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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AAV §8 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde der Kommanditgesellschaft J in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 6. Juni 1994, Zl. 61.995/8-3/94, betreffend Ausnahmebewilligung nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 6. Juni 1994 wurde ein Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz in Verbindung mit § 8 Abs. 3 AAV abgewiesen. In der Begründung wurde insoweit ausgeführt, in den Betriebsräumlichkeiten der Beschwerdeführerin sei im Vorraum ein ständiger Arbeitsplatz (Empfangspult/Telefonvermittlung) eingerichtet worden. Da dieser Raum jedoch über keine ins Freie führenden Lichteintrittsflächen verfüge, dürfe er gemäß § 3 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz in Verbindung mit § 8 AAV - sofern nicht eine bescheidmäßige Ausnahme erteilt worden sei - nicht als Arbeitsraum verwendet werden. Die Beschwerdeführerin habe beim Arbeitsinspektorat den Antrag gestellt, eine derartige Ausnahme zuzulassen und dies damit begründet, daß ein "Empfang" naturgemäß unmittelbar beim Eingang situiert werden müsse, um das Eindringen unbefugter Personen in die Geschäftsräume hintanzuhalten.
Voraussetzung für die angestrebte Ausnahme sei das Vorliegen wichtiger Gründe. Diese lägen insbesondere dann vor, wenn dringend benötigte zusätzliche Arbeitsräume nur durch eine Ausnahmeregelung gewonnen werden könnten. Diese Ausnahmemöglichkeit diene der Vermeidung von nicht zu rechtfertigenden Härten im Fall der Erweiterung von Betriebsräumlichkeiten und sei daher eng auszulegen. Ein derartiger Härtefall werde jedoch von der Beschwerdeführerin nicht zur Darstellung gebracht. Im vorliegenden Fall handle es sich nicht um die Erweiterung von Betriebsräumlichkeiten, sondern um das Betriebslokal in seiner ursprünglichen Größe, wobei nachträglich ein ständiger Arbeitsplatz im unbelichteten Vorraum eingerichtet worden sei, wodurch dieser als zusätzlicher Arbeitsraum genutzt werde. Den Grund für die Notwendigkeit der beantragten Ausnahmeregelung sehe die Beschwerdeführerin im Erfordernis, durch die Einrichtung eines Arbeitsplatzes im unbelichteten Vorraum das Betreten der Betriebsräumlichkeiten durch unbefugte Personen hintanzuhalten. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse vom 12. November 1992, Zl. 92/18/0302, und vom 14. Jänner 1994, Zl. 93/02/0144) könne allerdings vom Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne des § 8 Abs. 3 AAV dann nicht gesprochen werden, wenn der dem Gebot der natürlichen Belichtung von Arbeitsräumen widersprechende Zustand vom Arbeitgeber insofern selbst herbeigeführt worden sei, als er unterlassen habe, alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer Ausnahmeregelung zu ergreifen. Insofern vermöge das Vorbringen, daß unmittelbar beim Eingang ein ständiger Arbeitsplatz situiert sein müsse, um das Eindringen unbefugter Personen in die Geschäftsräume hintanzuhalten, nicht zu überzeugen, weil nach der allgemeinen Lebenserfahrung dieses Problem sehr wohl durch andere Maßnahmen wie z.B. üblicherweise durch eine Gegensprechanlage, lösbar sei. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, derartigen Maßnahmen stünde die Notwendigkeit einer persönlichen Beziehung zum Kunden entgegen und "ein Mensch aus Fleisch und Blut wäre durch solche Techniken nicht ersetzbar", könne nicht gefolgt werden. Zunächst erscheine dieses Vorbringen insofern nicht schlüssig, als ursprünglich ein Kundenempfang weder vorgesehen noch eingerichtet und daher offenbar zur Herstellung der persönlichen Beziehung zum Kunden nicht als zwingend erforderlich erachtet worden sei, sondern dieser nach Angaben der Beschwerdeführerin mit dem Zweck eingerichtet worden sei, Unbefugte am Betreten zu hindern. Darüber hinaus sei es aber auch nicht zulässig, ein allfälliges subjektives Interesse, das ein Kunde an einem Empfang durch "einen Menschen aus Fleisch und Blut" haben könnte, gegenüber öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Arbeitnehmern (im konkreten Fall gerade jener Arbeitnehmerin, die den Kunden empfangen solle) abzuwägen. Gleiches gelte für die Unzulässigkeit der Abwägung betrieblicher Erfordernisse bzw. wirtschaftlicher Interessen des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmerschutzvorschriften.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes müssen Arbeitsräume, soweit es die Art der Arbeitsvorgänge zuläßt oder nach der Zweckbestimmung der Räume möglich ist, natürlich belichtet sein. Diese Belichtung muß nach Maßgabe der in den Arbeitsräumen ausgeführten Tätigkeiten ausreichend und möglichst gleichmäßig sein; kann dies aus zwingenden, vor allem in den örtlichen Verhältnissen gelegenen Gründen, wie infolge der Anordnung der Arbeitsräume, nicht erreicht werden, müssen diese Räume zusätzlich künstlich beleuchtet werden. Das Arbeitsinspektorat kann bei Vorliegen sonstiger wichtiger Gründe Ausnahmen von den Bestimmungen des ersten Satzes zulassen. Wichtige Gründe liegen insbesondere dann vor, wenn dringend benötigte zusätzliche Arbeitsräume nur durch eine Ausnahmeregelung gewonnen werden können.
