Index
E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Horvath und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, in der Rechtssache der Revision der F N in L, vertreten durch Mag.a Sarah Moschitz-Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2021, W155 2237352-1/15E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Kumulierung von Maßnahmen, die in einem Staat von einem faktisch die Regierungsgewalt innehabenden Akteur gesetzt, gefördert oder geduldet werden und insbesondere darin bestehen, dass Frauen
- die Teilhabe an politischen Ämtern und politischen Entscheidungsprozessen verwehrt wird,
- keine rechtlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt erhalten zu können,
- allgemein der Gefahr von Zwangsverheiratungen ausgesetzt sind, obgleich solche vom faktisch die Regierungsgewalt innehabenden Akteur zwar verboten wurden, aber den Frauen gegen Zwangsverheiratungen kein effektiver Schutz gewährt wird und solche Eheschließungen zuweilen auch unter Beteiligung von faktisch mit Staatsgewalt ausgestatten Personen im Wissen, dass es sich um eine Zwangsverheiratung handelt, vorgenommen werden,
- einer Erwerbstätigkeit nicht oder in eingeschränktem Ausmaß überwiegend nur zu Hause nachgehen dürfen,
- der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen erschwert wird,
- der Zugang zu Bildung - gänzlich oder in großem Ausmaß (etwa indem Mädchen lediglich eine Grundschulausbildung zugestanden wird) - verwehrt wird,
- sich ohne Begleitung eines (in einem bestimmten Angehörigenverhältnis stehenden) Mannes nicht in der Öffentlichkeit, allenfalls im Fall der Überschreitung einer bestimmten Entfernung zum Wohnort, aufhalten oder bewegen dürfen,
- ihren Körper in der Öffentlichkeit vollständig zu bedecken und ihr Gesicht zu verhüllen haben,
- keinen Sport ausüben dürfen,
im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) als so gravierend anzusehen, dass eine Frau davon in ähnlicher wie der unter lit. a des Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist?
2. Ist es für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten hinreichend, dass eine Frau von diesen Maßnahmen im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts betroffen ist, oder ist für die Beurteilung, ob eine Frau von diesen - in ihrer Kumulierung zu betrachtenden - Maßnahmen im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU betroffen ist, die Prüfung ihrer individuellen Situation erforderlich?
Begründung
1 A. Vorbemerkung
2 Der Verwaltungsgerichtshof weist auf ein weiteres, von ihm eingereichtes Ersuchen um Vorabentscheidung hin. In diesem Ersuchen vom 14. September 2022, Ra 2021/20/0425, hat der Verwaltungsgerichtshof dieselben Fragen, allerdings zu einer anderen Ausgangssituation, gestellt. Es ergeht daher die Anregung zu prüfen, ob der Gerichtshof der Europäischen Union die gemeinsame Entscheidung über beide Vorabentscheidungsersuchen für zweckmäßig und zulässig hält.
3 Es erscheint an dieser Stelle auch angebracht, auf das unter C-646/21 beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängige Verfahren über ein Ersuchen um Vorabentscheidung hinzuweisen. In diesem Ersuchen wurden vom dort vorlegenden Gericht zwar andere Fragen gestellt. Den dort an den Gerichtshof der Europäischen Union herangetragenen Fragen nach der Asylrelevanz der Annahme einer Lebensführung durch Frauen, wie sie in westlichen Demokratien üblich, aber im Herkunftsstaat (im dortigen Fall stammen die Asylwerberinnen aus dem Irak) als verpönt angesehen wird, kann allerdings eine thematische Nähe zur hier aufgeworfenen Problematik nicht gänzlich abgesprochen werden.
4 B. Sachverhalt und bisherige Verfahren:
5 F N (im Weiteren: Revisionswerberin) wurde im Juni 2007 geboren und ist Staatsangehörige von Afghanistan.
6 Nach unrechtmäßiger Einreise in Österreich stellte sie hier am 4. August 2020 - im Beisein ihres ebenfalls aus Afghanistan stammenden (im Jänner 2000 geborenen) Bruders, dem in Österreich bereits früher der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war - einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
7 Aufgrund des Alters der Revisionswerberin und in Ermangelung einer in Österreich aufhältigen vertretungsbefugten Person wurde - und wird weiterhin - ihre gesetzliche Vertretung vom Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger wahrgenommen, von dem veranlasst wurde, dass der Revisionswerberin während des Verfahrens rechtlicher Beistand zu Teil wurde.
