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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art11 Abs2Leitsatz
Bescheidqualität von Schreiben der Österreichischen Botschaft in Ankara betreffend die Nichterteilung von Sichtvermerken; keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der besonderen Vorschriften über das Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland nach dem FremdenG; kein Verstoß gegen die Bedarfsgesetzgebungskompetenz des Bundes angesichts der auch vor Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1974 mangelnden Anwendbarkeit des AVG durch diese Behörden in Sichtvermerksangelegenheiten; keine Verletzung des Beschwerdeführers (zu B966/93) im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung der Erteilung eines Sichtvermerks; Verletzung der Zweitbeschwerdeführerin (zu B1089/93) im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung der Erteilung eines Sichtvermerks infolge gravierender VerfahrensmängelSpruch
1. Die Beschwerdeführerin H E ist durch den von ihr (zu B1089/93) angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten zu Handen ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
2. Die von S E (zu B1089/93) eingebrachte Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, wird abgewiesen.
3. Der Beschwerdeführer O S ist durch den von ihm (zu B966/93) angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die von ihm erhobene Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt wurde.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) O S, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte mit Eingabe vom 12. Mai 1992 beim Österreichischen Generalkonsulat in Istanbul den Antrag auf Erteilung eines (offenbar unbefristeten) Sichtvermerkes; er besitze 75 % der Geschäftsanteile an einer in Bludenz ansässigen Gastwirtschafts-Gesellschaft m.b.H., um deren Fortkommen er sich persönlich in Österreich bemühen wolle.
Das Generalkonsulat leitete den Antrag an die Österreichische Botschaft in Ankara weiter.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 1992 berichtete die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, daß der Einschreiter keine entsprechende Unterkunft in Österreich nachweisen könne.
Daraufhin richtete die Österreichische Botschaft in Ankara an den Rechtsanwalt des Sichtvermerkswerbers folgendes, mit 29. März 1993 datiertes Schreiben:
"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!
Die Botschaft teilt mit, daß dem Einwanderungsantrag des O S keine Folge gegeben werden kann, da keine entsprechende Unterkunft in Österreich nachgewiesen werden konnte; vergl. §10 Abs1 Ziff 3 des Fremdengesetzes. Sparbuch und Mietvertrag werden retourniert.
Mit freundlichen Grüßen
......
G F
(3. Botschaftssekretär und Vizekonsul)"
Die Botschaft führte sodann noch einen weiteren Schriftverkehr mit dem Rechtsanwalt. Den vorliegenden Unterlagen zufolge wurde aber der beantragte Sichtvermerk auch in der Folge nicht erteilt.
b) Gegen das - von ihm als Bescheid gewertete - Schreiben der Botschaft vom 29. März 1993 erhebt O S die vorliegende, auf Art. 144 B-VG gestützte, unter B966/93 protokollierte Beschwerde. Darin wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet. Der Beschwerdeführer beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
c) Die Österreichische Botschaft in Ankara legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Sie macht geltend, daß der bekämpften Erledigung keine Bescheidqualität zukomme; es habe sich um eine Zwischenerledigung gehandelt; das Ermittlungsverfahren sei in der Folge fortgeführt worden. Die Behörde begehrt, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde in Ermangelung eines anfechtbaren Bescheides wegen Nichtzuständigkeit (§19 Abs3 Z2 lita VerfGG) zurückweisen und dem Beschwerdeführer die Kosten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens vorschreiben; in eventu die Beschwerde wegen Klaglosstellung des Beschwerdeführers als gegenstandslos erklären und das Verfahren einstellen (§86 VerfGG).
Der Beschwerdeführer replizierte und hielt seine Anträge aufrecht.
2.a) S und H E, beide türkische Staatsangehörige, beantragten - vertreten durch einen Rechtsanwalt - mit Eingabe vom 26. Feber 1993 beim Österreichischen Generalkonsulat in Istanbul, H E einen Sichtvermerk zu erteilen. S E halte sich seit Jahren legal in Österreich (Feldkirch/Vlbg.) auf; er sei im Besitze eines unbefristeten Wiedereinreise-Sichtvermerkes und bei einem Vorarlberger Unternehmen beschäftigt. Seine Gattin H E wolle im Zuge einer Familienzusammenführung nach Österreich kommen; deren Unterhalt und ortsübliche Unterkunft seien gesichert.
Das Generalkonsulat leitete den Antrag an die Österreichische Botschaft in Ankara weiter.
Diese Behörde richtete mit Schreiben vom 21. April 1993 an den Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf die (an das Generalkonsulat gerichtete) Eingabe vom 26. Feber 1993 sowie eine in diesem Zusammenhang vorgelegte Kopie eines Mietvertrages folgende Mitteilung:
"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!
Aus der von Ihnen vorgelegten Mietvertragskopie ist ersichtlich, daß das Mietverhältnis am 30. April 1993 erlischt.
Da somit der Nachweis über das Vorhandensein einer ortsüblichen Wohnung nicht gegeben ist, kann kein Sichtvermerk an H E erteilt werden.
Einwanderungsformulare sowie der Meldezettel werden übermittelt.
Mit freundlichen Grüßen
......
(BS G F)"
In der Folge korrespondierte die Botschaft weiterhin mit dem Rechtsanwalt und teilte diesem schließlich mit Schreiben vom 5. August 1993 mit, daß der Antrag samt Verwaltungsakten "an die zuständige Bewilligungsbehörde (nämlich an das "Amt der Vorarlberger Landesregierung" - richtig: an den Landeshauptmann von Vorarlberg) gem. §7 Abs7 FrG (das darin zitierte Aufenthaltsgesetz war mit 1. Juli 1993 in Kraft getreten) abgetreten wurde".
Eine (weitere) Erledigung ist den vorliegenden Akten zufolge nicht ergangen.
b) Gegen das - von ihnen als Bescheid qualifizierte - Schreiben der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 21. April 1993 erhoben S und H E die zu B1089/93 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Sie machen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie die Verletzung in ihren Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend und begehren die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
c) Die Österreichische Botschaft in Ankara legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Auch in diesem Beschwerdefall bestreitet sie die Bescheidqualität des bekämpften Schreibens; auch diesfalls habe es sich um eine bloße Zwischenerledigung gehandelt. Dem Erstbeschwerdeführer fehle außerdem die Beschwerdelegitimation.
Die Botschaft stellt daher den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde in Ermangelung eines anfechtbaren Bescheides wegen Nichtzuständigkeit (§19 Abs3 Z2 lita VerfGG) zurückweisen und den Beschwerdeführern die Kosten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens vorschreiben; in eventu die Beschwerde wegen Klaglosstellung der Beschwerdeführer als gegenstandslos erklären und das Verfahren einstellen (§86 VerfGG); in eventu die Beschwerde hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers mangels Legitimation zurückweisen.
II. 1. Die für die vorliegenden Beschwerdefälle in erster Linie in Betracht zu ziehende Vorschrift des §69 Fremdengesetz - FrG, BGBl. 838/1992, lautet:
"Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden
§69. (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zweckdienlichen Urkunden und sonstige Beweismittel selbst vorzulegen; die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.
(2) Über schriftlichen oder niederschriftlichen Antrag der Partei ist die Entscheidung gemäß Abs1 auch schriftlich auszufertigen; hiebei sind außer der getroffenen Entscheidung die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen; einer weiteren Begründung bedarf es nicht.
(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Behörde oder auf postalischem Wege zu erfolgen.
(4) Ergeht die Entscheidung in der Sache nicht binnen sechs Monaten nach Einbringung des Antrages, in den Fällen des Abs2 die schriftliche Ausfertigung nicht binnen zwei Monaten nach Einbringung des Antrages gemäß Abs2, so geht die Zuständigkeit zur Entscheidung oder Ausfertigung auf schriftlichen Antrag auf den Bundesminister für Inneres über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei ihm einzubringen. Er hat für die Entscheidung oder Ausfertigung die Abs1 bis 3 und 5 anzuwenden. Der Antrag ist jedoch abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Vertretungsbehörde zurückzuführen ist.
(5) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde, in den Fällen des Abs4 der Bundesminister für Inneres ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Sichtvermerksversagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muß auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein."
