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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AlVG 1977 §21 Abs1 idF 2015/I/079Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Berger, Mag. Stickler und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des DI(FH) F M, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2018, W238 2169043-1/10E, betreffend Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Schönbrunner Straße), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Unstrittig ist, dass der Revisionswerber von 1. Jänner 2007 bis 31. Dezember 2016 bei der N GmbH beschäftigt war und aus dieser Beschäftigung im Jahr 2015 ein laufendes Entgelt von € 55.800,-- zuzüglich zwei Sonderzahlungen von € 9.300,-- bezog.
Der Revisionswerber stellte mit 1. Jänner 2017 einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Da er von 1. bis 15. Jänner 2017 noch Urlaubsersatzleistung bzw. -entschädigung erhielt, sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) für diesen Zeitraum das Ruhen des Anspruchs gemäß § 16 Abs. 1 lit. l AlVG aus.
Mit Mitteilung über den Leistungsanspruch vom 5. Jänner 2017 erkannte das AMS dem Revisionswerber ab 16. Jänner 2017 ein Arbeitslosengeld von täglich € 53,36 zu. Der Revisionswerber beantragte einen Bescheid über die Höhe seines Anspruchs.
2 2.1. Mit Bescheid vom 3. Mai 2017 stellte das AMS fest, dass dem Revisionswerber ein Arbeitslosengeld von täglich € 53,36 ab 1. Jänner 2017 gebühre. Es führte dazu aus, gemäß § 21 Abs. 1 AlVG sei für die Festsetzung des Grundbetrags des Arbeitslosengelds infolge der Antragstellung im Jänner 2017 die beim Hauptverband für das Jahr 2015 gespeicherte Beitragsgrundlage von monatlich € 5.425,-- heranzuziehen, die noch gemäß § 108 Abs. 4 ASVG aufzuwerten sei. Das so ermittelte Einkommen sei jedoch gemäß § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG nur bis zur Höhe der drei Jahre vor der Geltendmachung des Arbeitslosengelds maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage zu berücksichtigen, wobei diese für das Jahr 2014 € 4.530,-- betragen habe. Ziehe man davon die sozialen Abgaben und die Einkommensteuer ab, so ergebe sich ein Nettoeinkommen von monatlich € 2.951,31 bzw. täglich € 97,03. 55 % hiervon entsprächen dem gebührenden Arbeitslosengeld von täglich € 53,36.
2.2. Der Revisionswerber erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem Vorbringen, das AMS lege § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG unrichtig aus. Die Bestimmung verweise hinsichtlich der maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage auf § 2 AMPFG, wo der Arbeitslosenversicherungsbeitrag geregelt sei, der auch von den Sonderzahlungen eingehoben werde und fallbezogen entrichtet worden sei. Eine mit Blick auf das Versicherungsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz verfassungskonforme Interpretation müsse daher dazu führen, dass nicht nur die einfache Höchstbeitragsgrundlage im Jahr 2014 von € 4.530,--, sondern eine auch die Sonderzahlungen berücksichtigende Höchstbeitragsgrundlage von € 5.285,-- (= € 4.530,-- mal 14 durch 12) heranzuziehen sei. Bei deren Aufwertung gemäß § 108 Abs. 4 ASVG ergebe sich ein Betrag von € 5.438,27, auf dessen Basis das Arbeitslosengeld zu berechnen sei. Weiters sei § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG auch insofern nicht verfassungskonform, als von der allgemeinen Regel des § 21 Abs. 1 AlVG (Heranziehung der Beitragsgrundlagen des letzten bzw. vorletzten Jahres) abgegangen und auf die Höchstbeitragsgrundlage eines weiter zurückliegenden Jahres abgestellt werde.
2.3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 12. Juli 2017 änderte das AMS den Bescheid dahin ab, dass es das Arbeitslosengeld von täglich € 53,56 (gemeint: € 53,36) erst ab 16. Jänner 2017 (aufgrund des vorangehenden Ruhens) zuerkannte. Im Übrigen gab es der Beschwerde nicht Folge und führte aus wie im bekämpften Bescheid. Ergänzend hielt es fest, dass auch die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begründet seien. Was das Versicherungsprinzip betreffe, so bestehe in der Sozialversicherung keine Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung. Auch könne der Gesetzgeber bei der Kürzung von Leistungen nach sozialen Gesichtspunkten differenzieren.
2.4. Der Revisionswerber erhob einen Vorlageantrag.
3 3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.
Es führte dazu aus, gemäß § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG sei bei der Berechnung des Grundbetrags des Arbeitslosengelds das Einkommen nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung des Anspruchs maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage zu berücksichtigen. § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG verweise dabei auf die Bestimmung des § 2 Abs. 1 AMPFG und diese wiederum auf die Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 ASVG, welche nur das laufende Entgelt und nicht auch die Sonderzahlungen betreffe, sodass deren Berücksichtigung für die Höchstbeitragsgrundlage ausscheide. Die Höchstbeitragsgrundlage unterliege auch keiner weiteren Aufwertung, wie sich eindeutig aus § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG ergebe.