8 In der Erstbefragung gab die Revisionswerberin an, der Aufenthaltsort ihres Vaters sei unbekannt. Ihre Mutter und zwei Schwestern seien in Athen (Griechenland) aufhältig. Die Revisionswerberin sei unter Inanspruchnahme eines Schleppers gemeinsam mit einer anderen Familie von Griechenland nach Österreich gereist. Als Grund ihrer Flucht gab sie an, dass die Lage im Iran, wo sie und ihre Familie zuletzt gewohnt hätten, für sie sehr schlecht gewesen sei. Die Familie habe im Iran keinen Aufenthaltstitel und keine Rechte gehabt sowie nicht arbeiten dürfen. Die Revisionswerberin habe auch die Schule dort nicht besuchen dürfen. In Afghanistan sei sie noch nie gewesen.
9 Im Rahmen der Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte die Revisionswerberin dazu näher aus, sie sei im Iran in einem Haus in der Nähe von Teheran aufgewachsen. Einen Kindergarten habe sie dort nicht besucht. Sie sei aber in die Schule gegangen, als sie sechs Jahre alt gewesen sei. Es habe sich um eine Mädchenschule gehandelt. Die Schule habe sie sechs Jahre lang besucht. Dann habe sie nicht weiter in die Schule gehen dürfen, weil sie „keine Dokumente“ gehabt habe. Zwar habe ihre Schwester versucht, Dokumente für sie zu erlangen. Das habe aber nicht „geklappt“. Es sei für Afghanen schwer, im Iran Arbeit zu finden. In der Schule würden afghanische Mädchen immer geschlagen und von den Lehrern beschimpft. Im Sommer 2019 habe sie mit ihrer Mutter und zwei Schwestern den Iran verlassen. Das Ziel der Reise sei Österreich gewesen, weil hier ihr Bruder lebe. Sie hätten zu ihm gewollt. Die Mutter habe den Entschluss zur Ausreise aus dem Iran gefasst, weil „zum Schluss“ das Geld sehr knapp gewesen sei, obwohl die Mutter gearbeitet habe. Sie hätten keine Dokumente gehabt und es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie von den iranischen Behörden entdeckt worden wären. Über Befragen, was sie in Afghanistan zu befürchten hätte, gab die Revisionswerberin an, sie sei eine Frau. Daher würde sie in Afghanistan entführt werden. Sie wisse nicht, wie sie dort überleben solle. Sie habe dort niemanden. Sie könne in Afghanistan nicht zur Schule gehen und nicht studieren. Unter „westlicher Orientierung“ verstehe sie, dass man in Europa sein könne, was man wolle. Man könne hier auch tun und machen, was man wolle. Es gebe hier ein Schulsystem und ein Arbeitssystem. Im Iran und Afghanistan müsse man schon ab dem zehnten Lebensjahr arbeiten. In Österreich werde man nicht beschimpft. Eine Frau könne hier ihre Meinung so äußern wie ein Mann. Sie könne sich hier auch anziehen, wie sie wolle. Eine Frau sei einem Mann hier gleichgestellt. Es gebe hier keine Ungerechtigkeit und jeder bekomme das, was ihm zustehe. Die Revisionswerberin wolle so leben wie „die Österreicher“ und die Chance erhalten, ein normales Leben zu führen. Es sei ihr Wunsch, Zeichnerin zu werden. Im Iran sei sie immer ausgelacht worden, wenn sie das gesagt habe. Dort sei ihr gesagt worden, Zeichnerin sei kein Beruf.
10 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag der Revisionswerberin mit Bescheid vom 14. Oktober 2020 insoweit ab, als sie damit die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begehrt hatte. Jedoch wurde ihr von der Behörde unter einem der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr infolgedessen eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte erteilt (die Dauer der Gültigkeit wurde zunächst mit einem Jahr festgelegt und später um zwei Jahre verlängert).
11 Die Behörde ging davon aus, dass der Revisionswerberin in Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung drohe. Im Besonderen werde sie dort auch nicht deswegen verfolgt oder bedroht, weil sie weiblichen Geschlechts sei. Sie würde dort nicht zwangsverheiratet werden, könne die Schule besuchen und später arbeiten gehen. Wenn sie die Voraussetzungen für die Zulassung an einer Universität erfülle, könne sie im Heimatland auch studieren. Auf Basis der - im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde im Oktober 2020 - vorliegenden Berichtslage könne nicht abgeleitet werden, dass die allgemeine Lage von Frauen so geartet wäre, dass diese bloß aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Umstände mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Lage der Frauen habe sich seit dem Ende der (früheren) Herrschaft der Taliban erheblich gebessert.
12 Es wäre der Revisionswerberin grundsätzlich die „Rückkehr“ nach Herat und Balkh möglich. Allerdings bestünden Gründe für die Annahme, dass für sie dort „derzeit eine nicht ausreichende Lebenssicherheit“ gegeben sei. Sie sei minderjährig und habe kein soziales Netz in Afghanistan. Es sei ihr infolgedessen subsidiärer Schutz zu gewähren.
13 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid, soweit ihr damit der Status der Asylberechtigten versagt blieb, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In erster Linie wandte sie sich gegen die Überlegungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, die Revisionswerberin könne schon wegen ihres bisherigen kurzen Aufenthalts in Österreich nicht als „westlich orientiert“ angesehen werden. Sie brachte aber auch vor, es sei schon früher in der Rechtsprechung entschieden worden, dass die Situation in Afghanistan für afghanische Frauen so gelagert sei, dass allein aufgrund dieser Situation von Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu sprechen sei. Es reiche demnach für die Anerkennung als Flüchtling aus, eine Frau zu sein.
14 Mit Schreiben vom 21. Mai 2021 brachte die Revisionswerberin eine Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht ein, in der sie im Wesentlichen ihr Vorbringen zu der von ihr gewünschten Lebensweise wiederholte. Sie wolle ein freies und selbstbestimmtes Leben, dessen Inhalt von ihr gestaltet werden könne, führen. Sie wolle eine Ausbildung machen und einen Beruf ausüben, den sie selbst gewählt habe. Sie wolle sich frei kleiden. Sie wolle nicht gezwungen sein, aus dem Bedarf an männlichem Schutz und männlicher Begleitung früh eine Ehe einzugehen. In der vom Bundesverwaltungsgericht am 28. Mai 2021 durchgeführten Verhandlung brachte die Revisionswerberin Gleichartiges zum Ausdruck.
15 Mit Schreiben vom 28. September 2021 erstattete die Revisionswerberin eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie ergänzend geltend machte, aufgrund der Machtübernahme durch die Taliban habe sich die Situation in Afghanistan insoweit verändert, als sich die Wahrscheinlichkeit und die Intensität von Verfolgung gesteigert habe.
16 In der zur früheren Herrschaft der Taliban ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien die Eingriffe der Taliban in die Lebensbedingungen der afghanischen Frauen in ihrer Gesamtheit in Verbindung mit der Art ihrer Durchsetzung als von insgesamt so extremer Natur angesehen worden, dass allein schon deswegen von asylrelevanter Verfolgung gesprochen worden sei. Es häuften sich nunmehr jene Berichte, dass Frauen entgegen ursprünglich anderslautender Äußerungen der Taliban wieder generell in einer ähnlichen Weise wie während dem ersten Taliban-Regime eingeschränkt, also auch aktuell wieder „in Summe“ verfolgt würden.
17 Anhand der Berichte ergebe sich, dass es - entgegen anfänglicher gegenteiliger Beteuerungen der Taliban - sehr schnell zu Einschränkungen beim Schulbesuch der Oberstufe und an den Universitäten gekommen sei. Der Zugang zu ihren Arbeitsplätzen werde Frauen verwehrt. Frauen, die gegen die Taliban und ihr Regelungswerk für Frauen demonstriert hätten, seien mit Stöcken und Peitschen vertrieben worden. Es sei ein umfassendes Versammlungsverbot verhängt worden. Es fänden sich keine Frauen in relevanten Ämtern. Seit der Machtübernahme der Taliban gebe es härtere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Frauen. Frauen in Afghanistan hätten zunehmend ihre Freiheit und Entscheidungsmöglichkeiten verloren. Afghanische Frauen seien abhängig von Männern, weil sie ohne deren Begleitung nicht einmal das Haus verlassen dürften. Sie dürften das Haus auch nur vollverschleiert verlassen. Die Taliban hätten auch den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen eingeschränkt. Unverheiratete Frauen zwischen 15 und 45 Jahren hätten im Juli 2021 von ihren Familien in Listen eingetragen werden müssen, damit diese zwangsweise mit Kämpfern der Taliban verheiratet werden könnten. Seit August 2021 müssten in diese Listen auch Mädchen ab 12 Jahren aufgenommen werden. Eine afghanische Frau habe oftmals keine Möglichkeit, gegen ihren gewalttätigen Peiniger vorzugehen, weil die Polizei die Anzeigeaufnahme häufig verweigere oder, sollte dies in Ausnahmefällen möglich sein, die Familie sie dazu zwinge, ihre Anzeige zurückzuziehen und zu ihrem gewalttätigen Ehemann zurückzukehren. Der Zugang zu einem Rechtsbeistand bleibe ihr meist verwehrt. Von häuslicher Gewalt betroffene Frauen hätten keine Alternative als in die gewalttätige Umgebung zurückzukehren, weil die Taliban keine Einrichtungen zum Schutz vor häuslicher Gewalt zuließen und solche daher nicht existierten. Frauen müssten sich Jungfräulichkeitstests unterziehen, die meist von Männern und ohne Einwilligung der betroffenen Frau durchgeführt würden. Im Fall von Regelverstößen komme es zu Schlägen und Peitschenhieben durch die Taliban.
18 Das Bundesverwaltungsgericht wies die von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 13. Dezember 2021 gemäß § 3 AsylG 2005 ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
19 Das Bundesverwaltungsgericht führte aus, die Revisionswerberin habe keine Fluchtgründe betreffend Afghanistan geltend gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Revisionswerberin seit ihrer Einreise in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellte. Sie habe keine „westliche Lebensführung“ angenommen, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates brechen würde. Anhand der vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan hätten sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß aufgrund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein. Die Situation der Frauen habe sich seit der Machtübernahme durch die Taliban „nicht verbessert bzw. verschlechtert“. Zwar hätten sich die Taliban dazu bekannt, Frauen Arbeit und Bildung im Einklang mit der Scharia und dem islamischen System zu gewähren. Dennoch gebe es den Länderberichten zufolge Diskrepanzen zwischen den offiziellen Aussagen und der Realität vor Ort. Die „Eigenschaft des Frau-Seins“ führe allerdings an sich nicht zur Gewährung von Asyl.
20 Das Bundesverwaltungsgericht traf Feststellungen zur Situation der Frauen in Afghanistan. Zum überwiegenden Teil beruhen diese Feststellungen auf Berichten, die zur Lage in Afghanistan vor der (erneuten) Machtübernahme durch die Taliban verfasst wurden. Soweit sich die Feststellungen auf die Situation von Frauen seit der im August 2021 erfolgten Machtübernahme durch die Taliban beziehen, führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es gebe oft eine Diskrepanz zwischen den offiziellen Aussagen der Taliban und der Realität vor Ort, wo Befehlshaber der Taliban oft harte Regeln durchsetzten, die im Widerspruch zu den Beteuerungen ihrer Anführer stünden. Es gebe Berichte, wonach die Taliban weibliche Angestellte einiger Banken aufgefordert hätten, nicht an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Einige Proteste, unter anderem solche von Frauen, seien durch die Taliban aufgelöst worden. Die Taliban hätten alle nicht offiziell genehmigten Demonstrationen verboten. Studentinnen würden im Unterricht (von Männern) getrennt, separat unterrichtet oder auf bestimmte Bereiche des Campus beschränkt werden. In einigen Fällen seien Schülerinnen durch Vorhänge oder Bretter in der Mitte des Klassenzimmers von ihren männlichen Kollegen getrennt worden. Einem Sprecher der Taliban zufolge werde Frauen verboten werden, Cricket zu spielen, weil dabei möglicherweise Gesicht oder Körper der Frau gesehen werden könnte. Ein Mitglied des nationalen Cricketteams habe angegeben, es sei in Kabul für Frauen nicht sicher, Sport zu betreiben.
21 Umfängliche Feststellungen zur Situation der Frauen, wie sie von der Revisionswerberin in ihrer Stellungnahme vom 28. September 2021 beschrieben wurden, wurden vom Bundesverwaltungsgericht nicht getroffen.
22 Gegen diese Entscheidung wurde von der Revisionswerberin die hier gegenständliche Revision erhoben, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
23 C. Maßgebliche Bestimmungen des Unionsrechts:
24 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung); im Weiteren: Statusrichtlinie:
„...
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) ...
...
