TE Vfgh Erkenntnis 1994/3/5 V81/93

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Veröffentlicht am 05.03.1994
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Index

L5 Kulturrecht
L5500 Baumschutz, Landschaftsschutz, Naturschutz

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz
Verordnung der BH Schwaz vom 16.10.91 über die Erklärung des Scheulingwaldes. KG Mayrhofen, zum geschützten Landschaftsteil
Tir NaturschutzG 1991 §13
Tir NaturschutzG 1991 §28

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Verordnung über die Erklärung eines Gebietes zum geschützten Landschaftsteil infolge Unterlassung der im Tir NaturschutzG 1991 vorgesehenen Verständigung der Grundeigentümer von der Entwurfsauflage als notwendigen Verfahrensschritt

Spruch

Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 16. Oktober 1991, Zl. 13129/1j-1990, über die Erklärung des Scheulingwaldes, KG Mayrhofen, zum geschützten Landschaftsteil (kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 7. November bis 1. Dezember 1991 sowie im Boten für Tirol vom 22. November 1991) wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1994 in Kraft.

Die Tiroler Landesregierung ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die Bezirkshauptmannschaft Schwaz erließ mit Beziehung auf §13 des Tiroler Naturschutzgesetzes 1991, LGBl. 29, unter der Zl. 13129/1j-1990 die mit 16. Oktober 1991 datierte Verordnung über die Erklärung des Scheulingwaldes, KG Mayrhofen, zum geschützten Landschaftsteil, welche durch Anschlag an der Amtstafel sowie im Boten für Tirol kundgemacht wurde. Sie lautet (auszugsweise) wie folgt:

"§1

Der 'Scheulingwald', in der KG. Mayrhofen, wird wegen der großen Bedeutung für den Naturhaushalt zum 'Geschützten Landschaftsteil' erklärt.

§2

(1) Der 'Geschützte Landschaftsteil' hat eine Größe von 139.037 m2 (13,9 ha) und umfaßt die in der KG. Mayrhofen gelegenen Grundstücke 700/2, 870/8, 870/10, 870/31, 870/40, 870/47, 871/1, 871/5, 878/2, 878/4, 878/19, 878/22, 878/26, 880/3, 880/17, 886, 887/1, 888/10, 888/11, 888/13, 888/17, 889/1, 892, 901/3, 902/11, 903/1, 905/1 und 905/2.

(2) Ein Auszug aus der Katastralmappe mit den eingetragenen Grenzen des 'Geschützten Landschaftsteiles' im Maßstab 1 : 2.000 bildet einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung und liegt bei.

(3) Zusätzlich wird der Grenzverlauf noch wie folgt beschrieben:

...

§3

Im 'Geschützten Landschaftsteil' ist verboten:

a) die Errichtung von baulichen Anlagen mit Ausnahme solcher, die mit Sport- und Spielplätzen in Verbindung stehen;

...

§4

Die Entscheidung über ein Ansuchen um die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von den im §3 festgesetzten Verboten obliegt gemäß §40 TNSch 1991 der Bezirkshauptmannschaft Schwaz.

§5

Maßnahmen der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung bedürfen keiner Bewilligung.

§6

Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieser Verordnung werden von der Bezirkshauptmannschaft Schwaz nach §43 Abs2 litc) TNSchG 1991 bestraft.

§7

Diese Verordnung tritt mit 01.12.1991 in Kraft."

II. Mit Straferkenntnis vom 2. Dezember 1992 befand die Bezirkshauptmannschaft Schwaz den Beteiligten einer dadurch begangenen Übertretung nach §3 lita und §4 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 16. Oktober 1991 iVm §43 Abs2 litc Tir NSchG 1991 schuldig, daß er als Obmann eines bestimmten Vereins für den Verein im Juli 1992 bis zumindest 21. Juli 1992 auf dem südöstlichen Teil der Gp 878/4 KG Mayrhofen einen Holzschuppen teils selbst errichtete und im übrigen die Errichtung veranlaßte, obwohl hiefür keine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung vorlag. Über den Beteiligten wurde eine Geldsowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Sein dagegen ergriffenes Rechtsmittel an den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol hatte nur insoweit Erfolg, als die Ersatzfreiheitsstrafe herabgesetzt wurde. Gegen diesen Berufungsbescheid vom 22. März 1993 richtet sich die Verfassungsgerichtshofbeschwerde B1040/93, in welcher der Beteiligte als Beschwerdeführer (ua) eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung deswegen geltend macht, weil die schriftliche Verständigung der Eigentümer der von der Verordnung der BH Schwaz betroffenen Grundstücke von der Auflage des Verordnungsentwurfs nicht erfolgt sei.

