TE Vwgh Erkenntnis 1985/11/25 85/02/0176

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Veröffentlicht am 25.11.1985
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Index

StVO
40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §20 Abs2
VStG §6
  1. StVO 1960 § 20 heute
  2. StVO 1960 § 20 gültig ab 01.07.2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 52/2005
  3. StVO 1960 § 20 gültig von 22.07.1998 bis 30.06.2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/1998
  4. StVO 1960 § 20 gültig von 01.10.1994 bis 21.07.1998 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 518/1994
  5. StVO 1960 § 20 gültig von 01.03.1989 bis 30.09.1994 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 86/1989
  6. StVO 1960 § 20 gültig von 01.10.1988 bis 28.02.1989 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 573/1987

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kowalski, über die Beschwerde des Dr. WK in W, vertreten durch Dr. Werner Schwind, Rechtsanwalt in Wien I, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 11. März 1985, Zl. MA 70-IX/K 144/84/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 11. März 1985 wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am 3. Juni 1983 um 20 Uhr 34 „in 12., Breitenfurterstr. 161“ als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws „die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit um ca. 30 kmh (mindestens), somit erheblich überschritten“ habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung objektiv begangen zu haben, beruft sich jedoch - wie schon im Verwaltungsstrafverfahren - auf das Vorliegen eines Notstandes im Sinne des § 6 VStG 1950, weil er dringend wegen einer Nierenkolik zu einer näher bezeichneten Person gerufen worden sei. Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung die Angaben des Beschwerdeführers als richtig zugrunde gelegt und auch nicht den Standpunkt vertreten, daß das Vorliegen einer schweren Nierenkolik keine dringende ärztliche Hilfeleistung erfordere und diese Art der Erkrankung von vornherein nicht geeignet sei, eine Notstandssituation zu begründen, sodaß es sich erübrigt, darauf näher einzugehen. Sie hat aber der Verantwortung des Beschwerdeführers entgegengehalten, daß - entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 13. November 1981, Zl. 81/02/0252, und vom 25. April 1985, Zl. 85/02/0027) - unter Notstand im Sinne des § 6 VStG 1950 nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden kann, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht, diese Voraussetzungen aber im Beschwerdefall aus zwei Gründen nicht gegeben seien.

Die belangte Behörde hat das Vorliegen einer Kollision von Pflichten und Rechten verneint, „da es die Pflicht des Berufungswerbers (Arzt) gewesen wäre, auf Grund der Entfernung des Wohnortes des Berufungswerbers und des Patienten bei Vorliegen einer akuten und gefährlichen Erkrankung die Rettung zu verständigen“. Die Berufspflichten des Arztes sind im Ärztegesetz, BGBl. Nr. 92/1949, in der zur Tatzeit geltenden und daher auch noch im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung, geregelt (nunmehr auf Grund erfolgter Wiederverlautbarung Ärztegesetz 1984, BGBl. Nr. 373). Gemäß § 6 Ärztegesetz, BGBl. Nr. 92/1949, darf der Arzt die Erste Hilfe im Falle drohender Lebensgefahr nicht verweigern. Außer diesem Fall besteht für die Ärzte nach dem Ärztegesetz keine Verpflichtung zur Übernahme einer Krankenbehandlung (siehe dazu auch § 8 leg. cit.); doch ist der Arzt gemäß § 7 Abs. 1 leg. cit. verpflichtet, jeden von ihm in ärztlicher Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden oder Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen. Er hat hiebei nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren. § 7 Abs. 2 leg. cit. bestimmt, daß der Arzt seinen Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärzten, auszuüben hat. Handelte es sich also um einen Fall drohender Lebensgefahr oder stand, unabhängig davon, die betreffende Person in Behandlung des Beschwerdeführers, so war der Beschwerdeführer verpflichtet, dieser Person „Erste Hilfe“ zu leisten bzw. sie „gewissenhaft zu betreuen“. Dazu hat zwar weder der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren konkrete Behauptungen aufgestellt noch die belangte Behörde Feststellungen getroffen. Die belangte Behörde hat aber nur auf Grund der zwischen der Wohnung bzw. Ordination des Beschwerdeführers in Wien 12, S-Straße, und der Wohnung des Patienten in Wien 11, K-Straße, gelegenen Entfernung - die im übrigen eine (nicht nur Ärzte treffende) Verpflichtung zur Hilfeleistung nach § 95 StGB ausschloß, weil eine solche, ungeachtet der Beurteilung der Frage, ob es sich hiebei überhaupt um einen „Unglücksfall“ handelte, jedenfalls voraussetzt, daß zum „Verunglückten“ eine räumliche Nahebeziehung besteht (vgl. Kommentar zum Strafgesetzbuch, Leukauf-Steininger2, 648) - eine mangelnde Interessenkollision des Beschwerdeführers angenommen; sie ist - worauf noch näher zurückzukommen sein wird - sogar davon ausgegangen, daß ein Fall drohender Lebensgefahr gegeben war oder zumindest gegeben sein konnte. Traf aber den Beschwerdeführer eine Verpflichtung zur dringenden ärztlichen Hilfeleistung, wobei es auch im Falle nicht drohender Lebensgefahr galt, so rasch wie möglich die Schmerzen des Kranken zu lindern, so war damit zwangsläufig die Notwendigkeit der Begehung einer strafbaren Handlung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 verbunden, woraus für den Beschwerdeführer die gegenständliche Interessenkollision entstand. Daran vermag die angeführte Entfernung nichts zu ändern, weil erst bei einer so großen Entfernung, die es dem Arzt von vornherein jedenfalls unmöglich macht, auch unter Begehung einer strafbaren Handlung seiner Verpflichtung nachzukommen, vom Vorliegen einer derartigen Interessenkollision nicht mehr gesprochen werden könnte und die belangte Behörde nicht dargetan hat, daß dies der Fall gewesen sei.