(13) Die Angleichung der Rechtsvorschriften über die Zuerkennung und den Inhalt der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sollte dazu beitragen, die Sekundärmigration von Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, zwischen Mitgliedstaaten einzudämmen, soweit sie ausschließlich auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruht.
...
(16) Diese Richtlinie achtet die Grundrechte und befolgt insbesondere die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätze. Sie zielt insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts für Asylsuchende und die sie begleitenden Familienangehörigen sicherzustellen sowie die Anwendung der Artikel 1, 7, 11, 14, 15, 16, 18, 21, 24, 34 und 35 der Charta zu fördern, und sollte daher entsprechend umgesetzt werden.
(17) In Bezug auf die Behandlung von Personen, die unter diese Richtlinie fallen, sind die Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtungen aus den völkerrechtlichen Instrumenten gebunden, denen sie beigetreten sind, einschließlich insbesondere derjenigen, nach denen eine Diskriminierung verboten ist.
...
(29) Eine der Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Artikel 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den Gründen der Verfolgung, nämlich Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, und den Verfolgungshandlungen oder dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen.
(30) Es ist ebenso notwendig, einen gemeinsamen Ansatz für den Verfolgungsgrund ‚Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe‘ zu entwickeln. Bei der Definition einer bestimmten sozialen Gruppe sind die Aspekte im Zusammenhang mit dem Geschlecht des Antragstellers, einschließlich seiner geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung, die mit bestimmten Rechtstraditionen und Bräuchen im Zusammenhang stehen können, wie z. B. Genitalverstümmelungen, Zwangssterilisationen oder erzwungene Schwangerschaftsabbrüche, angemessen zu berücksichtigen, soweit sie in Verbindung mit der begründeten Furcht des Antragstellers vor Verfolgung stehen.
...
(35) Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, stellen für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre.
...
Artikel 4
Prüfung der Tatsachen und Umstände
(1) ...
...
(3) Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:
a) alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;
b) ...
c) die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;
d) ...
...
...
Artikel 5
Aus Nachfluchtgründen entstehender Bedarf an internationalem Schutz
(1) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat.
...
Artikel 6
Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann
Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von
a) dem Staat;
b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen;
c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.
...
Artikel 9
Verfolgungshandlungen
(1) Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, muss eine Handlung
a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und
f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.
Artikel 10
Verfolgungsgründe
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:
a) Der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
b) der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
c) der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
d) eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
- die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
- die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Als sexuelle Orientierung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Geschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, werden zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt;
e) unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
...
Artikel 13
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu.
...“
25 D. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts:
26 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005):
„Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. ...
...
11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;
12. ein Verfolgungsgrund: ein in Art. 10 Statusrichtlinie genannter Grund;
...
...
Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
...
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.“
27 E. Erläuterung zu den Vorlagefragen:
28 Vorbemerkung
29 Die Revisionswerberin macht (unter anderem) in der von ihr erhobenen Revision im Sinn des bereits im vorangegangenen Verfahren erstatteten - oben wiedergegebenen - Vorbringens geltend, dass ihr als Frau bereits allein aufgrund der in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban herrschenden allgemeinen Situation in Bezug auf die Lage der Frauen der Status der Asylberechtigten hätte zuerkannt werden müssen. Die zu dieser Situation vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen seien unvollständig. Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Berichtslage sei im Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits überholt gewesen. In der Revision wird zudem hervorgehoben, dass die Revisionswerberin im Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erst 14 Jahre alt und noch nicht lange in Österreich aufhältig gewesen sei. Darauf komme es aber bei der Beurteilung der von ihr geführten und künftig gewünschten Lebensweise nicht an. Die Revisionswerberin habe noch nie in Afghanistan gelebt. Sie wolle später ein Studium der Künste betreiben. Dass sie dies ernsthaft anstrebe, habe sie durch die im bisherigen Verfahren erfolgte Vorlage von ihr gezeichneter Bilder unter Beweis gestellt. Sie wolle sich frei mit anderen Jugendlichen bewegen, einen Beruf wählen und ausüben sowie keinesfalls aus zwingendem Bedarf an männlichem Schutz und Begleitung in eine frühe Ehe gezwungen werden.
30 Damit beruft sich die Revisionswerberin - der Sache nach und in nach § 3 Abs. 2 AsylG 2005 und Art. 5 Abs. 1 Statusrichtlinie zulässiger Weise - auf eine Verfolgung, die auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem sie ihren Herkunftsstaat - in dem sie allerdings in ihrem Fall nie gelebt hat - verlassen hatte (objektiver Nachfluchtgrund).
31 Sie verweist in diesem Zusammenhang - soweit für das Vorabentscheidungsersuchen von Interesse - darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht veraltete Berichte zur Situation von Frauen herangezogen habe. Sogar das Länderinformationsblatt aus September 2021 sei nicht mehr aktuell gewesen. Es habe bereits aktuellere Berichte gegeben, die das Vorbringen der Revisionswerberin bestätigten. Die für Frauen geltenden Einschränkungen könnten nicht darauf reduziert werden, dass bloß eine Trennung (von Männern) im Unterricht erfolge oder es Frauen verboten sei, Cricket zu spielen.
32 Damit macht die Revisionswerberin nach den nationalen Rechtsvorschriften einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften geltend, der im Revisionsverfahren nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt, wenn das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Erkenntnis oder Beschluss hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG); der Fehler muss also Relevanz für das Ergebnis des Verfahrens zeitigen. Das ist aber insbesondere dann nicht der Fall, wenn schon aus rechtlichen Gründen der behauptete Rechtsanspruch aus dem Vorbringen nicht abgeleitet werden kann.
33 Vor dem Hintergrund, dass die Revisionswerberin im vorliegenden Fall mit ihrem Begehren auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nur dann durchdringen könnte, wenn ihr Vorbringen überhaupt geeignet wäre, den fraglichen Rechtsanspruch zu begründen, stellen sich die Antworten auf die im Rahmen dieses Vorabentscheidungsersuchen für die Entscheidung des Revisionsfalls als wesentlich und nicht bloß theoretischer Natur dar. Es wären nämlich dem Bundesverwaltungsgericht weitere Ermittlungen und die Ergänzung seiner Entscheidung in einem von ihm fortzusetzenden Verfahren dann nicht vom Verwaltungsgerichtshof aufzutragen, wenn das Vorbringen der Revisionswerberin, wonach die von ihr geschilderten Umstände zur Zuerkennung des Status der Asylberechtigten führen müssten, aus rechtlichen Gründen zu verwerfen wäre.
34 Zu den Fragen
35 Die Revisionswerberin hat bereits im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auf jene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die zur Situation von Frauen in Afghanistan unter der früheren Herrschaft der Taliban ergangen ist, bevor die hier maßgeblichen Vorschriften zur Regelung asylrechtlicher Belange im Gemeinschaftsrecht und (später) Unionsrecht erlassen wurden, verwiesen.
36 Im - zur unter der früheren Herrschaft der Taliban gegebenen Lage in Afghanistan ergangenen - Erkenntnis vom 16. April 2002, 99/20/0483, wurde vom Verwaltungsgerichtshof (unter anderem) wörtlich Folgendes ausgeführt (die Hinweise auf die referenzierte Judikatur und Literatur sowie die Nummerierung wurden zur besseren Lesbarkeit entfernt):
„Die belangte Behörde hat in Bezug auf die von ihr festgestellten Maßnahmen der Taliban gegenüber Frauen auch nicht die Ansicht vertreten, es fehle an einem Zusammenhang mit einem Konventionsgrund. Einer solchen Ansicht könnte nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht beigetreten werden. Richteten sich die zu erörternden Maßnahmen der Taliban gegen die Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung, so war dies (abgesehen von der im Fall der Beschwerdeführerin auch in Betracht zu ziehenden früheren Parteimitgliedschaft und von politischen Komponenten einer nach Ansicht der belangten Behörde im vorliegenden Fall nicht zu erwartenden Verfolgung wegen Widersetzlichkeit; vgl. [...]) unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen (vgl. [...]).
