TE Vwgh Beschluss 2022/9/21 Ra 2022/19/0104

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Veröffentlicht am 21.09.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs3
BFA-VG 2014 §21 Abs6a
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VwGG § 28 heute
  2. VwGG § 28 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. VwGG § 28 gültig von 01.01.2017 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2017
  4. VwGG § 28 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2016 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  5. VwGG § 28 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 28 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 28 gültig von 01.01.1991 bis 31.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  8. VwGG § 28 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990
  1. VwGG § 34 heute
  2. VwGG § 34 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2021
  3. VwGG § 34 gültig von 01.01.2014 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  4. VwGG § 34 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  5. VwGG § 34 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 34 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 34 gültig von 01.09.1997 bis 31.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/1997
  8. VwGG § 34 gültig von 05.01.1985 bis 31.08.1997

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des Z A, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2022, W232 2252173-1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 25. Oktober 2021 in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 1. Dezember 2021 stellte er in Österreich neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) stellte am 20. Dezember 2021 ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) an die bulgarischen Behörden. Mangels Reaktion wurde diesen mit Schreiben vom 4. Jänner 2022 mitgeteilt, dass Bulgarien nunmehr zur Durchführung des Verfahrens zuständig sei.

3        Mit Bescheid vom 10. Februar 2022 wies das BFA den in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, stellte für die Prüfung dieses Antrages die Zuständigkeit Bulgariens fest, ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung fest.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend führte das BVwG - soweit hier wesentlich - aus, Bulgarien sei der nach der Dublin III-Verordnung zuständige Mitgliedstaat und habe der Wiederaufnahme des Revisionswerbers durch Verfristung gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung zugestimmt. Aus Art. 16 und 17 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ergebe sich keine Zuständigkeit Österreichs. Selbst bei Wahrunterstellung der vorgebrachten erlittenen Misshandlungen in Bulgarien sei in Zukunft nicht davon auszugehen, dass dem Revisionswerber Derartiges erneut mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen könnte. Der Revisionswerber sei zwar mit einer österreichischen Staatsbürgerin nach islamischem Ritus traditionell verheiratet. Bis zur Einreise des Revisionswerbers hätten sie jedoch eine Fernbeziehung geführt, ein gemeinsamer Haushalt bestehe erst seit Kurzem. Eine besondere Abhängigkeit bestehe nicht. Der Kontakt könne auch über gelegentliche Besuche sowie - wie bisher - über Telefon bzw. soziale Medien aufrechterhalten werden.

6        Vor diesem Hintergrund kam das BVwG zum Schluss, dass der Revisionswerber mit seiner Lebensgefährtin zwar ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK führe, ein Eingriff in die Rechte des Revisionswerbers nach Art. 8 EMRK aber zulässig sei, weil dieses im Bewusstsein des unsicheren Aufenthalts des Revisionswerbers begründet worden sei.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, weil dem Bescheid vom 10. Februar 2022 maßgebliche Ermittlungsmängel anhaften würden. So sei der Revisionswerber nicht hinreichend zu seinem Familienleben sowie zu seinen Erfahrungen in Bulgarien befragt worden, die Länderberichte seien überdies veraltet. In der Beschwerde sei dem festgestellten Sachverhalt auch substantiiert entgegengetreten worden.

11       Soweit die Revision einen Verstoß gegen die Verhandlungspflicht im Hinblick auf die Güterabwägung nach Art. 8 EMRK rügt, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof zwar ausgesprochen hat, bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 21.12.2021, Ra 2021/19/0438, mwN).

12       Von einem solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG in vertretbarer Weise ausgehen. Vor dem Hintergrund, dass das BVwG ein Familienleben des Revisionswerbers in Österreich unter den festgestellten Umständen angenommen hat, jedoch zu Recht bei der Gewichtung der für den Revisionswerber sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einbezog, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0683, mwN), vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass der Sachverhalt fallbezogen nicht als gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt angesehen werden durfte. Da schon nach den Kriterien des § 21 Abs. 7 BFA-VG ein Unterbleiben der mündlichen Verhandlung zulässig war, stellt sich die Frage, ob nach § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung von der Durchführung der Verhandlung Abstand genommen werden kann, somit nicht mehr (zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren nach § 21 Abs. 6a BFA-VG und dessen Verhältnis zu § 21 Abs. 7 BFA-VG vgl. grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 22.4.2021, Ra 2020/19/0419, mwN).

13       Die Revision bringt in diesem Zusammenhang des Weiteren vor, das BVwG habe den Beweisantrag des Revisionswerbers auf zeugenschaftliche Einvernahme seiner „Ehefrau“ außer Acht gelassen und insofern seine Pflicht zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes verletzt.

14       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beachtlichkeit eines Beweisantrages die ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas voraus, das mit dem Beweismittel unter Beweis gestellt werden soll, somit jener Punkte und Tatsachen, die durch das angegebene Beweismittel geklärt werden sollen (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0055, mwN). Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt aber der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 18.3.2022, Ra 2021/19/0395, mwN).

15       Der Beweisantrag des Revisionswerbers erwies sich schon vor dem Hintergrund, dass mit der bloßen Angabe, die Lebensgefährtin des Revisionswerbers könne als Zeugin „zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts“ beitragen, keine im Sinne der zitierten Rechtsprechung ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas erfolgte. Überdies lehnte das BVwG den Beweisantrag des Revisionswerbers im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass es seiner Entscheidung ein Familienleben zwischen dem Revisionswerber und seiner Lebensgefährtin in Österreich zu Grund gelegt habe. Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen, welches sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die Lebensgefährtin hätte diverse Aussagen über die Beziehungsintensität und das Eheleben treffen können, nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG, von der Einvernahme der Lebensgefährtin des Revisionswerbers abzusehen, unvertretbar wäre.

16       Wenn die Revision zuletzt - unter Anführung diverser Berichte - rügt, das BVwG habe veraltete Länderberichte herangezogen, macht sie einen Verfahrensmangel geltend, dessen Relevanz in konkreter Weise darzulegen ist. Das Revisionsvorbringen wird dieser Anforderung, insbesondere vor dem Hintergrund der Kriterien für die Widerlegung der Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005, sowie des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedsstaaten, nicht gerecht (vgl. erneut VwGH 21.12.2021, Ra 2021/19/0438, mwN). Soweit sich die Revision in diesem Zusammenhang gegen das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung wendet, legt sie mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen auch keine Rechtswidrigkeit am Maßstab der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht in Zulassungsverfahren dar (vgl. dazu erneut VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072, mwN).

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. September 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190104.L00

Im RIS seit

10.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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