Entscheidungsdatum
13.09.2022Norm
B-VG Art140Text
Gesetzesprüfungsantrag
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch seinen Richter Dr. Marvin Novak, LL.M., als Einzelrichter in den Beschwerdesachen von Herrn A, vertreten durch die C Rechtsanwalts GmbH, ***, ***, gegen 1. den Bescheid des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, vom 10. Februar 2021. Zl. ***, ***, sowie 2. den Bescheid des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, vom 26. Mai 2021, Zl. ***, ***, den
BESCHLUSS:
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm Art. 140 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt,
§ 117b Abs. 1 Z 23 des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. Nr. 169 idF BGBl. I Nr. 80/2012, mit Ausnahme des letzten Wortes („sowie“), § 120 Z 9 ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 80/2013 sowie § 140 ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 80/2013,
in eventu das Wort „und“ in § 117a Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 144/2009, § 117a Abs. 1 Z 3 ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 144/2009 mit Ausnahme des Punktes am Satzende, § 117b Abs. 1 Z 23 ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 80/2012 mit Ausnahme des letzten Wortes („sowie“), § 120 Z 9 ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 80/2013, alle Bestimmungen des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 25/2017 sowie § 195e ÄrzteG 1998 idF BGBl. I Nr. 25/2017,
in eventu das ÄrzteG1998 idF BGBl. I Nr. 65/2022 zur Gänze,
als verfassungswidrig aufzuheben.
Begründung:
1. Ausgangsverfahren und maßgeblicher Sachverhalt:
1.1. Mit dem vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2021 (Disziplinarerkenntnis gemäß § 161 ÄrzteG 1998) wurde der Beschwerdeführer von der Disziplinarkommission für Niederösterreich des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer (belangte Behörde) wie folgt für schuldig befunden:
„1. Der Disziplinarbeschuldigte ist schuldig.
1a) ER hat im Zeitraum seit spätestens 8. Mai 2020 zumindest bis Anfang Juni 2020 in sozialen Medien (***) damit geworben, ärztliche Atteste gegen die Zahlung von € 10,- mit Untersuchung und von € 20,- ohne Untersuchung auszustellen, mit denen er entgegen medizinischer Notwendigkeit Patienten vom Tragen des Mund-Nasen-Schutzes befreit.
1b) Der Disziplinarbeschuldigte hat im Zeitraum seit spätestens Mai 2020 bis zumindest 29.12.2020 in zahlreichen Fällen ärztliche Atteste ausgestellt, mit denen er, entgegen medizinischer Notwendigkeit und ohne medizinische Indikation, Patienten vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder einer Atemschutzmaske befreit hat.
Er hat dadurch zu 1a) gegen § 53 Abs 1 ÄrzteG iVm § 1 und § 2 Abs 2 und Abs 3 Z 1 der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen in der Öffentlichkeit (Arzt und Öffentlichkeit 2014 verstoßen
und zu
1b) gegen § 55 ÄrzteG iVm § 11 Abs 3 und § 11a Abs 2 der COVID-19-Maßnahmen-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung sowie mit § 15 Abs 3 Z 2. und § 16 Abs 2 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung sowie mit § 16 Abs 3 Z 2. und § 17 Abs 2 der 2. und 3. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung sowie mit § 15 Abs 3 Z 2. und § 16 Abs 2 der COVID-19-Notmaßnahmen-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung verstoßen.“
Gemäß § 139 Abs. 1 Z 3 ÄrzteG 1998 wurde der Beschwerdeführer zur Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der Berufsausübung für die Dauer von drei Monaten verurteilt.
Vom weiteren Vorwurf, er habe ärztliche Atteste, mit denen er Patienten vom Tragen des Mund-Nasen-Schutzes befreie, ohne körperliche Untersuchung ausgestellt, wurde er freigesprochen.
Dem Beschwerdeführer wurden außerdem die mit 1.000,-- Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens auferlegt.
Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsanwalt am 4. Mai 2021 zugestellt.
Mit fristgerechter Beschwerde vom 28. Mai 2021 wird dieser Bescheid vom 10. Februar 2021 zur Gänze angefochten (Art. 130 Abs. 1 Z 1 iVm Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG).
Die belangte Behörde legte in Folge die Beschwerde samt Verwaltungsakten zur Entscheidung vor.
1.2. Mit dem vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich angefochtenen weiteren Bescheid vom 26. Mai 2021 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde wie folgt für schuldig befunden:
„A) Der Disziplinarbeschuldigte ist schuldig.
1. Er hat absichtlich im Zeitraum von 01.05.2020 bis 10.02.2021 in seiner Ordination weder einen Mund-Nasen-Schutz noch eine FFP2-Atemschutzmaske getragen und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen, und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass die Patienten und Besucher der Ordination einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen. Er hat es auch absichtlich unterlassen, für eine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zwischen den Personen zur räumlichen Trennung, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet, zu sorgen
2. Er hat einen Leserbrief verfasst, der im Leserforum der *** *** veröffentlicht wurde, in dem er das Bestehen des Coronavirus geleugnet hat, indem er behauptete, er habe bislang nur computeranimierte Bilder des Virus gesehen und keinen strukturellen Nachweis und anhand von positiven PCR-Tests könne man nicht von „Neuinfektionen“ sprechen, weiters die Möglichkeit der Diagnose des Coronavirus geleugnet hat, indem er behauptete, der PCR-Test weise weder ein Virus noch eine Infektion nach, weiters behauptet hat, dass kranke Menschen mit positivem PCR-Test nicht am Coronavirus erkrankt seien, weil eine weitere Diagnostik nach positivem PCR-Test nicht durchgeführt werde und es hätte auch in den Jahren 2012, 2015, 2017 und 2018 Grippewellen gegeben, die das Gesundheitssystem gefordert und überfordert hätten.
Der Disziplinarbeschuldigte hat dadurch zu
1. gegen § 2 Abs 1a iVm § 2 Abs 5 der COVID-19-Lockerungsverordnung BGBl II Nr. 197/2020 in der jeweils geltenden Fassung sowie in weiterer Folgen gegen § 11 Abs 1 iVm § 5 Abs 1 Z 1 – 3 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung BGBl II Nr. 463/2020 in der jeweils geltenden Fassung sowie gegen § 11 Abs 3 iVm § 5 Abs 5 Z 1 und 3 – 5 der COVID-19-Notmaßnahmen-Verordnung BGBl II Nr. 479/2020 in der jeweils geltenden Fassung, der 2. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung BGBl II Nr. 544/2020 und der 3. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung BGBl II Nr. 566/2020, in weiterer Folge gegen § 11 Abs 3 iVm § 5 Abs 6 Z 3 – 6 und § 5 Abs 7 der 3. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung BGBl II Nr. 598/2020 in der jeweils geltenden Fassung sowie der 3. COVID-19-Notmaßnahmen-Verordnung BGBl II Nr. 27/2021 in der jeweils geltenden Fassung und der 4. COVID-19-Notmaßnahmen- Verordnung BGBl II Nr. 49/2021 in der jeweils geltenden Fassung verstoßen.
2. gegen § 53 Abs 1 ÄrzteG iVm mit § 1 und § 2 Abs 1 und 2 der Verordnung der Österreichischen Ärztekamme über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen in der Öffentlichkeit verstoßen.“
Der Beschwerdeführer wurde deshalb gemäß § 139 Abs. 6 ÄrzteG 1998 iVm § 31 StGB zu einer Zusatzstrafe gemäß § 139 Abs. 1 Z 3 ÄrzteG 1998 verurteilt und zwar zur Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der Berufsausübung für die Dauer von zwei weiteren Monaten.
Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer im Bescheid vom 26. Mai 2021 wie folgt für schuldig erkannt:
„B) der Disziplinarbeschuldigte ist weiters schuldig.
Er hat absichtlich im Zeitraum ab 11.02.2021 bis 18.3.2021 in seiner Ordination weder einen Mund-Nasen-Schutz noch eine FFP2-Atemschutzmaske getragen und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass die Patienten und Besucher der Ordination einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen. Er hat es auch absichtlich unterlassen, für eine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zwischen den Personen zur räumlichen Trennung, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet, zu sorgen.“
Der Beschwerdeführer wurde deshalb gemäß § 139 Abs. 1 Z 3 ÄrzteG 1998 zur befristeten Untersagung der Berufsausübung für einen Monat verurteilt.
