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Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das am 8. Juni 2022 mündlich verkündete und am 7. Juli 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W101 2243335-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: A H, in W, vertreten durch MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz Eugen-Straße 70/2/1.1), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 1. Dezember 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit einer drohenden Einberufung als Reservist zum syrischen Militärdienst begründete. Auch die kurdische Miliz verlange von ihm zu kämpfen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (die revisionswerbende Partei) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 21. April 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres.
3 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem am 8. Juni 2022 mündlich verkündeten und am 7. Juli 2022 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
4 In der Begründung des Erkenntnisses führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren von Belang - aus, der Mitbeteiligte habe seinen Militärdienst in der syrischen Armee abgeleistet, er sei dabei an Waffen ausgebildet worden und habe sich ein Spezialwissen über die Reparatur von Militärfahrzeugen angeeignet. Der Mitbeteiligte habe Syrien aufgrund einer drohenden Einberufung zum Reservedienst verlassen und nach seiner Ausreise sei seine Einberufung auch angeordnet worden. Aufgrund seines Spezialwissens sei der Mitbeteiligte auch nach Vollendung seines 43. Lebensjahres noch für das syrische Militär von Interesse. Der Mitbeteiligte habe sein Fluchtvorbringen gleichbleibend glaubhaft angegeben und durch die Vorlage von Dokumenten belegt. Bei einer Rückkehr drohe ihm als Wehrdienstverweigerer Verfolgung aufgrund seiner oppositionellen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK).
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, die Beweiswürdigung des BVwG sei unvertretbar und es habe aktenwidrig angenommen, dass der Mitbeteiligte bei der Reparatur von Militärfahrzeugen ein Spezialwissen erworben habe. In diesem Zusammenhang habe sich das BVwG zudem nicht substantiiert mit der Begründung der amtsrevisionswerbenden Partei im Bescheid auseinandergesetzt, wonach der Mitbeteiligte kein solches Spezialwissen erworben habe. Das BVwG habe es unterlassen, die Echtheit und Richtigkeit des erst nachträglich in der Verhandlung vom Mitbeteiligten vorgelegten Einberufungsbefehls zu prüfen. Das BVwG hätte dazu weitere Ermittlungsschritte setzen und etwa einen Sachverständigenbeweis aufnehmen müssen. Zudem hätte das BVwG in Bezug auf das erst in der Verhandlung vorgelegte Beweismittel auf das Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA-VG Bedacht nehmen müssen. Letztlich habe sich das BVwG bei der Beurteilung der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Einberufung des Mitbeteiligten zum syrischen Militär nicht mit der Herkunftsregion des Mitbeteiligten auseinandergesetzt, welche unter kurdischer Kontrolle stehe und damit kein Zugriff seitens des syrischen Regimes auf den Mitbeteiligten möglich sei.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Soweit die Revision eine mangelhafte Auseinandersetzung mit dem in der Verhandlung vorgelegten Einberufungsbefehl zum Reservedienst rügt, weist sie selbst darauf hin, dass die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
10 Im konkreten Fall legte der Mitbeteiligte ausführlich dar, wie er nachträglich über einen Rechtsanwalt in Syrien an den für ihn ausgestellten Einberufungsbefehl gekommen sei. Vom BVwG wurde noch in der Verhandlung eine Übersetzung durch die gerichtlich beeidete Dolmetscherin veranlasst. In der Beweiswürdigung hielt das BVwG fest, dass sich das glaubwürdige Vorbringen des Mitbeteiligten mit den von ihm vorgelegten und übersetzten Dokumenten decke. Dass sich stichhaltige Anhaltspunkte für das BVwG ergeben hätten, an der Echtheit und Richtigkeit des Beweismittels zu zweifeln und es daher verhalten gewesen wäre, von Amts wegen weitere Ermittlungsschritte vorzunehmen, vermag die Revision vor diesem Hintergrund nicht darzulegen.
11 Gleiches gilt für das Vorbringen der Revision, das BVwG hätte sich mit dem Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA-VG hinsichtlich des erst in der Verhandlung vorgelegten Einberufungsbefehls und einer dahingehenden Missbrauchsabsicht auseinandersetzen müssen. Zum einen lässt die Revision die Aussagen des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung außer Acht, wonach er nach seiner Einvernahme beim BFA die Übermittlung der Dokumente über Kontakte in Syrien veranlasst habe, und vermag sohin nicht aufzuzeigen, dass das BVwG unvertretbar nicht auf das Neuerungsverbot Bedacht genommen hätte. Zum anderen lässt der Umstand, dass der Mitbeteiligte die Dokumente seinem Anwalt im Rahmen des Vorbereitungsgespräches für die Verhandlung übergeben hatte, keine Absicht einer missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens erkennen.
12 Die Revision rügt darüber hinaus, dass das BVwG ohne entsprechendes Vorbringen und aktenwidrig davon ausgegangen sei, dass der Mitbeteiligte über Spezialwissen verfüge und ihm daher trotz seines Alters von 43 Jahren eine Einberufung als Reservist drohe. Zudem habe sich das BVwG nicht mit der gegenteiligen Beurteilung der amtsrevisionswerbenden Partei im Bescheid auseinandergesetzt.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 18.7.2022, Ra 2022/18/0069, mwN).
14 Eine Aktenwidrigkeit liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn sich die Behörde bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat, wenn also der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen wurden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. etwa VwGH 27.1.2022, Ra 2022/20/0005, mwN und VwGH 28.6.2018, Ra 2018/18/0358 ).
15 Das BVwG nahm eine Beurteilung der Angaben des Mitbeteiligten vor, wonach dem Mitbeteiligten eine Einberufung als Reservist zum syrischen Militär drohe, und würdigte dabei seine Aussagen, welche Tätigkeiten er im Zuge der Ableistung seines Militärdienstes vorgenommen habe. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte es aus, der Mitbeteiligte habe nachvollziehbar dargelegt, dass er im Rahmen des regulären Wehrdienstes Ausbildungen absolviert und an der Reparatur von (Militär-)Fahrzeugen mitgewirkt habe. Davon ausgehend schloss das BVwG, dass - entgegen der von der Amtsrevisionswerberin im Bescheid dargelegten Ansicht - der Mitbeteiligte über besondere militärische Qualifikationen verfüge, aufgrund derer er für das syrische Militär noch immer von Interesse sei. Auch ergebe sich aus den herangezogenen Länderberichten im Gegensatz zu den Feststellungen der Amtsrevisionswerberin sehr wohl, dass das syrische Militär weiterhin großen Personalbedarf habe und sich das Maß der Willkür hinsichtlich der Praxis der Einberufungen zuletzt sogar erhöht habe. Damit liegt jedoch weder die von der Revision gerügte Aktenwidrigkeit vor, noch vermag die Revision stichhaltig darzulegen, dass die Beweiswürdigung des BVwG unvertretbar wäre. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass sich das BVwG ohne Begründung über die Argumente der amtsrevisionswerbenden Partei hinweggesetzt hätte.
16 Die Revision rügt schließlich, das BVwG habe bei der Beurteilung der Verfolgungsgefahr die unter kurdischer Kontrolle stehende Herkunftsregion des Mitbeteiligten unberücksichtigt gelassen, in der das syrische Regime keinen Zugriff auf den Mitbeteiligten habe. Zutreffend ist, dass der Mitbeteiligte aus Kobane (Provinz Aleppo) stammt, die nach den Feststellungen des BVwG im angefochtenen Erkenntnis unter der Kontrolle der kurdischen Volksverteidigungskräfte steht. Dass ihm deshalb keine Rekrutierung durch die syrische Armee drohen würde, bringt die Revision allerdings erstmals vor. Weder in ihrem Bescheid noch im Beschwerdefahren wurde dies gegen die Berechtigung seines Antrags ins Treffen geführt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung jedoch nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das - wie hier - unter das Neuerungsverbot im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof fällt (vgl. etwa VwGH 18.7.2022, Ra 2022/18/0097, mwN).
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 12. September 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180202.L00Im RIS seit
10.10.2022Zuletzt aktualisiert am
10.10.2022