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82/01 Gesundheitsrecht, OrganisationsrechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z12Leitsatz
Gesetzwidrigkeit der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlicherklärung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020) idF ÖSG VO 2021 – soweit sie als Verordnung des Bundes in Geltung stand – mangels Zustimmung der Länder sowie auf Grund des Wegfalls der gesetzlichen Grundlage; keine Gesetzwidrigkeit der ÖSG VO 2020 – soweit die Bestimmung als Verordnung des Landes Niederösterreich in Geltung steht – mangels Bedenken gegen die Erlassung von Regelungen verschiedener kompetenzrechtlicher Angelegenheiten in einer "gemischten" Verordnung; keine Bedenken gegen die Erlassung der Verordnung durch die – weisungsgebundene – Gesundheitsplanungs GmbHSpruch
I. 1. In §23 Abs4 des Bundesgesetzes zur partnerschaftlichen Zielsteuerung-Gesundheit (Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz – G-ZG), BGBl I Nr 26/2017, werden die Wortfolgen "der Bundes-Zielsteuerungskommission nach Abs1 und" und "des ÖSG und" als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2023 in Kraft.
3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
II. Der Antrag, die §§18, 19 und 20 Abs1 und 2 des Bundesgesetzes zur partnerschaftlichen Zielsteuerung-Gesundheit (Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz – G-ZG), BGBl I Nr 26/2017, als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgewiesen.
III. Soweit sich der Gesetzesprüfungsantrag zu §17 NÖ Gesundheits- und Sozialfonds-Gesetz 2006 (NÖGUS-G 2006), LGBl für Niederösterreich Nr 134/2005, idF LGBl für Niederösterreich Nr 92/2017 auf die Wortfolge "des Österreichischen Strukturplanes Gesundheit oder" bezieht, wird er abgewiesen.
IV. Der Antrag, §10c Abs3 NÖ Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl für Niederösterreich Nr 170/1974, idF LGBl für Niederösterreich Nr 93/2017 als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgewiesen.
V. Im Übrigen werden die Gesetzesprüfungsanträge zurückgewiesen.
VI. 1. Die Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020), kundgemacht am 18. Februar 2021 unter Nr 2/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen/Strukturpläne Gesundheit), in der Fassung der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2021), kundgemacht am 21. Oktober 2021 unter Nr 7/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen/Strukturpläne Gesundheit), wird, soweit sie als Verordnung des Bundes in Geltung steht, als gesetzwidrig aufgehoben.
2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2023 in Kraft.
3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
VII. 1. Der Antrag auf Aufhebung von §4 der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020), kundgemacht am 18. Februar 2021 unter Nr 2/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen/Strukturpläne Gesundheit), wird, soweit diese Bestimmung als Verordnung des Landes Niederösterreich in Geltung steht, abgewiesen.
2. Der Antrag auf Aufhebung von Anlage 2 der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020), kundgemacht am 18. Februar 2021 unter Nr 2/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen/Strukturpläne Gesundheit), in der Fassung der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2021), kundgemacht am 21. Oktober 2021 unter Nr 7/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen/Strukturpläne Gesundheit), wird, soweit diese Bestimmung als Verordnung des Landes Niederösterreich in Geltung steht, abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anträge
1. Mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita bzw auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Anträgen begehrt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, der Verfassungsgerichtshof möge
"1. §§18, 19, 20 Abs1 und 2, 23 Abs1 zweiter, dritter und vierter Satz, Abs2 zweiter, dritter und vierter Satz und Abs4 bis 8 des Bundesgesetzes zur partnerschaftlichen Zielsteuerung-Gesundheit (Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz – G-ZG), BGBl I Nr 26/2017,
2. §3a Abs3a des Bundesgesetzes über Krankenanstalten und Kuranstalten (KAKuG), BGBl Nr 1/1957, idF BGBl I Nr 26/2017,
3. §17 NÖ Gesundheits- und Sozialfonds-Gesetz 2006 (NÖGUS-G 2006), LGBl Nr 134/2005 (LGSlg 9450), idF LGBl Nr 92/2017,
4. §10c Abs3 Niederösterreichisches Krankenanstaltengesetz (NÖ KAG), LGBl Nr 170/1974 (LGSlg 9440), idF LGBl Nr 93/2017,
als verfassungswidrig aufheben sowie
5. §4 der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020), kundgemacht am 18. Februar 2021 unter Nr 2/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen), und Anlage 2 der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020), kundgemacht am 18. Februar 2021 unter Nr 2/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen), in der Fassung der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2021), kundgemacht am 21. Oktober 2021 unter Nr 7/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen),
in eventu
§4 und Anlage 2 der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020), kundgemacht am 18. Februar 2021 unter Nr 2/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen), in der Fassung der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2021), kundgemacht am 21. Oktober 2021 unter Nr 7/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen),
in eventu
§4 und Anlage 2 der Verordnung der Gesundheitsplanungs GmbH zur Verbindlichmachung von Teilen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit 2017 (ÖSG VO 2020), kundgemacht am 18. Februar 2021 unter Nr 2/2021 im RIS (Sonstige Kundmachungen),
als gesetzwidrig aufheben."
II. Rechtslage
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. Die §§18 bis 30, §41 und §42 des Bundesgesetzes zur partnerschaftlichen Zielsteuerung-Gesundheit (Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz – G-ZG), BGBl I 26/2017, idF BGBl I 100/2018 (§§21, 23 sowie 29) und BGBl I 9/2022 (§41) lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"6. Abschnitt
Planung der österreichischen Gesundheitsversorgungsstruktur
Grundsätze der Planung
§18. (1) Die integrative Planung der österreichischen Gesundheitsversorgungs-struktur hat den von der Zielsteuerung-Gesundheit vorgegebenen Anforderungen zu entsprechen sowie auf Basis vorhandener Evidenzen und sektorenübergreifend zu erfolgen. Sie umfasst alle Ebenen und Teilbereiche der Gesundheitsversorgung und Nahtstellen zu angrenzenden Bereichen. Die integrative Planung hat insbesondere die folgenden Versorgungsbereiche zu umfassen:
1. Ambulanter Bereich der Sachleistung, d.h. niedergelassene Ärztinnen/Ärzte und Zahnärztinnen/-ärzte mit Kassenverträgen, Gruppenpraxen mit Kassenverträgen und sonstige in der Gesundheitsversorgung frei praktizierende Berufsgruppen mit
Kassenverträgen, selbstständige Ambulatorien mit Kassenverträgen einschließlich der eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger, Spitalsambulanzen;
2. akutstationärer Bereich und tagesklinischer Bereich (d.h. landesgesundheits-fondsfinanzierte Krankenanstalten und Unfallkrankenhäuser), sofern dieser aus Mitteln der Gebietskörperschaften und/oder der Sozialversicherung zur Gänze oder teilweise finanziert wird;
3. ambulanter und stationärer Rehabilitationsbereich mit besonderer Berücksichtigung des bedarfsgerechten Auf- und Ausbaus von Rehabilitationsangeboten für Kinder und Jugendliche.
(2) Als Rahmenbedingungen bei der integrativen Versorgungsplanung sind mit zu berücksichtigen:
1. Die Versorgungswirksamkeit von WahlärztInnen, WahltherapeutInnen, Sanatorien und sonstigen Wahleinrichtungen, sofern von diesen sozialversicherungs-rechtlich erstattungsfähige Leistungen erbracht werden;
2. der Sozialbereich, soweit dieser im Rahmen des Nahtstellenmanagements und hinsichtlich komplementärer Versorgungsstrukturen (im Sinne 'kommunizierender Gefäße') für die Gesundheitsversorgung von Bedeutung ist (z. B. psychosozialer Bereich, Pflegebereich);
3. das Rettungs- und Krankentransportwesen (inklusive präklinischer Notfallversorgung) im Sinne bodengebundener Rettungsmittel und Luftrettungsmittel (sowohl inklusive als auch exklusive der notärztlichen Komponente) sowie der Krankentransportdienst.
(3) Die integrative Versorgungsplanung hat die Beziehungen zwischen allen in Abs1 und 2 genannten Versorgungsbereichen zu berücksichtigen. Im Sinne von gesamtwirtschaftlicher Effektivität und Effizienz der Gesundheitsversorgung haben Teilbereichsplanungen die Wechselwirkung zwischen den Teilbereichen dahingehend zu berücksichtigen, dass die gesamtökonomischen Aspekte vor den ökonomischen Aspekten des Teilbereiches ausschlaggebend sind.
(4) Die integrative Versorgungsplanung hat patientenorientiert zu erfolgen. Die Versorgungsqualität ist durch das Verschränken der Gesundheitsstrukturplanung mit einzuhaltenden Qualitätskriterien sicherzustellen.
(5) Die integrative Versorgungsplanung hat insbesondere das Ziel einer schrittweisen Verlagerung der Versorgungsleistungen von der akutstationären hin zu tagesklinischer und ambulanter Leistungserbringung im Sinne der Leistungserbringung am jeweiligen 'Best Point of Service' unter Sicherstellung hochwertiger Qualität zu verfolgen.
(6) Eine möglichst rasche und lückenlose Behandlungskette ist durch verbessertes Nahtstellenmanagement und den nahtlosen Übergang zwischen den Einrichtungen bzw den Bereichen, ua durch gesicherten Informationstransfer mittels effektiven und effizienten Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien, sicherzustellen.
(7) Die integrative Versorgungsplanung hat entsprechend den Prinzipien der Ziel-steuerung-Gesundheit insbesondere folgende Prioritäten zu setzen:
1. Reorganisation aller in Abs1 angeführten Bereiche in Richtung eines effektiveren und effizienteren Ressourceneinsatzes.
2. Stärkung des ambulanten Bereichs insbesondere durch rasche flächendeckende Entwicklung von Primärversorgungsstrukturen und ambulanten Fachversorgungs-strukturen, wobei in der Umsetzung vor allem bestehende Vertragspartner berücksichtigt werden.
3. Weiterentwicklung des akutstationären und tagesklinischen Bereichs: insbesondere durch Bündelung komplexer Leistungen an geeigneten Standorten, die Überwindung von kleinteiligen Organisationsformen.
4. Ausbau einer österreichweit gleichwertigen, flächendeckenden abgestuften Versorgung im Palliativ- und Hospizbereich für Erwachsene sowie für Kinder und Jugendliche; im Rahmen der Umsetzung integrierter Palliativ- und Hospizversorgung hat eine Abstimmung zwischen Gesundheits- und Sozialbereich sowie der Sozialversicherung zu erfolgen.
5. Gemeinsame überregionale und sektorenübergreifende Planung der für die vorgesehenen Versorgungsstrukturen und -prozesse erforderlichen Personalressourcen unter optimaler Nutzung der Kompetenzen der jeweiligen Berufsgruppen.
6. Sicherstellung einer nachhaltigen Sachleistungsversorgung.
Österreichischer Strukturplan Gesundheit und Regionale Strukturpläne
Gesundheit
§19. (1) Die zentralen Planungsinstrumente für die integrative Versorgungsplanung sind der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG) und die Regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG). Der ÖSG ist gemäß der Vereinbarung gemäß Art15