Weiters wurde auf Veröffentlichung des gesamten Disziplinarerkenntnisses in den Mitteilungen der Ärztekammer für Niederösterreich und auch in der Österreichischen Ärztezeitung erkannt (§ 139 Abs. 10 ÄrzteG 1998) und es wurden dem Beschwerdeführer die mit 1.000,-- Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens auferlegt.
Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsanwalt am 12. Oktober 2021 zugestellt.
Mit fristgerechter Beschwerde vom 4. November 2021 wird dieser Bescheid vom 26. Mai 2021 zur Gänze angefochten (Art. 130 Abs. 1 Z 1 iVm Art. 132 Abs. 1 Z 1
B-VG).
Die belangte Behörde legte in Folge die Beschwerde samt Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.
1.3. Die belangte Behörde bestand jeweils gemäß § 140 ÄrzteG 1998 aus einem vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen (bzw. einem gemäß § 17 BMG zuständig gewordenen anderen Bundesminister) bestellten rechtskundigen Vorsitzenden (welcher nicht Arzt und somit weder Mitglied einer Ärztekammer noch der Österreichischen Ärztekammer ist) und zwei weiteren vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellten ärztlichen Beisitzern (die somit Mitglied einer Ärztekammer sind).
1.4. Dieser Sachverhalt bzw. Verfahrensgang ergibt sich aus der vorliegenden Aktenlage (Verwaltungsakten, Gerichtsakten).
1.5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verbindet die beiden Beschwerdeverfahren nunmehr gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 zweiter Satz AVG zur gemeinsamen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nach Art. 140 B-VG wegen des insoweit bestehenden rechtlichen Zusammenhanges und der Identität des Beschwerdeführers in beiden Beschwerdeverfahren.
2. Rechtsvorschriften:
2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 109/2021, lauten:
„[…]
Anzuwendendes Recht
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
[…]
Prüfungsumfang
§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
[…]
Beschlüsse
§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
[…]“
2.2. Die Art. 120a ff des Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 2/2008, lauten auszugsweise:
„B. Sonstige Selbstverwaltung
Artikel 120a. (1) Personen können zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden.
[…]
Artikel 120b. (1) Die Selbstverwaltungskörper haben das Recht, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen und im Rahmen der Gesetze Satzungen zu erlassen. Dem Bund oder dem Land kommt ihnen gegenüber nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsführung ein Aufsichtsrecht zu. Darüber hinaus kann sich das Aufsichtsrecht auch auf die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsführung erstrecken, wenn dies auf Grund der Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers erforderlich ist.
(2) Den Selbstverwaltungskörpern können Aufgaben staatlicher Verwaltung übertragen werden. Die Gesetze haben derartige Angelegenheiten ausdrücklich als solche des übertragenen Wirkungsbereiches zu bezeichnen und eine Weisungsbindung gegenüber dem zuständigen obersten Verwaltungsorgan vorzusehen.
(3) Durch Gesetz können Formen der Mitwirkung der Selbstverwaltungskörper an der staatlichen Vollziehung vorgesehen werden.
Artikel 120c. (1) Die Organe der Selbstverwaltungskörper sind aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden.
[…]“
2.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169 idF BGBl. I Nr. 65/2022 (die angefochtenen Bestimmungen erhielten ihre Fassung bereits durch die im Spruch angeführten Novellen), lauten:
„[…]
2. Hauptstück
Kammerordnung
[…]
2. Abschnitt
Ärztekammern in den Bundesländern
Einrichtung der Ärztekammern
§ 65. (1) Zur Vertretung des Ärztestandes ist für den räumlichen Bereich eines jeden Bundeslandes eine Ärztekammer eingerichtet. Diese Ärztekammern führen die Bezeichnung „Ärztekammer für ...“ mit einem auf das jeweilige Bundesland hinweisenden Zusatz.
(2) Die Ärztekammern in den Bundesländern sind Körperschaften öffentlichen Rechtes.