Fallbezogen sei daher das Einkommen nur bis zur maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage für das Jahr 2014 von € 4.530,-- heranzuziehen, die Sonderzahlungen seien insofern nicht zu berücksichtigen, auch eine Aufwertung der Höchstbeitragsgrundlage komme nicht in Betracht. Bringe man von der Höchstbeitragsgrundlage von € 4.530,-- die sozialen Abgaben und die Einkommensteuer in Abzug, so ergebe sich ein Nettoeinkommen von monatlich € 2.951,31 bzw. täglich € 97,03. 55 % hiervon entsprächen einem Arbeitslosengeld von täglich € 53,36.
Auch die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken seien nicht begründet. Ein Verstoß gegen das Versicherungsprinzip liege nicht vor, weil in der gesetzlichen Sozialversicherung die Pflichtversicherten eine Riskengemeinschaft bildeten, bei der infolge Hervortretens des Versorgungsgedankens keine Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung bestehe. In Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz bzw. das Sachlichkeitsgebot bestünden ebenso keine Bedenken, komme doch dem Gesetzgeber eine rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzess keiner verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliege. Zwar habe der Gesetzgeber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, geringfügige Eingriffe gälten aber nicht als unverhältnismäßig, sondern als zumutbar. Auch könne bei Leistungskürzungen nach sozialen Gesichtspunkten differenziert werden, zumal die Bezieher höherer Sozialleistungen Eingriffe in der Regel leichter verschmerzen könnten.
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende - außerordentliche Revision, in der releviert wird, es fehle Rechtsprechung zur Auslegung des § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG, ob unter der „maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage (§ 2 Abs. 1 AMPFG)“ nur jene für das laufende Entgelt oder auch für die Sonderzahlungen zu verstehen sei. Der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, dass es dabei auf die Sonderzahlungen nicht ankomme, sei nicht zu folgen. Zwar verweise § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG (nur) auf die Bestimmung des § 2 Abs. 1 AMPFG und diese auf § 45 ASVG, wobei dort die Höchstbeitragsgrundlage lediglich für das laufende Entgelt geregelt sei. Allerdings sei auch die Systematik des Gesetzes zu beachten, wonach eine Höchstbeitragsgrundlage sowohl für das laufende Entgelt als auch für die Sonderzahlungen vorgesehen sei und auch bei der Bemessung des Arbeitslosengelds die Sonderzahlungen einzubeziehen seien. Es sei daher eine Interpretation des § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG geboten, der zufolge für die Höchstbeitragsgrundlage auch die Sonderzahlungen zu berücksichtigen seien. Selbst wenn man von einem gegenteiligen Gesetzeswortlaut ausginge, gelangte man durch Analogie zum aufgezeigten Ergebnis, zumal eine Regelungslücke vorliege, indem bloß auf § 45 und nicht auch auf § 54 ASVG verwiesen werde. Die Berücksichtigung der Sonderzahlungen ergebe sich zudem aus dem Gebot der verfassungskonformen Interpretation, läge doch eine unsachliche Differenzierung vor, wenn zwar bei der Berechnung der Beiträge und des Arbeitslosengelds die Sonderzahlungen berücksichtigt würden, nicht jedoch auch bei der Deckelung des Anspruchs. Ferner sei auch die Heranziehung des Einkommens nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage - in Abkehr von § 21 Abs. 1 AlVG, wonach auf das letzte bzw. vorletzte Jahr abzustellen sei - verfassungsrechtlich problematisch. Insgesamt sei daher nicht nur die einfache Höchstbeitragsgrundlage im Jahr 2014 von € 4.530,--, sondern eine auch die Sonderzahlungen berücksichtigende Höchstbeitragsgrundlage von € 5.285,-- heranzuziehen, die noch gemäß § 108 Abs. 4 ASVG aufzuwerten sei.
4.2. Das AMS erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Abweisung der Revision.
5 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Revision ist wegen Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG zulässig und im Sinn der nachfolgenden Ausführungen auch begründet.
6 6.1. § 21 Abs. 1 und 2 AlVG in der fallbezogen maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 29/2017, sowie § 21 Abs. 3 AlVG lauten auszugsweise:
„§ 21. (1) Für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ist bei Geltendmachung bis 30. Juni das Entgelt des vorletzten Kalenderjahres aus den beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt, mangels solcher aus anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen. Bei Geltendmachung nach dem 30. Juni ist das Entgelt des letzten Kalenderjahres heranzuziehen. [...] Durch Teilung des Entgelts der maßgeblichen Jahresbeitragsgrundlagen durch zwölf ergibt sich das monatliche Bruttoeinkommen. [...] Sind die heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Geltendmachung älter als ein Jahr, so sind diese mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG der betreffenden Jahre aufzuwerten. [...]
(2) Liegen noch keine Jahresbeitragsgrundlagen vor, so ist [...] Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) sind anteilsmäßig zu berücksichtigen. [...]
(3) Als Grundbetrag des Arbeitslosengeldes gebühren täglich 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens ist das nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommens