Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des F in O, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 9. Mai 1995, Zl. VerkR-240.263/4-1995/Atz ad, betreffend Verweigerung eines Ausweises nach § 29b Abs. 4 StVO, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. Mai 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Ausweises für stark gehbehinderte Personen gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 29b Abs. 4 StVO abgewiesen. In der Begründung führt die belangte Behörde unter anderem aus, sie habe das Ermittlungsverfahren ergänzt und ein neuerliches amtsärztliches Gutachten eingeholt. Die beigezogene Amtssachverständige habe ausgeführt, es liege keine dauernd starke Gehbehinderung im Sinne der o.a. Bestimmung vor. Die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Gebiet der Orthopädie wurde für nicht erforderlich gehalten, weil durch die Untersuchung der Amtsärztin (Arzt für Allgemeinmedizin und abgeschlossenes Physikat), die auch die aktenkundigen Röntgenbefunde einer näher genannten Fachärztin für Radiologie zur Verfügung hatte, die Gehbehinderung ausreichend habe beurteilt werden können. Überdies wäre ein Röntgenapparat und ein Rolloskop für die Beurteilung der Gehbehinderung nicht maßgeblich. Auch der Hinweis auf die zeitweise Benützung von Stützkrücken lasse nicht von vornherein eine dauernde starke Gehbehinderung annehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 29b Abs. 4 erster Satz StVO hat die Behörde Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen.
Der Beschwerdeführer bringt vor, der angefochtene Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde seine "aktenkundige Behinderung" unrichtig als nicht dauernde Gehbehinderung qualifiziert habe. Es spreche schon die Tatsache für sich, daß das zuständige Landesinvalidenamt den Beschwerdeführer mit 70 % als invalid eingestuft habe. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den Invalidenakt beizuschaffen, um sich ein ausreichendes Bild daraus zu verschaffen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Auslegung des Gesetzesbegriffes der starken Gehbehinderung im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO darauf abzustellen, ob eine Person in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise ohne Aufwendung von überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen eine bestimmte Wegstrecke zurücklegen kann; ist sie dazu in der Lage, so wird eine festgestellte Gehbehinderung nicht als schwer im Sinne des Gesetzes anzusehen sein (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1995, Zl. 94/03/0295, m. w.N.). Die Einstufung einer Person mit einem bestimmten Grad an Invalidität durch das Landesinvalidenamt läßt jedoch keine Rückschlüsse darauf zu, ob eine dauernd starke Gehbehinderung im dargestellten Sinne vorliegt. Insbesondere legt der Beschwerdeführer mit seiner diesbezüglichen Rüge nicht dar, ob der Feststellung des Grades seiner Invalidität ein einschlägiges medizinisches Gutachten zugrunde gelegen ist, in dem eine derartige dauernde starke Gehbehinderung festgestellt wurde. Der Beschwerdeführer vermag somit nicht die Relevanz des gerügten Verfahrensmangels darzulegen.
Ferner bringt der Beschwerdeführer vor, er habe darauf hingewiesen, daß die der belangten Behörde beigegebene Amtsärztin eine praktische Ärztin sei und ihr gar nicht die Möglichkeit einer spezifischen orthopädischen Untersuchung zur Verfügung stehe. Sie besitze weder einen Röntgenapparat noch ein Rolloskop (= Apparatur zur Besichtigung von Röntgenbildern). Die Ärztin habe den Beschwerdeführer nicht "leiblich besehen" und untersucht und könne daher auch nicht die richtigen Schlußfolgerungen ziehen.
Dem ist entgegenzuhalten, daß laut dem in den Verwaltungsakten befindlichen Gutachten der beigezogenen ärztlichen Amtssachverständigen vom 14. Februar 1995 am Vortag eine amtsärztliche Untersuchung stattfand. Die Amtssachverständige konnte sich im wesentlichen bei ihrer Beurteilung auf bereits aktenkundige Röntgenbefunde einer entsprechenden Fachärztin beziehen, die vom Beschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens beigebracht wurden. Im Gutachten findet sich ferner ein Befund über den bei der Untersuchung am 13. Februar 1995 erhobenen Zustand der Behinderung im Bewegungsapparat des Beschwerdeführers. Es trifft daher entgegen der Behauptungen des Beschwerdeführers nicht zu, daß keine Untersuchung durch die Amtssachverständige stattgefunden hätte bzw. kein aktuelles Untersuchungsergebnis dem Gutachten zugrunde liegen würde. Weshalb das behauptete Fehlen eines Rolloskops in der Untersuchungsstelle der Amtsärztin angesichts der vom Beschwerdeführer auch schriftlich vorgelegten Untersuchungsberichte einer Fachärztin für Radiologie oder angesichts der angeführten Untersuchungen die zusätzliche Beiziehung eines Facharztes für Orthopädie wesentlich sein sollten, ist im Beschwerdefall für den Verwaltungsgerichtshof nicht einsichtig. Im übrigen ist es dem Beschwerdeführer freigestanden, bei entsprechenden Zweifeln an der sachlichen Richtigkeit des erstatteten Gutachtens der beigezogenen Amtsärztin durch Vorlage eines privaten Gutachtens den fachkundigen Ausführungen der medizinischen Sachverständigen, deren Schlüssigkeit und Vollständigkeit der Beschwerdeführer nicht zu widerlegen vermag, auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten, was jedoch unterblieben ist.
Verfehlt ist auch die offenbar schon im Verfahren vor der Behörde erster Instanz vorgebrachte Rüge betreffend die aus der Bedienung des Gaspedals eines privaten Kraftfahrzeuges abgeleitete Belastbarkeit des linken Beines des Beschwerdeführers, weil entsprechende Feststellungen von der Sachverständigen der belangten Behörde nicht (mehr) getroffen wurden und auch nicht in der Begründung des angefochtenen Bescheides Eingang gefunden haben.
Nach Ansicht des Beschwerdeführers spreche die Feststellung, er benötige gelegentlich Stützkrücken beim Gehen, für die Annahme einer dauernden starken Gehbehinderung. Wie der Beschwerdeführer mit dieser Ausführung selbst zu erkennen gibt, tritt diese stärkere Form der Einschränkung seiner Gehfähigkeit nur gelegentlich (und nicht dauernd) auf. Die Frage der "dauernden starken Gehbehinderung" ist aufgrund der hg. Judikatur durch einen ärztlichen Sachverständigen festzustellen. Eine derartige Feststellung ist jedoch durch die ärztlichen Sachverständigen im Zuge des Verwaltungsverfahrens nicht erfolgt.
Aus den dargelegten Erwägungen erweist sich die Beschwerde somit insgesamt als nicht begründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten Gutachten Verwertung aus anderen VerfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995020284.X00Im RIS seit
12.06.2001