Die belangte Behörde hat allerdings gemeint, sich auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Maßnahmen der Taliban gegen Frauen nur mit der ‚Beeinträchtigung der freien Berufsausübung‘ beschäftigen zu müssen, und davon ausgehend - unter Hinweis auf Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Asylgesetzen - die asylrelevante Intensität der Benachteiligungen verneint. Im Ergebnis scheint die belangte Behörde die Auffassung zu vertreten, es sei der Beschwerdeführerin aus asylrechtlicher Sicht zuzumuten, ihr restliches Leben - abgesehen von Ausgängen in Begleitung eines Angehörigen männlichen Geschlechtes - zu Hause und ohne Ausübung des von ihr erlernten oder eines anderen Berufes zu verbringen. In der Gegenschrift wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin übersehe offenbar, dass sie ihren Antrag ‚vornehmlich auf - asylrelevante Intensität nicht erreichende - wirtschaftliche Gründe gestützt‘ habe.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde u.a. vorgebracht hat, in Afghanistan sei ihr unter den Taliban kein ‚menschenwürdiges Leben‘ möglich. Die Behandlung dieses Argumentes erforderte die Bedachtnahme auf die Gesamtheit der von der belangten Behörde festgestellten, bei der Entscheidung über den Asylantrag aber auch ohne besonderen Hinweis der Beschwerdeführerin zu berücksichtigenden Maßnahmen der Taliban gegen Frauen. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Bezugnahme der belangten Behörde auf eine ‚Beeinträchtigung‘ der ‚freien‘ Berufsausübung dem Sachverhalt, ausgehend von den nur bezweifelten Angaben der Beschwerdeführerin und den allgemein bekannten Fakten, auch unter dem isolierten Gesichtspunkt der vom Taliban-Regime geschaffenen Arbeitsbedingungen für Frauen nicht gerecht wird und das diesbezügliche Vorgehen der Taliban mit den in der Vorjudikatur beurteilten Fällen nicht vergleichbar ist. Die Beschwerdeführerin hat das von ihr geltend gemachte Verbot einer Berufsausübung auch nicht als ‚wirtschaftlichen‘ Nachteil, sondern als Verbot einer sinnvollen, ihrer Persönlichkeit und Ausbildung entsprechenden Lebensgestaltung ins Treffen geführt.
Betrachtet man die von der belangten Behörde festgestellten Eingriffe der Taliban in die Lebensbedingungen der afghanischen Frauen in ihrer Gesamtheit, so kann aber kein Zweifel bestehen, dass hier einer der Fälle vorliegt, in denen eine Summe von Vorschriften gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe in Verbindung mit der Art ihrer Durchsetzung von insgesamt so extremer Natur ist, dass die Diskriminierung das Ausmaß einer Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention erreicht. In dieser Hinsicht ist abgesehen von anderen bizarren Aspekten des von den Taliban errichteten - und in der Praxis als Grundlage für willkürliche Gewaltanwendung benützten - Regelwerks vor allem auf die systematische Behinderung der medizinischen Versorgung hinzuweisen, die zumindest im Umkreis der zuvor auch der weiblichen Bevölkerung zugänglichen Einrichtungen eine unmittelbare Bedrohung des Lebens bedeutete. Schon das Fehlen der auch nur den Mindestanforderungen der Menschlichkeit entsprechenden Ausnahmen von den verordneten Regeln in Bezug auf den jederzeit möglichen Bedarf nach einer ärztlichen Behandlung kennzeichnet den Verfolgungscharakter dieser Form von Repression. Der zusätzlichen Betroffenheit etwa infolge fehlender Mittel zum Unterhalt oder durch das Fehlen männlicher Angehöriger, um sich ‚ausführen‘ lassen zu können oder Lebensmittel ins Haus zu bringen, bedarf es dazu nicht mehr. Erreichen die diskriminierenden Regeln selbst die asylrechtlich erforderliche Verfolgungsintensität, so kommt es auch auf zusätzliche Unverhältnismäßigkeiten im Falle des Zuwiderhandelns und mithin darauf, ob vom konkret betroffenen Asylwerber ein Zuwiderhandeln zu erwarten wäre, nicht an (vgl. [...]).“
37 Dies bedeutet letztlich - was an dieser Stelle nochmals hervorgehoben werden soll - dass es nach dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Gewährung von Asyl hinreichend war, dass die betreffende Person allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau von den fraglichen Maßnahmen betroffen war. Wie oben wiedergegeben, kam es, wenn die diskriminierenden Regeln im Herkunftsstaat selbst die asylrechtlich erforderliche Verfolgungsintensität erreichten, auf zusätzliche Unverhältnismäßigkeiten im Fall des Zuwiderhandelns und auch darauf, ob von der konkret betroffenen Asylwerberin ein Zuwiderhandeln zu erwarten war, nicht an.
38 Diese Rechtsprechungslinie wurde in jüngerer Zeit vom Verwaltungsgerichtshof - in erster Linie im Hinblick auf die nach dem (Ende des Jahres 2001 erfolgten) Sturz der Taliban geänderten Verhältnisse in Afghanistan - nicht weiter verfolgt.