Die belangte Behörde hat aber ihre Entscheidung „außerdem“ darauf gestützt, daß die begangene Tat „keinesfalls das einzige Mittel darstellte, jemanden aus schwerer unmittelbarer Gefahr zu retten, zumal vom Berufungswerber die Rettung verständigt hätte werden können“. Der Beschwerdeführer wendet gegen diese Ansicht ein, im dem (bereits genannten) Kommentar zum Strafgesetzbuch, Leukauf-Steininger2 (, 155), werde zu § 10 StGB ausgeführt, „daß nicht gefordert wird, daß der Nachteil nicht anders als durch die Notstandstat abwendbar ist“, und „auch wenn daher die Notstandstat nicht das einzige Mittel ist, um den unmittelbar drohenden bedeutenden Nachteil abzuwenden, sie entschuldigt ist“. Die belangte Behörde weist in ihrer Gegenschrift zutreffend darauf hin, daß diese Rechtsmeinung „unvollständig und aus dem Zusammenhang gerissen in der Beschwerde wiedergegeben wurde“, heißt es doch im unmittelbaren Anschluß daran, daß „hier in erster Linie an eine Abwehr des Nachteils durch Notwehr zu denken ist“ und dann, wenn „der Betroffene die Gefahr durch eine Notwehrhandlung gegen den Angreifer abwenden könnte, er sich jedoch der Gefahr durch einem Eingriff in Rechtsgüter unbeteiligter Dritter entzieht, ihm dennoch Notstand zugute kommt“:. Um eine allfällige Wahlmöglichkeit dieser Art geht es im vorliegenden Beschwerdefall nicht. In jedem einzelnen Fall kommt es vielmehr auf die Zumutbarkeit eines bestimmten Verhaltens an, weshalb der Verwaltungsgerichtshof auch schon wiederholt ausgesprochen hat, daß es zum Wesen des Notstandes gehört, daß die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (vgl. u. a. die Erkenntnisse vom 24. Oktober 1975, Zl. 528/75, und vom 5. März 1985, Zl. 84/04/0191).

Die belangte Behörde hat angenommen, daß der Fall eines Einsatzes für die Rettung vorlag, ansonsten sie den Beschwerdeführer nicht auf diese Möglichkeit verwiesen hätte. Das Wiener Rettungs- und Krankenbeförderungsgesetz, LGBl. Nr. 22/1965, unterscheidet in seinem § 1 zwischen der Leistung Erster Hilfe (öffentlicher Rettungsdienst), wobei im Beschwerdefall lediglich die lit. c des Abs. 1 in Betracht kommt, die für Personen gilt, die in Wien in ihrer Unterkunft wegen unmittelbarer Lebensgefahr sofortiger ärztlicher Hilfe bedürfen, die anders nicht gewährleistet ist, und dem öffentlichen Krankenbeförderungsdienst nach Abs. 2. Da im Beschwerdefall die Erbringung ärztlicher Hilfeleistung in der Wohnung des Kranken (durch den Beschwerdeführer oder die Rettung) zur Debatte steht, scheidet der Fall der Inanspruchnahme des öffentlichen Krankenbeförderungsdienstes von vornherein aus; die unbedingt notwendige Beförderung in eine Krankenanstalt gemäß § 1 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. wird von der Ersten Hilfe umfaßt. Über das Vorliegen der genannten Voraussetzung für eine Inanspruchnahme des öffentlichen Rettungsdienstes hat die belangte Behörde zwar kein Ermittlungsverfahren durchgeführt und keine Feststellungen getroffen. Dieser Mangel ist aber nicht wesentlich, weil der Beschwerdeführer der Ansicht der belangten Behörde, er hätte der Gefahr, in der sich die betreffende Person, zu der er gerufen wurde, befunden habe, auch durch eine Verständigung der Rettung begegnen können, nur mit dem Einwand entgegengetreten ist, er könne „als behandelnder Arzt“ den Gesundheitszustand des Patienten „am besten beurteilen, weshalb auch von mir am ehesten Abhilfe und richtige Behandlung erwartet werden kann“. Dem ist zu entgegnen, daß von jedem ausgebildeten Arzt (also auch einem Rettungsarzt) die zweckentsprechende Behandlung einer Nierenkolik erwartet werden kann und daher die dringende ärztliche Hilfeleistung nicht nur durch den Beschwerdeführer erbracht werden konnte. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, daß ihm eine Verständigung der Rettung nicht zumutbar gewesen sei, sowie daß er versucht habe, dem Kranken auf diese Weise Hilfe zuteil werden zu lassen, ihm aber auf Grund seines Anrufes mitgeteilt worden wäre, daß derzeit kein Rettungsfahrzeug zur Verfügung stehe und nicht mit einem baldigen Einsatz gerechnet werden könne bzw. ein solcher ungewiß sei, sodaß der Beschwerdeführer hätte annehmen dürfen, er werde trotz der zurückzulegenden Entfernung früher als die Rettung in der Wohnung des Patienten eintreffen und dort die dringende ärztliche Hilfe leisten können. Damit ist aber auch seinem Hinweis, „daß im ländlichen Raum den Ärzten sogar die Benützung eines Notsignals (Blaulicht) zugestanden wird, da man die Notwendigkeit des raschen ärztlichen Einsatzes anerkennt“, der Boden entzogen.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Hinsichtlich der zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 25. November 1985

Schlagworte

Überschreiten der Geschwindigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1985:1985020176.X00

Im RIS seit

21.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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