TE Vfgh Beschluss 2022/7/1 G118/2022

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2022
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Index

25/01 Strafprozess

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StPO §3, §5, §101, §106, §112, §157 Abs2
VfGG §7 Abs1, §62 Abs1
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung näher bezeichneter Bestimmungen der StPO mangels Zuordnung der Bedenken, Präjudizialität, zu engen Anfechtungsumfangs und wegen Unzulässigkeit der Geltendmachung von Vollzugmängeln im Normenprüfungsverfahren

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge "gemäß Artikel 140 Abs1 Z1 litd B-VG iVm §64 Abs1 VfGG die Bestimmungen der §§3 StPO, 5 StPO, 101 StPO, 106 StPO, 112 StPO und 157 Abs2 StPO teilweise oder zur Gänze als verfassungswidrig aufheben".

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 26/2016 lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Objektivität und Wahrheitserforschung

§3. (1) Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht haben die Wahrheit zu erforschen und alle Tatsachen aufzuklären, die für die Beurteilung der Tat und des Beschuldigten von Bedeutung sind.

(2) Alle Richter, Staatsanwälte und kriminalpolizeilichen Organe haben ihr Amt unparteilich und unvoreingenommen auszuüben und jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden. Sie haben die zur Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit der gleichen Sorgfalt zu ermitteln.

[…]

Gesetz- und Verhältnismäßigkeit

§5. (1) Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht dürfen bei der Ausübung von Befugnissen und bei der Aufnahme von Beweisen nur soweit in Rechte von Personen eingreifen, als dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Jede dadurch bewirkte Rechtsgutbeeinträchtigung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen.

(2) Unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen und Zwangsmaßnahmen haben Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht jene zu ergreifen, welche die Rechte der Betroffenen am Geringsten beeinträchtigen. Gesetzlich eingeräumte Befugnisse sind in jeder Lage des Verfahrens in einer Art und Weise auszuüben, die unnötiges Aufsehen vermeidet, die Würde der betroffenen Personen achtet und deren Rechte und schutzwürdige Interessen wahrt.

(3) Es ist unzulässig, Personen zur Begehung von strafbaren Handlungen in einer dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art6 Abs1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958) widerstreitenden Weise zu verleiten, oder durch heimlich bestellte Personen zu einem Geständnis zu verlocken.

[…]

Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren

Aufgaben

§101. (1) Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und entscheidet über dessen Fortgang und Beendigung. Gegen ihren erklärten Willen darf ein Ermittlungsverfahren weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.

(2) Die Staatsanwaltschaft stellt die erforderlichen Anträge bei Gericht, soweit ihre Anordnungen einer gerichtlichen Bewilligung bedürfen. Abgesehen von den in den §§149 Abs3 und 165 Abs2 vorgesehenen Fällen hat die Staatsanwaltschaft gerichtliche Beweisaufnahmen zu beantragen, wenn an solchen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht.

(3) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Anträge nach Abs2 zu begründen und sie dem Gericht samt den Akten zu übermitteln. Bewilligt das Gericht eine Maßnahme, so entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Durchführung. Wenn die Voraussetzungen, unter denen der Antrag bewilligt wurde, weggefallen sind oder sich derart geändert haben, dass die Durchführung rechtswidrig, unverhältnismäßig oder nicht mehr zweckmäßig wäre, hat die Staatsanwaltschaft von ihr abzusehen und das Gericht hievon zu verständigen.

(4) Die Staatsanwaltschaft prüft die Berichte der Kriminalpolizei und trifft die erforderlichen Anordnungen. Soweit dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderlich ist, kann sie jederzeit weitere Ermittlungen und die Ausübung von Zwang durch die Kriminalpolizei anordnen.

[…]

Einspruch wegen Rechtsverletzung

§106. (1) Einspruch an das Gericht steht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil

1. ihr die Ausübung eines Rechtes nach diesem Gesetz verweigert oder

2. eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde.

Im Fall des Todes der zum Einspruch berechtigten Person kommt dieses Recht den in §65 Z1 litb erwähnten Angehörigen zu. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.

(2) Soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden. In einem solchen Fall entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch.

(3) Der Einspruch ist binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. Sofern er sich gegen eine Maßnahme der Kriminalpolizei richtet, hat die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Die Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob die behauptete Rechtsverletzung vorliegt, und dem Einspruch, soweit er berechtigt ist, zu entsprechen sowie den Einspruchswerber davon zu verständigen, dass und auf welche Weise dies geschehen sei und dass er dennoch das Recht habe, eine Entscheidung des Gerichts zu verlangen, wenn er behauptet, dass seinem Einspruch tatsächlich nicht entsprochen wurde.

