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Verwaltungsverfahren - AVGNorm
AVG §10 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Baumgartner, Dr. Griesmacher, Dr. Weiss und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Egger, über die Beschwerde der S Aktiengesellschaft in W, vertreten durch DDr. Ernst Kloss, Rechtsanwalt in Wien VII, Neustiftgasse 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 24. Februar 1986, Zl. 306.942/1-III-3/83, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem eine gewerbliche Betriebsanlage betreffenden Verfahren, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 17. Juni 1982 wurde die näher umschriebene Änderung der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin im Standort W, X Gasse 7, gemäß § 81 GewO 1973 unter Vorschreibung von Auflagen genehmigt.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 7. März 1985 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei von der Erstbehörde telefonisch zur Übernahme des Bescheides und Entrichtung aushaftender Gebühren geladen worden. Die Beschwerdeführerin habe dieser Ladung durch Entsendung des Angestellten HK Folge geleistet, der den Erstbescheid laut Übernahmsbestätigung am Donnerstag, dem 12. August 1982, übernommen und um etwa 17.30 Uhr desselben Tages in die Postkiste der Allgemeinen Verwaltung eingelegt habe. Der Erstbescheid sei sohin an diesem Tag im Sinne des § 23 Abs. 1 in Verbindung mit § 30 AVG 1950, in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 199/1982, ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Beschwerdeführerin wende demgegenüber ein, daß die Zustellung erst am 13. August 1982 erfolgt sei, weil der Erstbescheid an diesem Tag vom Leiter der Allgemeinen Verwaltung in Empfang genommen worden sei, nachdem der Angestellte HK dieses Schriftstück erst am späten Abend des 12. August 1982 im Sekretariat des zuständigen Firmenangehörigen abgegeben habe. Es sei ein Zustellmangel insbesondere auch darin gelegen, daß HK zur Entgegennahme von Bescheiden nicht bevollmächtigt, HK ferner der Behörde nicht bekannt und die Ausfolgung des Bescheides an ihn somit zu Unrecht erfolgt sei. Im Gegensatz zu den Berufungsausführungen, wonach die fernmündliche Ladung von einem nicht kompetenten Angestellten entgegengenommen worden sei, habe das - von der Beschwerdeführerin unwidersprochen gebliebene - ergänzende Ermittlungsverfahren ergeben, daß dieser Angestellte einer der Vertreter des kürzlich verstorbenen Leiters der - von der Beschwerdeführerin selbst als zuständig bezeichneten - Abteilung sei. Die Erstbehörde habe daher keinen Anlaß gehabt, an der Berechtigung zur Bescheidübernahme des von diesem Angestellten entsendeten Boten oder an der Angestellteneigenschaft jener Person Zweifel zu hegen, zumal auch der Aufforderung zur Entrichtung der Gebühren entsprochen worden sei. Das Gebot des § 23 Abs. 1 AVG 1950, wonach nur an einen dem Zusteller bekannten Angestellten zuzustellen ist, könne wohl nur so verstanden werden, daß über die Angestellteneigenschaft des Empfängers kein Zweifel bestehen dürfe. Dies sei aber aus den vorliegenden Gründen für die Erstbehörde durchaus zutreffend, sodaß auch in dieser Hinsicht kein Zustellmangel gegeben sei. Was die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte mangelnde Bevollmächtigung des Bescheidempfängers (Boten) anlange, so sei dazu zu sagen, daß die Zustellverfügung des Erstbescheides nicht auf eine bestimmte natürliche Person laute. In solchen Fällen greife in aller Regel die Ersatzzustellung Platz, wonach an jeden dem Zusteller bekannten erwachsenen Angestellten zugestellt werden könne. Zusätzlicher Erfordernisse, etwa einer ausdrücklichen Vollmacht, bedürfe es nicht und könnten auch für den Fall der Ausfolgung des Schriftstückes bei der Behörde (§ 30 AVG 1950) dem Gesetz nicht entnommen werden. Die diesbezüglichen Einwände der Beschwerdeführerin seien umso weniger verständlich, als dem Angestellten HK selbst von der Beschwerdeführerin kein Fehlverhalten angelastet werde. HK habe vielmehr das übernommene Schriftstück ohne ersichtliche Verzögerung noch am Tag der Empfangnahme bei der nach der Unternehmensorganisation zuständigen Stelle abgegeben. Wann das Schriftstück dem für die Bearbeitung zuständigen Firmenangestellten zur Kenntnis gelangte, sei für die Frage der Zustellung unbeachtlich. Im vorliegenden Fall sei die Berufungsfrist mit dem Verstreichen des 26. August 1982 (Donnerstag) abgelaufen. Die trotz richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung erst am Freitag, dem 27. August 1982 eingebrachte Berufung habe daher ohne inhaltliche Prüfung der Sache als verspätet zurückgewiesen werden müssen.
