Entscheidungsdatum
07.07.2022Norm
B-VG Art130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag.Dr. Wessely, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde der Frau A, vertreten durch Herrn B, Rechtsanwalt in ***, im Zusammenhang mit einer Zurückweisung an der Grenze am 16. Oktober 2021 auf dem Flughafen ***, zu Recht:
1. Der Beschwerde, die Beschwerdeführerin sei durch die Zurückweisung an der Grenze in ihren Rechten verletzt worden, wird gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG Folge gegeben. Der angefochtene Verwaltungsakt wird für rechtswidrig erklärt.
2. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat der Beschwerdeführerin gemäß § 35 VwGVG i.V.m. der VwG-Aufwandsersatzverordnung, BGBl. II 2013/517, € 737,60 (Schriftsatzaufwand) binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
3. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (§ 25a VwGG).
Entscheidungsgründe:
I. Bisheriger Verfahrensgang und Beschwerdevorbringen:
Mit E-Mail vom 26. November 2021 erhob die Beschwerdeführerin eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde im Zusammenhang mit einer Zurückweisung an der Grenze am 16. Oktober 2021 auf dem Flughafen ***. Sie habe an diesem Tag mit ihrem simbabwischen Reisepass und einem von einer isländischen Vertretungsbehörde ausgestellten Schengen-Mehrfachvisum, das vom 25. August 2021 bis zum 24. August 2022 gültig gewesen sei, als Touristin nach Österreich einreisen wollen. Die Zurückweisung habe man damit erklärt, dass sie über Island in den Schengenraum hätte einreisen müssen. Anlässlich der Grenzkontrolle hätte sie einen Nachweis über die gebuchte Unterkunft in ***, einen solchen über die finanziellen Mittel für die Dauer ihres Aufenthalts und einen weiteren über den für 18. Oktober 2021 gebuchten Rückflug nach Großbritannien ebenso bei sich gehabt wie eine Übersicht über den geplanten Reiseverlauf in Österreich.
Mit hg. Schreiben vom 30. November 2021 wurde die Beschwerdeführerin angesichts des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Juni 2019, Ra 2017/19/0261, gemäß § 17 VwGVG i.V.m. § 6 AVG zuständigkeitshalber an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. Mit Schreiben vom 20. Juni 2022 beharrte sie auf einer Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich.
In ihrer Gegenschrift führte die belangte Behörde aus, dass die Einreise der Beschwerdeführerin in den Schengenraum ausweislich der Eintragung im Visainformationssystem (VIS) über Island hätte erfolgen sollen. Zumal sie keinen Nachweis für eine Reise nach Island habe erbringen können, habe sie nicht über die erforderlichen Dokumente zum Nachweis von Aufenthaltszweck und Aufenthaltsbedingungen verfügt, sodass die Einreisevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex (SGK) nicht erfüllt gewesen seien; nach Art. 14 SGK sei die Einreise zu verweigern gewesen. In Ermangelung des isländischen Visumaktes könne jedoch nicht beurteilt werden, ob das isländische Konsulat das Visum erteilte habe, weil das Hauptreiseziel Island hätte sein sollen, oder ob dies – da kein Hauptreiseziel bestimmt werden hätte können – der Fall gewesen sei, weil die erste Einreise in den Schengenraum in Island hätte erfolgen sollen. Sollte das Visum nach Art. 5 Abs. 1 lit. c Visakodex vom isländischen Konsulat erteilt worden sein, so hätte das Visum gemäß Art. 34 Visakodex aufgehoben werden müssen, weil die Voraussetzungen für die Erteilung des Visums nicht mehr erfüllt gewesen wären. Die Einreiseverweigerung hätte sodann aufgrund des Fehlens eines gültigen Visums erfolgen müssen. Im Übrigen verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung.
II. Durchgeführtes Beweisverfahren:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die von den Parteien vorgelegten Schriftsätze und Unterlagen.
III. Feststellungen und Beweiswürdigung:
Demnach steht folgender Sachverhalt fest: Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige von Zimbabwe, stellte sich am 16. Oktober 2021 um *** Uhr mit Flug *** aus *** kommend auf dem Flughafen *** der Grenzkontrolle. Sie wies sich mit ihrem gültigen Reisepass aus und wies ein isländisches Visum C, gültig von 25. August 2021 bis 24. August 2022 für die mehrfache Einreise, vor. Dem Visainformationssystem (VIS) zufolge sollte der erste Grenzübertritt in den Schengenraum über Island erfolgen. Den einschreitenden Beamten gegenüber hielt die Beschwerdeführerin fest, sie habe ursprünglich vorgehabt, zunächst nach Island zu reisen, was jedoch nicht möglich gewesen sei. Nunmehr wolle sie als Touristin nach Österreich einreisen.
Diese Feststellungen gründen sich auf die übereinstimmenden Angaben der Parteien und die vorgelegten unbedenklichen Unterlagen.
IV. Daraus ergibt sich in rechtlicher Hinsicht:
1. Zur Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Sofern der einfache Gesetzgeber über die sachliche Zuständigkeit keine Regelung trifft, entscheiden über derartige Beschwerden in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, das Bundesverwaltungsgericht, im Übrigen die Landesverwaltungsgerichte (Art. 131 B-VG).
