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AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 16. Mai 2022, 1. VGW-002/082/10301/2021-6 und 2. VGW-002/V/082/10303/2021, betreffend Übertretung des Wiener Wettengesetzes (mitbeteiligte Partei: 1. P und 2. A GmbH, beide in G und vertreten durch die Shmp Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde (nunmehrige Amtsrevisionswerberin) vom 25. Mai 2021 wurde der Erstmitbeteiligte folgender Übertretung schuldig erachtet (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
„Sie [der Estmitbeteiligte] haben als von den zur Vertretung nach außen Berufenen (handelsrechtlichen Geschäftsführern) der [Zweitmitbeteiligten] bestellter, und somit als gemäß § 9 Abs. 2 VStG 1991 verantwortlicher Beauftragter dieser Gesellschaft, zu verantworten, dass die [Zweitmitbeteiligte] am 29.10.2020 zwischen 15:47 Uhr und 16:32 Uhr in der Betriebsstätte in [...] Wien, F[...]-Platz [...], in der diese Gesellschaft die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich in der Art des gewerbsmäßigen Abschlusses von Wetten aus Anlass sportlicher Veranstaltungen, wie z.B. Fußballspiele, durch Wettterminals im Sinne des § 2 Z 8 Wiener Wettengesetz sowie einen Wettannahmeschalter ausübt, insofern die Verpflichtung des § 19 Abs. 2 2. Satz Wiener Wettengesetz, wonach in Betriebsstätten ohne ständige Aufsicht durch verantwortliche Personen der Wettunternehmerin oder des Wettunternehmers oder durch diese oder diesen selbst durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden muss, dass bereits der Zutritt zur Betriebsstätte nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht wird, nicht eingehalten hat, als im Zuge der durchgeführten Schwerpunktaktionskontrolle ein Mitarbeiter der Magistratsabteilung 36, welcher nicht als Teil der Amtsabordnung zu erkennen war und sich auch nicht als Behördenorgan ausgewiesen oder zu erkennen gegeben hat, die Betriebsstätte, in der im Eingangsbereich auch Wettterminals und ein Wettannahmeschalter aufgestellt waren, betreten konnte, ohne dass seine Identität überprüft wurde, und am Tisch Nr. 2 links des Einganges Platz nehmen konnte, und dieser Mitarbeiter während des 45 minütigen Aufenthaltes in der Betriebsstätte kein einziges Mal kontrolliert wurde, obwohl es sich bei der gegenständlichen Betriebsstätte um eine solche ohne ständige Aufsicht handelt, da die verantwortliche Person, nämlich Herr A[...] W[...], im Tatzeitpunkt nicht anwesend war, und somit nicht durch geeignete Maßnahmen sichergestellt wurde, dass der Zutritt nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht wird.“
2 Der Erstmitbeteiligte habe mit dieser Übertretung § 19 Abs. 2 zweiter Satz Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016 idgF verletzt, weshalb über ihn gemäß § 24 Abs. 1 Z 12 Wiener Wettengesetz in Verbindung mit § 9 Abs. 2 VStG eine Geldstrafe von € 2.640,-- (Ersatzfreiheitsstrafe fünf Tage und eine Stunde) verhängt wurde. Weiters wurde dem Erstmitbeteiligten die Zahlung von € 264,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt. Die Zweitmitbeteiligte hafte für die Geldstrafe und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand.
3 Der gegen dieses Straferkenntnis von beiden mitbeteiligten Parteien erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - Folge und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 erster Fall VStG ein. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.
4 Das Verwaltungsgericht stellte - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - fest, dass die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht (und nunmehrige Amtsrevisionswerberin) in einem förmlichen E-Mail des Referatsleiters am 1. Juli 2019 bestätigt habe, dass in den sogenannten „Eigenfilialen“ wie der vorliegenden Betriebsstätte Aufenthaltskontrollen den Vorgaben des § 19 Wiener Wettengesetzes entsprächen.