2. Die Erläuterungen zu der das FrG betreffenden Regierungsvorlage (692 BlgNR, 18.GP, S 56 f.) besagen zu §69:
"Eine wesentliche Neuerung ist im §69 vorgenommen worden. Bislang hatte das Paßgesetz 1969 das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in diesem Bereich völlig ungeregelt gelassen. Dies hat schließlich dazu geführt, daß der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur (zB Erkenntnis vom 5. Oktober 1988, 88/01/0140) den Standpunkt eingenommen hat, daß für diese Verfahren 'die im AVG niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens in der Verwaltung' gelten. Eine inhaltliche Ausgestaltung dieser Aussage hat er hiebei jeweils im Einzelfall vorgenommen, sodaß insgesamt Unsicherheit darüber besteht, welche Grundsätze im einzelnen tatsächlich wirksam sein sollen. Diese Unsicherheit soll nun beseitigt werden, indem ein Verfahren vor den Vertretungsbehörden ausdrücklich festgelegt wird. Die Regelung hat sich von dem vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Prinzip leiten lassen und die Grundsätze nun ausdrücklich festgelegt. Es sind dies die Mitwirkungsverpflichtung des Antragstellers bei gleichzeitiger Manuduktionspflicht der Behörde, die freie Beweiswürdigung, das Parteiengehör sowie die Möglichkeit zur Behebung von Formgebrechen, die Schriftlichkeit der Entscheidung und die Begründungspflicht, die Ausfertigung und die Zustellung der Entscheidung sowie letztlich die Devolution zum Bundesminister für Inneres.
In Abs5 wurde für die Fälle zwingender außenpolitischer Rücksichten oder beeinträchtigter nationaler Sicherheit eine verdünnte Begründungspflicht vorgesehen. Hiebei war sicherzustellen, daß die Entscheidung auch im Falle einer Anfechtung beim Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbar ist. Für die im öffentlichen Interesse gelegene Geheimhaltung der maßgeblichen Akten oder Aktenteile im höchstgerichtlichen Verfahren wird die belangte Behörde auf Grund des §25 Abs2 VwGG Sorge tragen können."
III. Der Verfassungsgerichtshof
hat erwogen:
A) Zur Zulässigkeit:
1. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich bereits wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob eine bei ihm bekämpfte, nicht als "Bescheid" bezeichnete Erledigung dennoch als Bescheid iS des Art144 Abs1 B-VG zu qualifizieren ist.
In seiner bisherigen ständigen Judikatur kam er zum Ergebnis, daß dies dann angenommen werden muß, wenn die Erledigung gegenüber individuell bestimmten Personen eine Verwaltungsangelegenheit in einer der Rechtskraft fähigen Weise normativ regelt, wenn sie also für den Einzelfall bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Gegenstand hat, ob sie nun in Form eines Bescheides nach den §§56 ff. AVG ergeht oder nicht (vgl. zB VfSlg. 4986/1965, 7599/1975, 8744/1980, 9244/1981, 9444/1982, 11077/1986, 12321/1990, 12753/1991). In Ermangelung der nach dem AVG für Bescheide vorgesehenen Form (das AVG war in den vorliegenden Fällen gar nicht anzuwenden - s. hiezu unter III.B.1.b) muß deutlich erkennbar sein, daß die Behörde dennoch den - objektiv erkennbaren - Willen hatte, mit der Erledigung gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen (vgl. zB VfSlg. 8560/1979, 10119/1984). Ob dies der Fall ist, kann sich daraus ergeben, ob die Behörde von Rechts wegen verpflichtet ist, einen Bescheid zu erlassen (vgl. VfSlg. 9520/1982, S 153).
Wenn nach der anzuwendenden Rechtslage überhaupt kein Bescheid zu erlassen war, ist nicht anzunehmen, daß einem formlosen Schreiben Bescheidqualität innewohnt (vgl. zB VfSlg. 8672/1979); ob eine Erledigung, die nicht als Bescheid bezeichnet ist, inhaltlich dennoch als Bescheid zu werten ist, ist vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage zu beurteilen (vgl. zB VfSlg. 10270/1984, 10368/1985, 12753/1991, S 787).
2. Ausgehend von dieser Rechtsprechung - von der abzurücken kein Anlaß besteht - sind die beiden bekämpften Erledigungen als Bescheide iS des Art144 Abs1 B-VG einzustufen:
O S und H E hatten um Ausstellung von Sichtvermerken angesucht. Die Österreichische Botschaft in Ankara teilte ihnen mit, daß die Sichtvermerke nicht erteilt werden könnten.
Damit hat die Behörde diese Verwaltungssachen (für die Antragsteller negativ) abgeschlossen. Bei einer allfälligen - von der Behörde herbeigeführten - Unklarheit, ob diesen Erledigungen normative Wirkung zukommt oder nicht, kann sich die Behörde vor dem Verfassungsgerichtshof nicht darauf berufen, daß ihnen die Bescheidqualität fehle (vgl. VfSlg. 3728/1960, S 208; 9247/1981, S 208 f.). Das bedeutet für die vorliegenden Fälle, daß die Ausgangsposition der beschwerdeführenden Parteien, die angefochtenen Erledigungen hätten normative Bedeutung und seien daher als Bescheide iS des Art144 B-VG zu qualifizieren, zutrifft.
Auch die Rechtslage spricht für dieses Ergebnis: Dem §65 Abs2 FrG zufolge obliegt im Ausland unter anderem die Erteilung von Sichtvermerken den (in dieser Gesetzesstelle näher bezeichneten) österreichischen Vertretungsbehörden. Eine von diesen zu treffende Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, ist nach §69 Abs1 und 2 FrG über Antrag der Partei (auch) schriftlich auszufertigen. Jedenfalls die schriftliche Ausfertigung einer negativen Entscheidung ist nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes eine das Verfahren endgültig, mit normativer Wirkung abschließende Erledigung einer Verwaltungsbehörde, also ein Bescheid i.S. des Art144 Abs1 B-VG; dies auch dann, wenn die schriftliche Erledigung ohne vorangegangenen, (ausdrücklich) darauf gerichteten Antrag erging.
Das AVG ist von den österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland in Sichtvermerksangelegenheiten nicht anzuwenden (s. hiezu unten III.B.1.b), also die Bezeichnung der Erledigung als "Bescheid" (§58 Abs1 AVG) nicht vorgeschrieben.
An der Bescheidqualität ändert der Umstand nichts, daß die Botschaft in beiden Fällen nach Zustellung der in Rede stehenden Schreiben über die Sichtvermerksanträge einen weiteren Schriftverkehr pflog. Unerheblich ist, ob dieses Vorgehen rechtmäßig oder rechtswidrig war; auf die Normativität der Erledigungen hat das nämlich keinen Einfluß, weil diese nach dem Erscheinungsbild zum Zeitpunkt der Erlassung der Erledigungen und nicht nach einem nachfolgenden Verhalten der Behörde zu beurteilen ist. Dazu kommt im Beschwerdefall B1089/93, daß §7 Abs7 FrG (auf den sich die Weiterleitung des betreffenden Sichtvermerksantrages gestützt hat - s.o. I.2.a) erst nach Erlassung der angefochtenen Erledigung vom 21. April 1993 (nämlich am 1. Juli 1993, dem Tag des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes - §15 Abs1 AufenthaltsG) anwendbar wurde.
Die Verfahren haben nicht ergeben, daß die angefochtenen Bescheide in der Folge aus der Rechtsordnung eliminiert worden wären (was die Einstellung der verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Folge hätte).
3. Da sohin taugliche Anfechtungsgegenstände iS des Art144 B-VG vorliegen und auch die weiteren Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind (so ist der administrative Instanzenzug ausgeschöpft - §70 Abs2 FrG), sind die von O S und H E erhobenen Beschwerden zulässig.
4. Hingegen ist die von S E erhobene Beschwerde unzulässig. Er ist nämlich weder formell Adressat des zu B1089/93 angefochtenen Bescheides, noch wird durch die Abweisung des Antrages, seiner Gattin einen Sichtvermerk zu erteilen, seine Rechtssphäre berührt.
Die von ihm eingebrachte Beschwerde war daher mangels Legitimation gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in
nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Sein Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, war abzuweisen, weil eine solche Abtretung dem Art144 Abs3 B-VG zufolge nur im - hier nicht gegebenen - Fall einer abweislichen Sachentscheidung oder einer Ablehnung der Beschwerdebehandlung in Betracht kommt (Pkt. 2 des Spruches).
B) In der Sache selbst:
1.a)aa) Die angefochtenen Bescheide werden materiell explizit (zu B966/93) oder zumindest erkennbar (zu B1089/93 - s. hiezu unter III.B.3.b) auf §10 (Abs1 Z3) FrG gestützt. Nach der genannten Ziffer ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, es sei denn, diese Belastung ergäbe sich aus der Erfüllung eines gesetzlichen Anspruches.
Der Verfassungsgerichtshof hegt unter dem Gesichtspunkt der beiden Beschwerdefälle gegen diese Vorschrift keine verfassungsrechtlichen Bedenken (siehe zur vergleichbaren Vorgängerbestimmung des §25 Abs3 lite PaßG 1969: VfGH 13.3.1993, G212-215/92 u.a. Zlen., Pkt. IV.3.b; zu §10 Abs1 FrG vgl. auch VfGH 30.6.1993, B302/93, sowie VfGH 1.7.1993, B338,445/93).
§25 PaßG 1969, dessen Verfassungsmäßigkeit vom Beschwerdeführer zu B966/93 in Zweifel gezogen wird, ist in den beiden Beschwerdefällen nicht präjudiziell. Die Behörde entschied über die Sichtvermerksanträge im März und April 1993. Sie hatte hiebei das FrG anzuwenden, und nicht etwa das - bereits mit Ablauf des 31. Dezember 1992 außer Kraft getretene - Paßgesetz 1969 (vgl. §86 Abs1 FrG und §25 Abs2 PaßG 1992, BGBl. 839) oder das Aufenthaltsgesetz, BGBl. 466/1992 (das erst mit 1. Juli 1993 in Kraft trat - vgl. dessen §15 Abs1).
bb) Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, daß ein noch unter dem Regime des PaßG 1969 gestellter Sichtvermerksantrag nach dem zum Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag geltenden Gesetz (dem FrG) entschieden wird, bestehen nicht (vgl. zB VfGH 16.12.1992, B 1387,1542/92, Pkt. II.3.b.aa).
b) Der Verfassungsgerichtshof sieht aber auch keinen Grund, aus Anlaß der vorliegenden Beschwerden die Verfassungsmäßigkeit der besonderen Vorschriften über das Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden zu prüfen:
aa) Dem §65 Abs2 FrG zufolge obliegt u.a. die Erteilung eines Sichtvermerkes im Ausland den (in dieser Gesetzesstelle näher bezeichneten) österreichischen Vertretungsbehörden; hiebei richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Aufenthalt des Fremden (§68 Abs1 FrG).
Zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide war zur Entscheidung über die gestellten Anträge die Österreichische Botschaft in Ankara zuständig.
bb) ArtII Abs2 EGVG idgF zählt jene Behördentypen auf, die die Verwaltungsverfahrensgesetze (darunter das AVG) anzuwenden haben. In dieser Aufzählung scheinen die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland nicht auf. Auch sonst findet sich keine Bestimmung, wonach sich das Verfahren zur Erteilung von Sichtvermerken vor diesen Behörden nach den eben erwähnten Gesetzen zu richten hätte. Vielmehr enthält §69 FrG (Text s.o. II.1) hiefür besondere verfahrensrechtliche Vorschriften.
Zu untersuchen ist zunächst, ob damit ein Verstoß gegen Art11 Abs2 B-VG vorliegt. Der hier maßgebliche Teil dieser Verfassungsvorschrift lautet (idF der B-VG-Novelle 1974, BGBl. 444):
"Soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird, werden das Verwaltungsverfahren (... und die Verwaltungsvollstreckung) auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht (...), durch Bundesgesetz geregelt; abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind."
Eine am Sinn des Art11 Abs2 B-VG orientierte Auslegung ergibt, daß ein solches unter das Regime der zitierten Verfassungsnorm fallendes Abweichen vom AVG auch dann gegeben ist, wenn der Gesetzgeber für bestimmte Verwaltungsbehörden oder für ein bestimmtes Verwaltungsgebiet die bisher gegebene Anwendbarkeit des AVG vollends ausschließt, würde dies doch die maximal denkbare Abweichung vom AVG bewirken (in diesem Sinne Haller, in: Verfahrensgrundsätze - Verfahrensreformen im österreichischen Recht, (Hrsg.: Österreichische Sektion der Internationalen Juristen-Kommission), Heidelberg-Karlsruhe 1980, S 7; Öhlinger, 60 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetze, (Verhandlungen des 9. österreichischen Juristentages 1985, Bd. I, 2. Teil), Wien 1985, S 12).
Art11 Abs2 B-VG wurde durch ArtI Z9 der B-VG-Novelle 1974, BGBl. 444, (mit Wirkung vom 1. Jänner 1975) neu gefaßt. Insbesondere wurde auch der Bundesgesetzgeber grundsätzlich an die im AVG getroffenen Regelungen gebunden und nunmehr auch ihm verboten, von den aufgrund der Bedarfsgesetzgebungskompetenz erlassenen Verwaltungsverfahrensgesetzen abweichende Regelungen zu erlassen, es sei denn, daß diese zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.
Die Frage, ob durch diese Verfassungsbestimmung von den Verwaltungsverfahrensgesetzen abweichende Regelungen berührt werden, die in (zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der B-VG-Novelle 1974) bereits bestehenden (Bundes-)Gesetzen enthalten waren, wird in den Erläuterungen zur die B-VG-Novelle 1974 betreffenden Regierungsvorlage (182 BlgNR 13. GP, S 16) ausdrücklich verneint, "weil Kompetenzänderungen bestehende Vorschriften unberührt lassen und nur für künftige Neuregelungen von Bedeutung sind".
Diesem vom historischen Gesetzgeber erkennbar gewollten Inhalt des Art11 Abs2 B-VG steht dessen Wortlaut nicht entgegen. Die in der Literatur (Mayer, Die Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern, in:
Mayer/Rill/Funk/Walter, Neuerungen im Verfassungsrecht, Wien 1976, S 15 f.; Benjamin Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, S 139 ff., insbes. S 141) geäußerten Zweifel sind nicht berechtigt. Wenn sich beim geschilderten Inhalt des Art11 Abs2 B-VG tatsächlich - wie etwa Davy meint - Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Verfassungsnorm ergeben sollten, zwingt dies nicht dazu, einen anderen Gesetzesinhalt anzunehmen.
Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg. 8945/1980, S 252 f., ausgeführt:
"Das Fehlen von Übergangsvorschriften zum neugefaßten Art11 Abs2 in der B-VG-Nov. 1974 läßt die Absicht des Verfassungsgesetzgebers erschließen, in den von ihm vorgefundenen einfachgesetzlichen Rechtsbestand bloß im geringstmöglichen Ausmaß einzugreifen. Der Verfassungsgesetzgeber ging jedenfalls von der Auffassung aus, daß einerseits gemäß der früheren Verfassungsrechtslage rechtens erlassene, nach der Novellierung aber nicht mehr zulässige Vorschriften des Bundesgesetzgebers nicht berührt werden, anderseits aber bei der früheren Verfassungsrechtslage verwehrte, nach der nunmehrigen jedoch zulässige Regelungen des Landesgesetzgebers saniert sein sollen. Dem Verfassungsgesetzgeber ist es nämlich ebensowenig zusinnbar, inhaltlich der Neufassung des Art11 Abs2 B-VG nicht entsprechende bundesgesetzliche Vorschriften pauschal der Derogation zuzuführen oder sie mit Verfassungswidrigkeit zu belasten, also Rechtsunsicherheit in einem weiten Bereich zu schaffen, wie einen gleichartigen Effekt bei nicht gemäß der früheren Verfassungsrechtslage erlassenen, nunmehr jedoch zulässigen landesgesetzlichen Vorschriften im Ergebnis deshalb herbeizuführen, weil sie vom nunmehr regelungsbefugten Landesgesetzgeber nicht ausdrücklich saniert wurden."
Die zitierte Entscheidung ist für das im gegebenen Zusammenhang zu lösende Problem insofern von Belang, als sie aufzeigt, daß bei Auslegung der B-VG-Novelle 1974 von einer historischen Betrachtungsweise auszugehen ist und als sie deutlich macht, daß sogar solche - am 1. Jänner 1975 bestehende - Verfahrensvorschriften, die von Art11 Abs2 B-VG (nF) erfaßt sind (weil sie inhaltlich in den vom Bundesgesetzgeber in Anspruch genommenen Bereich der Bedarfsgesetzgebung fallen), weiterhin von den Verwaltungsverfahrensgesetzen abweichen dürfen.