39 Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in seiner (neueren) Rechtsprechung festgehalten, dass Frauen Asyl beanspruchen können, die aufgrund eines gelebten „westlich orientierten Lebensstils“ bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren.
40 Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt jedoch dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 26.11.2021, Ra 2020/18/0050 bis 0052, mwN).
41 In einem solchen Fall bedarf es daher einer Prüfung der Umstände des Einzelfalles auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der Asylwerberin und - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - zu den erwartenden Reaktionen im Heimatland auf die von ihr weiterhin angestrebte Lebensweise, um das Vorliegen eines Konventionsgrundes beurteilen zu können (vgl. etwa VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388).
42 Nicht zuletzt mit Blick auch darauf hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. Februar 2022, Ra 2021/01/0330, 0331, ausgeführt, wenn die dort revisionswerbenden Parteien die frühere „Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 16.4.2002, 99/20/0483) zur Lage der Frauen in Afghanistan in den von Taliban beherrschten Regionen“ ins Treffen führten, sei darauf hinzuweisen, „dass diese Rechtsprechung zu einer anderen Sach- und Rechtslage (aus Mai 1999) ergangen“ sei.
43 Auch wenn in der Entscheidung vom 21. Februar 2022 dazu - erkennbar mangels Notwendigkeit im dortigen Fall - keine weiteren Ausführungen getätigt wurden, ist doch evident, dass sich die aktuell geltenden Normen des nationalen Asylrechts nunmehr als in das unionsrechtlich vorgegebene Gefüge eingebettet präsentieren. Demgegenüber enthielt das Gemeinschaftsrecht (später: Unionsrecht) zu jener Zeit, auf die sich das Erkenntnis vom 16. April 2002, 99/20/0483, bezogen hatte, für die Mitgliedstaaten noch keine verbindlichen Vorgaben, wie sie dann (erstmals) mit der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 und später mit der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 geschaffen wurden.
44 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, dass glaubhaft ist, dass dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
45 Als Verfolgung gilt gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 jede Verfolgungshandlung im Sinn des Art. 9 Statusrichtlinie.
46 In Art. 4 Abs. 3 Statusrichtlinie wird festgelegt, dass Anträge auf internationalen Schutz individuell zu prüfen sind.
47 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 20.7.2022, Ra 2022/01/0187; 17.2.2022, Ra 2021/20/0400; 8.11.2021, Ra 2021/19/0226, jeweils mwN).
48 Im vorliegenden Zusammenhang ist weiters darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden kann. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende Gruppenverfolgung, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. etwa VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0315, mwN).
49 Der Verwaltungsgerichtshof erachtet nun die hier in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorgaben nicht als derart bestimmt, dass zweifelsfrei gesagt werden könnte, ob die von der Revisionswerberin geltend gemachte und in der Vorlagefrage 1. beschriebene Situation dazu führe, dass die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie als erfüllt anzusehen wären. Diese Situation kann anhand der einschlägigen Berichtslage zudem nicht als bloß theoretisch denkbar eingestuft werden (vgl. zur Beschreibung der seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan herrschenden Verhältnisse in Bezug auf die Situation von Frauen etwa die Länderinformation der Staatendokumentation - Afghanistan [Version 8] des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation; den vom deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Referat für Länderanalysen, herausgegebenen Länderreport 48 Afghanistan, Die Situation von Frauen, 1996 - 2022; weiters Asylagentur der Europäischen Union - EUAA [European Union Agency for Asylum], Country Guidance: Afghanistan; EUAA, Afghanistan - Targeting of Individuals, Country of Origin Information Report, August 2022; UNAMA HRS [United Nations Assistance Mission in Afghanistan’s Human Rights Service], Human Rights in Afghanistan 15. August 2021 - 15 June 2022; SIGAR [Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction], Quaterly Report to the United States Congress - Jul 2022; Amnesty International, Death in Slow Motion - Women and Girls under Taliban Rule).
50 Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie spricht davon, dass die Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, so gravierend sein muss, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 lit. a dieser Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist.
51 Nach Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie muss eine Handlung aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist.
52 Bei den in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechten handelt sich um jene nach Art. 2 - Recht auf Leben (nach Art. 15 Abs. 2: außer bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurückzuführen sind), Art. 3 - Verbot der Folter, Art. 4 Abs. 1 (Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft) und Art. 7