenntnis erlangt, zurückzufordern oder dafür, sofern eine Rückerstattung nicht mehr möglich ist, eine dem gemeinen Wert (§305 ABGB) entsprechende Ersatzleistung von der Empfängerin oder von dem Empfänger zu verlangen. Von der Geltendmachung solcher Ansprüche, soweit sie sich nicht auf Dauerschuldverhältnisse beziehen, kann Abstand genommen werden, wenn der Wert der nicht geschuldeten Leistung unter 100 Euro liegt.
Stundung, Ratenbewilligung, Aussetzung und Einstellung der Einziehung bei Forderungen des Bundes
§73. (1) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf die Erfüllung einer Forderung des Bundes auf Grund eines im Wege des haushaltsleitenden Organs gestellten Ansuchens der Schuldnerin oder des Schuldners stunden oder deren oder dessen Zahlung in Raten bewilligen, wenn
1. die sofortige oder die sofortige vollständige Entrichtung des fälligen Forderungsbetrages für die Schuldnerin oder den Schuldner mit erheblichen Härten verbunden wäre und
2. die Einbringlichkeit der Forderung durch eine solche Zahlungserleichterung nicht gefährdet wird; andernfalls ist die Beibringung einer angemessenen Sicherstellung zu verlangen.
Außerdem hat sich die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen für den Fall des Ausbleibens einer Teilzahlung vorzubehalten, die bewilligte Ratenzahlung zu widerrufen und die sofortige Entrichtung aller aushaftenden Teilzahlungen zu verlangen.
(2) Wird die Erfüllung einer Forderung des Bundes gestundet oder deren Zahlung in Raten bewilligt, sind Stundungszinsen in der Höhe von 3 vH über dem jeweils geltenden und von der Oesterreichischen Nationalbank verlautbarten Basiszinssatz pro Jahr auszubedingen. Von der Ausbedingung von Stundungszinsen kann ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn deren Entrichtung
1. nach der Lage des Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin oder des Schuldners, unbillig wäre oder
2. einen Verwaltungsaufwand verursachen würde, der in keinem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Stundungszinsen steht.
(3) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf die Einziehung einer Forderung aussetzen, wenn feststeht, dass Einziehungsmaßnahmen zunächst offenkundig aussichtslos erscheinen, aber auf Grund der Sachlage angenommen werden kann, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg führen können.
(4) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf die Einziehung einer Forderung von Amts wegen einstellen, wenn
1. der mit der Einziehung verbundene Verwaltungs- und Kostenaufwand in keinem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Forderung stehen würde oder
2. alle Möglichkeiten der Einziehung erfolglos versucht worden sind oder
3. Einziehungsmaßnahmen von vornherein offenkundig aussichtslos sind
und in den Fällen der Z2 und 3 auf Grund der Sachlage nicht angenommen werden kann, dass Einziehungsmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg führen werden. Unter Einziehung einer Forderung ist jede Form der Geltendmachung von der Zahlungsaufforderung bis zur Einbringung zu verstehen; die Einziehbarkeit einer Forderung ist nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen des Falles zu beurteilen.
(5) Wenn die Gründe, die zur Aussetzung oder Einstellung der Einziehung einer Forderung geführt haben (Abs3 und 4), innerhalb der Verjährungsfrist wegfallen, ist die Einziehung der Forderung wieder aufzunehmen.
(6) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen kann die Vornahme derartiger Verfügungen insoweit an das haushaltsleitende Organ, dessen Wirkungsbereich dadurch berührt wird, übertragen, als dies die Eigenart oder der Umfang der betreffenden Verfügung bei pflichtgemäßer Wahrnehmung ihrer oder seiner Verantwortlichkeit für die Führung des Gesamthaushaltes im Interesse der Verwaltungsvereinfachung gestattet.
Verzicht auf Forderungen des Bundes
§74. (1) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf auf eine Forderung von Amts wegen oder auf Grund eines im Wege des haushaltsleitenden Organs gestellten Ansuchens der Schuldnerin oder des Schuldners ganz oder teilweise verzichten, wenn
1. die Einziehung der Forderung nach der Lage des Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und des Ausmaßes des allfälligen Verschuldens der Schuldnerin oder des Schuldners an der Entstehung der Forderung, unbillig wäre oder der Verzicht auf die Forderungen im wirtschaftlichen Interesse des Bundes liegt und
2. der Forderungsbetrag, auf den verzichtet werden soll, den hiefür im Bundesfinanzgesetz oder in einem besonderen Bundesgesetz im Sinne des Art42 Abs5 B-VG festgesetzten Höchstbetrag nicht überschreitet.
(2) Übersteigt die Forderung oder Teilforderung, auf die verzichtet werden soll, den im Abs1 Z2 genannten Höchstbetrag, so bedarf der Verzicht der Bewilligung durch ein Bundesgesetz im Sinne des Art42 Abs5 B-VG.
(3) Bei dem Verzicht auf eine Forderung des Bundes ist jedenfalls auszubedingen, dass ein Widerruf zulässig ist, wenn der Verzicht durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung oder sonst wie erschlichen worden ist.
(4) §73 Abs6 ist sinngemäß anzuwenden."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Zum Antrag des Obersten Gerichtshofes (G 181/2022)
1.1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.2. Die Klägerin im Anlassfall war auf Grund ihrer Beschäftigung in der Zeit vom 21. Jänner 2016 bis 20. Dezember 2017 nach den österreichischen Rechtsvorschriften zur Sozialversicherung gemeldet. Anlässlich der Geburt ihres Kindes begehrte sie mit Antrag vom 9. Juli 2018 Kinderbetreuungsgeld. Zusammen mit dem Antrag legte sie eine Karenzvereinbarung und ein Schreiben mit der Bezeichnung "Kündigung des Arbeitsverhältnisses" vor. Auf Grund dieses Antrages stellte die zuständige Stelle (damals die Burgenländische Gebietskrankenkasse, nunmehr die Österreichische Gesundheitskasse) am 6. Mai 2019 eine Leistungsmitteilung gemäß §27 Abs1 KBGG aus, in der die Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld für den zu gewährenden Zeitraum mit € 23,99 pro Tag bemessen wurde.
1.3. Mit Bescheid vom 17. Juli 2020 widerrief die Beklagte (= Österreichische Gesundheitskasse) die Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung von € 6.309,37. Dabei stützte sie sich auf den Tatbestand der irrtümlich erfolgten Auszahlung einer Leistung gemäß §31 Abs2 KBGG. Die Klägerin begehrte daraufhin beim Erstgericht die Feststellung, dass der Rückforderungsanspruch nicht zu Recht bestehe. Die Beklagte wendete dagegen ein, dass auf Grund der Scheinkarenz der Klägerin kein grenzüberschreitendes Element zu Österreich vorliege, ausschließlich Ungarn für die Gewährung der Familienbeihilfe zuständig sei und in Österreich kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe, weil die Klägerin mit ihrer Familie nicht in Österreich lebe und auch keine Erwerbstätigkeit in Österreich vorliege. Anhand der vorgelegten Unterlagen sei ersichtlich, dass die Klägerin nach der Karenzzeit keine Rückkehr zu ihrem Arbeitsplatz geplant habe. Auch habe sie gewusst, dass das Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst worden sei. Die bloße Aufrechterhaltung eines Dienstverhältnisses durch die Vereinbarung einer Karenz, jedoch ohne die Absicht, die zuvor ausgeübte Beschäftigung wiederaufzunehmen, könne keinerlei Wirkung entfalten.
1.4. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit der Begründung statt, eine Überwälzung des Risikos selbst nicht erkennbarer Behördenfehler allein und einseitig auf den Leistungsempfänger sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Verfassungskonform interpretiert sei der hier einschlägige Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 KBGG daher einzuschränken. Dementsprechend könne nicht jede beliebige Neubewertung der bereits ursprünglich bekannten Umstände eine Grundlage für eine Rückforderung bieten.
1.5. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte begründend aus, der Rückforderung ausschließlich wegen eines Behördenfehlers oder eines Irrtums der Behörde, ohne dass sich ein Sachverhaltselement nachträglich als nicht vorliegend herausgestellt hätte, und ohne dass der Klägerin deswegen ein Vorwurf zu machen sei, sei auf Grund dargelegter verfassungsrechtlicher Bedenken entgegenzutreten.
1.6. Gegen diese Entscheidung erhob die Beklagte Revision.
1.7. Aus Anlass dieses Revisionsverfahrens stellt der Oberste Gerichtshof den vorliegenden, zu G181/2022 protokollierten Gesetzesprüfungsantrag. Der Oberste Gerichtshof legt seine Bedenken wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):
"[…] Verfahrensgegenständlich ist ausschließlich der Rückforderungstatbestand der irrtümlichen Auszahlung von Leistungen nach §31 Abs2 Fall 2 KBGG.
