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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des D K, vertreten durch Mag. Aida Slijepcevic, Rechtsanwältin in 1140 Wien, Guldengasse 11a/1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 7. April 2022, VGW-151/017/1805/2021-79, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Dem Revisionswerber, einem serbischen Staatsangehörigen, war auf Grund seines - unter Berufung auf die am 11. Juli 2017 mit der ungarischen Staatsangehörigen M K geschlossene Ehe gestellten - Antrages vom 11. August 2017 gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) eine Aufenthaltskarte ausgefolgt worden.
2 Mit Bescheid vom 23. Dezember 2020 nahm der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) dieses rechtskräftig abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf (Spruchpunkt I). Unter einem wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 11. August 2017 abgewiesen (Spruchpunkt II). Begründend hielt die belangte Behörde fest, dass es sich bei der Ehe des Revisionswerbers mit M K um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. April 2022 wies das Verwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit insgesamt vier Tagsatzungen die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers zu Spruchpunkt I als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt II mit der Maßgabe, dass der Antrag vom 11. August 2017 gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurückgewiesen und festgestellt werde, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Unter einem wurden dem Revisionswerber mittels Beschluss näher dargestellte Barauslagen für die zur mündlichen Verhandlung beigezogenen Dolmetscher auferlegt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde jeweils für unzulässig erklärt.
4 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - soweit für die vorliegende Revisionssache relevant - Folgendes zugrunde: Die Ehe des Revisionswerbers mit M K sei am 12. April 2019 geschieden worden. Nach Mitteilung dieses Umstandes habe die belangte Behörde an die Landespolizeidirektion (LPD) Wien ein Ersuchen um Überprüfung wegen des Verdachts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gerichtet. Laut dem Bericht der LPD Wien vom 3. Juni 2020 sei vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe auszugehen. Das Verwaltungsgericht habe die LPD Wien am 2. Juli 2021 ebenfalls um eine Überprüfung (sowie Befragung der Nachbarn) wegen des Verdachts des Bestehens einer Aufenthaltsehe ersucht. Der Revisionswerber sei im Beschwerdeverfahren aufgefordert worden, eine ladungsfähige Adresse der M K bekannt zu geben; erst am 24. Jänner 2022 (nach der Einvernahme des Revisionswerbers sowie zahlreicher Zeugen) sei eine E-Mail-Adresse der (nicht mehr im Inland aufhältigen) M K bekannt gegeben worden, worauf diese per Video einvernommen worden sei.
Die Ehe des Revisionswerbers mit M K sei - so das Verwaltungsgericht - allein zu dem Zweck geschlossen worden, dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel in Österreich zu verschaffen. Ein tatsächliches Familienleben im Sinn einer ehelichen Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft sei zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Dabei stützte sich das Verwaltungsgericht auf die äußerst späte Bekanntgabe einer Adresse der M K und auf den Umstand, dass sich M K bei ihrer Einvernahme exakt und detailgetreu an die Aussagen des Revisionswerbers sowie sämtlicher Zeugen gehalten habe, was nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes nur dadurch erklärt werden könne, dass ihr die Protokolle der vorherigen Verhandlungstermine zur Verfügung gestellt worden seien. Zudem seien die Aussagen des Revisionswerbers und der Zeugen zum Zusammenleben mit M K sehr allgemein und oberflächlich gewesen. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass sich M K an den gemeinsamen gemeldeten Wohnsitzen nie dauerhaft aufgehalten habe, zumal sie keine Angaben dazu habe machen können, wie sie von dort zur Arbeit gefahren sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb M K (in den Zeiten, in denen sie nicht als Arbeitnehmerin angemeldet gewesen sei) nicht bei ihrem Ehemann mitversichert gewesen sei. Schließlich hätten keine Fotos von der Hochzeit oder vom Zusammenleben vorgelegt werden können und es seien auch keine gemeinsamen Reisen unternommen worden.
