TE Vfgh Beschluss 1994/3/5 V65/93

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Veröffentlicht am 05.03.1994
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
VfGG §35 Abs1
VfGG §57 Abs3
VfGG §85 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen einer Verordnung mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung; keine Gesetzeslücke; keine analoge Anwendung der Regelung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden bzw der Vorschriften der EO

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Die antragstellenden Gesellschaften beantragen, ihrem Individualantrag auf Aufhebung des §4 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie über ein Verbot bestimmter gefährlicher Stoffe in Planzenschutzmitteln, BGBl. 97/1992, in eventu weiterer Bestimmungen dieser Verordnung, aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die antragstellenden Gesellschaften führen zur Begründung dieses Antrages aus, daß zwar weder im VerfGG noch im B-VG die Möglichkeit vorgesehen sei, einem Individualantrag aufschiebende Wirkung iSd. §85 VerfGG zuzuerkennen, die Beseitigung dieser Lücke im VerfGG sei jedoch durch "analoge Anwendung des §85

Abs2 VerfGG bzw. ... Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip aus

Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes ... zwingend

geboten". Die Analogie sei im vorliegenden Fall auch zulässig, weil es sich hiebei um eine vom Gesetzgeber wohl nicht beabsichtigte Lücke handle.

2. Der Antrag ist unzulässig.

Das VerfGG 1953 idF BGBl. 311/1976 hat bei Regelung des Verfahrens über die Anfechtung der Gesetzmäßigkeit von Verordnungen einem Antrag iS des Art139 Abs1 letzter Satz B-VG eine aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt und in diesem Fall auch eine Zuerkennung durch den Verfassungsgerichtshof nicht vorgesehen. Dies ist, wie die Regelung des §57 Abs3 VerfGG, welche den Antrag eines Gerichts iS des Art139 Abs1 erster Satz B-VG betrifft, zeigt und wie auch die gleichzeitige Neuregelung der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden durch §85 VerfGG erkennen läßt, keine Gesetzeslücke, sondern eine beabsichtigte, sich aus den Besonderheiten des Art139 B-VG erklärende Regelung. Wo aber die gesetzlichen Bestimmungen eine eindeutige Regelung treffen, ist für eine Gesetzesanalogie kein Raum (VfSlg. 8717/1979; vgl. auch den in einem Verfahren nach Art140 B-VG ergangenen Beschluß VfSlg. 7915/1976).

Auch eine Entscheidung nach Art einer in der EO vorgesehenen einstweiligen Verfügung ist dem Verfassungsgerichtshof im allgemeinen, im besonderen aber auch im Rahmen seiner Zuständigkeit nach Art139 B-VG versagt. Über §35 Abs1 VerfGG, der die Bestimmungen der ZPO und des EG hiezu für sinngemäß anwendbar erklärt, soweit das VerfGG keine anderen Bestimmungen enthält, läßt sich eine sinngemäße Anwendung der Vorschriften der EO (insbesondere auch über einstweilige Verfügungen) nicht begründen (VfSlg. 8107/1977 unter Hinweis auf Vorjudikatur).

Auch die unter Hinweis auf VfSlg. 11196/1986 vorgetragene Berufung der antragstellenden Gesellschaften auf die rechtsstaatlich gebotene Effizienz des Rechtsschutzes kann zu keinem anderen Ergebnis führen, weil die in jenem Fall angestellten Überlegungen beim - lediglich subsidiär für einzelne Normadressaten vorgesehenen - Rechtsschutz gegenüber generellen Normen nicht in gleicher Weise herangezogen werden können wie beim Rechtsschutz gegenüber Vollzugsakten. So ist es bei Normen mit Rücksicht auf ihre generelle Adresse ohne ausdrückliche Anordnung nicht zu vertreten, lediglich den kraft Individualantrag gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG Rechtsschutzsuchenden während des Rechtsschutzverfahrens mit einer Suspensivwirkung seines Rechtsbehelfes zu begünstigen. Auch die von den antragstellenden Parteien für eine derartige Möglichkeit ins Treffen geführte Beschränkung der Wirkung eines normaufhebenden Erkenntnisses auf den Anlaßfall bei Weitergeltung der Norm für alle anderen, bis zum Ablauf der vom Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist verwirklichten Tatbestände kraft Art139 Abs6 letzter Satz B-VG kann damit nicht verglichen werden. Beruht doch die verfassungsrechtlich vorgesehene, vom Verfassungsgerichtshof aus Zweckmäßigkeitsgründen anzuordnende befristete Weitergeltung einer bereits als rechtswidrig erkannten Norm gerade auf dem gegenteiligen Prinzip wie die von den antragstellenden Gesellschaften begehrte Suspensivwirkung einer Anfechtung genereller Normen: Während bei einer Aufhebung unter Fristsetzung gemäß Art139 Abs6 letzter Satz B-VG die Verordnung dem Willen des Normsetzers gemäß länger in Kraft bleibt, würde durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dem Individualantrag die Möglichkeit eingeräumt, die vom Verordnungsgeber intendierte Normwirkung unter Umständen losgelöst von der Frage der Rechtmäßigkeit der Norm auszuschließen. Ist die Zuerkennung einer derartigen Suspensivwirkung ohne besondere Rechtsgrundlage aber bereits für einzelne Antragsteller nach Art139 Abs1 letzter Satz B-VG auszuschließen, so muß mangels einer besonderen verfassungsgesetzlichen Anordnung erst recht abgeleitet werden, daß eine Suspendierung der generellen Normwirkungen während eines laufenden Normenprüfungsverfahrens ausgeschlossen ist.

Da im Verfahren nach Art139 B-VG sohin die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung weder gegenüber dem Antragsteller nach Art139 Abs1 letzter Satz B-VG noch gegenüber der Allgemeinheit vorgesehen ist und eine analoge Anwendung des §85 VerfGG in Normenprüfungsverfahren nach Art139 B-VG nicht in Betracht kommt, war der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Wirkung aufschiebende, Analogie, Rechtsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:V65.1993

Dokumentnummer

JFT_10059695_93V00065_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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