[…] Dieser Tatbestand wurde mit der Novelle BGBl I 2016/53 eingefügt. Bis dahin war ein Rückforderungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Krankenversicherungsträger nachträglich die Unrichtigkeit der Gewährung des Kinderbetreuungsgelds bemerkte, ihm aber bei der Gewährung bereits alle dafür maßgebenden Umstände bekannt waren und er – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – trotzdem das Kinderbetreuungsgeld auszahlte (RS0126122).
[…] Die Erweiterung der Rückforderungstatbestände durch die Novelle BGBl I 2016/53 diente der 'Optimierung' der Rückforderungsbestimmungen, wodurch verhindert werden sollte, dass auch in Zukunft einige Eltern durch Behördenfehler besser gestellt werden als andere Eltern. Die zu Unrecht bezogenen Leistungen sollten von den Eltern auch dann zurückgefordert werden können, wenn dem Krankenversicherungsträger bei der Gewährung von Leistungen zwar alle maßgebenden Umstände bekannt waren, er aber irrtümlich – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – das Kinderbetreuungsgeld ausgezahlt hat (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 12).
[…] Das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis, wonach der Rückforderungstatbestand nicht greifen soll, wenn maßgebliche Umstände weder nachträglich bekannt werden (nova reperta) noch entstehen (nova producta), noch dem Leistungsempfänger ein Vorwurf zu machen ist, widerspricht der klaren Absicht des Gesetzgebers, der gerade die Fälle einer irrtümlichen Auszahlung bloß aufgrund unrichtiger Rechtsansicht oder unrichtiger Berechnung erfasst sehen wollte (Sonntag, Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme bei der KBGG-Novelle 2016, ASoK 2017, 2 [8]). Bei der Interpretation darf dem Gesetzgeber überdies kein zweckloser und funktionsloser Regelungswille unterstellt werden (RS0111143). Der eigens geschaffene Rückforderungstatbestand wäre bei einem derart einschränkenden Verständnis inhaltsleer, weil der verbliebene Anwendungsbereich ohnedies von den anderen Rückforderungstatbeständen des §31 Abs2 S 1 KBGG erfasst wäre.
[…] Der Oberste Gerichtshof geht daher davon aus, dass der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG eine Rückzahlung (nur dann) anordnet, wenn der Leistungsempfänger weder den Bezug durch unrichtige Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat (§31 Abs1 Fall 1 KBGG) noch erkennen konnte, dass die Leistung nicht (oder nicht in dieser Höhe) gebührt (§31 Abs1 Fall 2 KBGG), und überdies weder nachträglich hervorkommt, dass eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen bereits ursprünglich nicht vorgelegen oder nachträglich weggefallen sind (§31 Abs 2 S 1 Fall 1 KBGG), noch der Leistungsempfänger eine Mitwirkungspflicht verletzt hat (§31 Abs2 Fall 3 KBGG). Eine irrtümliche Auszahlung setzt lediglich einen Irrtum im Zeitpunkt der Leistungsgewährung voraus. Darunter ist jede unrichtige Vorstellung des Krankenversicherungsträgers – aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme der Materialien auf eine unrichtige Rechtsansicht also nicht nur ein Tatsachen-, sondern auch ein Rechtsirrtum (aA Weißenböck in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz 216 [zu §31 KBGG]) – zu verstehen. Umgekehrt formuliert umfasst der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG daher jene Fälle, in denen ein Anspruch nicht besteht, dem zuständigen Krankenversicherungsträger bei der Gewährung der Leistung alle dafür maßgebenden tatsächlichen Umstände bereits bekannt gegeben wurden und er – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – trotzdem das Kinderbetreuungsgeld auszahlt. Ein gutgläubiger Verbrauch ist aufgrund der objektiven Rückzahlungsverpflichtung des §31 Abs2 KBGG ausgeschlossen (RS0124064 [T1]). Vorausgesetzt ist überdies das Vorliegen eines konkreten rechtlichen Leistungsverhältnisses, weil rechtsgrundlose Leistungsgewährungen außerhalb eines solchen, wie irrtümliche Anweisung an einen falschen Adressaten oder irrtümliche Mehranweisung, etwa aufgrund technischer Gebrechen, nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bereicherungsnormen und damit im ordentlichen Rechtsweg vor den allgemeinen Zivilgerichten abzuwickeln sind (Weißenböck in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz 216 [zu §31 KBGG]; vgl auch RS0109549; RS0109547 [T1]; Atria in Sonntag, ASVG12 §107 Rz 1 zur insofern vergleichbaren Rückforderung im Bereich des ASVG).