§ 8 AAV lautet:
"(1) Arbeitsräume müssen, soweit die Art der Arbeitsvorgänge oder die Zweckbestimmung des Raumes dem nicht entgegenstehen, ins Freie führende Lichteintrittsflächen, wie Fenster, Oberlichten oder Lichtkuppeln, besitzen, deren Summe mindestens ein Zehntel der Fußbodenfläche des Raumes betragen muß; mindestens eine etwa in Augenhöhe gelegene Sichtverbindung mit dem Freien in einer Größe von mindestens einem Zwanzigstel der Fußbodenfläche des Raumes muß vorhanden sein. Arbeitsräume müssen möglichst gleichmäßig natürlich belichtet sein. Lichteintrittsflächen müssen so beschaffen oder mit Einrichtungen ausgestattet sein, daß nachteilige Einwirkungen durch direktes Sonnenlicht auf die Arbeitnehmer vermieden sind.
(2) Wenn aus zwingenden, vor allem in den örtlichen Verhältnissen gelegenen Gründen, wie bei Gebäuden in dicht verbauten Ortskernen, eine ausreichende und möglichst gleichmäßige natürliche Belichtung der Arbeitsräume nicht erreicht werden kann, müssen die Arbeitsräume zusätzlich durch eine künstliche Beleuchtung erhellt sein, die den Erfordernissen des § 9 entsprechen muß.
(3) Das Arbeitsinspektorat kann bei Vorliegen wichtiger Gründe, wie bei dringend benötigten zusätzlichen Arbeitsräumen, über Antrag zulassen, daß Räume als Arbeitsräume verwendet werden, die nicht natürlich belichtet sind. In diesen Fällen müssen die Arbeitsräume durch eine künstliche Beleuchtung erhellt sein, die den Erfordernissen des § 9 entsprechen muß; sofern dies technisch durchführbar ist, muß auch eine Sichtverbindung mit dem Freien vorhanden sein."
Der Beschwerdeführerin ist einzuräumen, daß das Erfordernis einer natürlichen Belichtung der Arbeitsräume nach dem ersten Satz des § 3 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz (und dem diesem entsprechenden ersten Satz des § 8 Abs. 1 AAV) nur besteht, "soweit es die Art der Arbeitsvorgänge zuläßt oder nach der Zweckbestimmung der Räume möglich ist". Dieser Tatbestand liegt allerdings nur dann vor, wenn die Art der Arbeitsvorgänge oder die Zweckbestimmung der Räume an sich einer natürlichen Belichtung entgegensteht, also bei solchen Arbeitsvorgängen, bei denen Tageslicht aus technologischen Gründen ausgeschlossen ist, wie bei der Erzeugung von fotographischen Filmen oder von Fotopapier, sowie bei Räumen, die nach ihrer Zweckbestimmung keine Belichtung erhalten können, wie bei Tiefgaragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1992, Zl. 92/18/0105). Da diese Voraussetzungen auf eine Rezeption und die dort stattfindenden Arbeitsvorgänge nicht zutreffen, ist für die Beschwerdeführerin mit dem Hinweis auf die genannte Bestimmung nichts gewonnen. Im übrigen würde es, wäre der erwähnte Tatbestand erfüllt, der beantragten Ausnahmebewilligung nicht bedürfen.
Der Auslegung des ersten Satzes des § 8 Abs. 1 AAV durch die Beschwerdeführerin, diese Bestimmung enthalte keine Anordnung, daß die Lichteintrittsflächen "unmittelbar" ins Freie führen müßten, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen. Vielmehr ergibt sich - worauf die belangte Behörde in der Gegenschrift zutreffend verweist - aus dem Wortlaut dieser Bestimmung über "ins Freie führende" Lichteintrittsflächen zweifelsfrei, daß diese Lichteintrittsflächen "unmittelbar" ins Freie führen müssen. Daß solches im Beschwerdefall vorliegt, wird allerdings selbst von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Auch der im letzten Satz des § 8 Abs. 1 AAV geforderte Schutz vor "direktem Sonnenlicht" steht entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin der soeben dargelegten Auslegung des ersten Satzes leg. cit. nicht entgegen.
Soweit die Beschwerdeführerin aber darauf verweist, § 8 Abs. 2 sehe für den Fall einer nicht direkten natürlichen Belichtung keinesfalls vor, daß derartige Arbeitsräume nicht als solche verwendet werden dürften, genügt der Hinweis, daß diese Bestimmung (so wie § 3 Abs. 2 zweiter Satz Arbeitnehmerschutzgesetz) lediglich den Fall regelt, daß eine ausreichende natürliche Belichtung nicht gegeben ist und für diesen Fall zusätzlich eine künstliche Beleuchtung vorsieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. März 1994, Zl. 93/02/0218). Da dies auf den Beschwerdefall nicht zutrifft, mußte die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 AAV nicht weiter prüfen.
Bei der Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 Abs. 3 AAV ist ein strenger Maßstab anzulegen, soll doch vom Erfordernis der natürlichen Belichtung für Arbeitsräume nur in besonderen Fällen abgewichen werden, um nicht zu rechtfertigende Härten zu vermeiden (vgl. das von der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom 12. November 1992, Zl. 92/18/0364). Ein derartiger Härtefall wird mit dem in der Begründung des angefochtenen Bescheides wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin jedoch nicht dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie auf dem Boden des von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Erteilung der beantragten Ausnahmebewilligung verneint und demgemäß den entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen hat. Zutreffend verweist die belangte Behörde in der Gegenschrift darauf, daß das darüber hinausgehende Vorbringen, es handle sich im vorliegenden Fall um einen dringend benötigten zusätzlichen Arbeitsplatz, erstmals in der Beschwerde erstattet wurde, sodaß es sich hiebei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung handelt.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994020311.X00Im RIS seit
11.07.2001