Gemäß § 88 Abs. 1 SPG erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Mit Erkenntnis vom 25. Juni 2019, Ra 2017/19/0261, hielt der Verwaltungsgerichtshof jedoch (bezogen auf §§ 2 Abs. 2 bzw 88 Abs. 2 SPG) fest, dass trotz einer ausdrücklichen Zuordnung einer Angelegenheit in § 2 Abs. 2 SPG zur Sicherheitsverwaltung die im SPG vorgesehene einfachgesetzliche Berufung der Landesverwaltungsgerichte als Rechtsmittelinstanz dann keine Anwendung finde, wenn eine dort genannte Materie (allenfalls teilweise) in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen würde; ausschlaggebend sei, dass die Bundesländer die erforderliche Zustimmung zur Begründung der Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte nicht erteilt hätten, sodass das Gesetz verfassungskonform zu interpretieren sei. Mit weiterem Erkenntnis vom 5. Jänner 2022, Ro 2021/01/0023, stellte das Höchstgericht klar, dass dieser Ansatz nur dann zur Anwendung gelangen solle, wenn die Angelegenheit von einer von den Sicherheitsbehörden des Bundes verschiedenen organisatorischen Bundesbehörde vollzogen würde. Demnach seien für Beschwerden im Zusammenhang mit der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm die Landesverwaltungsgerichte zuständig.
2. In der Sache:
In der Sache selbst sind die angefochtenen Akte auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, wobei diese Prüfung – trotz der Gegenteiliges indizierenden Formulierung des § 27 VwGVG – unabhängig von den in der Beschwerde geltend gemachten Rechten in jede Richtung zu erfolgen hat (VfSlg 14.436/1996; VwGH 25.9.1996, 96/01/0286; 9.9.1997, 96/06/0096; 15.9.1997, 94/10/0027; 23.9.1998, 97/01/0407; vgl. insb. VwGH 30.3.2016, Ra 2015/09/0139, wonach eine Bindung an die Beschwerdegründe des § 27 VwGVG nicht besteht).
Im konkreten Fall erfolgte die Zurückweisung aufgrund der Annahme, dass die Beschwerdeführerin für die von ihr beabsichtigte Einreise über kein erforderliches Visum verfügte. Dem kann auf Basis der auch von der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen nicht nähergetreten werden. Vielmehr steht unstrittig fest, dass die Beschwerdeführerin über ein von den isländischen Behörden ausgestelltes gültiges Visum C verfügte. Soweit die einschreitenden Organe angesichts der Eintragung im VIS, wonach der erste Grenzübertritt in den Schengenraum über Island erfolgen sollte, schlossen, dass das Visum unter dieser „Auflage“ erteilt worden wäre (so der Tagesbericht der belangten Behörde 15./16. Oktober 2021), verkannten sie, dass der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 (Visakodex) die Möglichkeit derartiger Auflagen fremd ist. Unerheblich ist auch, ob die isländischen Behörden allenfalls zur Erteilung des Visums unzuständig waren, zumal – worauf die belangte Behörde selbst zutreffend verweist – das Visum in diesem Fall allenfalls nach Art. 34 Visakodex zu annullieren gewesen wäre. Selbst zu Unrecht erteilte Visa behalten daher infolge dieses Fehlerkalkül bis zu ihrer Aufhebung ihre rechtliche Wirkung.
Vor diesem Hintergrund durften die einschreitenden Organe aber auch den Eintrag im VIS über den ersten Grenzübertritt nicht i.S. einer Auflage verstehen. Diesem Ort kommt für Visazwecke vielmehr ausschließlich für die Frage der Beurteilung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten i.S.d. Art.5 Abs 1 lit. c Visakodex rechtliche Bedeutung zu. Dass damit die Aussagekraft dieser Information im VIS für Grenzkontrollorganen nicht wirklich erkennbar ist, sei eingeräumt.
Im Hinblick darauf, dass sich die Zurückweisung an der Grenze ausschließlich auf dieses Faktum stützte, die einschreitenden Organe bei gehöriger Sorgfalt aber nicht vom Fehlen eines Visums ausgehen durften, erweist die Zurückweisung als rechtswidrig, sodass der Beschwerde schon aufgrund der Aktenlage Folge zu geben war, ohne dass es der Durchführung einer Verhandlung bedurfte.
V. Zum Kostenausspruch:
Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei (Abs. 2). Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (Abs. 3).
Im konkreten Fall war die Beschwerdeführerin als obsiegende Partei zu werten, sodass ihr antragsgemäß der Ersatz des Schriftsatzaufwandes in tarifmäßiger Höhe zuzugestehen war.
VI. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil sich die Entscheidung auf den eindeutigen und klaren Wortlaut des Visakodex stützen kann (vgl. VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0032).
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Zuständigkeit; Zurückweisung an der Grenze; Visum; Visakodex;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.M.64.001.2021Zuletzt aktualisiert am
05.10.2022