[…] Die Beklagte stützte ihr Rückzahlungsbegehren ausdrücklich auf die irrtümlich erfolgte Auszahlung, woran die Gerichte gebunden sind (RS0086067), sodass dem Obersten Gerichtshof eine Prüfung allfälliger anderer Rückforderungsgründe verwehrt ist. Insbesondere die Fragen, ob die Klägerin maßgebliche Umstände verschwieg oder sie erkennen konnte, dass die Leistung nicht gebührt, sind im vorliegenden Verfahren somit nicht zu prüfen. Der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG ist daher im vorliegenden Fall präjudiziell.
[…] Es bestehen Gründe an der von Art7 B-VG geforderten Sachlichkeit des Rückforderungstatbestands des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG zu zweifeln.
[…] Der zuständige Krankenversicherungsträger hat im Fall der Bejahung eines Anspruchs zwar keinen Bescheid, aber eine 'Mitteilung' auszustellen, aus der insbesondere Beginn, voraussichtliches Ende und Höhe des Leistungsanspruchs hervorgehen (§27 Abs1 KBGG; vgl auch die Bezeichnung als 'Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld' in §27 Abs2 KBGG). Damit wird dem Empfänger gegenüber ausdrücklich das Bestehen eines Leistungsanspruchs zugestanden und er geht daher regelmäßig – jedenfalls im hier relevanten Rückforderungsfall – berechtigt davon aus, dass der zuständige Krankenversicherungsträger das Vorliegen der Voraussetzungen geprüft und bejaht hat und ihm das Kinderbetreuungsgeld während der Leistungsdauer zur Verfügung steht.
[…] Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass die Leistungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz nicht nur der kurzfristigen Unterstützung des Leistungsempfängers dienen. Das Gesetz stellt dafür vielmehr einen Rahmen von 61 bis 365 Tagen zur Verfügung (§§3 Abs1 und 5 sowie 24b Abs1 und 4 KBGG), in dem die Bezieher nach der gesetzgeberischen Zielsetzung ihre Berufstätigkeit zugunsten der Betreuungsleistung einschränken sollen (RS0124063 [T38]; VfGH G128/08 ua, VfSlg 18.705/2009; Konezny in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3 §8 Rz 1). Sowohl das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto (§§2 ff KBGG) als auch das Kinderbetreuungsgeld ... als Ersatz des Erwerbseinkommens (§§24 ff KBGG), soll die Betreuung und Erziehung des Kindes, für deren Vorsorge die Eltern nicht nur gesellschaftlich verantwortlich, sondern wozu sie auch zivilrechtlich verpflichtet sind (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 54), während der Kleinkindphase finanziell unterstützen. Aus diesem Grund haben Empfänger typischerweise nicht bloß kurzfristig kein (erhebliches, die Zuverdienstgrenze überschreitendes) Einkommen (im Anlassfall betrug der mitgeteilte Anspruchszeitraum mehr als acht Monate). Dieser Zustand muss während des Bezugs aufrecht erhalten werden, um die Leistung nicht (teilweise) wieder zu verlieren. Typischerweise disponieren Leistungsempfänger im Vertrauen auf die Gewährung also nicht bloß dadurch, dass sie die empfangenen Gelder verbrauchen, sondern auch dadurch, dass sie im Anspruchszeitraum kein (die Zuverdienstgrenze übersteigendes) Einkommen erwirtschaften und sich stattdessen auf die Kinderbetreuung konzentrieren. Dies unterscheidet die Rückforderung von Leistungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz auch von jener des Familienzeitbonus, der eine Unterstützung für die – vergleichsweise kurze – 'Familienzeit' von (maximal) 28, 29, 30 oder 31 Tagen darstellen soll und bezüglich derer der Oberste Gerichtshof entsprechende verfassungsrechtliche Bedenken nicht teilte (10 ObS 87/21y; RS0133743).
