Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte
Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Rutter, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Juni 1995, Zl. SD 666/95, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. Juni 1995 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei unbestrittenermaßen am 13. Dezember 1994 vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1 und 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, 13 Monate davon bedingt auf drei Jahre Probezeit, rechtskräftig verurteilt worden. Damit lägen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG vor. Das der Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung rechtfertigten auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme.
Angesichts der Tatsache, daß der Beschwerdeführer seit seinem dritten Lebensjahr gemeinsam mit seiner gesamten Familie im Bundesgebiet lebe, liege ohne Zweifel ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener schwerwiegender Eingriff in sein Privat- und Familienleben i.S. des § 19 FrG vor. Dessen ungeachtet sei aber die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten. Dem Beschwerdeführer lägen zwei Raubüberfälle auf offener Straße zur Last. In beiden Fällen habe der Beschwerdeführer in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit anderen Mittätern die Opfer unter Verwendung einer Gaspistole beraubt. Aufgrund der Schwere dieser Straftaten und der darin zum Ausdruck kommenden krassen Mißachtung der körperlichen Sicherheit und des Eigentums anderer Menschen sei das Aufenthaltsverbot gegen ihn zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) dringend geboten und somit als zulässig i.S. des § 19 FrG anzusehen.
Im Lichte dieser Beurteilung habe auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausschlagen müssen. Auch wenn die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie in Anbetracht des hohen Grades an Integration, den sowohl er selbst als auch seine Familie aufweise, als erheblich zu werten seien, gelange die belangte Behörde zur Auffassung, daß diese Umstände nicht schwerer wögen als die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen. Auch eine Facharbeiterausbildung während der Strafhaft sei nicht geeignet, den für einen Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechenden Interessen ein Übergewicht zu verschaffen, abgesehen davon, daß diese Ausbildung noch nicht abgeschlossen sei.
Da somit die Voraussetzungen der §§ 19 und 20 Abs. 1 leg. cit. nicht vorlägen, sei das Aufenthaltsverbot zu Recht erlassen worden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die - zutreffende - Rechtsansicht der belangten Behörde, daß die rechtskräftige gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirkliche, und daß das dieser Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertige, unbekämpft.
2.1. Die Beschwerde hält indes die von der belangten Behörde vorgenommene Abwägung der öffentlichen Interessen an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes einerseits und den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an seinem Verbleiben in Österreich andererseits "selbst im Hinblick auf den im angefochtenen Bescheid festgestellten Sachverhalt" für im Ergebnis verfehlt. Die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen seien durch den Weiterverbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet "weder gefährdet noch verletzt". Die vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen stellten zwar einen gewichtigen Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar; zur Abwehr bzw. Hintanhaltung von Straftaten seien jedoch die "Institute des gerichtlichen Strafverfahrens und der gerichtlichen Strafe" entwickelt worden. Wolle man nicht die Urteilsfähigkeit des Jugendgerichtshofes Wien, der die Strafe unter dem Gesichtspunkt des absoluten Vorranges des Strafzweckes der Spezialprävention zu verhängen gehabt habe, in Zweifel ziehen, so sei davon auszugehen, daß allein die Verhängung der Strafe iVm dem drohenden Widerruf der bedingten Strafnachsicht für den Fall der neuerlichen Begehung einer strafbaren Handlung völlig ausreiche, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Den öffentlichen Interessen, insbesondere am Schutz der Bevölkerung vor strafbaren Handlungen, werde durch die gerichtliche Verurteilung ausreichend Rechnung getragen.
2.2. Der Gerichtshof vermag der Auffassung des Beschwerdeführers nicht beizupflichten. Konsequent zu Ende gedacht würden die der Beschwerde angestellten Überlegungen dazu führen, daß im Fall von rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen von jugendlichen Fremden zu einer Freiheitsstrafe selbst in einem gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG relevanten Ausmaß für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - unter der Voraussetzung eines im Grunde des § 19 FrG bedeutsamen Eingriffes in das Privat- oder Familienleben des Fremden - vielfach kein Raum mehr wäre: Die vom Gericht in Verfolgung des primären Zweckes des Jugendstrafrechtes, den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 5 Z. 1 JGG), verhängte Freiheitsstrafe würde in zahlreichen Fällen dazu führen, die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes allein deswegen als im Grunde des § 19 FrG unzulässig, weil zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele nicht notwendig, zu erachten. Eine derartige Rechtsfolge fände weder im Wortlaut noch in der Systematik der §§ 18 und 19 FrG Deckung. Vielmehr entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, daß die zur Vollziehung des Fremdengesetzes zuständige Behörde bei der Prüfung der Frage, ob die von einem Fremden begangene Straftat die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertige, nicht an die für die Gewährung bedingter Strafnachsicht maßgeblichen Erwägungen des Gerichtes gebunden ist; sie hat diese Frage vielmehr eigenständig und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 7. September 1995, Zl. 95/18/0133, und vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1170, jeweils mwN). Gleiches hat für die Frage des Dringend-geboten-seins eines Aufenthaltsverbotes nach § 19 FrG zu gelten, wobei sich das Nicht-gebunden-sein der Fremdenbehörde auch auf die Erwägungen des Gerichtes bei der Anwendung der für die Ahndung von Jugendstraftaten richtunggebenden Bestimmung des § 5 Z. 1 JGG bezieht.
Von daher gesehen ist die von der belangten Behörde - unter der zutreffenden Annahme des Vorliegens eines mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen i.S. des § 19 FrG relevanten Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers - mit Blick auf die Erfordernisse des Fremdengesetzes getroffene Beurteilung, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer dringend geboten sei, unbedenklich. Auf der Basis der durch die in den Verwaltungsakten einliegende Urteilsausfertigung gedeckten Feststellung, daß der Verurteilung des Beschwerdeführers zwei in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit zwei weiteren Tätern unter Verwendung einer Waffe (Gaspistole) durchgeführte räuberische Überfälle zugrunde gelegen seien, ist der Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe solcherart ein Verhalten gesetzt, welches eine krasse Mißachtung der körperlichen Integrität und des Eigentums anderer zum Ausdruck bringe, zuzustimmen. Im Hinblick auf diese gravierende Beeinträchtigung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Gewaltverbrechen kann dem daraus gezogenen Schluß der belangten Behörde, daß die Verhängung des Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen (konkret: zur Verhinderung strafbarer Handlungen; zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten und demnach im Grunde des § 19 FrG zulässig sei, auch unter Bedachtnahme auf die erheblichen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.
3.1. Nach Ansicht des Beschwerdeführers erweist sich das Aufenthaltsverbot auch deshalb als unzulässig, weil die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung nicht ausreichend auf den hohen Grad der Integration des Beschwerdeführers und seiner Familie Bedacht genommen habe.
3.2. Auch dieser Vorwurf wird zu Unrecht erhoben. Die belangte Behörde hat das Ausmaß der Integration sowohl des Beschwerdeführers als auch seiner Familie als erheblich gewertet und zugunsten des Beschwerdeführers veranschlagt. Allerdings war hiebei zu berücksichtigen, daß die aus dem langen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbare Integration eine nicht unbeträchtliche Minderung aufgrund der Beeinträchtigung der dafür wesentlichen sozialen Komponente durch die schweren Straftaten erfahren hat (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die bereits genannten Erkenntnisse Zl. 95/18/0133 und Zl. 95/18/1170 sowie das Erkenntnis vom 21. Dezember 1995, Zl. 95/18/1164). Wenn die belangte Behörde trotz der - ungeachtet der vorbezeichneten Einschränkung - insgesamt betrachtet gewichtigen, für einen weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers sprechenden Interessen den gegenläufigen maßgeblichen öffentlichen Interessen ein noch größeres Gewicht zugemessen hat, so kann darin angesichts der oben (II.2.2.) dargestellten erheblichen Gefährdung der letzteren durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers kein rechtswidriges Abwägungsergebnis erblickt werden.
4.1. Auf dem Boden der vorstehenden Ausführungen geht die Verfahrensrüge, wonach die belangte Behörde bei der Interessenabwägung gemäß §§ 19, 20 FrG nicht hinreichend auf die "Umstände der Anlaßtat" Rücksicht genommen habe, ins Leere.
4.2. Gegen die Annahme der Beschwerde, daß die belangte Behörde "das zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung aktuelle Lebensalter des Beschwerdeführers von erst 17 Jahren" nicht berücksichtigt habe, spricht die ausdrückliche Anführung des - im übrigen aktenkundigen - Geburtsdatums des Beschwerdeführers im "Vorspruch" des angefochtenen Bescheides.
Die in diesem Zusammenhang geäußerte Beschwerdemeinung, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers und dessen dadurch bewirkter Trennung von seiner Familie, insbesondere seinem gesetzlichen Vertreter, unzulässig sei, ist in dieser pauschalen Form verfehlt. Wenngleich auf diese Umstände bei der Interessenabwägung Bedacht zu nehmen ist, stehen sie einem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, wenn sie (allenfalls im Zusammenhalt mit weiteren zugunsten des Fremden zu berücksichtigenden Umständen) - was von der belangten Behörde im Beschwerdefall zutreffend bejaht wurde - die gegenläufigen maßgeblichen öffentlichen Interessen nicht überwiegen.
Inwiefern bei der von der belangten Behörde vorgenommenen Abwägung das ihr vorgeworfene Versäumnis, festzustellen, daß die Schwester des Beschwerdeführers seine gesetzliche Vertreterin und diese österreichische Staatsbürgerin sei, für den Ausgang des Verfahrens von Relevanz gewesen sein könnte, wird in der Beschwerde nicht dargetan.
5. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996180042.X00Im RIS seit
11.07.2001