III. Der Verfassungsgerichtshof teilte dieses Bedenken des Beteiligten gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Schwaz und leitete sohin gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §3 lita dieser Verordnung ein.

Die Bezirkshauptmannschaft Schwaz erstattete im Prüfungsverfahren eine Äußerung.

Die Tiroler Landesregierung sah hingegen davon ab, sich zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Verordnung zu äußern, und beschränkte sich auf das Begehren, im Fall der Aufhebung der Verordnung für deren Außerkrafttreten eine Frist von sechs Monaten zu setzen.

IV. Das eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren erweist sich als zulässig.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei den Annahmen seines Prüfungsbeschlusses, daß die im Anlaßverfahren erhobene Beschwerde zulässig ist sowie daß er in diesem Beschwerdeverfahren die lita im §3 der Verordnung anzuwenden hätte, welche dem angefochtenen Bescheid in materieller Hinsicht zugrundeliegt.

Auch die übrigen Voraussetzungen des Prüfungsverfahrens sind gegeben.

V. Das gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechende Bedenken erweist sich gleichfalls als begründet.

1. Der Gerichtshof wies im Einleitungsbeschluß zunächst darauf hin, daß nach §13 Tir NSchG 1991 die Bezirksverwaltungsbehörde unter bestimmten, hier näher umschriebenen Voraussetzungen Teile der Landschaft durch Verordnung zu geschützten Landschaftsteilen erklären kann, und bezog sich ferner auf den unter der Rubrik "Erlassung von Verordnungen" stehenden §28 dieses Gesetzes, der in seinem Abs1 (auch) für die Erlassung einer Verordnung über die Erklärung zum geschützten Landschaftsteil folgendes bestimmt:

"(1) Der Entwurf einer Verordnung, mit der ein Gebiet zu einem der in den §§10, 11, 13 oder 21 vorgesehenen Schutzgebiete erklärt werden soll, ist in jeder Gemeinde, auf deren Gebiet sich das geplante Schutzgebiet erstreckt, zusammen mit einer planlichen Darstellung des Schutzgebietes, aus der die Zuordnung von Grundstücken zu diesem Gebiet mit hinreichender Deutlichkeit zu ersehen ist, während einer Frist von vier Wochen zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Die Auflegung ist vorher ortsüblich und durch eine im 'Boten für Tirol' zu verlautbarende Kundmachung bekanntzumachen. Zugleich sind, soweit es sich um die Erklärung eines Gebietes zu einem Schutzgebiet nach den §§13 oder 21 handelt, die Eigentümer der betroffenen Grundstücke von der Auflegung schriftlich zu verständigen. Jedermann hat das Recht, innerhalb der Auflegungsfrist zum Entwurf schriftlich Stellung zu nehmen. Auf diese Möglichkeit sowie auf die aus Abs3 sich ergebenden Beschränkungen ist in der Kundmachung ausdrücklich hinzuweisen. Die Gemeinden haben die für die Auflegung von Verordnungsentwürfen erforderlichen Amtsräume zur Verfügung zu stellen, die ortsübliche Bekanntmachung der Auflegung durchzuführen, die schriftlichen Stellungnahmen entgegenzunehmen und sie nach Ablauf der Auflegungsfrist unverzüglich an die Landesregierung weiterzuleiten."

Wie der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß weiters ausführte, finde sich im Akt der Bezirkshauptmannschaft Schwaz über die Erlassung der Verordnung vom 16. Oktober 1991, welcher im Beschwerdeverfahren vorgelegt wurde, kein Anhaltspunkt dafür, daß die im dritten Satz des vorhin wiedergegebenen §28 Abs1 vorgesehene Verständigung der Eigentümer der betroffenen Grundstücke von der Auflegung des Verordnungsentwurfs erfolgt wäre; diese Verständigung sei vielmehr - worauf insbesondere der die Verordnungserlassung betreffende Schriftwechsel zwischen der Marktgemeinde Mayrhofen und der Bezirkshauptmannschaft Schwaz hinweise - anscheinend unterblieben. Der Gerichtshof nahm vorläufig an, daß das Unterlassen dieser zwingend vorgeschriebenen Verständigung der Grundstückseigentümer einen Mangel bei der Erlassung der Verordnung darstellt, der sie (insgesamt) mit Gesetzwidrigkeit belastet.