5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung aus, der Erstmitbeteiligte habe das ihm angelastete Tatbild erfüllt, weil in der Betriebsstätte im Tatzeitraum keine ständige Aufsicht gegeben gewesen sei, weil eine verantwortliche Person nicht anwesend gewesen sei, sodass (in dieser Zeit) geeignete Maßnahmen vorzusehen gewesen und auch zu setzen gewesen wären, die sicherstellen, dass bereits der Zutritt zur Betriebsstätte nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht werde (Verweis auf VwGH 22.1.2021, Ro 2020/02/0005 bis 0007).
6 Zur subjektiven Tatseite hielt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass vor dem Hintergrund der im angelasteten Tatzeitraum geltenden Rechtslage und der damals dazu ergangenen Rechtsprechung dem Erstmitbeteiligten noch kein strafwürdiger Verschuldensvorwurf zur Last gelegt werden könne. Zwar könne sich der Erstmitbeteiligte schuldbefreiend auf eine (auch) in seinem Sinn ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtes schon deshalb nicht berufen, weil zahlreiche Entscheidungen ergangen seien, die den Standpunkt der beteiligten Parteien explizit abgelehnt hätten (Verweis auf VwGH 6.4.2021, Ra 2020/02/0281, Rz 16). Allerdings sei in der Folge von der zuständigen Behörde eine eindeutige (und von ihr selbst auch so umgesetzte) Rechtsauskunft erteilt worden, die Überlegungen auf Seiten der mitbeteiligten Parteien maßgeblich beeinflusst und gelenkt hätte, sodass das Risiko einer sich nachträglich als unzutreffend erweisenden (behördlichen) Rechtsansicht ungeachtet der als eindeutig anzusehenden Rechtslage nach Ansicht des Verwaltungsgerichts in der vorliegenden Konstellation nicht (mehr) uneingeschränkt dem Erstmitbeteiligten auferlegt werden könne (anders sei insoweit noch die Sachlage im VwGH 22.1.2021, Ro 2020/02/0005 bis 0007).
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der belangten Behörde, welche zur Zulässigkeit ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen eines schuldausschließenden Verbotsirrtums im Sinn des § 5 Abs. 2 VStG geltend macht. Dazu wird ausgeführt, der Verwaltungsgerichtshof habe in dem Erkenntnis vom 22. Jänner 2021, Ro 2020/02/0005 bis 0007, das Vorliegen eines schuldauschließenden Verbotsirrtums zu einem beinahe identen Sachverhalt betreffend die gleiche Betriebsstätte verneint. Der einzige erwähnenswerte Unterschied sei, dass die Behörde der Wettunternehmerin in einer E-Mail vom 1. Juli 2019 nochmals mitgeteilt habe, dass sie die Rechtsansicht vertrete, wonach für eine ständige Aufsicht gemäß § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz die Anwesenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wettunternehmerin ausreiche. Zudem habe das Verwaltungsgericht mit Entscheidung vom 17. Februar 2020, VGW-002/094/12047/2019, VGW-002/V/094/12048/2019, klargestellt, dass es die vom Verwaltungsgerichtshof später bestätigte Rechtsmeinung vertrete. Spätestens ab Kenntnis dieses Umstandes hätten die mitbeteiligten Parteien aufgrund der ihnen wegen der Ausnützung der Rechtsordnung im Wirtschaftsleben bis aufs Äußerste obliegenden besonderen Sorgfaltspflicht (Verweis auf VwGH 4.3.2020, Ro 2019/02/0018) Zutrittskontrollen anwenden müssen. Es sei ein begründeter Verdacht vorgelegen, dass die Rechtsansicht der Behörde vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werde, was schließlich auch der Fall gewesen sei.
8 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zum Vorliegen eines entschuldigenden Verbotsirrtums zulässig und begründet.
10 Gemäß § 5 Abs. 2 VStG entschuldigt die irrige Auslegung der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwider gehandelt hat - wie auch deren Unkenntnis - nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Auslegung (bzw. Kenntnis) der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte. Die irrige Gesetzesauslegung, wie auch die Unkenntnis des Gesetzes, müssen somit unverschuldet sein. Bei der Einhaltung der einem am Wirtschaftsleben Teilnehmenden obliegenden Sorgfaltspflicht bedarf es im Zweifelsfall einer Objektivierung geeigneter Erkundigungen. Die entsprechenden Erkundigungen können nicht nur bei den Behörden, sondern auch bei einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung berechtigten Person eingeholt werden. Hat die Partei eine falsche Auskunft erhalten, so liegt ein schuldausschließender Irrtum dann nicht vor, wenn sie Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft hätte haben müssen bzw. die Auskunft die Annahme der Gesetzeskonformität für den konkreten Sachverhalt nicht begründen konnte (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung in diesem Sinn etwa VwGH 19.12.2017, Ro 2015/17/0031, mwN).