5 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht fest, dass sich der Revisionswerber in seinem aufenthaltsrechtlichen Verfahren auf die Ehe mit M K berufen habe, obwohl ein Eheleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geführt worden sei. Dies habe dem Zweck gedient, dem Revisionswerber eine Aufenthaltskarte zu verschaffen. Die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme seien somit erfüllt. Der Ausstellung einer Aufenthaltskarte im wiederaufgenommenen Verfahren stehe diese Aufenthaltsehe entgegen. Ausgehend davon sei der Antrag gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurückzuweisen und dies mit der Feststellung zu verbinden gewesen, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle.
6 Gegen diese Entscheidung erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG, deren Behandlung vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. Juni 2022, E 1385/2022, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde. In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Der Revisionswerber bringt vor, es fehle „höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 37 Abs. 4 NAG [...] beim nachträglich eingetretenen Verdacht auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe sowie betreffend die Frist für die Verständigung der Aufenthaltsbehörde an die LPD über Verdachtsfälle“.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass der klare Wortlaut des § 37 Abs. 4 NAG bei jedem begründeten Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe die zwingende Verständigung der LPD durch die Niederlassungsbehörde vorsieht; diese Verpflichtung besteht auch in einem Verfahren betreffend die Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0300, Rn. 13, mwN). Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nicht zur Anwendung gelangen sollte, lassen sich weder dem Wortlaut der zitierten Bestimmung noch der Systematik des NAG entnehmen. Zudem hat es der Verwaltungsgerichtshof wiederholt unbeanstandet gelassen, dass Erhebungen gemäß § 37 Abs. 4 NAG im Zuge der Prüfung einer Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Verfahren veranlasst bzw. durchgeführt worden sind (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2019/22/0234; 18.11.2021, Ra 2021/22/0207). Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn (wie hier der Fall) auch das Verwaltungsgericht Erhebungen gemäß § 37 Abs. 4 NAG veranlasst hat (vgl. dazu erneut VwGH Ra 2018/22/0300, Rn. 17). Was den in diesem Zusammenhang noch thematisierten zeitlichen Ablauf der Vorgangsweise nach § 37 Abs. 4 NAG anlangt, so wird damit im Ergebnis aber nur ein Aspekt der Beweiswürdigung angesprochen.
10 Diese greift der Revisionswerber damit an, das Verwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Es fehle auch höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Würdigung des Aussehens der Ehepartner bzw. des gemeinsamen äußeren Erscheinungsbildes als Ehepaar.
11 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. zu allem VwGH 1.4.2021, Ra 2020/22/0214, Rn. 12, mwN).
12 Eine derartige Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermag der Revisionswerber mit seinem Vorbringen nicht aufzuzeigen. Wenn er moniert, dass die LPD bei der ihrem Bericht vom 3. Juni 2020 zugrunde liegenden Einvernahme des Revisionswerbers keinen amtlichen Dolmetscher beigezogen habe, so ist ihm zu entgegnen, dass das Verwaltungsgericht auf diese Einvernahme im Rahmen der Beweiswürdigung gar nicht näher Bezug genommen hat. Dem Revisionswerber ist lediglich zuzugestehen, dass die vom Verwaltungsgericht an einer Stelle getroffene Aussage, es werde aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes der M K angezweifelt, dass sich der Revisionswerber in diese um einige Jahre älter als er wirkende Frau verliebt habe, für sich genommen nicht nachvollziehbar ist. Allerdings hat das Verwaltungsgericht seine Beweiswürdigung gestützt auf eine Vielzahl von Aspekten und unter Bedachtnahme auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vorgenommen; ein einzelner - zudem nur nachrangig herangezogener - Aspekt ist für sich allein nicht geeignet, die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung insgesamt in Zweifel zu ziehen.
13 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
14 Ausgehend davon erübrigt es sich, über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abzusprechen.
Wien, am 22. September 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022220136.L00Im RIS seit
21.10.2022Zuletzt aktualisiert am
21.10.2022