TE Vwgh Beschluss 2022/9/20 Ra 2022/21/0144

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Veröffentlicht am 20.09.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z1 idF 2015/I/070
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z5
FrPolG 2005 §67 Abs1
MRK Art8
MRK Art8 Abs2
StbG 1985 §10 Abs1
StGB §53 Abs2
VwGG §34 Abs1
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. StGB § 53 heute
  2. StGB § 53 gültig ab 01.01.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 159/2021
  3. StGB § 53 gültig von 01.08.2013 bis 31.12.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 116/2013
  4. StGB § 53 gültig von 01.06.2009 bis 31.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 40/2009
  5. StGB § 53 gültig von 01.01.2008 bis 31.05.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 109/2007
  6. StGB § 53 gültig von 01.01.2002 bis 31.12.2007 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 130/2001
  7. StGB § 53 gültig von 01.03.1997 bis 31.12.2001 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 762/1996
  8. StGB § 53 gültig von 01.03.1988 bis 28.02.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 605/1987
  1. VwGG § 34 heute
  2. VwGG § 34 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2021
  3. VwGG § 34 gültig von 01.01.2014 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  4. VwGG § 34 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  5. VwGG § 34 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 34 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 34 gültig von 01.09.1997 bis 31.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/1997
  8. VwGG § 34 gültig von 05.01.1985 bis 31.08.1997

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A Y, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juni 2022, L507 2235125-1/30E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein im Oktober 1968 geborener türkischer Staatsangehöriger, kam im Jahr 1980 im Rahmen der Familienzusammenführung nach Österreich. Zuletzt verfügte er über den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, welcher bis 22. Juni 2018 gültig war. Der vom Revisionswerber dazu gestellte Verlängerungsantrag war verspätet.

2        Der seit 1988 mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratete Revisionswerber hat mit ihr vier volljährige Kinder, die über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen, sowie vier Enkelkinder. Mit einer ungarischen Staatsangehörigen hat der Revisionswerber zwei außereheliche, in den Jahren 2003 und 2008 geborene Kinder, die ungarische Staatsangehörige sind und in Österreich leben. Mit einer weiteren ungarischen Staatsangehörigen hat der Revisionswerber ein im Jahr 2010 geborenes außereheliches Kind, das die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt und in Ungarn lebt. Unterhaltszahlungen für seine außerehelichen Kinder leistete der Revisionswerber nur teilweise.

3        Der Revisionswerber war in Österreich nach seinem Pflichtschulabschluss und der Absolvierung einer Lehre als Landmaschinentechniker/Schlosser und eines Lehrgangs für Restaurantfachkräfte teilweise - zuletzt seit dem 16. März 2022 als geringfügig Beschäftigter - berufstätig, teilweise hat er Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Er spricht Deutsch und Türkisch. In der Türkei halten sich zwei Tanten auf, zu denen er telefonischen Kontakt pflegt.

4        Der Revisionswerber wurde während seines Aufenthaltes in Österreich wiederholt straffällig. Erstmals wurde er mit rechtkräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Juni 2013 wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Revisionswerber am 14. September 2012 einer Person einen Faustschlag gegen die Nase versetzte, wodurch das Opfer insbesondere einen verschobenen Nasenbeinbruch erlitt.

5        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Juli 2014 wurde der Revisionswerber wegen Schlepperei nach § 114 Abs. 1 FPG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Revisionswerber am 15. April 2014 durch die Mitnahme von zumindest drei Drittstaatsangehörigen gegen Leistung eines Entgelts von etwa 1.000 € für die Fahrt von Sopron (Ungarn) über Österreich nach Udine (Italien) die rechtswidrige Durchreise von Fremden durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit Bereicherungsvorsatz gefördert hat.

6        Mit dem weiteren rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 18. August 2016 erging gegen den Revisionswerber wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB eine Geldstrafe, weil er gemeinsam mit einer weiteren Person am 9. November 2015 ein Smartphone und ein Tablet im Gesamtwert von etwa 770 € durch die Vorgabe eines angeblich gedeckten Girokontos herausgelockt hatte.

7        Zuletzt wurde der Revisionsweber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 10. Dezember 2018 wegen eines am 20. Oktober 2017 begangenen Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Revisionswerber zur inkriminierten Tat beigetragen hat, indem er gemeinsam mit einer weiteren Person einen Tatplan für den Bankraub verfasst, diese Person mit dem PKW zum Tatort chauffiert und vom vereinbarten Treffpunkt wieder abgeholt hat, um eine rasche Flucht zu ermöglichen. Von der Beute im Ausmaß von insgesamt 233.000 € erhielt der Revisionswerber einen Anteil in Höhe von 107.000 €. Als mildernd wurden das umfassende, reumütige Geständnis, die teilweise Sicherstellung der Beute und die lange Verfahrensdauer gewertet, erschwerend hingegen die einschlägigen Vorstrafen, der rasche Rückfall und die Begehung der Tat während offener Probezeit. Der Revisionswerber wurde am 18. November 2021 aus der Strafhaft entlassen und lebt seinen Angaben zufolge seit damals wieder bei seiner Ehefrau, bei der auch die erwachsene Tochter wohnt.

8        Wegen dieser Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 17. August 2020 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei.

9        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. Juni 2022 „mit der Maßgabe“ als unbegründet ab, dass die Rückkehrentscheidung (wegen der Aufenthaltsberechtigung des Revisionswerbers nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80) auf § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG gestützt und die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahre reduziert wurde. Unter einem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

11       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13       Soweit die Revision in diesem Zusammenhang wiederholt auf die lange Aufenthaltsdauer und damit der Sache nach auch auf den ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG Bezug nimmt, ist daraus für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen: Angesichts der Begehung des Verbrechens des (Bank-)Raubs zur Finanzierung des Lebensunterhaltes, das auch wegen einschlägiger Vorstrafen des Revisionswerbers, seines raschen Rückfalls und der Begehung während offener Probezeit mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren sanktioniert wurde, bedarf es keiner näheren Erörterung, dass insoweit ein Fall besonders gravierender bzw. schwerer Straffälligkeit vorliegt. Es ist daher von der Begehung einer besonders verwerflichen Straftat und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen auszugehen, weshalb auch eine Berücksichtigung des Umstands, dass dem Revisionswerber iSd § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können, im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG nicht zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes führt (vgl. VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0302, Rn. 13, mwN).

14       Entgegen der Meinung in der Revision berücksichtigte das BVwG bei der an Hand der Kriterien des § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung die familiäre Situation und den langjährigen Aufenthalt in Österreich ausreichend und trug ihnen durch Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbots angemessen Rechnung. Es durfte dabei trotz der hierdurch bewirkten Beeinträchtigung des Kindeswohls der außerehelichen Kinder des Revisionswerbers und seines Interesses am Verbleib in Österreich vertretbar davon ausgehen, dass in Anbetracht des von ihm ausgehenden enormen Gefährdungspotenzials - resultierend aus seiner angespannten Einkommenssituation in Zusammenhang mit dem hohen Schuldenstand und seiner (so das BVwG) „schwindenden Verwurzelung im Erwerbsleben“ - der Revisionswerber und seine Familienangehörigen eine Trennung im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Delikten der in Rede stehenden Art (Gewalt- und Eigentumsdelikte) hinzunehmen haben.

15       In der Revision wird somit eine Unvertretbarkeit der - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber - vorgenommenen Interessenabwägung nicht dargetan (siehe zur Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 2.9.2021, Ra 2021/21/0089, Rn. 12, mwN) und insoweit daher keine fallbezogen relevante grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung aufgezeigt.

16       Bei der nunmehr vorgetragenen Behauptung, der Revisionswerber sei nicht gesund und stehe wegen Nervenschäden in ärztlicher Behandlung, handelt es sich im Übrigen um eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung.

17       Soweit der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision schließlich noch vorbringt, er könne die ihm - im Rahmen der bedingten Entlassung - erteilte „Auflage“, sich für die Dauer von drei Jahren regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer zu melden, im Falle des Vollzugs der Rückkehrentscheidung bzw. seiner freiwilligen Ausreise aus rechtlichen Gründen nicht nachkommen, weshalb er „den Rest der Strafe eigentlich absitzen müsste“, genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG auf die Ausführungen im vorletzten Absatz des Beschlusses VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0079, zu verweisen. Insbesondere ist dem Revisionswerber auch hier zu erwidern, dass die dem Revisionsvorbringen offenbar zugrundeliegende Prämisse, die wegen der (allfälligen) Durchsetzung eines Aufenthaltsverbotes (bzw. einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot) bewirkte Nichtbefolgung einer gerichtlichen Weisung hätte den Widerruf der bedingten Entlassung zur Folge, vor dem Hintergrund des § 53 Abs. 2 StGB nicht zutrifft.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 20. September 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210144.L00

Im RIS seit

18.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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