11 Das Verschulden am objektiv unterlaufenen Rechtsirrtum ist somit dann nicht auszuschließen, wenn bei Anwendung der gehörigen Sorgfalt hätte auffallen müssen, dass Auskünfte nicht geeignet sind, sich für eine bestimmte Rechtsmeinung auf sie zu stützen. Auch kann aus dem Umstand, dass Recht in verschiedenen Fällen von Verwaltungsbehörden oder Gerichten unterschiedlich angewendet wird, niemand ein Recht ableiten. Gerade in Fällen, in denen die Möglichkeiten der Rechtsordnung im Wirtschaftsleben bis aufs Äußerste ausgenutzt werden sollen, ist eine besondere Sorgfalt bei der Einholung von Auskünften über die Zulässigkeit einer beabsichtigten Tätigkeit an den Tag zu legen (vgl. erneut VwGH 22.1.2021, Ro 2020/02/0005 bis 0007, mwN).
12 Bereits vor dem gegenständlichen Tatzeitpunkt (29. Oktober 2020) lag das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 17. Februar 2020,1. VGW-002/094/12047/2019 und 2. VGW-002/V/094/12048/2019, vor, in dem bereits die Auffassung vertreten wurde, dass die Anwesenheit von geschulten Mitarbeitern der hier Zweitmitbeteiligten keine ständige Aufsicht im Sinn von § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz darstelle. Aufgrund der dagegen erhobenen Parteirevision hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Jänner 2021, Ro 2020/02/0005 bis 0007, unter Hinweis auf den insofern klaren Gesetzeswortlaut diese Rechtsauffassung bestätigt und festgehalten, dass die verantwortliche Person der Wettunternehmerin oder des Wettunternehmers nur eine solche im Sinne des § 5 Abs. 1 lit. a Wiener Wettengesetz sein könne. Das Vorliegen eines schuldausschließenden Verbotsirrtums im Hinblick auf einen Aktenvermerk der belangten Behörde vom 19. Juli 2018 verneinte der Verwaltungsgerichtshof insbesondere mit der Begründung, dass die dortige Erstrevisionswerberin bei der ihr obliegenden Sorgfalt die Auskunft nicht so verstehen hätte dürfen, dass die Aufsicht auch durch nicht ausdrücklich in § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz genannte Personen zulässig sei (auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen).
13 Ausgehend davon vermag auch die vom Verwaltungsgericht als maßgeblich erachtete Auskunft der Behörde vom Juli 2019 keinen Entschuldigungsgrund im Sinn der dargelegten Rechtslage abzugeben. Unter Berücksichtigung des nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes streng anzulegenden Maßstabes an die Sorgfaltspflichten im Wirtschaftsleben wäre es an dem Erstmitbeteiligten gelegen, sich mit den Argumenten des Verwaltungsgerichtes im Erkenntnis vom 17. Februar 2020 näher auseinanderzusetzen und das zum Tatzeitpunkt bereits einige Zeit zurückliegende E-Mail der Behörde zu hinterfragen. Sämtliche von den mitbeteiligten Parteien in ihrer Revisionsbeantwortung ins Treffen geführte Einstellungen durch die belangte Behörde und aufhebende Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes datieren im Übrigen nach ihrem eigenen Vorbringen vor dem hier vorliegenden Tatzeitpunkt und vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. Februar 2020.
14 Das Verwaltungsgericht hat daher die Rechtslage verkannt, wenn es einen Entschuldigungsgrund im Sinn der dargelegten Rechtslage angenommen hat.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 15. September 2022
Schlagworte
Allgemein Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020141.L00Im RIS seit
10.10.2022Zuletzt aktualisiert am
10.10.2022