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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/01/0666Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über 1. den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und
2. die Beschwerde der WS in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. September 1995, Zl. 4.337.602/6-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft,
Spruch
I. den Beschluß gefaßt:
Der Beschwerdeführerin wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gemäß § 46 Abs. 1 VwGG bewilligt;
II. zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I. Zum Wiedereinsetzungsantrag:
Ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist begründete die Beschwerdeführerin im wesentlichen damit, bereits mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Mai 1994 sei dem Asylantrag der Beschwerdeführerin nicht Folge gegeben worden. Sie habe sich daraufhin an ihren Vertreter gewandt, um eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde einzubringen, und habe über dessen Rat innerhalb der Beschwerdefrist einen Antrag auf Verfahrenshilfe gestellt. Im Rahmen der bewilligten Verfahrenshilfe sei ihr der nunmehrige Beschwerdevertreter auch damals zur Rechtsvertretung beigegeben worden. Infolge Aufhebung des damals angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 94/19/1398 sei das Berufungsverfahren wiederum anhängig geworden, doch habe der Bundesminister für Inneres nach Verfahrensergänzung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 11. September 1995 ihrem Asylantrag neuerlich nicht stattgegeben. Nach Erhalt dieses zweiten Bescheides (frühestens am 11. September 1995) habe sich die Beschwerdeführerin neuerlich mit der Kanzlei des seinerzeitigen und auch nunmehrigen Rechtsvertreters in Verbindung gesetzt. Bei einer Besprechung am 28. September 1995 sei vereinbart worden, zunächst einige Wochen bis vor Ablauf der Beschwerdefrist die Entwicklung im Verfahren betreffend Aufenthaltsbewilligung abzuwarten. Als jedoch auch Anfang Oktober 1995 diesbezüglich eine positive Erledigung nicht absehbar gewesen sei, habe am 12. Oktober 1995 neuerlich in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin eine Besprechung stattgefunden, in der sie dieser belehrt habe, daß auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse durchaus mit einer (neuerlichen) Gewährung von Verfahrenshilfe zu rechnen sei, weshalb ihr geraten worden sei, innerhalb der Beschwerdefrist, spätestens also bis zum 23. Oktober 1995 neuerlich einen Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof zu stellen. Bei diesem von seiten der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin durch Dr. K in englischer Sprache geführten Gespräch habe dieser den Eindruck gewonnen, daß die Beschwerdeführerin, der die diesbezüglich notwendige Vorgangsweise schon vertraut schien, die von ihm erteilte Rechtsbelehrung, insbesondere hinsichtlich der zu wahrenden Frist, verstanden habe. Dies sei jedoch insofern unrichtig gewesen, als die Beschwerdeführerin der Meinung gewesen sei, daß die Verfahrenshilfeantragstellung durch ihren Rechtsvertreter vorgenommen werde. Dieser Irrtum sei erst am 14. Dezember 1995 aufgeklärt worden.
Dem Antrag liegen eidesstättige Erklärungen Dris. K sowie der Beschwerdeführerin, die diesen Sachverhalt bescheinigen, bei.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Unter Bedachtnahme auf den als bescheinigt angenommenen Sachverhalt in seiner Gesamtheit kann davon ausgegangen werden, daß es sich im vorliegenden Fall um ein dem minderen Grad des Versehens zuzuordnendes Mißverständnis handelte. Dem Antrag war daher stattzugeben.
II. Zur Beschwerde:
Auf Grund des Beschwerdevorbringens und der der Beschwerde beigelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, sei am 21. März 1992 in das Bundesgebiet eingereist und habe am 25. März 1992 den Asylantrag gestellt. Anläßlich ihrer am 3. April 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung habe sie im wesentlichen angegeben, nach dem Tod ihrer Eltern sei sie verstärkt in der katholischen Kirche engagiert gewesen. Am 5. Dezember 1991 sei sie mit einer religiösen Gruppe nach Ogunjo gefahren und habe dort Flugblätter verteilt, um die Moslems zum christlichen Glauben zu bekehren. Am darauffolgenden Tag hätten diese während eines Gottesdienstes die Kirche in Ogunjo gestürmt, hätten Gläubige verprügelt und aus der Kirche verjagt. Der Priester habe ihr geraten, Nigeria zu verlassen, da er nicht mehr für ihre Sicherheit sorgen könne. Von den Behörden habe sie auch keinen Schutz zu erwarten gehabt, daher habe sie sich entschlossen, Nigeria zu verlassen.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Mai 1992 (zugestellt am 2. Juni 1992) wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.
In der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin ergänzend vor, bei ihrer Fahrt nach Ogunjo habe es sich um einen Teil einer Missionierungsaktion gehandelt. Obwohl Ogunjo bis dahin von religiös motivierten Unruhen verschont geblieben sei, hätte die Aktion "gewaltigen Wirbel" ausgelöst. Völlig unvorbereitet seien sie am darauffolgenden Tag während des Gottesdienstes von einer Gruppe Moslems überfallen worden, die mit Schwertern in die Kirche eingedrungen seien und alle sofort attackiert hätten. Ihres Wissens seien dabei 10 Christen ermordet worden, sie selbst habe entkommen können. Es sei ihr geraten worden, das Land zu verlassen. Die Christen in ihrem Heimatland würden sich seit langem in der Defensive gegen die moslemische Gewalt befinden, die Regierung zeige keine besonderen Anstrengungen, sie zu schützen, weil diese Situation durchaus ihrer Machterhaltung diene.
Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides sei die Beschwerdeführerin in dem durch das aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. März 1995, Zl. 94/19/1398-6, wiederum anhängig gewordenen Berufungsverfahren zur Feststellung ihrer Identität am 29. August 1995 ergänzend einvernommen worden, wobei sie im wesentlichen - soweit dies für die rechtliche Beurteilung des Beschwerdefalles noch von Relevanz ist - angegeben habe, im Sommer 1993 habe sie eine in Österreich auf Urlaub befindliche nigerianische Staatsangehörige namens I kennengelernt, der sie gesagt habe, sie könne einen nigerianischen Reisepaß gebrauchen, da sie einen negativen Asylbescheid bekommen habe. Diese Frau habe ihr in der Folge ein Antragsformular an die Adresse ihres Gatten geschickt, das ausgefüllte Formular inklusive der Marke mit dem Fingerabdruck habe sie an diese Frau nach Lagos zurückgesandt. Nach einiger Zeit habe die Frau den Paß an den Gatten der Beschwerdeführerin gesandt, von wo sie ihn abgeholt habe. Sie habe nicht gewußt, daß sie den Paß zwecks ihrer Legitimation während des laufenden Asylverfahrens bei den Behörden vorzuweisen hätte. In weiterer Folge habe sie den österreichischen Staatsbürger RS geehelicht, was in ihrem Paß vermerkt worden sei. Danach habe sie mit ihrem Ehemann die nigerianische Botschaft aufgesucht, um dort die Heirat und Namensänderung bekanntzugeben. Dabei habe sie den Reisepaß in der Botschaft abgeben müssen, 380 S Bearbeitungsgebühr bezahlt und drei Tage später den Reisepaß wieder ausgefolgt erhalten. Infolge örtlich bedingter unterschiedlicher Aussprachen und Schreibweisen sei auch ihr Name unterschiedlich geschrieben. "Richtig" seien beide.
Rechtlich beurteilte die belangte Behörde den sich ingesamt ergebenden Sachverhalt dahingehend, das Ermittlungsverfahren habe keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte dafür erbracht, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland aus einem der im Asylgesetz (1968) genannten Gründe Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder solche zu befürchten gehabt habe bzw. bei ihrer Rückkehr zu gewärtigen gehabt hätte. Die von der Beschwerdeführerin behaupteten Verfolgungen seien überdies den staatlichen Behörden nicht zurechenbar, die Beschwerdeführerin habe nicht glaubhaft gemacht, daß ihr Heimatstaat tatsächlich nicht gewillt oder in der Lage gewesen sei, staatliche Hilfe und Schutz zu gewähren. Im übrigen hätte die Beschwerdeführerin sich in einen anderen Landesteil Nigerias begeben können, um Verfolgungshandlungen von Moslems zu entgehen. Es entspreche allgemeinen Erfahrungswerten, daß der Norden des Landes zwar moslemisch dominiert werde, der Süden hingegen christlich orientiert sei, weshalb eine sogenannte "inländische Fluchtalternative" gegeben gewesen sei. Letztendlich schloß die belangte Behörde aus der Tatsache, daß sich die Beschwerdeführerin einen Reisepaß habe ausstellen lassen und überdies auch nach ihrer Eheschließung Kontakt mit der nigerianischen Botschaft aufgenommen und offensichtlich völlig angstfrei mit den Behörden des Heimatlandes "interagiert" habe, daß sie sich dadurch wieder unter den Schutz ihres Heimatstaates gestellt habe, was im Sinne des Art. 1 Abschnitt C lit. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention die Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zur Folge habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Ausgehend von der vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Vorerkenntnis vom 28. März 1995, Zl. 94/19/1398, vertretenen Rechtsansicht ist im Beschwerdefall die Rechtslage vor Inkrafttreten des Asylgesetzes 1991, sohin das Asylgesetz (1968) anzuwenden. Nach § 1 AsylG (1968) ist Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes ein Fremder, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, in diesem Bundesgesetz kurz als "Konvention" bezeichnet, erfüllt, und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt.
Für die Frage der Anerkennung als Flüchtling kommt es gemäß der Formulierung des § 1 AsylG (1968) also darauf an, daß
1. die materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Konvention und 2. keine Ausschlußgründe vorliegen. Ausgeschlossen von der Anwendung der Konvention sind gemäß Art. 1 Abschnitt C u.a. Personen, die sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt haben (Z. 1). Der Verwaltungsgerichtshof hat schon zu wiederholten Malen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der belangten Behörde ausgeführt, daß die Ausstellung eines Reisepasses in der Regel - sofern nicht im konkreten Einzelfall ein dieser Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird - als eine der Formen angesehen muß, mit denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0838, und die dort angeführte Judikatur). Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen diese - u.a. die Abweisung des Asylantrages tragende - Begründung der belangten Behörde nicht, geht sie doch auf die diesbezügliche Argumentation der belangten Behörde mit keinem Wort ein. Der belangten Behörde kann daher auch mit Erfolg nicht entgegengetreten werden, wenn sie in Übereinstimmung mit der oben bereits aufgezeigten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in der Paßausstellung sowie dem "angstfreien Verkehr" mit den Vertretungsbehörden ihres Heimatlandes, an dessen Freiwilligkeit nach der Aktenlage auch nicht gezweifelt werden kann, eine "Unterschutzstellung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention erblickt hat.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen. Damit erübrigt sich aber auch ein Ausspruch des Berichters über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuererkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995010665.X00Im RIS seit
03.04.2001