[…] Die erörterte Rechtslage verlagert das Risiko der unrichtigen Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen somit zur Gänze auf den Empfänger, obwohl dieser auf die Leistung nicht nur zur Überbrückung eines kurzen Zeitraums angewiesen war und darauf vertrauen durfte, dass die Leistung ihm in diesem Zeitraum zur Verfügung steht. Dieses Ergebnis ist nicht nur zufällige Folge einzelner Härtefälle, es wurde vom Gesetzgeber vielmehr bewusst als Regelfall vorgesehen.
[…] Dem Gesetzgeber steht bei Verfolgung familienpolitischer Ziele zwar grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der aber durch das Gleichheitsgebot (nur) insofern beschränkt wird, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (VfSlg 16.542/2002, 8.073/1977).
[…] Das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung nahm der Verfassungsgerichtshof bei der Verpflichtung zur (gänzlichen) Rückzahlung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe bei Überschreiten der Zuverdienstgrenze an. Eine Rückzahlungsverpflichtung sei nur dann zulässig, wenn den Bezieher der Leistung ein Vorwurf trifft oder er den naheliegenden Verdacht eines solchen nicht widerlegen kann oder aber seine nunmehrige Leistungsfähigkeit aus der neu eröffneten Erwerbsquelle oder auf andere Weise feststeht. Ohne solche Einschränkung widerspreche die Pflicht zur Rückzahlung verbrauchter Gelder aus der Arbeitslosenversicherung dem aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot (VfSlg 14.095/1995).
[…] In einer vergleichbaren Situation befindet sich der Empfänger einer Leistung nach dem Kindesbetreuungsgesetz, der (bloß) aufgrund eines Behördenfehlers zur Rückzahlung der Leistungen verpflichtet wird, obwohl er infolge einer den Anspruch bestätigenden Mitteilung davon ausgehen durfte, die erhaltenen Gelder verbrauchen zu können. Diese Regelung wird daher in der Literatur als nicht sachlich gerechtfertigt angesehen (Sonntag in Sonntag, KBGG3 §31 Rz 10d; Sonntag, ASoK 2017, 8; Burger-Ehrnhofer, KBGG und FamZeitBG3 [2017] §31 KBGG Rz 22).
[…] Die Beklagte hält dem entgegen, dass der Verfassungsgerichtshof vergleichbare Bedenken am (objektiven) Rückforderungstatbestand nach §31 Abs2 S 2 KBGG (nachträgliche Feststellung des Überschreitens der Zuverdienstgrenze) nicht teilte (VfSlg 18.705/2009). Dieser Rückforderungstatbestand ist jedoch anders gelagert als der hier gegenständliche. Zwar handelt es sich bei beiden Tatbeständen um eine objektive, also vom Verschulden des Empfängers unabhängige Rückforderung, doch liegt die Erzielung eines Einkommens zumindest im Einflussbereich des Empfängers und nicht in jener des Krankenversicherungsträgers. Nach der Ausgestaltung der das Einkommen betreffenden Anspruchsvoraussetzungen, deren Vorliegen erst nach dem Verstreichen des Anspruchszeitraums und in der Regel auch nach Leistungsgewährung geprüft werden kann, besteht vielmehr kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass ausgezahlte Leistungen trotz Überschreitens der Zuverdienstgrenze (in voller Höhe) behalten werden. Ein Behördenfehler anlässlich der Gewährung, der ein Vertrauen auf einen gerechtfertigten Leistungsbezug schutzwürdig erscheinen ließe, kommt in solchen Fällen nachträglich zu prüfender Umstände schon grundsätzlich nicht in Betracht. Außerdem war es (nach der vom Verfassungsgerichtshof beurteilten Rechtslage) bei Überschreiten der Zuverdienstgrenze ausgeschlossen, dass ein das erzielte Einkommen übersteigender Betrag zurückzuzahlen war (vgl nunmehr §8a KBGG). Beim hier gegenständlichen Rückforderungstatbestand der irrtümlichen Auszahlung besteht demgegenüber kein Konnex zwischen dem Rückzahlungsbetrag und dem – bei Gewährung noch gar nicht prüfbaren – Einkommen im Anspruchszeitraum. Vielmehr geht es nur um bereits im Gewährungszeitpunkt vorhandene und der Behörde auch bekannte Umstände, die aufgrund einer unrichtigen Beurteilung oder Berechnung zur Leistungsgewährung führen. Aufgrund dieser Unterschiede zwischen den beiden Rückforderungstatbeständen sieht sich der erkennende Senat nicht daran gehindert, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des gegenständlichen Rückforderungstatbestands an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.
[…] Die in den Gesetzesmaterialien für die Rückzahlungspflicht angeführte Begründung, dass einige Eltern durch Behördenfehler nicht besser gestellt sein sollen, als andere Eltern, vermag die Zweifel an der Sachlichkeit der Regelung ebenso wenig zu zerstreuen, weil den 'besser gestellten' Eltern gegenüber infolge des Behördenfehlers ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, und umgekehrt diejenigen Eltern, denen eine Leistung, auf die sie keinen Anspruch haben, zutreffend nicht gewährt wurde, keine Dispositionen im Vertrauen auf einen Leistungsbezug tätigten, die eines besonderen Schutzes bedürften. Ein schutzwürdiges Interesse dieser 'schlechter gestellten' Eltern an einer Gleichbehandlung mit den 'besser gestellten' Eltern besteht somit nicht. Das gleiche gilt in den anderen Rückforderungsfällen, weil dort entweder (insbesondere bei nachträglich hervorkommenden Anspruchshindernissen) kein der Sphäre der Behörde zuzurechnender Fehler oder zusätzlich ein in der Sphäre des Empfängers liegender Umstand vorliegt, was ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Leistung jeweils ausschließt.
[…] Möglichkeiten der Abfederung der Auswirkungen dieser Rückzahlungspflicht, die die angeführten Bedenken ausräumen, sind nicht ersichtlich. Leistungsempfänger können den Verbrauch der empfangenen Gelder und eine allfällige – im Fall der Rückforderung ja frustrierte – Einschränkung ihrer Erwerbstätigkeit nachträglich nicht mehr rückgängig machen. Zwar kann der Krankenversicherungsträger eine Zahlung in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen, die Rückforderung stunden oder darauf ganz oder teilweise verzichten (§32 Abs4 S 3 KBGG). Bei dieser Beurteilung sind allerdings die Umstände, die zur Rückforderung führten, irrelevant, sondern es sind lediglich – für alle Fälle der Rückforderung gleichermaßen – die Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers zu berücksichtigen. Insbesondere setzt ein Forderungsverzicht voraus, dass ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (Sonntag in Sonntag, KBGG3 §31 Rz 23; Lödl/Antl/Janik/Petridis-Pierre/Pfau, BHG 20134 §74 Anm 6). Die Rückforderung nach §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG ist allerdings gerade auf Bezüge infolge bloßer Behördenfehler, die dem Empfänger nicht erkennbar sind, zugeschnitten, sodass diese Umstände keine atypische Belastung bewirken, die einen Forderungsverzicht rechtfertigen würden. Zu einer Abfederung der Auswirkungen des Rückforderungstatbestands führen solche Zahlungserleichterungen damit nicht oder nur in Ausnahmefällen. Im Normalfall ist der Leistungsempfänger gezwungen, entsprechende Rückstellungen für den Fall einer nicht vorhersehbaren Rückforderung zu bilden und bereit zu halten, bis das Rückforderungsrecht verjährt ist (vgl §31 Abs7 KBGG).
[…] Aufgrund der dargestellten Bedenken gegen den im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Wortfolge mit dem vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag an den VfGH heranzutragen.
[…] Der Anfechungsumfang wurde so gewählt, dass – bei Bejahung der verfassungsrechtlichen Bedenken durch den Verfassungsgerichtshof – eine verfassungsrechtlich einwandfreie Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren hergestellt wird. Der verbleibende Gesetzesteil bekommt dadurch einerseits nicht einen völlig veränderten oder sprachlich unverständlichen bzw unanwendbaren Inhalt und es werden andererseits alle mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen erfasst (vgl VfGH G146/2019). Da in §31 Abs2 S 1 KBGG mehrere, voneinander trennbare Rückforderungstatbestände enthalten sind, war nur die im Spruch wiedergegebene Wortfolge in die Anfechtung aufzunehmen, weil sich die verfassungsrechtlichen Bedenken nur auf diesen Rückforderungstatbestand beziehen und ein allein unanwendbarer Torso bei Wegfall dieses Tatbestands nicht entsteht."