2. Die von der Bezirkshauptmannschaft abgegebene Äußerung befaßt sich zum weitaus überwiegenden Teil mit Fragen, welche außerhalb des Themenbereichs dieses Verordnungsprüfungsverfahrens liegen, so etwa mit bestimmten Beschwerdevorwürfen des Beteiligten im Anlaßverfahren. Sie betont, daß im Hinblick auf das Außerkrafttreten der Vorgängerverordnung (nämlich der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 21. April 1975, LGBl. 31, über die Erklärung des Scheulingwaldes im Gebiet der Marktgemeinde Mayrhofen zum Naherholungsgebiet) das Verfahren zur Erlassung der Verordnung so rasch wie möglich durchgeführt wurde, und stellt den - aus dem Verordnungsakt deutlich hervorgehenden - Umstand nicht in Abrede, daß die vorgeschriebene schriftliche Verständigung der Eigentümer der betroffenen Grundstücke von der Auflegung des Verordnungsentwurfs unterlassen worden ist.

3. Der Verfassungsgerichtshof bleibt auf dem im Prüfungsbeschluß eingenommenen Standpunkt, daß die im dritten Satz des §28 Abs1 Tir NSchG 1991 vorgesehene Verständigung der Grundstückseigentümer von der Entwurfsauflage eine unabdingbare Voraussetzung für das gesetzmäßige Zustandekommen einer Schutzgebietsverordnung bildet. Bei dieser Maßnahme handelt es sich nämlich nach der Konzeption des Gesetzes keineswegs um eine bloße Formalität von untergeordneter Bedeutung, über die in bestimmten Fällen - etwa bei Dringlichkeit - hinweggesehen werden könnte; sie ist vielmehr deshalb ein bedeutsamer Schritt im Zuge der Verordnungserlassung, weil hiedurch die Grundeigentümer als der von der beabsichtigten Schutzgebietsfestlegung in erster Linie berührte Personenkreis durch eine gezielte Information in die Lage versetzt werden sollen, ihre faktischen und rechtlichen Interessen im Wege einer Stellungnahme geltend zu machen, also gleichsam einen präventiven Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Ob und inwieweit allerdings ein im Rahmen dieses Verständigungsvorgangs im einzelnen unterlaufener Fehler als eine Rechtswidrigkeit gleichen Gewichts zu beurteilen wäre, ist hier nicht zu klären, weil im vorliegenden Fall die vorgeschriebene Verständigung der Grundeigentümer als notwendiger Verfahrensschritt zur Gänze unterlassen wurde (vgl. zur Frage des beachtlichen Verfahrensmangels bei der Verordnungserlassung zB VfSlg. 8463/1978 S. 497).

VI. 1. Aus den dargelegten Erwägungen folgt, daß sich die erwiesene Gesetzwidrigkeit nicht auf die in Prüfung genommene präjudizielle Verordnungsstelle beschränkt, sondern die gesamte Verordnung betrifft. In einer diesbezüglich gleichgelagerten Verordnungsprüfungssache (in welcher ein Flächenwidmungsplan aufgrund eines dem Raumplanungsgesetz nicht entsprechenden Verfahrens zustandegekommen und daher gesetzwidrig war) hat der Verfassungsgerichtshof den die Verordnung zur Gänze mit Gesetzwidrigkeit belastenden Mangel den in den lita bis c des Art139 Abs3 B-VG ausdrücklich genannten Fällen gleichgestellt und die betreffende Verordnung insgesamt als gesetzwidrig aufgehoben (VfSlg. 8213/1977). Der Gerichtshof sieht sich daher im gegenwärtigen Prüfungsverfahren - wie schon im Einleitungsbeschluß angedeutet wurde - ebenfalls veranlaßt, die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Schwaz zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben, zumal das Verfahren auch keinen Umstand ergeben hat, der dem im Sinne des Art139 Abs3 letzter Satz B-VG entgegenstünde.

2. Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art139 Abs 5 B-VG.

Schlagworte

Naturschutz, Landschaftsschutz, Naturschutzgebiete, Verordnungserlassung, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:V81.1993

Dokumentnummer

JFT_10059695_93V00081_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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