Auch gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Mit Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 24. Februar 1986 wurde der Berufung „aus den im wesentlichen zutreffenden Gründen“ des Bescheides der Zweitbehörde keine Folge gegeben. Die Beschwerdeführerin habe jedenfalls unbestritten gelassen, daß sie bzw. einer ihrer Angestellten von der Erstbehörde fernmündlich zur Empfangnahme des Bescheides und zur Entrichtung von Gebühren geladen worden sei. Sie habe weiters unbestritten gelassen, daß HK in der Folge bei der Erstbehörde am 12. August 1982 Gebühren entrichtet und den Bescheid vom 17. Juni 1982 übernommen habe. Auf Grund dieser Tatsache habe die Behörde zu Recht auch davon ausgehen können, daß HK ermächtigt gewesen sei, den in Rede stehenden Bescheid zu übernehmen. Damit aber sei dieser gemäß den §§ 23 Abs. 1 und 30 AVG 1950 ordnungsgemäß zugestellt worden. Hiebei sei es unerheblich, ob HK bei der Beschwerdeführerin als Arbeiter oder Angestellter tätig sei. Der Begriff des Angestellten gemäß § 23 Abs. 1 leg. cit. sei zweifellos im weiteren Sinn als Arbeitnehmer (des Empfängers) zu interpretieren. Im übrigen könne jedermann bevollmächtigt werden, wobei die Erstbehörde zu Recht das Vorliegen einer Vollmacht zur Übernahme des Bescheides vermutet habe. Wann schließlich der Bescheid der Erstbehörde in Händen der Adressatin gewesen sei, sei rechtlich ohne Bedeutung, eine verspätete Übergabe an die Adressatin falle dieser selbst zur Last. Bei dieser Rechts- und Sachlage sei daher die Berufung gegen den Bescheid der Erstbehörde vom 17. Juni 1982 zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshofhat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem auf die Regelungen über die Zustellung von schriftlichen Ausfertigungen behördlicher Erledigungen, über die Berufungsfrist und die Fristberechnung gestützten Recht verletzt, daß ihre Berufung gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 17. Juni 1982 nicht als verspätet zurückgewiesen wird. Sie erachtet sich in Ansehung des Punktes 54 des Bescheides des Magistrates der Stadt Wien vom 17. Juni 1982 ferner in dem Recht verletzt, daß ihr gegenüber nur solche zusätzliche Auflagen vorgeschrieben werden, die ihr unter Anwendung der Bestimmungen des § 79 Abs. 1 GewO 1973 wirtschaftlich zumutbar sind.
In Ausführung des erstangeführten Beschwerdepunktes trägt die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, die Tatsache, daß HK am 12. August 1982 den Erstbescheid übernommen habe, rechtfertige nicht die Schlußfolgerung, daß er zur Übernahme dieses Bescheides auch ermächtigt gewesen sei. Da keine Ladung gemäß § 19 AVG 1950 erfolgt sei, hätte sich daher die Erstbehörde zumindest davon überzeugen müssen, ob HK die Vollmacht gehabt habe, diesen Bescheid mit Rechtswirksamkeit für die Beschwerdeführerin zu übernehmen.
Was zunächst den zweitangeführten Beschwerdepunkt anlangt, ist es ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführerin in dem von ihr als verletzt bezeichneten Recht verletzt wurde. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde nämlich lediglich über die Frage der Zulässigkeit der Berufung gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 17. Juni 1982 unter dem Blickwinkel der Frage der Rechtzeitigkeit der Einbringung der Berufung oder der Versäumung der Berufungsfrist, nicht jedoch über die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nach gewerberechtlichen Vorschriften abgesprochen. Es ist dem VwGH im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren daher verwehrt, auf das den zweitangeführten Beschwerdepunkt betreffende Beschwerdevorbringen meritorisch einzugehen.