1.8. Die Bundesregierung hat zu diesem (als zulässig erachteten) Gesetzesprüfungsantrag des Obersten Gerichtshofes eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird (ohne die Hervorhebungen im Original):
"[…] In der Sache:
Der antragstellende Gerichtshof zieht […] die von Art7 B-VG geforderte Sachlichkeit des Rückforderungstatbestandes des §31 Abs2 erster Satz zweiter Fall KBGG in Zweifel.
Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.
[…] Anwendungsbereich des antragsgegenständlichen Rückforderungstatbestandes
Dem antragstellenden Gerichtshof ist beizupflichten, wenn er entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht von einer zwecklosen und funktionslosen Bestimmung ausgeht. Es handelt sich hier vielmehr um eine Art von zusätzlichem Auffangtatbestand, der dann zur alleinigen Anwendung kommt, wenn unrichtige Berechnungen oder Rechtsansichten Grund der Auszahlung waren. Weiters dient er der Verhinderung unrechtmäßiger Bereicherung von Eltern, die versuchsweise einen Antrag auf Kinderbetreuungsgeld stellen und die irrtümliche Auszahlung zumeist zB durch missverständliche Angaben, widersprüchliche Bestätigungen, ausweichende Sachverhaltsschilderungen, schleppende Antworten usw (mit)veranlassen, wenn auch nicht konkret vorwerfbar und sohin außerhalb des Anwendungsbereiches des §31 Abs1 KBGG.
Nicht beigepflichtet wird den Ausführungen des Anfechtungsbeschlusses insofern, als danach die verschuldensabhängigen Rückforderungstatbestände des §31 Abs1 und 2 KBGG die verschuldensunabhängigen Rückforderungstatbestände des §31 Abs2 KBGG ausschließen und insbesondere der in der angefochtenen Wortfolge verkörperte Rückforderungstatbestand nur anwendbar sei, wenn kein anderer Rückforderungstatbestand erfüllt sei. In der Praxis werden in vielen Fällen mehrere Rückforderungstatbestände gleichzeitig erfüllt. Dies können mehrere verschuldensabhängige Tatbestände sein, zB wenn der Unrechtsbezug durch unrichtige Angaben herbeigeführt wurde und der Leistungsbezieher erkennen musste, dass ihm die Leistung nicht gebührt oder er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkam. Dies können auch mehrere verschuldensunabhängige Tatbestände sein, zB wenn eine Anspruchsvoraussetzung bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen hat und die Leistung irrtümlich von der Behörde ausgezahlt worden ist. Dies können aber auch – wie im vorliegenden Fall – mehrere verschuldensabhängige und verschuldensunabhängige Tatbestände sein, etwa, weil der Unrechtsbezug durch unrichtige Angaben herbeigeführt wurde, der Leistungsbezieher erkennen musste, dass ihm die Leistung nicht gebührt, die Mitwirkung im Sinne der Mitteilung verfahrenswesentlicher Sachverhalte nicht erfüllt wurde sowie eine Anspruchsvoraussetzung bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen hat und die Leistung irrtümlich von der Behörde ausgezahlt worden ist. Diese Frage erscheint aber für die Prüfung der erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht bedeutsam und kann daher hier auf sich beruhen.
[…] Vertrauen auf die Mitteilung nach §27 KBGG
[…] Angelpunkt […] der Bedenken ist die im Fall der Bejahung des Anspruchs auszustellende, nicht bescheidförmige Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld (§27 KBGG). Damit werde dem Empfänger gegenüber ausdrücklich das Bestehen eines Leistungsanspruchs zugestanden und er gehe daher regelmäßig – jedenfalls im hier relevanten Rückforderungsfall – berechtigt davon aus, dass der zuständige Krankenversicherungsträger das Vorliegen der Voraussetzungen geprüft und bejaht habe und ihm (dem Empfänger) das Kinderbetreuungsgeld während der Leistungsdauer zur Verfügung stehe.
Diese Prämisse wird von der Bundesregierung nicht geteilt:
[…] Im Anwendungsbereich des Kinderbetreuungsgeldes ist der Gutglaubensempfang und -verbrauch ausgeschlossen.
Davon unabhängig judiziert der OGH in jenen Bereichen, in denen der gutgläubige Empfang und Verbrauchs möglich ist, dass irrtümlich angewiesene Beträge im Falle redlichen Verbrauches nicht zurückgefordert werden (SZ11/86 uva.). Jedoch