TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/17 95/21/0129

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.04.1996
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
AVG §47;
AVG §48;
AVG §60;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZPO §292 Abs2;
ZustG §17;
ZustG §22;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Jänner 1995, Zl. 102.066/2-III/11/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. März 1994 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz abgewiesen. Dieser Bescheid wurde laut Zustellschein am 21. März 1994 mit Beginn der Abholfrist am 22. März 1994 postamtlich hinterlegt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er eingangs ausführte, daß ihm die Hinterlegungsanzeige erst am 25. März von einem Nachbarn im selben Haus (Name: C), in dessen Briefkasten der Briefträger die Hinterlegungsanzeige gelegt hatte, gebracht worden sei. Die hinterlegte Sendung sei daraufhin sofort am 25. März 1994 behoben worden, sodaß die Berufung fristgerecht sei.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) die Berufung zurück. In der Begründung wurde ausgeführt, daß das zuständige Postamt auf Anfrage mitgeteilt habe, daß das Zustellorgan die gegenständliche "Verständigung über die Hinterlegung" verläßlich in das so ziemlich einzige unbeschädigte Fach Nr. 59 an der angegebenen Adresse eingelegt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0017, m. w.N.) hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des mit dem Rechtsmittel angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist, insbesondere ob die auf dem Rückschein vermerkten Daten den Tatsachen entsprechen. Die Behörde hat die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist dem Rechtsmittelwerber zur Stellungnahme vorzuhalten. Unterläßt sie dies, trägt sie das Risiko der Aufhebung des Bescheides wegen unterlaufener Verfahrensmängel.

Im Beschwerdefall liegt ein die gehörige äußere Form aufweisender Zustellnachweis über die Zustellung des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien an den Beschwerdeführer vor. In diesem Rückschein ist festgehalten, daß die Verständigung über die Hinterlegung der Sendung in das Hausbrieffach eingelegt und die Sendung beim Postamt 1062 Wien hinterlegt worden sei. Als Beginn der Abholfrist ist der 22. März 1994 angeführt.

Ein vom Zusteller erstellter Zustellnachweis ist eine öffentliche Urkunde, die den Beweis darüber erbringt, daß die für die Zustellung maßgebenden, auf dem Rückschein beurkundeten Angaben des Zustellers richtig sind und insoweit die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, doch ist der Gegenbeweis gemäß § 292 Abs. 2 ZPO zulässig. Behauptet jemand, es lägen Zustellmängel vor, so hat er diese Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise anzuführen, die die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen (vgl. das oben zitierte Erkenntnis).

In der vorliegenden Angelegenheit behauptete der Beschwerdeführer bereits in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, daß die Verständigung über die Hinterlegung nicht in das für seine Abgabestelle bestimmte Hausbrieffach eingelegt wurde. Er bot dafür auch einen Zeugenbeweis an. Damit hat der Beschwerdeführer aber ausreichende Behauptungen für den Beweis der Rechtsunwirksamkeit der Hinterlegung aufgestellt und auch den Beweis dafür angeboten. Der Umstand, daß das Beweisanbot mangelhaft war, weil lediglich der Name des Zeugen angegeben wurde, berechtigte die belangte Behörde nicht, das Verfahren ohne Versuch, diesen Zeugen einzuvernehmen, abzuschließen. Die Behörde ist nämlich in einem solchen Fall verpflichtet, eine angemessene Frist zur Bekanntgabe einer ladungsfähigen Anschrift des Zeugen von Amts wegen festzusetzen. Erst nach Ablauf dieser Frist darf die Behörde annehmen, daß der Beweis nicht erbracht werden könne (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1971, Zl. 1138/70, VwSlg. 8048/A). Die von der belangten Behörde veranlaßte telefonische Anfrage beim Zustellorgan, vermag diesen Verfahrensmangel nicht zu beseitigen. Die Behörde darf nämlich die Aufnahme eines Beweises von vornherein nur dann ablehnen, wenn er objektiv gesehen nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern. Davon kann in der vorliegenden Angelegenheit jedoch nicht gesprochen werden. Eine Würdigung der Beweise hinsichtlich ihrer subjektiven Glaubwürdigkeit ist aber nur nach ihrer Aufnahme möglich. Eine vorgreifende Beweiswürdigung ist unzulässig (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, zu § 45 Abs. 2 AVG, Nr. 72 bis 74 referierte hg. Rechtsprechung).

Die belangte Behörde hat damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG belastet, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie bei Aufnahme des angebotenen Beweises zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Damit war der angefochtene Bescheid spruchgemäß aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisParteiengehör RechtsmittelverfahrenParteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle WahrheitBeweismittelBeweiswürdigung antizipative vorweggenommeneBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des BerufungsbescheidesSachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtAblehnung eines Beweismittels

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995210129.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

27.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten