TE Vfgh Beschluss 1994/3/8 G276/92, V120/92

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Veröffentlicht am 08.03.1994
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Index

80 Land-und Forstwirtschaft
80/05 Pflanzenschutz, Schädlingsbekämpfung

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
PflanzenschutzmittelG §35 Abs3

Leitsatz

Zurückweisung der Individualanträge von Zulassungsinhabern von Pflanzenschutzmitteln auf Aufhebung von Bestimmungen des PflanzenschutzmittelG über das - durch Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft zu konkretisierende - Erlöschen zugelassener Pflanzenschutzmittel mangels Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller

Spruch

1. Die Anträge nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG werden zurückgewiesen.

2. Hingegen wird von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des §35 Abs3 sowie der Worte "mit gleichem Wirkstoff" und "und zweiter" in §35 Abs8 des Bundesgesetzes vom 5. Juli 1990 über den Verkehr mit Pflanzenschutzmitteln (Pflanzenschutzmittelgesetz - PMG), BGBl. Nr. 476, gemäß Art140 Abs1 B-VG geprüft.

3. Das Verordnungsprüfungsverfahren wird nach Abschluß des Gesetzesprüfungsverfahrens fortgesetzt werden.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragstellerinnen begehren gemäß Art140 Abs1 und 139 Abs1 B-VG die Aufhebung des zweiten Satzes in §35 Abs3 des Bundesgesetzes vom 5. Juli 1990 über den Verkehr mit Pflanzenschutzmitteln (Pflanzenschutzmittelgesetz - PMG), BGBl. 476, in eventu des ersten und zweiten Satzes in §35 Abs3 PMG wegen Verfassungswidrigkeit, sowie der §§1 Z2, 2 Z2 und 3 Z2 der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft über das Erlöschen der Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit gleichem Wirkstoff (Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung), BGBl. 626/1992, in eventu der §§1 Z2, 2 Z2 und 3 Z2 dieser Verordnung iVm der Anlage zu diesen Bestimmungen, in eventu der gesamten Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit. Für den Fall der Zurückweisung des Gesetzesprüfungsantrages regen die Antragstellerinnen die amtswegige Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich des zweiten Satzes in §35 Abs3 PMG bzw. des ersten und zweiten Satzes in § 35 Abs3 PMG im Zuge des Verordnungsprüfungsverfahrens an.

Die antragstellenden Gesellschaften seien Zulassungsinhaber bzw. Vertriebsunternehmer mehrerer Pflanzenschutzmittel. Durch §35 Abs3 erster Satz PMG iVm den §§1 Z1, 2 Z1 und 3 Z1 (samt Anlage) der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung würden die auf Grund des (alten) PflanzenschutzG erteilten Zulassungen in einer bestimmten zeitlichen Stufenfolge erlöschen. Diese zunächst nur auf die Pflanzenschutzmittelregister-Nummern abgestellten Zeitpunkte des Erlöschens, deren Verfassungskonformität von den Antragstellerinnen nicht angezweifelt wird (s. S 27 des Antrages), würden durch §35 Abs3 zweiter Satz PMG iVm den §§1 Z2, 2 Z2 und 2 Z3 (samt Anlage) der zitierten Verordnung durchbrochen. Durch diese Regelungen betreffend das Erlöschen der nach dem (alten) PflanzenschutzG unbefristet erteilten Zulassungen werde in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen nachteilig eingegriffen. Von einer bloß wirtschaftlichen Beeinträchtigung könne schon deswegen nicht gesprochen werden, weil ihnen durch die Zulassung der jeweiligen Pflanzenschutzmittel ein Recht verliehen worden sei, das nun durch die angefochtenen Regelungen zu einem bestimmten Zeitpunkt entzogen werde. Dieser Eingriff trete unmittelbar durch das Gesetz bzw. durch die Verordnung ein; ein zumutbarer anderer Weg, die Frage der Rechtswidrigkeit der angefochtenen generellen Normen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, bestehe nicht.

2. Die Bundesregierung hat in ihrer im Gesetzesprüfungsverfahren erstatteten Äußerung begehrt, den Antrag mangels Legitimation zurückzuweisen, in eventu auszusprechen, daß die Bestimmungen nicht verfassungswidrig sind.

3. Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft hat in seiner im Verordnungsprüfungsverfahren erstatteten Äußerung beantragt, die Beschwerde (gemeint offenkundig: die Anträge im Sinne des Art139 Abs1 B-VG) als unbegründet abzuweisen.

II. Zur Rechtslage:

1. Bestimmungen des Pflanzenschutzmittelgesetzes - PMG:

"Zulassung

§8. (1) Einem Antrag auf Zulassung ist vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft mit Bescheid stattzugeben, wenn das Pflanzenschutzmittel

1. nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung unter Bedachtnahme auf Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes hinreichend wirksam ist und

2. nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung oder als Folge einer solchen Anwendung

a) keine unmittelbar schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen haben und zu keinen Beeinträchtigungen führen kann, mit denen schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, insbesondere über die Nahrung, über die Nahrungskette oder über das Trinkwasser verbunden sind,

b) zu keinen unvertretbaren Beeinträchtigungen der Umwelt führen kann und

c) keine schädlichen Auswirkungen auf zu schützende Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse haben kann und

3. keine gemäß §7 Abs1 ausgeschlossene Handelsbezeichnung aufweist.

(2) Die Zulassung ist, soweit es zur Erreichung der im Abs1 genannten Zulassungsvoraussetzungen erforderlich ist, mit Bedingungen und Auflagen, die insbesondere die Zusammensetzung und Beschaffenheit, die Anwendungsbestimmungen, die Einstufung nach den gefährlichen Eigenschaften des Pflanzenschutzmittels gemäß §2 Abs5 ChemG, allfällige weitere toxische und ökotoxische Wirkungen, die Reinheit der Wirkstoffe, die sonstige Kennzeichnung und die Handelspackungen betreffen können, zu erteilen. Überdies ist im Zulassungsbescheid die Pflanzenschutzmittelregister-Nummer (§16 Abs1) anzugeben.

...

Erneuerung der Zulassung

§13. (1) Ein Antrag auf Erneuerung der Zulassung ist vom Zulassungsinhaber spätestens ein Jahr, frühestens zwei Jahre vor Erlöschen der Zulassung durch Zeitablauf bei sonstiger Zurückweisung zu stellen. Der bisherige Zulassungsbescheid gilt bis zur rechtskräftigen Erledigung des Antrages auf Erneuerung weiter.

...

Übergangsbestimmungen

§35. (1) Die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes nach dem Pflanzenschutzgesetz oder nach dem Forstgesetz 1975 genehmigten und im bei der Bundesanstalt für Pflanzenschutz geführten Register der zugelassenen Pflanzenschutzmittel eingetragenen Pflanzenschutzmittel sind nach Maßgabe der Abs2 bis 4 gemäß §8 Abs1 zugelassen.

(2) Die Nummern, unter der die im Abs1 genannten Pflanzenschutzmittel in das bei der Bundesanstalt für Pflanzenschutz geführte Register der zugelassenen Pflanzenschutzmittel eingetragen sind, gelten als Pflanzenschutzmittelregister-Nummern nach diesem Bundesgesetz. Die auf Grund des Pflanzenschutzgesetzes oder des Forstgesetzes 1975 oder darauf beruhender Verwaltungsakte vorgeschriebene chemische und physikalische Beschaffenheit der im Abs1 genannten Pflanzenschutzmittel gilt als zugelassene Zusammensetzung und Beschaffenheit, die auf Grund dieser Vorschriften festgesetzten Anwendungsbestimmungen gelten als zugelassene Anwendungsbestimmungen nach diesem Bundesgesetz. Die der Genehmigung nach dem Pflanzenschutzgesetz oder dem Forstgesetz 1975 entsprechende Bezeichnung der im Abs1 genannten Pflanzenschutzmittel gilt als Handelsbezeichnung nach diesem Bundesgesetz. Die in Genehmigungsbescheiden nach dem Pflanzenschutzgesetz oder dem Forstgesetz 1975 vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen gelten als Bedingungen und Auflagen gemäß §8 Abs2 dieses Bundesgesetzes, insoweit sie nicht den Bestimmungen der §§2 Abs5, 17, 18, 23, 24, 27 und 33 ChemG und den darauf beruhenden Verwaltungsakten widersprechen. In jedem Fall sind die im Abs1 genannten Pflanzenschutzmittel bis zu ihrer Einstufung auf Grund des §8 Abs2 entsprechend den §§2 Abs5 und 17 ChemG und den darauf beruhenden Verwaltungsakten einzustufen und entsprechend dieser Einstufung gemäß §14 Abs1 und 4 zu kennzeichnen.

(3) Die Zulassung erlischt für die im Abs1 genannten Pflanzenschutzmittel mit den Pflanzenschutzmittelregister-Nummern

1.

1 bis 500 drei Jahre,

2.

501 bis 1000 sechs Jahre,

3.

1001 bis 1500 acht Jahre und

4.

ab 1501 bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes vergebenen Pflanzenschutzmittelregister-Nummern zehn Jahre

nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes.

Wenn jedoch ein Pflanzenschutzmittel einer höheren Pflanzenschutzmittelregister-Nummer den gleichen Wirkstoff wie ein Pflanzenschutzmittel einer niedrigeren Pflanzenschutzmittelregister-Nummer hat, so erlischt die Zulassung bereits mit dem Zeitpunkt, der für das Pflanzenschutzmittel der niedrigeren Pflanzenschutzmittelregister-Nummer im ersten Satz festgesetzt ist, sofern nicht §13 in Verbindung mit Abs4 erster Satz anderes bestimmt. ...

(4) Im übrigen gelten für die im Abs1 genannten Pflanzenschutzmittel die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes mit der Maßgabe, daß für Anträge auf Erneuerung der Zulassung §6 im vollen Umfang anzuwenden ist. Solange die Zulassung noch nicht erneuert wurde, hat die Kennzeichnung einen Hinweis zu enthalten, daß die Kennzeichnungselemente des §14 Abs1 Z2, 5 bis 11 und 17 nicht nach diesem Bundesgesetz bewertet wurden. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits im Handel befindliche Pflanzenschutzmittel dürfen ohne diesen Hinweis noch innerhalb von zwölf Monaten nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes verkauft werden.

...

(8) Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft hat die im Abs1 genannten Pflanzenschutzmittel mit gleichem Wirkstoff unter Angabe der Handelsbezeichnungen und der Pflanzenschutzmittelregister-Nummern sowie unter Angabe des im Abs3 erster und zweiter Satz vorgesehenen Zeitpunktes des Erlöschens ihrer Zulassung im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

...

Vollziehung

§38. (1) Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist, sofern Abs2 nicht anderes bestimmt, der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betraut, und zwar

...

3. hinsichtlich der gemäß §§3 Abs2, 6 Abs7, 10 Abs3 und 35 Abs6 und 8 zu erlassenden Verordnungen im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler und dem Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie,

..."

2. Zur Systematik des PMG:

Voraussetzung für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln ist die Zulassung. Im Zulassungsverfahren werden nicht nur die schädlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt geprüft; vielmehr wird auch untersucht, ob im Hinblick auf die genannten Einsatzzwecke eine hinreichende Wirksamkeit gegeben ist. Hiebei enthält das PMG in seinem §35 Übergangsbestimmungen für die gemäß den Bestimmungen des III. Teiles des Pflanzenschutzgesetzes, BGBl. 124/1948, zugelassenen Pflanzenschutzmittel: Wesentlich ist im gegebenen Zusammenhang, daß diese Zulassungen gemäß §35 Abs3 erster Satz PMG abhängig von der Höhe der Pflanzenschutzmittelregister-Nummer in einer bestimmten zeitlichen Stufenfolge erlöschen, sofern der Zulassungsinhaber nicht spätestens ein Jahr, frühestens zwei Jahre vor Erlöschen der Zulassung durch Zeitablauf einen Antrag auf Erneuerung der Zulassung stellt (§35 Abs4 erster Satz iVm §13 Abs1 letzter Satz PMG); für derartige Anträge auf Erneuerung der Zulassung sind materiell die Bestimmungen des PMG über die erstmalige Zulassung anzuwenden.

Die in §35 Abs3 erster Satz PMG (grundsätzlich) angeordnete Reihenfolge des Erlöschens der Zulassungen durch Zeitablauf wird gemäß §35 Abs3 zweiter Satz PMG durchbrochen; danach erlischt die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels einer höheren (also jüngeren) Pflanzenschutzmittelregister-Nummer, das den gleichen Wirkstoff wie ein Pflanzenschutzmittel einer niedrigeren Pflanzenschutzmittelregister-Nummer enthält, bereits mit dem Zeitpunkt, der für das Pflanzenschutzmittel der niedrigeren (also älteren) Pflanzenschutzmittelregister-Nummer in §35 Abs3 erster Satz PMG festgesetzt ist; wird ein Antrag auf Erneuerung der Zulassung gestellt, so verlängert sich jedoch auch in diesem Fall die Zulassung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag (§35 Abs3 zweiter Satz iVm den §§13, 35 Abs4 erster Satz PMG).

3. Bestimmungen der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung (von einer Wiedergabe der Anlagen wird abgesehen):

"Auf Grund des §35 Abs8 und des §38 Abs1 Z3 des Pflanzenschutzmittelgesetzes - PMG, BGBl. Nr. 476/1990, wird im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz und dem Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie verordnet:

§1. Es erlöschen die Zulassungen der

1. in Anlage 1 Teil A genannten Pflanzenschutzmittel gemäß §35 Abs1 in Verbindung mit Abs3 erster Satz Z1

2. in Anlage 1 Teil B genannten Pflanzenschutzmittel gemäß §35 Abs1 in Verbindung mit Abs3 zweiter Satz

mit Ablauf des 31. Juli 1994.

§2. Es erlöschen die Zulassungen der

1. in Anlage 2 Teil A genannten Pflanzenschutzmittel gemäß §35 Abs1 in Verbindung mit Abs3 erster Satz Z2

2. in Anlage 2 Teil B genannten Pflanzenschutzmittel gemäß §35 Abs1 in Verbindung mit Abs3 zweiter Satz Pflanzenschutzmittelgesetz

mit Ablauf des 31. Juli 1997.

§3. Es erlöschen die Zulassungen der

1. in Anlage 3 Teil A genannten Pflanzenschutzmittel gemäß §35 Abs1 in Verbindung mit Abs3 erster Satz Z3

2. in Anlage 3 Teil B genannten Pflanzenschutzmittel gemäß §35 Abs1 in Verbindung mit Abs3 zweiter Satz Pflanzenschutzmittelgesetz

mit Ablauf des 31. Juli 1999.

§4. Es erlöschen die Zulassungen der in Anlage 4 genannten Pflanzenschutzmittel gemäß §35 Abs1 in Verbindung mit Abs3 erster Satz Z4 Pflanzenschutzmittelgesetz mit Ablauf des 31. Juli 2001."

III. Zur Zulässigkeit der Anträge:

1.a) Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation, daß das Gesetz die Rechtssphäre der betreffenden Person berührt, daß es in deren Rechtssphäre eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Anfechtungsberechtigt ist also von vornherein nur ein Normadressat. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu; es ist darüberhinaus erforderlich, daß der Eingriff in die Rechtssphäre der betreffenden Person nicht etwa a u f G r u n d des angefochtenen Gesetzes erfolgt ist, sondern unmittelbar d u r c h das Gesetz selbst. Ein solcher Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist und die (rechtlich geschützten) Interessen der betreffenden Person nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt. Die Entstehungsgeschichte der B-VG-Novelle BGBl. 302/1975 läßt ferner den Schluß zu, daß der durch diese Novelle eingeführte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht. An Hand dieses Kriteriums ist - neben den anderen Kriterien - im Einzelfall zu prüfen, ob die Legitimation zur Antragstellung zu bejahen ist.

b) Die Bundesregierung vertritt in ihrer Äußerung die Ansicht, die Bestimmung des §35 Abs3 zweiter Satz PMG bedürfe im Hinblick auf die Vollziehungsklausel des §38 Abs1 Z3 PMG (Verordnungserlassungskompetenz des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler (jetzt: Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) und dem Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie) einer Konkretisierung durch Durchführungsverordnung. Demgegenüber vertreten die Antragstellerinnen die Auffassung, daß §35 Abs3 PMG für sie unmittelbare Wirksamkeit entfalte, weil sich das Erlöschen der Zulassung bereits in eindeutiger Weise aus dem Gesetz selbst ergebe.

c) Die Auffassung der Antragstellerinnen trifft nicht zu.

Zwar enthalten Wortlaut und Systematik von §35 Abs3 PMG gewisse Anhaltspunkte für die Annahme, daß das Erlöschen der Zulassungen gemäß §35 Abs3 erster und zweiter Satz PMG ex lege eintreten sollte. Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, daß §35 Abs8 PMG eine Pflicht des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft zur Erlassung einer Verordnung normiert ("Der Bundesminister ... hat ... kundzumachen."), in welcher ua. der Zeitpunkt des Erlöschens der Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit gleichem Wirkstoff im Bundesgesetzblatt kundzumachen ist. Damit hat der Gesetzgeber das Erlöschen der Zulassungen solcher Pflanzenschutzmittel von der Erlassung einer diese Bestimmung konkretisierenden Verordnung abhängig gemacht. Ein Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen tritt somit, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit §35 Abs 8 und §38 Abs1 Z3 PMG ergibt, erst mit der Durchführungsverordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft ein (vgl. auch die Judikatur zur Unzulässigkeit einer unmittelbaren Anfechtung von Verordnungsermächtigungen, zB VfSlg. 8212/1977, 11579/1987, 11580/1987, 11824/1988 mwH).

Da §35 Abs3 erster und zweiter Satz PMG somit nicht in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen eingreift, sind die gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestellten Anträge mangels Legitimation zurückzuweisen.

2.a) Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, wobei die Voraussetzungen für die Zulässsigkeit eines solchen Individualantrages jenen für Individualanträge iS des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG entsprechen.

b) Die Antragstellerinnen sind als Zulassungsinhaberinnen von in den Anlagen zur Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung genannten Pflanzenschutzmitteln mit gleichem Wirkstoff Normadressaten der §§1 Z2, 2 Z2 und 3 Z2 Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung. Die Zulassungen erlöschen zu den in den §§1 bis 3 der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung festgesetzten Zeitpunkten unmittelbar durch diese Verordnung; dieser Eingriff ist nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt und beeinträchtigt die (rechtlich geschützten) Interessen der Antragstellerinnen nicht bloß potentiell, sondern aktuell: So ist es schon heute ausgeschlossen, über die in den §§1 bis 3 der Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung festgelegten Zeitpunkte des Erlöschens der Zulassungen hinaus wirksame Verträge über diese Pflanzenschutzmittel abzuschließen (vgl. VfSlg. 11402/1987; VfGH 1.10.1993 G134/92). Ein anderer zumutbarer Weg als jener des Individualantrages, um die behauptete Gesetzwidrigkeit an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, besteht nicht.

Der gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestellte Antrag auf Aufhebung der (gesamten)

Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung dürfte daher zulässig sein, auch wenn einzelne der im Anhang der Verordnung aufgezählten Pflanzenschutzmittel nicht auf eines der insgesamt 13 antragstellenden Unternehmen zugelassen sein sollten, zumal im Falle des Zutreffens der im folgenden Pkt. IV aufgezeigten Normbedenken die Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung gemäß Art139 Abs3 lita B-VG (ohnehin) zur Gänze aufzuheben wäre.

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß des - wie soeben ausgeführt offenkundig zulässigen - Individualantrages nach Art139 B-VG aus folgenden Gründen beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des §35 Abs3 sowie der Worte "mit gleichem Wirkstoff" und "und zweiter" in §35 Abs8 PMG von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG zu prüfen:

1. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß er bei der Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen §35 Abs3 zweiter Satz und die im Spruch angeführten Worte in §35 Abs8 PMG anzuwenden hätte, da diese Bestimmungen die gesetzliche Grundlage für die Pfanzenschutzmittel-Wirkstoffverordnung darstellen.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorzuliegen scheinen, dürfte das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig sein.

2. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen hegt der Verfassungsgerichtshof folgende Bedenken:

a) Mit der Erlassung des PMG verfolgte der Gesetzgeber die Absicht, sicherzustellen, daß nur solche Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht werden, die biologisch wirksam sind und bei sachgerechter Anwendung keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen haben sowie zu keinen unvertretbaren Beeinträchtigungen der Umwelt führen können (s. Vorblatt der Erl 1317 BlgNR 18. GP, 16). Die bestehenden Rechtsvorschriften wurden vom Gesetzgeber als unzureichend angesehen; dazu wird im Allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1317 BlgNR 18. GP, 17) ausgeführt:

"Der immer größer gewordene Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln und das verstärkte Gesundheits- und Umweltbewußtsein führen zu Konfliktsituationen. Das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 491/1984 verpflichtet alle Gebietskörperschaften zum umfassenden Umweltschutz. Hiezu gehören insbesondere auch Maßnahmen zur Reinhaltung des Wassers und zum Schutz des Bodens. Zur Erreichung dieser Ziele, zur Sicherung des Wettbewerbes und zum Schutz der Anwender von Pflanzenschutzmitteln sowie zur Sicherstellung einer landwirtschaftlichen Produktion von einwandfreien Nahrungsmitteln, ist es erforderlich geworden, den III. Teil des Pflanzenschutzgesetzes, der nur sehr dürftige Regelungen aufweist, einer Neufassung zu unterziehen. Insbesondere ist es erforderlich, die durch das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz, seit 1987 durch das Bundeskanzleramt, erfolgte toxikologische und ökotoxikologische Bewertung von Pflanzenschutzmitteln auf eine umfassende gesetzliche Grundlage zu stützen.

Pflanzenschutzmittel sollen nicht nur biologisch wirksam sein, sondern auch keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen sowie auf die zu schützenden Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse ausüben und zu keinen unvertretbaren Beeinträchtigungen der Umwelt führen."

Vor diesem Hintergrund hält der Verfassungsgerichtshof - ebenso wie die Antragstellerinnen - das durch §35 Abs3 erster Satz PMG bewirkte stufenweise Erlöschen der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die am 1. August 1991 genehmigt und registriert waren, für verfassungsrechtlich unbedenklich, da auch die Prüfung nach dem Pflanzenschutzgesetz zugelassener Pflanzenschutzmittel auf ihre Vereinbarkeit mit den strengeren Vorschriften des PMG als im öffentlichen Interesse des Schutzes der Gesundheit von Menschen und der Umwelt liegend gewertet werden kann. Der Eingriff erscheint auch deswegen nicht unverhältnismäßig, weil der Zulassungsinhaber das Erlöschen der Zulassung zu den in dieser Bestimmung festgelegten Zeitpunkten zunächst dadurch abwenden kann, daß er einen Antrag auf Erneuerung der Zulassung stellt.

Der Verfassungsgerichtshof ist auch nicht der Ansicht, daß es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen an sich verwehrt wäre, vom in §35 Abs3 erster Satz PMG gewählten System des Erlöschens der Zulassungen nach deren zeitlicher Reihenfolge etwa dann abzuweichen, wenn bei einem einzelnen Pflanzenschutzmittel Gründe für die Annahme vorliegen, daß dieses Pflanzenschutzmittel Auswirkungen auf die Gesundheit oder Umweltbeeinträchtigungen im Sinne des §8 Abs1 Z2 PMG (siehe oben unter Pkt. II.1.) haben könnte.

b) §35 Abs3 zweiter Satz PMG knüpft jedoch das vorzeitige Erlöschen der Zulassung eines bestimmten Pflanzenschutzmittels nur daran, daß ein Pflanzenschutzmittel einer niedrigeren Pflanzenschutzmittelregister-Nummer den gleichen Wirkstoff hat, ohne daß dabei die - bei Untersuchungen der früheren Stufe allenfalls festgestellte - Toxizität oder Ökotoxizität dieses Wirkstoffes (gegebenenfalls in Verbindung mit anderen Stoffen) rechtlich von Bedeutung wäre. Dies hat zur Folge, daß auch die Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit unter den Gesichtspunkten der Gesundheit und des Umweltschutzes (relativ) unbedenklichen Wirkstoffen nur deswegen vorzeitig erlöschen, weil ein Pflanzenschutzmittel mit einer niederigeren (älteren) Pflanzenschutzmittelregister-Nummer einen dieser Wirkstoffe enthält. Gerade zu diesem Problem bietet die Äußerung der Bundesregierung offenbar keine Antwort (auch nicht auf ihrer S 10).

In solchen Fällen scheinen also die - nach der Toxizität bzw. Ökotoxizität des Wirkstoffes nicht differenzierende - Regelung des §35 Abs3 zweiter Satz PMG sowie die damit im untrennbaren Zusammenhang stehenden und daher ebenfalls in Prüfung gezogenen Worte im Abs8 dieses Paragraphen unsachlich zu sein. Der Umstand, daß ein Pflanzenschutzmittel einer jüngeren Pflanzenschutzmittelregister-Nummer den gleichen Wirkstoff wie ein Pflanzenschutzmittel einer älteren Pflanzenschutzmittelregister-Nummer aufweist, dürfte für sich allein ein vorzeitiges Erlöschen der Zulassung durch Zeitablauf nicht rechtfertigen. Daß der bisherige Zulassungsinhaber auch in diesem Fall das sofortige Erlöschen durch Stellung eines Antrages auf Erneuerung der Zulassung - falls er eine solche überhaupt erwirken will - abwenden kann, dürfte dem schon wegen der damit wesentlich früher als ansonsten eintretenden Kosten nicht entgegenstehen.

Im Gesetzesprüfungsverfahren wird weiters zu erörtern sein, ob und gegebenenfalls wie sich der Prüfungsstandard bei Pflanzenschutzmitteln während der Geltung der Rechtslage vor dem PMG geändert hat und allenfalls, welche Bedeutung einem solchen Umstand zukäme.

Der Verfassungsgerichtshof meint daher vorläufig, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen mit dem dem Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebot nicht in Einklang stehen.

c) Aus den oben angeführten Gründen scheint die in Prüfung gezogene Regelung auch gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit zu verstoßen (vgl. zu diesem Grundrecht zB VfSlg. 10179/1984, 10386/1985, 10932/1986, 11276/1987, 11483/1987, 11494/1987, 11503/1987, 11749/1988).

d) Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu erörtern sein, ob dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) angesichts der darin enthaltenen Gemeinsamen Erklärung zum Pflanzenschutz (BGBl. 909/1993, S 7647) für das Zulassungsverfahren bei Pflanzenschutzmitteln und damit für die in Prüfung genommene Regelung Bedeutung zukommt.

3. Ob die Prozeßvoraussetzungen vorliegen und die angeführten Bedenken zutreffen, wird im Gesetzesprüfungsverfahren zu entscheiden sein.

V. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Pflanzenschutz, DurchführungsV

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G276.1992

Dokumentnummer

JFT_10059692_92G00276_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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