(5) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht,binnen vier Wochen entspricht oder der Einspruchswerber eine Entscheidung des Gerichts verlangt, hat die Staatsanwaltschaft den Einspruch unverzüglich an das Gericht weiter zu leiten. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei hat das Gericht dem Einspruchswerber zur Äußerung binnen einer festzusetzenden, sieben Tage nicht übersteigenden Frist zuzustellen.

[…]

§112. (1) Widerspricht die von der Sicherstellung betroffene oder anwesende Person, auch wenn sie selbst der Tat beschuldigt ist, der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern unter Berufung auf ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht zu hinterlegen. Auf Antrag des Betroffenen sind die Unterlagen jedoch bei der Staatsanwaltschaft zu hinterlegen, die sie vom Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren hat. In beiden Fällen dürfen die Unterlagen von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei nicht eingesehen werden, solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist.

(2) Der Betroffene ist aufzufordern, binnen einer angemessenen, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde; zu diesem Zweck ist er berechtigt, in die hinterlegten Unterlagen Einsicht zu nehmen. Unterlässt der Betroffene eine solche Bezeichnung, so sind die Unterlagen zum Akt zu nehmen und auszuwerten. Anderenfalls hat das Gericht, im Fall eines Antrags nach Abs1 vorletzter Satz jedoch die Staatsanwaltschaft die Unterlagen unter Beiziehung des Betroffenen sowie gegebenenfalls geeigneter Hilfskräfte oder eines Sachverständigen zu sichten und anzuordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen. Unterlagen, die nicht zum Akt genommen werden, sind dem Betroffenen auszufolgen. Aus deren Sichtung gewonnene Erkenntnisse dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nicht für weitere Ermittlungen oder als Beweis verwendet werden.

(3) Gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft kann der Betroffene Einspruch erheben, in welchem Fall die Unterlagen dem Gericht vorzulegen sind, das zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen; Abs2 letzter Satz gilt. Einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt aufschiebende Wirkung zu.

[…]

Aussageverweigerung

§157. (1) Zur Verweigerung der Aussage sind berechtigt:

1. Personen, soweit sie ansonsten sich oder einen Angehörigen (§156 Abs1 Z1) der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder im Zusammenhang mit einem gegen sie geführten Strafverfahren der Gefahr aussetzen würden, sich über ihre bisherige Aussage hinaus selbst zu belasten,

2. Verteidiger, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Verfahrensanwälte in Untersuchungsausschüssen des Nationalrats, Notare und Wirtschaftstreuhänder über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist,

3. Fachärzte für Psychiatrie, Psychotherapeuten, Psychologen, Bewährungshelfer, eingetragene Mediatoren nach dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz, BGBl I Nr 29/2003, und Mitarbeiter anerkannter Einrichtungen zur psychosozialen Beratung und Betreuung über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist,

4. Medieninhaber (Herausgeber), Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes über Fragen, welche die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen betreffen oder die sich auf Mitteilungen beziehen, die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemacht wurden,

5. Wahlberechtigte darüber, wie sie ein gesetzlich für geheim erklärtes Wahl- oder Stimmrecht ausgeübt haben.

(2) Das Recht der in Abs1 Z2 bis 5 angeführten Personen, die Aussage zu verweigern, darf bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden, insbesondere nicht durch Sicherstellung und Beschlagnahme von Unterlagen oder auf Datenträgern gespeicherten Informationen oder durch Vernehmung der Hilfskräfte oder der Personen, die zur Ausbildung an der berufsmäßigen Tätigkeit nach Abs1 Z2 bis 4 teilnehmen. Dies gilt ebenso für Unterlagen und Informationen, die sich in der Verfügungsmacht des Beschuldigten oder eines Mitbeschuldigten befinden und zum Zwecke der Beratung oder Verteidigung des Beschuldigten durch eine in Abs1 Z2 genannte Person von dieser oder vom Beschuldigten erstellt wurden."

III. Anlassverfahren und Antragsvorbringen

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Der Antragsteller ist Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren, das von der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) gegen über 80 Beschuldigte geführt wird.

1.2. Am 12. August 2019 fand in den Räumlichkeiten der *** AG eine Hausdurchsuchung statt, wobei Unterlagen und Kommunikation sichergestellt wurden, die auch den Antragsteller betreffen.

1.3. Mit Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß §106 Abs1 StPO beantragte der Antragsteller die Feststellung der Verletzung des Redaktionsgeheimnisses und des Objektivitätsgebotes, der Umgehung des §157 Abs1 Z4 StPO und die Entfernung von rechtswidrig verwerteten Beweismitteln sowie deren Ergebnissen aus dem Ermittlungsakt. Begründend brachte er dabei zusammengefasst vor, durch die Auswertung der Korrespondenz sei sein Aussageverweigerungsrecht gemäß §157 Abs1 StPO umgangen worden. Ein E-Mail sei zu Unrecht in den Bericht aufgenommen, der Quellenschutz missachtet sowie Geschäftsgeheimnisse ohne Anfangsverdacht zu den Akten genommen worden. Der Antragsteller sei in seinem Recht, nicht durch falsche Daten in den Verdacht einer strafbaren Handlung zu geraten und dadurch Anlass zu weiteren Überprüfungen zu geben, verletzt worden.

2. Mit Beschluss vom 18. März 2022 wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Einspruch wegen Rechtsverletzung hinsichtlich §3 StPO zurück; im Übrigen wies es den Einspruch ab.

Begründend führte das Landesgericht für Strafsachen Wien zusammengefasst aus, §3 StPO verbürge kein subjektives Recht, weswegen der Einspruch wegen Rechtsverletzung insofern unzulässig sei. Zudem lägen die behauptete Verletzung des Redaktionsgeheimnisses sowie eine Umgehung des §157 Abs1 Z4 StPO nicht vor. Nach der genannten Bestimmung seien Medieninhaber (Herausgeber), Medienmitarbeiter sowie Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes über Fragen, welche die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen betreffen oder die sich auf Mitteilungen beziehen, die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemacht wurden, zur Verweigerung der Aussage berechtigt. Dieses Recht dürfe bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden, insbesondere nicht durch Sicherstellung oder Beschlagnahme von Unterlagen oder auf Datenträgern gespeicherten Informationen oder durch Vernehmung von Hilfskräften oder Personen, die zur Ausbildung an der berufsmäßigen Tätigkeit teilnähmen.

Im vorliegenden Fall sei das Aussageverweigerungsrecht des §157 Abs1 Z4 StPO nicht umgangen worden, weil die Korrespondenz nicht bei einem Berufsgeheimnisträger, sondern bei einem Dritten sichergestellt worden sei. Die Sicherstellung von Kommunikation bei Personen, die nicht dem Redaktionsgeheimnis unterlägen, stelle keine Umgehung des §157 Abs1 Z4 StPO dar. Das Umgehungsverbot des §157 Abs2 zweiter Satz StPO sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar; eine analoge Anwendung dieser Bestimmung, die dem Schutz der "Verteidigerkorrespondenz" diene, sei methodisch nicht möglich.

3. Der Antragsteller erhob gegen diesen Beschluss Beschwerde und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG. Er führt darin das Folgende aus (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"I. Zum Sachverhalt

Im Strafverfahren *** der WKStA gegen *** und über 80 andere Personen (darunter auch der Antragsteller) wurde zum Teilfaktum (sogenannt) 'lnseratenaffäre' der zuständige Haft- und Rechtsschutzrichter vom Antragsteller wegen Befangenheit abgelehnt, da der Eindruck entstanden ist, er sei der verlängerte Arm der WKStA und nicht deren Kontrollorgan. Dieser Eindruck bei Großverfahren wurde mittlerweile auch in der Fachwelt unter dem Stichwort 'Stampiglienjudikatur' diskutiert, wobei verschärfend dazu kommt, dass immer derselbe Rechtsschutzrichter über die Anträge der Staatsanwaltschaft gemäß §101 StPO entscheidet. Wie aus dem Strafakt ersichtlich erhält der Rechtsschutzrichter in der Praxis oft ausformulierte – selbstverständlich 'unverbindliche' – Formulierungsvorschriften für seine Beschlüsse!

Die geltend gemachten Ausschließungsgründe, nämlich Beginn des Entsiegelungs- und Sichtungsverfahrens der beim [Antragsteller] sichergestellten Unterlagen bereits vor Entscheidung des OLG Wien über die Beschwerde gegen diese Sicherstellung wegen mangelndem (dringenden) Tatverdacht, weiters seine Befangenheit, die sich aus der Bewilligung der Hausdurchsuchung ohne Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und die Bewilligung der Anordnung der Standortpeilungen ohne Ermächtigung der Rechtsschutzbeauftragten ergibt. Als weiterer Grund wurde geltend gemacht, dass der IT-Experte des Haft- und Rechtsschutzrichters bei der Hausdurchsuchung anwesend war, obwohl der Haft- und Rechtsschutzrichter behauptete, dass dieser keinerlei Kontakte zur WKStA habe.

Schließlich wurde als Ausschließungsgrund 2 der hier vorrangig relevante Grund geltend gemacht, dass vor allem beim Entsiegelungsverfahren im Sinne des §112 StPO der Haft- und Rechtsschutzrichter Kontrollorgan der Staatsanwaltschaft sein sollte, er aber durch die vom Gesetz (§101 StPO) eingeräumte und auch ausgeübte Möglichkeit, selbst als Ermittler tätig zu sein, eine solche Kontrollaufgabe wohl nicht unbeeinflusst durchführen kann, zumal die Zusammenarbeit mit der WKStA in dieser Causa ja bereits mehrere Jahre dauert und hier die Gefahr besteht, dass persönliche Naheverhältnisse aufgebaut werden. Derzeit geht die notwendige Distanz zwischen der Staatsanwaltschaft als Antragsteller und dem Rechtsschutzrichter als Kontrollorgan verloren.

Dieser Punkt des Ablehnungsantrags wurde unter Hinweis auf §101 StPO abgetan, die übrigen Ablehnungsgründe als nicht bestehend angesehen und der Ablehnungsantrag zurück- bzw abgewiesen. Ein Rechtsmittel dagegen gibt es nicht.

Schließlich wurden bereits von Tipold/Zerbes in Fuchs/Ratz, WK StPO (März 2021) §112 RZ 13/1 verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Situation wegen Wegfalls eines echten Kontrollorgans, nämlich der Ratskammer durch die große StPO-Reform erhoben. Dieses offensichtliche Rechtsschutzdefizit hat Tipold und Zerbes im Wiener Kommentar zu folgenden Ausführungen veranlasst:

["]Durch die Abschaffung der Ratskammer hat die gerichtliche Sichtung ihre schützende Wirkung zum Teil eingebüßt, denn der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren hat durchaus auch Aufgaben bei der Untersuchung des Tatgeschehens – etwa kontradiktorische Zeugenvernehmungen und Tatrekonstruktionen, Haftentscheidung und Bewilligung anderer Zwangsmaßnahmen. Insofern ist es eher in die Ermittlungen einbezogen als es die Ratskammer war; sie war – jedenfalls zuletzt – ein reines Kontrollorgan. Dass er also die mitunter der Sicherstellung entzogenen Akten selbst sichtet, um sie auszusortieren, ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Judikatur (VfSlg 10.291/1984) durchaus bedenklich und sollte einer verfassungsrechtlichen Prüfung durch den VfGH zugänglich gemacht werden.["]

Im gleichzeitig bekämpften Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien, 316 HR 191/20p, mit welchem mein Einspruch vom 19.11.2021, ON 1853 zurück- bzw abgewiesen worden ist, geht der Haft- und Rechtsschutzrichter davon aus, dass nach Meinung des OLG Wien die Objektivität und Unvoreingenommenheit des §3 StPO keine subjektive Rechte im Sinne des §106 StPO darstellen.

Da ein Ablehnungsantrag gegen einen Staatsanwalt oder ein Organ der Polizei nicht möglich ist, wird dies ebenso wenig gegen einen Experten, hier Mag. *** als Verfasser eines Beweismittels, nämlich ON 1835 der Fall sein. Ein Experte ist wegen §126 Abs1 StPO 3. Ausnahme aber auch nicht Sachverständiger, sodass gesetzliche Befangenheitsgründe gegen ihn nicht geltend gemacht werden können. Daraus resultiert ein weiter[e]s Rechtsschutzdefizit, das in die Verfassungssp[hä]re reicht.

Das Konzept der 2008 nach der großen Reform in Kraft getretenen StPO besteht darin, dass der Staatsanwaltschaft weitgehende Eingriffsbefugnisse in die Rechte und Grundrechte der Beschuldigten gewährt wurden und die Möglichkeit eines Einspruchs nach §106 StPO das zentrale Korrektiv dagegen sein sollte. Eine Auslegung[,] wie die im vorliegenden Fall vom Oberlandesgericht Wien vertretene, auf die sich der Haft- und Rechtsschutzrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien ausdrücklich bezieht und die er zur Grundlage seiner Entscheidung macht, die gleichzeitig bekämpft wird, höhlt – weil sie die Anwendbarkeit des §106 [StPO] negiert – den Grundrechtsschutz für die Beschuldigten weitgehend aus.

Derart ohne Rechtschutz ausgestattet zu sein, widerspricht jedenfalls dem fair trial – Grundsatz des Artikel 6 EMRK –, sowie dem Grundsatz der Waffengleichheit und schmälert empfindlich die Verteidigungsrechte (siehe dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK, 7. Aufl., §24 RZ 66 ff, insbesondere 68 mwN).

Ein derart massives Rechtschutzdefizit war vom Gesetzgeber nicht gewollt und widerspricht in besonders krasser Weise auch den Grundsätzen des Art6 EMRK, wobei die Garantien der EMRK über §5 Abs1 StPO in §106 Abs1 StPO einfließen (OGH RIS-Justiz RS0133225).

Im vorliegenden Fall wäre, wenn man die Auslegung der §§3 StPO und 5 StPO und des damit in untrennbaren Zusammenhang stehenden §106 StPO durch das Landesgericht für Strafsachen Wien und des OLG Wien als gesetzeskonform qualifizieren wollte, die Frage nach der Vertragskonformität dieser Regelungen zu stellen.

Dazu kommt noch folgender Punkt: Die zu Punkt 2. und 3. des Einspruchs genannten E-Mails hätten gar nicht in den Bericht ON 1635 aufgenommen werden dürfen, und dies aus mehreren Gründen. Es fehlte ihnen an einer ausreichenden Relevanz für das nun gegen [den Antragsteller] geführte Strafverfahren, sodass eine Verletzung des §5 StPO auch diesbezüglich vorliegt. Würde man die Verneinung eines subjektiven Rechts als rechtskonform bewerten, müsste man auch insofern die Frage nach der Verfassungskonformität des §5 StPO klären.

Dazu kommt unabhängig davon ein weiterer Punkt: Bei den von Mag. *** durchforsteten 'Korrespondenzen' des Antragstellers handelt es sich nicht nur zum Teil um Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens, sondern vor allem auch um Mitteilungen, die im Hinblick auf die Tätigkeit des [Antragstellers] als Medienmitarbeiter gemacht wurden. Sie unterliegen sohin dem Schutz des §157 Abs1 Z4 StPO.

Darin ist eine Verletzung der Grundrechte auf Persönlichkeitsschutz gem. Artikel 8 MRK zu sehen (siehe dazu statt Vieler Grabenwarter/Pabel, EMRK, 7. Aufl., §22 RZ 36 mwN).

Aus Punkt II.2. des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass das Gericht der Meinung der WKStA folgt, dass Daten (eines Berufsgeheimnisträgers), die nicht beim Berufsgeheimnisträger, sondern bei einem Dritten sichergestellt wurden, verwertet werden dürfen, ohne dass dies eine Umgehungshandlung im Sinne des §157 Abs2 StPO darstellen würde.

Diese Rechtsansicht ist unrichtig. Das Umgehungsverbot des §157 Abs2 StPO 1. Satz lautet im Kern: 'Das Recht …, die Aussage zu verweigern, darf … nicht umgangen werden, insbesondere nicht durch Sicherstellung und Beschlagnahme von Unterlagen oder auf Datenträgern gespeicherten Informationen oder durch Vermehrung der …'. Es wird hier keine Einschränkung gemacht, wo oder bei wem die Sicherstellung erfolgt ist.

Der 2. Satz des §157 Abs2 StPO wurde 2016 in Umsetzung des Artikels 4 der Richtlinie 2013/48 EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbe[i]stand im Strafverfahren und im Verfahren zur Vorstreckung des europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigungen eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (RL Rechtsbeistand) aufgenommen. Es liegt die Argumentation nahe, dass es sich bei dem neuen zweiten Satz um eine Klarstellung im Sinne des Artikel 4 der RL Rechtsbeistand handelt, überhaupt nur die Geheimnisträger nach Zi 2 betrifft und keinen Einfluss auf die Rechtslage der übrigen Geheimnisträger hat.

Bei der Auslegung einer Norm ist primär vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen (Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 RZ 3 zu §5 StPO).

Hätte der Gesetzgeber den Geheimnisschutz bei Sicherstellungen bloß auf solche im Gewahrsam des Geheimnisträgers selbst erfolgte beschränken wollen, wäre wohl in §157 StPO Abs2 1. Satz nach '… gespeicherten Informationen' die Wortfolge 'beim Geheimnisträger' verwendet worden.

Würde man die Regelung des §157 Abs2 StPO so interpretieren wie das Landesgericht für Strafsachen Wien und diese Auslegung als gesetzeskonform erachten, so stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Verfassungskonformität auch unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes. Warum soll der grundrechtliche Schutz von Trägern von Berufsgeheimnissen unter dem Aspekt des §157 Abs2 StPO und unter Gleichheitsgesichtspunkten bei Strafverteidigern und Rechtsanwälten anders sein als bei Personen, deren Tätigkeit durch das Redaktionsgeheimnis geschützt ist? Gerade dieser berufsrechtliche Schutz wird in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art10 EMRK als rechtsstaatlich besonders wichtig hervorgehoben (siehe dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK, 7. Aufl., §23 RZ 53 ff mwN).

Der Ort oder die Person, bei der diese Sicherstellung stattfindet, kann unter dem Gesichtspunkt des Geheimnisschutzes nur Relevanz haben, wenn durch ihn der Geheimnischarakter wegfiele. Ansonsten kann es keinen Unterschied machen, wo Geheimnisschutz unterliegende Unterlagen oder Dateien sichergestellt werden. Insbesondere kann der Ort der Sicherstellung nicht aus geschützten Unterlagen ungeschützte machen. Zum Zeitpunkt der Sicherstellung war der Antragsteller nicht Beschuldigter[,] sondern erst zwei Jahre später.

Die spezielle Hervorhebung der Strafverteidiger und Rechtsanwälte durch die Novelle BGBl I Nr 26/2016 war nichts anderes als eine durch eine Richtlinie der Europäischen Union erzwungene Klarstellung, die aber keineswegs eine Einschränkung des Redaktionsgeheimnisses bewirken konnte und sollte. Aus den dargelegten Gründen wäre die Auslegung des Landesgerichts für Strafsachen Wien eine solche, die nicht nur Art10 EMRK verletzt, sondern §157 StPO auch gleichheitswidrig machen würde.

Das Umgehungsverbot kann im vorliegenden Fall auch nicht durch §144 Abs3 StPO beseitigt werden, da [der Antragsteller] zum Zeitpunkt der Sicherstellung noch gar nicht verfahrensinvolviert war, sodass die entsprechenden Unterlagen schon damals – also vor rund 2 Jahren – gem. §5 StPO vernichtet hätten werden müssen. Die Untätigkeit der Ermittlungsbehörden kann nicht dazu führen, dass das jahrelange Bunkern von sichergestellten Unterlagen – in diesem Fall offenbar auch ohne ausreichender Dokumentation – rechtmäßig wird. Auch hier zeigt sich ein klarer Verstoß gegen §5 StPO, der bei verfassungskonformer Interpretation auch als Gegenstand eines Einspruchs gem. §106 StPO tauglich sein müsste.

Die WKStA lieferte auf Seite 3/5 in ihrer ablehnenden Stellungnahme BÖ 1953 selbst das Eingeständnis ihres Fehlverhaltens: 'Im vorliegendem Fall wurden aber lediglich die von sichergestellten Gegenständen gesicherten Daten auch im Hinblick auf weitere Verdachtslagen ausgewertet.' Mit 'weiteren Verdachtslagen' können nur solche, die über den damaligen Tatverdacht im Sinne des zB in ON 24 genannten hinausgehen, gemeint sein. Den Antragsteller betreffend heißt dies nichts anderes als die Suche nach einem Anfangsverdacht. Gemäß §1 Abs3 StPO liegt ein Anfangsverdacht aber nur vor, wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist. Ein Anfangsverdacht liegt also erst bei qualifizierter Verdachtslage vor (Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO §2 RZ 3/1 und Markel, ebendort, §1 RZ 26). Personen sollen demnach davor geschützt werden, ohne einen Anfangsverdacht zum Objekt des Strafverfahrens zu werden.

Hier wird ebenfalls ein in die Verfassungssphäre reichendes Problem der Auslegung der einschlägigen Gesetze durch die WKStA und der diese Vorgangsweise deckenden Beschlüsse der Gerichte offenkundig: Es geht hier um nichts anderes als um die gezielte und systematische Suche nach Zufallsfunden aus einem vorhandenen Fundus von Unterlagen, die entgegen der klaren Regelung des §5 StPO nicht vernichtet und jahrelang nicht einmal unter diesem Aspekt bearbeitet wurden!

Es mag durchaus sein, dass die Interessen der Strafrechtspflege einem Geschäftsgeheimnis vorgehen. Mag. ***, dessen Tätigkeit der WKStA zuzurechnen ist, hat jedoch, ohne dass ein derartiges Interesse vorlag, ein Geschäftsgeheimnis offengelegt und überdies angekündigt, einen eigenen Bericht darüber zu schreiben. (Hiezu Punkt 2. des Einspruchs, Beilage ./3). Seine Befangenheit kann nicht geltend gemacht werden und die Rechtsschutzmöglichkeit, die §106 StPO bietet, wird negiert.

Damit schließt sich der Kreis der im vorliegenden Fall zu Tage tretenden[,] im Ergebnis verfassungswidrigen Entscheidungen der damit befassten Gerichte und Strafverfolgungsbehörden.

II. Antrag

Der Antragsteller wurde wie dargelegt durch die im Ergebnis verfassungswidrige Anwendung der §§3 StPO, 5 StPO, 101 StPO, 106 StPO, 112 StPO und 157 Abs2 StPO in seinem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 EMRK, in seinem Recht auf Schutz des Privatlebens und seiner Geschäftsgeheimnisse gemäß Artikel 8 EMRK und in seinem Recht auf Schutz des Redaktionsgeheimnisses gemäß Artikel 10 EMRK, sowie in seinem auf Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Artikel 7 B-VG verletzt. Aus den dargelegten Gründen, wird erhoben der

ANTRAG,

[…]

III. Zur Zulässigkeit des Antrages

Gemäß Artikel 140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzes auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache unter Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Im vorliegenden Fall gäbe es durchaus die Möglichkeit, die angefochtenen Bestimmungen auch verfassungskonform zu interpretieren.

Das Aufhebungsbegehren ist notwendigerweise so zu formulieren, dass einerseits der verbleibende Gesetzestext nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt, und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden (vgl VfSlg 13.965/1994, 16.542/2002, 16.911/2003). Der Antragsteller hat daher all jene Normteile anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Teil einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (vgl VfSlg 16.279), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl VfSlg 18.891/2009) oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (siehe etwa VfSlg 18.839/2009).

Der Antragsteller erhob gleichzeitig mit diesem Antrag Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18.03.2022. Der gegenständliche Antrag gemäß Artikel 1 Abs1 Z2 litd B-VG wurde gleichzeitig mit der Beschwerde binnen offener Frist gestellt und ist somit rechtzeitig.

Es ist Aufgabe des angerufenen Verfassungsgerichtshofs, darüber zu befinden, auf welche Weise die behaupteten Verfassungswidrigkeiten beseitig werden, und dies kann nicht dem Antragsteller obliegen (siehe dazu ua VfSlg 16.756/2002).

Ein untrennbarer Zusammenhang der angefochtenen Regelungen mit anderen Regelungen der StPO, die hier ebenfalls hereinspielen (§§109, 110, 111, 113, 114 und 115 StPO) ist für den Antragsteller nicht ersichtlich.

Sollte der Verfassungsgerichthof diesbezüglich anderer Meinung sein und den vorliegenden Antrag wegen zu geringem oder zu weitem Umfanges als unzulässig zurückweisen, so wüsste der Antragsteller als Nichtjurist und Medienmitarbeiter beim besten Willen nicht, wie man in Fällen wie im vorliegenden, die durch kaskadenhafte und ineinander verschränkte Verfassungswidrigkeiten infolge falscher Auslegung einfacher gesetzlicher Regelungen durch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte einen ausreichenden Rechtsschutz für die dadurch verletzten Grundrechte sicherstellen kann, wofür ja der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG eigentlich geschaffen wurde."

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrages wie folgt bestreitet:

"II. Zur Zulässigkeit:

1. Zulässiger Prüfungsgegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist ausschließlich die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmungen, nicht jedoch die gerichtliche Entscheidung (vgl VfGH 23.2.2017, G274/2016; 25.9.2017, G403/2016 ua mwN). Der Verfassungsgerichtshof ist auf Grund des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG nicht für die Korrektur von Vollziehungsfehlern der ordentlichen Gerichte zuständig, selbst wenn diese in die Verfassungssphäre reichen sollten. Diesbezüglich ist der Rechtsschutz auch nach Einführung des Parteiantrags auf Normenkontrolle auf der Ebene des gerichtlichen Rechtsmittelverfahrens verblieben (vgl VfSlg 20.001/2015).

Darüber hinaus hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014; VfGH 13.10.2016, G330/2015; VfGH 14.6.2017, G36/2017).

2. Der Antragsteller wendet sich ausschließlich gegen die Auslegung bzw Anwendung der angefochtenen Bestimmungen durch die Gerichte, macht also der Sache nach lediglich Vollziehungsmängel geltend. Er verabsäumt überdies, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen die angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben seien.

3. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.

Vor diesem Hintergrund wird von einer Stellungnahme in der Sache Abstand genommen."

5. Der Antragsteller erstattete in weiterer Folge eine Replik, in der er der Rechtsauffassung der Bundesregierung mit näherer Begründung entgegentrat.

IV. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Gemäß §62 Abs1 VfGG muss der Antrag begehren, "dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen."

2. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Rechtsvorschrift die zur Aufhebung beantragte Bestimmung in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl zB VfSlg 14.802/1997, 17.752/2006; spezifisch zum Parteiantrag VfGH 2.7.2015, G16/2015; G145/2015; 18.2.2016, G642/2015). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (VfSlg 17.099/2003, 17.102/2003, 19.825/2013, 19.832/2013, 19.870/2014, 19.938/2014; VfGH 22.9.2021, G210/2021).

3. Eben diesem Erfordernis wird der vorliegende Antrag nicht gerecht. Der Antragsteller ist der Ansicht, die Anwendung der angefochtenen Bestimmungen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien verletze ihn in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK, auf Privatleben gemäß Art8 EMRK, auf Schutz des Redaktionsgeheimnisses gemäß Art10 EMRK sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG.

Dem Antrag ist – worauf auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung hinweist – nicht zu entnehmen, welche der behaupteten Verfassungswidrigkeiten im Einzelnen hinsichtlich welcher der angefochtenen Bestimmungen (§3, §5, §101, §106, §112 und §157 Abs2 StPO) vorliegen sollen. In diesem Sinne enthält der Antrag keine hinreichende Zuordnung der Bedenken zu den einzelnen angefochtenen Bestimmungen im Sinne des §62 Abs1 VfGG. Soweit der Antrag pauschal vorgetragene verfassungsrechtliche Bedenken erhebt, ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, diese Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und auf diesem Weg das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren.

Dabei handelt es sich um ein materielles Formgebrechen, das nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einem Mängelbehebungsauftrag nicht zugänglich ist (vgl etwa VfSlg 15.342/1998, 17.553/2005; VfGH 29.4.2022, G29/2022).

4. Darüber hinaus macht der Antragsteller ausdrücklich geltend, dass er "durch die im Ergebnis verfassungswidrige Anwendung" der angefochtenen Bestimmungen in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt werde. Es bestünde "durchaus die Möglichkeit, die angefochtenen Bestimmungen auch verfassungskonform zu interpretieren".

Der Antragsteller macht somit lediglich Vollzugsmängel geltend. Solche Bedenken sind unzulässig, weil der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen entscheidet. Die Entscheidung eines Gerichtes ist nicht Prüfungsgegenstand eines Verfahrens nach Art140 B-VG (vgl VfGH 2.7.2015, G145/2015; 26.2.2016, G179/2015 ua; 22.9.2016, G607/2015).

5. Der Antrag ist überdies auch deswegen insoweit unzulässig, als §5, §101 und §112 StPO im gerichtlichen Anlassverfahren nicht präjudiziell sind und dem Antrag auch kein Vorbringen zur Präjudizialität dieser Bestimmungen im Einzelnen zu entnehmen ist:

§5 StPO regelt den Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit. Selbstverständlich hat das Landesgericht für Strafsachen Wien diesen Grundsatz bei seinen Entscheidungen stets zu beachten. Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat diese Bestimmung in seiner Entscheidung aber nicht iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG angewendet.

§101 StPO regelt die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und sieht insbesondere vor, dass die Staatsanwaltschaft die hiefür erforderlichen Anträge bei Gericht zu stellen und diese zu begründen hat. Für den Verfassungsgericht

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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