Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des N in F, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1995, Zl. 4.333.534/13-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, der am 23. Dezember 1991 in Begleitung seiner Mutter, einer Schwester und zweier Brüder bei der unerlaubten Ausreise nach Deutschland von den Grenzorganen aufgegriffen und nach Österreich zurückgestellt wurde, stellte am 30. Dezember 1991 hier den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Im Zuge seiner fremdenpolizeilichen Behandlung gab er, durch die BH Ried im Innkreis noch am selben Tage einvernommen, in bezug auf seine Fluchtgründe an, er sei Christ und sei von seinem Heimatland aus religiösen Gründen verfolgt worden. Christen seien von Saddam Hussein terrorisiert und beschuldigt worden, die Kurden zu unterstützen. Deshalb habe er (Saddam Hussein) gedroht, das gesamte Wohngebiet der Katholiken von der Armee bombardieren zu lassen. Auch habe der Beschwerdeführer Kriegsdienst leisten müssen für eineinhalb US-Dollar im Monat. Besonders die Christen würden an die Front gestellt. Aus Furcht vor dem Tod sei er geflüchtet, um in einem anderen Land Schutz zu finden. Im Falle seiner Rückkehr habe er mit dem Tod zu rechnen.
Anläßlich der sodann im Asylverfahren durch die zuständige Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich am 23. März 1992 mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen niederschriftlichen Befragung gab dieser zu seinen Fluchtgründen an, er sei Katholik und gehöre zur religiösen Minderheit im Irak. Die Katholiken seien im Irak Schikanen durch die Moslems ausgesetzt. Diese Schwierigkeiten zögen sich durch das ganze Leben. Ärgere Probleme mit irakischen Behörden hätten für seine Familie im Jahr 1982 begonnen, als ein Bruder von ihm geflüchtet sei. Im selben Jahr sei auch ein Onkel und dessen Sohn von der Polizei abgeholt worden und seither vermißt. Im Jahr 1983 sei er selbst zur Parteizentrale geholt und über den Aufenthaltsort seines Bruders verhört worden. Man habe ihn jedoch wieder freigelassen. Die Diskriminierungen hätten sich jedoch ständig fortgesetzt. Sie seien in verschiedenen Abständen wegen des Bruders verhört worden. Er habe dann Militärdienst leisten müssen (laut Punkt 14 der Niederschrift 1987 bis Golfkrieg in Kuwait 1991) und sei zuletzt in Kuwait eingesetzt gewesen. Er habe nicht eingesehen, warum er dort habe kämpfen sollen. Er sei noch vor Ausbruch des Golfkrieges desertiert und zu seiner Familie gelangt, wo er sich versteckt habe, weil er sonst erschossen worden wäre. Er sei mit seiner Familie geflüchtet, weil er keinesfalls im Irak hätte bleiben können. Er könne auch nicht mehr zurückkehren, weil er dann mit dem Tode rechnen müßte. Wenn seine Flucht nicht notwendig gewesen wäre, hätte er nicht seinen kranken Vater zurückgelassen, der dann im September 1991 verstorben sei. Er habe auch der Baath-Partei beitreten sollen, dies jedoch abgelehnt.
Mit Bescheid vom 25. März 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.
Fristgerecht erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Berufung, verwies auf seine Angaben anläßlich des Erstinterviews und ergänzte sein Vorbringen dahingehend, er sei einem dreitägigen Verhör mit vielen Mißhandlungen unterzogen worden, weil er der Baath-Partei nicht habe beitreten wollen. Danach sei er direkt an die vorderste Front nach Kuwait gebracht worden. Er habe dem Tod direkt ins Gesicht gesehen, aus Angst vor dem Tod sei er in den Nordirak geflüchtet, wobei er drei Tage zu Fuß gegangen sei und dann ein Auto gefunden habe, das ihn nach Hause gebracht habe. Dort habe er völlig unerwartet auch seinen Bruder getroffen, der ebenfalls aus dem Krieg gegen Kuwait geflüchtet sei. Beide seien sie jedoch im Nordirak erneut verhaftet und (offenbar während dieser Haft) ohne Essen und Wasser belassen worden, sodaß sich die gesamte Familie zur Flucht aus der Heimat entschlossen habe. In einer (ersten) Berufungsergänzung vom 30. November 1992 ergänzte er seine Angaben zu seinen Fluchtgründen dahingehend, seit der Flucht seines Bruders Sabah 1982 aus dem Irak sei er ständigen Repressalien ausgesetzt gewesen. Dieser Bruder sei 1985 in Schweden als Konventionsflüchtling anerkannt worden und seitdem in Schweden ansässig. Nun habe er einen Antrag auf Verleihung der schwedischen Staatsbürgerschaft gestellt. Im übrigen detaillierte der Beschwerdeführer, seine Flucht vor der irakischen Armee in Kuwait sei am 10. Februar 1992 (richtig: 1991) mit Hilfe eines gefälschten Urlaubscheins gelungen, den er durch Bestechung habe erwerben können. Dank des allgemeinen Chaos und der zusammengebrochenen Verbindung der Kommandozentralen untereinander sei der Schwindel während seiner zehntägigen Untersuchungshaft nicht aufgedeckt worden. Er sei aber sicher, daß sein Name mittlerweile längst auf den Listen der Deserteure verzeichnet sei, weshalb er im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit sofortiger Hinrichtung zu rechnen hätte. In einer (zweiten) Berufungsergänzung vom 21. Jänner 1993 vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, auch wenn die Wehrdienstverweigerung alleine für die Anerkennung als Flüchtling nicht genüge, müsse in Betracht gezogen werden, daß dennoch im Falle der Wehrdienstentziehung Asylrelevanz vorliegen könne, wenn die außergewöhnliche Härte einer drohenden Strafe wegen Wehrdienstentziehung, insbesondere in einem totalitäten Staat, gegeben sei, ein geordnetes und berechenbares Gerichtsverfahren fehle, und derartige Strafen auch und gerade während eines Krieges willkürlich verhängt würden. Im übrigen verwies der Beschwerdeführer auf die nach wie vor in Geltung stehende Resolution 1370 des irakischen Revolutionskommandorates vom 2. Jänner 1984.
Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Mai 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.
Infolge der dagegen erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurde. Auf die Aufforderung der belangten Behörde zur Ergänzung der Berufung im Sinne des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes reagierte der Beschwerdeführer nicht.
Mit dem nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach nur teilweiser Wiedergabe der Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens und nach Zitierung der in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde rechtlich aus, Benachteiligungen bzw. Schwierigkeiten allgemeiner Art seien keine Verfolgung im Sinne der Konvention. Im übrigen machten Christen verschiedener Konfessionen ca. 3,5 % der Bevölkerung des Irak aus, Religionsfreiheit sei verfassungsmäßig toleriert. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Minderheit allein stelle ebenfalls noch keinen Grund für die Anerkennung als Flüchtling dar. Ebenso die behauptete Festnahme mit den damit verbundenen Verhören, weil diese Ereignisse ohne weitere asylrelevante Folgen geblieben seien. Diesem Eingriff fehle auch die von der Konvention geforderte erhebliche Intensität und Qualität. Die behaupteten Vorfälle gegen Verwandte des Beschwerdeführers könnten ebenfalls keine Berücksichtigung finden, da asylrelevant lediglich Ereignisse seien, die die Person des Asylwerbers unmittelbar beträfen, sodaß Ereignisse gegen Familienmitglieder oder andere Personen nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken könnten. Bezüglich der vom Beschwerdeführer behaupteten Desertion führte die belangte Behörde lediglich aus, diese sowie Wehrdienstverweigerung seien auch in klassisch-demokratischen rechtsstaatlichen Ländern mit Strafe bedroht, die Strenge der angedrohten Strafe sei nicht maßgeblich. Die belangte Behörde bezog sich hiezu auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Im übrigen komme es auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht im Irak nicht zur zielgerichteten Auswahl von Personen mit bestimmten Eigenschaften oder Überzeugungen. Die Rekrutierung und damit auch die Bestrafung wegen Entziehung oder Verweigerung habe somit nicht erkennbar den Zweck, die Wehrpflichtigen in schutzwürdigen persönlichen Merkmalen zu treffen. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubwürdig ableitbar gewesen, daß ihm im Falle der Aufgreifung und Verurteilung eine differenzierte Bestrafung im Sinne des hg. Erkenntnisses 93/01/0377 gedroht habe. Im übrigen nahm die belangte Behörde an, der Beschwerdeführer sei bereits im Nordirak vor bloß fiktiv angenommener Verfolgung sicher gewesen (gemeint: "inländische Fluchtalternative"), weil er asylrelevante Verfolgung im Zeitraum seines dortigen Aufenthaltes nicht einmal behauptet habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der belangten Behörde ist zuzugestehen, daß allgemeine Benachteiligungen und Schwierigkeiten auf Grund der Zugehörigkeit zu einer (hier religiösen) Minderheit bzw. auch die Zugehörigkeit zu dieser Minderheit allein, und auch bloße Verhöre ("Untersuchungshaft"), sofern sie keine weiteren Nachteile nach sich gezogen haben, noch keine tauglichen Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft darstellen; abgesehen davon, daß im konkreten Fall der Zusammenhang mit einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründe, insbesondere im Hinblick darauf nicht erkennbar wäre, daß der Beschwerdeführer selbst meint, es sei im Zeitpunkt der Untersuchungshaft die Tatsache seiner Desertion noch nicht bekannt gewesen. Auch der Hinweis auf Schicksale von Familienangehörigen kann - insofern ist der belangten Behörde ebenfalls beizupflichten - lediglich als zusätzliche Illustration für die eigene Verfolgungssituation im Rahmen der Gesamtbetrachtung Berücksichtigung finden, nicht jedoch als ausschließlicher Asylgrund.
Dennoch hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet. Im Sinn des auch von der belangten Behörde zitierten Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, kann nicht nur die im Falle der Wehrdienstverweigerung oder Desertion zu erwartende differenzierte Bestrafung von Asylrelevanz sein, sondern auch die Einberufung selbst bzw. Umstände der Ableistung des Militärdienstes. Im Sinne dieses Erkenntnisses hätte daher die belangte Behörde auf die Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Einvernahme im fremdenpolizeilichen Verfahren - die im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 ebenfalls "Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens" waren - einzugehen gehabt, besonders Christen würden an die Front gestellt; eine Aussage, aus der sich zumindest ergeben könnte, daß Angehörige der christlichen Minderheit im Vergleich zu anderen bei kriegerischen Einsätzen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würden. Dazu aber hat die belangte Behörde Feststellungen nicht getroffen.
Die Annahme einer "inländischen Fluchtalternative" entbehrt ebenfalls einer detaillierteren Feststellung, da der Beschwerdeführer einerseits angegeben hat, im Nordirak wiederum aufgegriffen worden zu sein, zum anderen aber, daß er sich dort versteckt gehalten habe. Es wäre daher abzuklären gewesen, unter welchen Umständen er tatsächlich in der Zeit zwischen seiner Desertion (10. Februar 1991) und der Ausreise aus seinem Heimatland (angeblich 23. Dezember 1991, sohin in einem Zeitraum von rund 10 Monaten) im Nordirak gelebt hat.
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200340.X00Im RIS seit
20.11.2000