Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §47;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Höß und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Beschwerde der Ö-Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 3. Oktober 1995, Zl. 6702 B/148 6233/PE, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. Oktober 1995 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Persönliche Dienste - Gastgewerbe vom 26. Juli 1995 - mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz abgelehnt worden war - gemäß "§ 63 Abs. 5 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), BGBl. Nr. 51/1991" (richtig wohl: in der Fassung BGBl. Nr. 471/1995) als verspätet zurück.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, sie habe festgestellt, daß der erstinstanzliche Bescheid "laut Zustellungsnachweis" am 1. August 1995 zugestellt worden sei. Demnach habe die Berufungsfrist am 16. August 1995 geendet. Die erst am 31. August 1995 eingebrachte Berufung sei daher verspätet erhoben worden.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen nach in dem Recht auf meritorische Behandlung ihrer Berufung verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes macht die Beschwerdeführerin im wesentlichen geltend, die belangte Behörde habe zur Rechtzeitigkeit ihrer Berufung bzw. der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges (betreffend die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides) kein Parteiengehör gewährt. Aus dem Zustellnachweis ergebe sich nur die Hinterlegung der Sendung. Ob diese Zustellung rechtmäßig vorgenommen worden sei, habe die belangte Behörde nicht ermittelt. In der Tat sei es nämlich so gewesen, daß die Beschwerdeführerin bzw. deren Vertreter im Zeitpunkt der Zustellung sich nicht im Inland aufgehalten habe. Von seiner Auslandsreise sei der Vertreter der Beschwerdeführerin "erst Wochen" nach dem Zustellvorgang zurückgekehrt. Ein zur Empfangnahme der Sendung befugter Angestellter sei im Unternehmen der Beschwerdeführerin nicht vorhanden gewesen. Die Hinterlegung sei daher gesetzwidrig erfolgt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 1988, Zl. 87/10/0077) hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des mit Berufung angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist, insbesondere ob die auf dem Rückschein vermerkten Daten den Tatsachen entsprechen. Die Behörde hat daher die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist dem Berufungswerber zur Stellungnahme vorzuhalten. Unterläßt sie dies, trägt sie das Risiko der Aufhebung des Bescheides wegen unterlaufener Verfahrensmängel.
Die von der Beschwerdeführerin geübte Kritik erweist sich insoferne als berechtigt, als die belangte Behörde die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist der Beschwerdeführerin (vor Erlassung des Zurückweisungsbescheides) nicht zur Stellungnahme vorgehalten hat. Die Betrachtung des Verfahrensverlaufes zeigt, daß über die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides ein die gehörige äußere Form aufweisender Zustellnachweis vorliegt. Aus diesem Zustellnachweis geht hervor, daß am 28. Juli 1995 und am 31. Juli 1995 jeweils an der Abgabestelle in Wien II, S-Gasse 28, Zustellversuche erfolglos durchgeführt und danach schriftliche Verständigungen über die Ankündigung eines zweiten Zustellversuches bzw. über die Hinterlegung jeweils in das Hausbrieffach eingelegt wurden. Die Sendung wurde schließlich ab 1. August 1995 beim Zustellpostamt (1020) hinterlegt bzw. zur Abholung bereitgehalten.
Im Grunde des § 47 AVG ist die Beweiskraft von öffentlichen und Privaturkunden von der Behörde nach den Vorschriften der §§ 292 bis 294, 296, 310 und 311 ZPO zu beurteilen. Zufolge § 292 Abs. 1 ZPO begründen öffentliche Urkunden - dem § 22 des Zustellgesetzes entsprechende Zustellnachweise stellen öffentliche Urkunden im Sinne des § 292 Abs. 1 ZPO dar - vollen Beweis dessen, was darin unter anderem von der Urkundsperson bezeugt wird. Im Grunde des § 292 Abs. 2 ZPO ist der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. November 1992, Zl. 92/04/0163, und vom 7. Oktober 1993, Zl. 93/01/0638).
Die belangte Behörde hätte daher in Ansehung der den Lauf der Berufungsfrist betreffenden Tatsachen der Beschwerdeführerin durch Einräumung des Parteiengehörs Gelegenheit zur Erbringung eines allfälligen Gegenbeweises im dargelegten Sinne geben müssen. Nach dem in der Beschwerde erstatteten Vorbringen - mit diesem unterliegt die Beschwerdeführerin zufolge der Unterlassung des Parteiengehörs nicht dem aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitenden Neuerungsverbot - kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei Einhaltung der Verwaltungsvorschrift des § 37 AVG über den Zweck des Ermittlungsverfahrens, nämlich unter anderem den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995090305.X00Im RIS seit
20.11.2000