TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/14 Ra 2022/20/0127

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Veröffentlicht am 14.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das am 25. November 2021 mündlich verkündete und mit 29. März 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2022, W203 2216881-1/12E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: S A in W, vertreten durch Mag. Hubert Wagner LLM, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die Mitbeteiligte ist eine syrische Staatsangehörige und gehört der kurdischen Volksgruppe an. Sie stellte am 18. Dezember 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie im Wesentlichen damit begründete, dass die PKK auch von Frauen verlange, gegen die IS-Milizen zu kämpfen.

2        Mit Bescheid vom 27. Februar 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Mitbeteiligten in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab, erkannte ihr allerdings gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 27. Februar 2020.

3        Als maßgeblich für die Antragsabweisung erachtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dass das Vorbringen der Mitbeteiligten zum behaupteten Grund ihrer Flucht aus ihrem Heimatland als unglaubwürdig einzustufen sei.

4        In der gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobenen Beschwerde machte die Mitbeteiligte unter anderem geltend, dass sie zwischenzeitlich ein Kind geboren habe. Weiters erstattete sie Vorbringen zu ihren Fluchtgründen.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung statt, erkannte der Mitbeteiligten gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 den Status der Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Unter einem erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der ihrem minderjährigen Kind zuerkannte Status eines Asylberechtigten gemäß § 34 AsylG 2005 ohne Prüfung etwaiger eigener Asylgründe auf die Mitbeteiligte zu übertragen sei, weil die Mitbeteiligte als Mutter eines minderjährigen Asylberechtigten unter den Begriff „Familienangehörige“ gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 falle. Eine Überprüfung eigener Fluchtgründe der Mitbeteiligten würde der Beschleunigung des Asylverfahrens entgegenstehen und habe sohin unterbleiben können.

7        Dagegen richtet sich die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten das Vorverfahren eingeleitet hat. Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

9        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bringt zur Zulässigkeit der Amtsrevision vor, das Bundesverwaltungsgericht sei mit dem angefochtenen Erkenntnis von - näher zitierter - höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen, indem es der Mitbeteiligten abgeleitet von ihrem minderjährigen Kind, welches ihre einzige in Frage kommende Bezugsperson iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 sei, den Status einer Asylberechtigten zuerkannt habe. Das Kind der Mitbeteiligten habe jedoch den Schutzstatus seinerseits im Rahmen eines Familienverfahrens im Wege der Erstreckung vom Vater abgeleitet zuerkannt erhalten. Einer Fremden komme jedoch dann keine Begünstigung des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005 zu, wenn sie ihren Status als Asylberechtigte im Familienverfahren nur von einem minderjährigen Kind ableiten könne, welches wiederum den Asylstatus im Rahmen eines Familienverfahrens erlangt habe.

10       Die Amtsrevision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

11       § 2, § 3 und § 34 AsylG 2005 lauten (auszugsweise und samt Überschrift):

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1.   [...]

22.  Familienangehöriger:

a.   der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;

b.   der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

c.   ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und

d.   der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung jeweils bereits vor der Einreise bestanden hat.

23.  [...]“

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

...

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.“

„Familienverfahren im Inland

§ 34.

(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1.   einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2.   einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3.   einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.   dieser nicht straffällig geworden ist und

3.   gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) ...

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1.   auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2.   auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3.   im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).“

12       Vorauszuschicken ist, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten, weshalb sie im Heimatland asylrechtlich relevante Verfolgung befürchte, nicht befasst hat, weil es davon ausgegangen ist, es sei ihr bereits aufgrund der Vorschriften des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

13       Eine solche Vorgangsweise steht an sich - entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Meinung - mit dem Gesetz im Einklang. Das Gesetz differenziert nämlich beim Status des Asylberechtigten nicht. Weder kennt das Gesetz einen „originären“ Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur „abgeleiteter“ Status zuzuerkennen wäre. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären (vgl. VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0418).

14       Bei der Beurteilung, ob der Mitbeteiligten aufgrund der Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, ist dem Bundesverwaltungsgericht aber ein Rechtsirrtum unterlaufen.

15       Der Verwaltungsgerichthof hat sich in seinem Erkenntnis vom 14. September 2022, Ra 2022/20/0191, mit der Frage der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten im Familienverfahren wie in der vorliegenden Konstellation - an die Mutter abgeleitet vom minderjährigen Kind, welches selbst den Status des Asylberechtigten abgeleitet von einem Familienmitglied zuerkannt erhielt - befasst. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird daher insoweit - sowie in Bezug auf die von der Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung aufgeworfene Frage nach „dem Sinn“ der Vorschrift des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 - auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

16       § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 sieht vor, dass die Bestimmungen dieses Abschnitts - demnach dem aus § 34 und § 35 bestehenden 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG 2005 über das Familienverfahren - nicht auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, anzuwenden sind, es sei denn, es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind.

17       Nachdem das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass dem minderjährigen Sohn der Mitbeteiligten selbst der Status des Asylberechtigten abgeleitet von seinem Vater zuerkannt wurde, erweist sich die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 an die Mitbeteiligte als Mutter ihres minderjährigen asylberechtigten Sohnes als rechtlich verfehlt, weil gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 die Anwendung der (übrigen) Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 für diese Konstellation ausgeschlossen ist.

18       Da das Bundesverwaltungsgericht somit aus den aufgezeigten Gründen die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis war der Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

Wien, am 14. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200127.L00

Im RIS seit

17.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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