Im übrigen ist die Beschwerdeführerin mit ihrem Beschwerdevorbringen im Recht.
Nach § 10 Abs. 1 AVG 1950 können die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht ausweisen müssen. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk.
Nach § 10 Abs. 4 AVG 1950 kann die Behörde von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder, Haushaltsangehörige, Angestellte oder durch amtsbekannte Funktionäre von beruflichen oder anderen Organisationen handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten.
Nach § 26 Abs. 1 AVG 1950 - diese Bestimmung war bis einschließlich 28. Februar 1983, also insbesondere auch auf den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildenden Zustellvorgang im August 1982, anzuwenden (Art. I Z. 10 und Art. III des Bundesgesetzes vom 1. April 1982, BGBl. Nr. 199, mit dem das Allgemeine Verfahrensgesetz 1950 und das Arbeitsverfassungsgesetz geändert werden) - erfolgen die Zustellungen, wenn eine im Inland wohnende Person zum Empfang der für einen Beteiligten bestimmten Schriftstücken ermächtigt ist, an diese.
Alle einer Person zuzustellenden Schriftstücke sind nach § 30 AVG 1950 (siehe das zitierte Bundesgesetz BGBl. Nr. 199/1982) unmittelbar bei der Behörde gegen schriftliche Empfangsbestätigung auszufolgen, wenn sie sich zur Empfangnahme des Schriftstückes einfindet, bevor das Schriftstück der Post übergeben oder die sonst zum Vollzug der Zustellung nötige Einleitung getroffen ist.
Die §§ 26 und 30 AVG 1950 sehen eine Zustellung lediglich an die Person des Empfängers (inbegriffen der gesetzliche Vertreter des Empfängers) und an die Person des zum Empfang von Schriftstücken Ermächtigten, d.h. des Bevollmächtigten, insoweit sich die Vollmacht auf den Empfang der Schriftstücke bezieht, vor.
Eine Übergabe an einen Boten ist in den Regelungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 über die Zustellung nicht als ein eine Zustellung bewirkender Tatbestand vorgesehen. Im Gegensatz zum Bevollmächtigten (Ermächtigten), der ein Schriftstück mit Rechtswirksamkeit für den Empfänger übernehmen kann, beschränkt sich die einem Boten von seinem Auftraggeber in Ansehung des Empfanges von Schriftstücken übertragene Aufgabe auf die Übernahme zur Beförderung an den Empfänger (vgl. Strasser in Rummel, ABGB, Rdz. 53 zu § 1902).
Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid bezogene Tatsache eines Ferngespräches, mit welchem die Übernahme des Bescheides der Erstbehörde und die Entrichtung aushaftender Gebühren veranlaßt wurde, („Ladung“) in Verbindung mit der weiters festgestellten Tatsache, das HK in der Folge bei der Erstbehörde am 12. August 1982 Gebühren entrichtete und den Bescheid vom 17. Juni 1982 übernahm, berechtigte die belangte Behörde nicht dazu, unter Nichtbeachtung der Regelungen des § 10 AVG 1950 über Vertreter und deren Vollmacht davon auszugehen, daß HK ermächtigt gewesen sei, den Bescheid - mit Rechtswirksamkeit für die Beschwerdeführerin - zu übernehmen.
In Hinsicht darauf, daß sich § 23 Abs. 1 und 2 AVG 1950 auf die Wohnung (Kanzlei, gewerbliche Betriebsstätte, Geschäftsräume, Arbeitsplatz) des Empfängers bzw. das Haus, in dem sich die angeführten Räume befinden, bezieht, beruft sich die belangte Behörde mit Rücksicht auf die von ihr festgestellte Tatsache der Übernahme des Bescheides bei der Behörde (ein unter § 30 AVG 1950 fallender Vorgang) zu Unrecht auch auf die Bestimmung des § 23 AVG 1950.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Zufolge Beendigung des Beschwerdeverfahrens ist über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht zu entscheiden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren Barauslagen (im Sinne des § 48 Abs. 1 Z. 1 VwGG) nicht erwachsen sind.
Wien, am 9. September 1986
Schlagworte
Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1986:1986040086.X02Im RIS seit
21.10.2022Zuletzt aktualisiert am
21.10.2022