[…]
Kammerangehörige
§ 68. (1) Einer Ärztekammer gehört als ordentlicher Kammerangehöriger jeder Arzt an, der
1. in die von der Österreichischen Ärztekammer geführte Ärzteliste gemäß § 4 eingetragen worden ist und
2. seinen Beruf im Bereich dieser Ärztekammer ausübt und
3. keine Alters- oder ständige Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds bezieht.
Bezieher einer Alters- oder ständigen Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds sind ordentliche Kammerangehörige, wenn sie auf Grund regelmäßiger ärztlicher Tätigkeit fortlaufend Beiträge zum Wohlfahrtsfonds und die Kammerumlage entrichten.
(2) Ordentliche Angehörige einer Ärztekammer sind ferner Ärzte, die gemäß § 34 in die Ärzteliste eingetragen worden sind und ihren Beruf im Bereich dieser Ärztekammer ausüben.
[…]
4. Abschnitt
Österreichische Ärztekammer
Einrichtung
§ 117. (1) Zur Vertretung der gemeinsamen Interessen aller in Österreich tätigen Ärzte, die Angehörige einer Ärztekammer sind (§ 68 Abs. 1, 2 und 5), ist die „Österreichische Ärztekammer“ am Sitz der Bundesregierung eingerichtet.
(2) Die Österreichische Ärztekammer ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts.
[…]
Wirkungskreis
§ 117a. (1) Die Österreichische Ärztekammer ist berufen,
[…]
3. für die Wahrung des ärztlichen Berufs- und Standesansehens und der ärztlichen Berufs- und Standespflichten zu sorgen.
(2) Der Wirkungskreis gemäß Abs. 1 gliedert sich in einen eigenen und einen übertragenen Wirkungsbereich.
Eigener Wirkungsbereich
§ 117b. (1) Die Österreichische Ärztekammer ist berufen, im eigenen Wirkungsbereich insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:
[…]
23. disziplinäre Verfolgung von Verletzungen der ärztlichen Berufspflichten und von Beeinträchtigungen des Ansehens der Ärzteschaft durch Ärzte einschließlich der Führung eines Disziplinarregisters, in das jede in Rechtskraft erwachsene Disziplinarstrafe unter Angabe der Personaldaten des betroffenen Arztes sowie der Daten des verurteilenden Erkenntnisses einzutragen sind, sowie
[…]
Mitglieder
§ 119. Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer sind die Ärztekammern in den Bundesländern.
Organe
§ 120. Organe der Österreichischen Ärztekammer sind
1. die Vollversammlung (§§ 121 und 122),
2. der Vorstand (§ 123),
3. der Präsident und drei Vizepräsidenten (§ 125),
4. die Bundeskurien (§ 126),
5. die Bundeskurienobmänner und ihre Stellvertreter (§ 127),
6. das Präsidium (§ 128),
7. die Ausbildungskommission (§ 128a),
8. der Verwaltungsausschuss eines gemeinsamen Wohlfahrtsfonds (§ 134) sowie
9. der Disziplinarrat (§ 140).
[…]
Vorstand
§ 123. […]
(3) Dem Vorstand obliegt die Durchführung aller der Österreichischen Ärztekammer gemäß §§ 117b und 117c dieses Bundesgesetzes oder nach anderen Vorschriften übertragenen Aufgaben, soweit diese nach diesem Bundesgesetz nicht ausdrücklich anderen Organen zugewiesen sind. […]
[…]
3. Hauptstück
Disziplinarrecht
1. Abschnitt
Begriffsbestimmung
§ 135. (1) Ärzte im Sinne dieses Hauptstückes sind alle ordentlichen Kammerangehörigen (§ 68 Abs. 1 und 2) sowie alle Ärzte, die über eine Bewilligung gemäß den §§ 32 oder 33 verfügen, unabhängig davon, ob sie ihre ärztliche Tätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausüben, sowie Ärzte gemäß den §§ 35, 36 und 37.
[…]
5. Abschnitt
Disziplinarrat und Disziplinaranwalt
§ 140. (1) Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.
(2) Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung der Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. Die Bestellung mehrerer Disziplinarkommissionen mit örtlich verschiedenem Wirkungsbereich ist zulässig. Überdies sind jeder Disziplinarkommission mehrere vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellende rechtskundige Untersuchungsführer beizugeben, die in einer vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu führenden Liste zu erfassen sind.
(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden. Für den Vorsitzenden sind gleichzeitig zwei Stellvertreter, die rechtskundig sein müssen, auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen und für die ärztlichen Beisitzer gleichzeitig vier Stellvertreter vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen. Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat bei der Bestellung eines Richters zum Vorsitzenden oder zum Stellvertreter des Vorsitzenden das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz herzustellen. Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer dürfen einer Disziplinarkommission nicht angehören.
(4) Die ärztlichen Beisitzer haben dem Vorsitzenden vor Antritt ihrer Tätigkeit die gewissenhafte und unparteiische Erfüllung ihrer Pflichten zu geloben.
(5) Die einzelnen Disziplinarkommissionen des Disziplinarrates sind ermächtigt, soweit dies zur Vermeidung unnötiger Kosten und zur rascheren Durchführung des Verfahrens angezeigt ist, ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten jener Ärztekammer auszuüben, der der Beschuldigte angehört.
[…]
Disziplinarrechtliche Aufsicht
§ 195e. (1) Das disziplinarrechtliche Aufsichtsrecht der Bundesministerin/des Bundesministers für Gesundheit und Frauen umfasst die Sorge für die gesetzmäßige Führung der Kanzleigeschäfte und die ordnungsgemäße Durchführung von Disziplinarverfahren. Zu diesem Zweck ist die Bundesministerin/der Bundesminister für Gesundheit und Frauen berechtigt, sich jederzeit von der Kanzleigeschäftsführung des Disziplinarrats sowie vom Stand der anhängigen Disziplinarverfahren unterrichten zu lassen und die Beseitigung diesbezüglicher Rechtswidrigkeiten zu verlangen.
(2) Der Genehmigung der Bundesministerin/des Bundesministers für Gesundheit und Frauen bedarf die Bestellung
1. der beiden ärztlichen Mitglieder der Disziplinarkommission und deren Stellvertreterinnen/Stellvertreter (§ 140 Abs. 3) sowie
2. der Disziplinaranwältin/des Disziplinaranwaltes und ihrer/seiner Stellvertreterinnen/Stellvertreter beim Disziplinarrat (§ 141).
Die Bundesministerin/Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat die Genehmigung zu erteilen, wenn die Bestellung diesem Bundesgesetz nicht widerspricht.
(3) Werden Rechtswidrigkeiten (Abs. 1) nicht innerhalb angemessener Zeit beseitigt, so ist die Bundesministerin/der Bundesminister für Gesundheit und Frauen berechtigt,
1. den Disziplinarrat oder einzelne Disziplinarkommissionen aufzulösen oder
2. die Disziplinaranwältin/den Disziplinaranwalt oder ihre/seine Stellvertreterinnen/Stellvertreter beim Disziplinarrat abzuberufen,
wenn die gesetzmäßige Führung der Kanzleigeschäfte und die ordnungsgemäße Durchführung von Disziplinarverfahren nicht anders gewährleistet werden kann. In einem solchen Fall ist eine Neubestellung durchzuführen.
(4) Die Österreichische Ärztekammer hat zum Ende eines jeden Jahres der Bundesministerin/dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen ein Verzeichnis der
1. eingegangenen Anzeigen,
2. erledigten Disziplinarverfahren sowie
3. der noch anhängigen Disziplinarverfahren
vorzulegen (disziplinarrechtlicher Jahresbericht). Allfällige strukturelle und inhaltliche Kriterien für die Gestaltung des Jahresberichts sind einvernehmlich zwischen der Bundesministerin/dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen und der Österreichischen Ärztekammer festzulegen. Der disziplinarrechtliche Jahresbericht ist erstmals für das Jahr 2017 zu erstellen.
[…]“
2.4. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 des Bundesministeriengesetzes 1986 (BMG), BGBl. Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 8/2020, iVm lit. L Z 11 des Teils 2 der Anlage zu diesem Bundesgesetz sind Angelegenheiten der Ärzte vom Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz umfasst.
Gemäß § 17 BMG gelten Zuständigkeitsvorschriften in besonderen Bundesgesetzen als entsprechend geändert, wenn auf Grund von Änderungen dieses Bundesgesetzes Änderungen im Wirkungsbereich der Bundesministerien vorgesehen sind.
3. Zur Zulässigkeit der Beschwerden:
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erachtet die Beschwerden als fristgerecht erhoben und auch sonst im Lichte der Art. 130 Abs. 1 Z 1 und 132 Abs. 1 Z 1 B-VG als zulässig.
4. Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:
4.1. Mit der B-VG–Novelle BGBl I Nr. 2/2008 erfolgte in den Art 120a bis 120c B-VG die ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung der nicht-territorialen Selbstverwaltung. Damit wurde auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern abseits der bereits zuvor in den Art. 115 ff B-VG geregelten territorialen Selbstverwaltung (Gemeindeselbstverwaltung) klargestellt (vgl. VfSlg 18.731/2009).
4.2. Ein solcher nicht-territorialer Selbstverwaltungskörper ist, wie die §§ 117 ff ÄrzteG 1998 zeigen, auch die Österreichische Ärztekammer, sodass deren gesetzliche Regelung (Organisation) verfassungsrechtlich an den Art. 120a bis 120c B-VG zu messen ist.
Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Österreichischen Ärztekammer, wie sich aus § 119 ÄrzteG 1998 ergibt, um einen „Dachverband“ in dem Sinn handelt, dass die Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer die Ärztekammern in den Bundesländern sind. Letztere sind in den §§ 65 ff ÄrzteG 1998 ebenfalls als Selbstverwaltungskörper organisiert. Gegen die Bildung derartiger Dachverbände bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. etwa VfSlg. 13.460/1993 oder VfSlg. 20.361/2019).
Aus der Konstruktion als Dachverband folgt nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichten Niederösterreich gemäß Art. 120c Abs. 1 B-VG zunächst allerdings, dass die dort geforderte Bildung der Organe nach demokratischen Grundsätzen durch die Ärztekammern in den Bundesländern zu erfolgen hat. Weiters müssen die Organe „aus dem Kreis ihrer Mitglieder“ bestellt sein. Da die Mitglieder wiederum Selbstverwaltungskörper (und somit juristische Personen, vgl. § 65 Abs. 2 ÄrzteG 1998) sind, müssen auch deren Organe aus dem Kreis ihrer Mitglieder, also der in § 68 Abs. 1 und 2 ÄrzteG 1998 genannten Ärzte, bestellt sein. Die demokratische Bestellung der Organe entspricht einem Kerngedanken der Selbstverwaltung (VfSlg. 20.226/2017), ebenso die Befugnis zur Bestellung der Organe aus der Mitte der Verbandsangehörigen (VfSlg. 17.023/2003).
Zusammengefasst entsprechen Organe der Österreichischen Ärztekammer somit jedenfalls nur dann Art. 120c Abs. 1 B-VG, wenn sie einerseits nur aus Ärzten gemäß § 68 Abs. 1 und ÄrzteG 1998 bestehen (weil ja, was wiederum aus Art. 120c Abs. 1 B-VG folgt, nur solche die Ärztekammern in den Bundesländern – den Kreis der Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer – als Organe repräsentieren können) und wenn sie andererseits alleine von Ärzten, die Organe der Ärztekammern in den Bundesländern sind, bestellt sind.
4.3. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hegt zunächst das Bedenken, dass die durch § 117b Abs. 1 Z 23 ÄrzteG 1998 bewirkte Verweisung des ärztlichen Disziplinarrechts in den eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer in Verbindung mit der Bestimmung des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer zum Organ der Österreichischen Ärztekammer in § 120 Z 9 ÄrzteG 1998 sowie den Regelungen des § 140 leg.cit. über den Disziplinarrat bzw. die Disziplinarkommissionen, durch die dieser zu entscheiden hat, gegen Art. 120c Abs. 1 B-VG verstößt.
Dieser Verstoß wird konkret dadurch bewirkt, dass den Disziplinarkommissionen gemäß § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998 jeweils neben zwei vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellten ärztlichen Beisitzern ein rechtskundiger Vorsitzender angehört, der vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen (nunmehr vom gemäß § 17 BMG iVm Punkt L. Z 11 des Teils 2 der Anlage zum BMG zuständig gewordenen Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), allenfalls im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz, bestellt wird. Hinsichtlich dessen Person kommt dem Vorstand der Österreichischen Ärztekammer lediglich ein Vorschlagsrecht zu. Nach derselben Regelung sind zwei Stellvertreter des Vorsitzenden zu bestellen.
Das Gesetz schreibt einerseits nicht vor, dass der Vorsitzende Repräsentant eines Mitglieds der Österreichischen Ärztekammer (also einer Ärztekammer in einem Bundesland und somit insbesondere selbst Arzt, vgl. oben 2.) sein muss. Andererseits handelt es sich beim Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der die Bestellung des Vorsitzenden (allenfalls im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz) vorzunehmen hat, um kein Organ, das eine demokratische Legitimation besitzt, die Interessen der Ärztekammern in den Bundesländern zu vertreten (vgl. in diesem Sinn zur Bestellung der Dienstnehmervertreter in der BVAEB VfGH 13.12.2019, G 211/2019 ua.).
Hinzu kommt noch, dass es nach § 140 Abs. 4 ÄrzteG 1998 gerade diesem Vorsitzenden obliegt, den ärztlichen Beisitzern (gegen deren Bestellung im Lichte des Art. 120c Abs. 1 B-VG für sich genommen keine Bedenken bestehen) ein vor dem Dienstantritt zu leistendes Gelöbnis abzunehmen und somit über deren Dienstantritt zu entscheiden.
Somit dürfte die Zusammensetzung der – als Organ der Österreichischen Ärztekammer in deren eigenem Wirkungsbereich tätig werdenden – Disziplinarkommissionen (und damit des Disziplinarrates) nicht Art. 120c Abs. 1 B-VG entsprechen.
4.4. Darüber hinaus hegt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich das Bedenken, dass die von § 117b Abs. 1 Z 23 ÄrzteG 1998 vorgenommene Verweisung des gesamten ärztlichen Disziplinarrechts in den eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer Art. 120a Abs. 1 B-VG widerspricht.
Dies ergibt sich daraus, dass die Vollziehung des ärztlichen Disziplinarrechts (somit des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998 samt den Bestimmungen, auf die darin verwiesen bzw. an die angeknüpft wird; das sind im Wesentlichen Regelungen des 1. Hauptstücks sowie zahlreiche Bestimmungen des StGB, der StPO und des AVG) ein Ausmaß an rechtlicher Komplexität aufweist, die durch ein den Bestimmungen des Art. 120c Abs. 1 B-VG entsprechendes und somit aus dem Kreis der Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer (bzw. deren Repräsentanten, die wiederum Art. 120c Abs. 1 B-VG genügen, also Ärzte sein müssen, s. oben 2.) gebildetes Organ im Allgemeinen nicht aufweisen kann. Daran ändert auch die Beigabe rechtskundiger Untersuchungsführer durch den letzten Satz des § 140 Abs. 2 ÄrzteG 1998 nichts, sind diese doch gemäß § 146 Abs. 6 ÄrzteG 1998 ausdrücklich von der Teilnahme an der Entscheidung ausgeschlossen.
Genau dieser Gedanke dürfte der durch § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998 angeordneten, jedoch Art. 120c Abs. 1 B-VG widersprechenden, Einbeziehung eines rechtskundigen Vorsitzenden in die Disziplinarkommissionen zu Grunde liegen.
4.5. Im Hinblick auf die beiden vorgenannten Bedenken übersieht das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nicht, dass der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 13.012/1992 ausgesprochen hat, dass die Disziplinarkommission bei der Kammer der Tierärzte Österreichs in verfassungskonformer Sicht nicht als Organ der Bundeskammer der Tierärzte anzusehen sei, weil dieser Behörde ua. zwei Beamte des zuständigen Bundesministeriums angehören (darauf zurückkommend auch VfSlg. 17.023/2003). Im damaligen Fall ließ sich also eine dem vorliegenden Fall vergleichbare Problematik mittels verfassungskonformer Interpretation lösen.
Einer verfassungskonformen Interpretation des ÄrzteG 1998 mit diesem Ergebnis steht aber nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich der klare Wortlaut des § 117b Abs. 1 Z 23 bzw. des § 120 Z 9 leg.