Eine historische Interpretation ergibt, daß Art11 Abs2 B-VG (nF) jene Verfahren überhaupt nicht erfaßt, die von am 1. Jänner 1975 bereits bestehenden Behörden auf damals bereits gesetzlich geregelten Verwaltungsgebieten zu führen waren und die niemals unter den Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze gefallen waren, für die also der Bundesgesetzgeber kein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet hatte. Derartige Verfahren - und nur diese - sollten nicht dem Regime des Art11 Abs2 B-VG (nF) unterworfen werden. (Vgl. hiezu den Diskussionsbeitrag von Holzinger, in: Verhandlungen des 9. österreichischen Juristentages 1985, Bd. II (Referate und Diskussionsbeiträge), Abschnitt Verwaltungsrecht, S 129 f.).
Das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden zur Erteilung von Sichtvermerken wird nach dem Gesagten gar nicht von Art11 Abs2 B-VG erfaßt:
Die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland waren nämlich niemals - also auch nicht zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art11 Abs2 B-VG idF der B-VG-Novelle 1974
-
in ArtII EGVG als Behördentyp erwähnt, der die Verwaltungsverfahrensgesetze anzuwenden hatte; es existierte auch keine andere Rechtsvorschrift, der zufolge die genannten Behörden in Sichtvermerksangelegenheiten nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorzugehen gehabt hätten. (Soweit die
-
grundsätzliche - Anwendung des AVG durch die österreichischen Vertretungsbehörden gesetzlich vorgesehen war, betraf dies ausschließlich Paßangelegenheiten sowie die Entziehung und Einschränkung der Gültigkeitsdauer von Personalausweisen (s. §37 iVm §20 Abs1 und §31 Abs5 PaßG 1969, BGBl. 422/1969 idF BGBl. 135/1986;
s. auch zur - insofern unveränderten - nunmehrigen Rechtslage §22 iVm §16 Abs1 und §19 Abs5 PaßG 1992)).
Sie hatten daher zum erwähnten Zeitpunkt in Sichtvermerksangelegenheiten das AVG nicht anzuwenden. Durch Art11 Abs2 B-VG (nF) trat somit weder Invalidation noch Derogation ein, zumal völlig unklar wäre, welche konkrete Gesetzesbestimmung davon betroffen sein könnte.
Wenn nun durch §69 FrG besondere Bestimmungen für das Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden in den von ihnen nach dem Fremdengesetz zu vollziehenden Angelegenheiten (darunter die gegenständlichen Sichtvermerksangelegenheiten) getroffen wurden, ist es - weil für diese Behörden nach dem Gesagten auf dem in Rede stehenden Verwaltungsgebiet das Regime des Art11 Abs2 B-VG nicht gilt - ausgeschlossen, daß diese neuen gesetzlichen Verfahrensregeln der zitierten Verfassungsbestimmung widersprechen.
cc) Der Verfassungsgerichtshof kann unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Beschwerdefälle auch nicht finden, daß §69 FrG aus anderen Gründen verfassungswidrig wäre.
So wäre die Durchführung eines dem AVG entsprechenden Ermittlungsverfahrens oft nicht möglich, ohne - völkerrechtswidrig - die Souveränität des ausländischen Staates zu verletzen.
Immerhin hat sich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur früheren Rechtslage (zB VwGH 27.1.1982, Zl. 81/01/0297, S 4; 27.4.1983, Zl. 82/01/0184, S 4; 20.4.1988, Zl. 88/01/0023, S 3; 5.10.1988, Zl. 88/01/0140, S 3) damit begnügt, daß die österreichischen Vertretungsbehörden in Sichtvermerksangelegenheiten die allgemeinen Verfahrensgrundsätze ("Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens") - wie sie nunmehr im §69 FrG positiviert sind - beachtet hatten (zu den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen vgl. auch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg. 10163/1984). §69 FrG reicht für den Rechtsschutz, wie er der Bundesverfassung zufolge zu gewähren ist, gerade noch hin.
Zu den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen gehört nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VwSlg. 4417(A.)/1906, 5663(A.)/1908; VwGH 6.7.1976, Zl. 401/76) auch die Verpflichtung, die getroffene behördliche Entscheidung zu begründen, um diese zumindest einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglich zu machen. In diesem Sinne fordert §69 Abs2 FrG, daß in der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung die maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen anzuführen sind. Aus §69 Abs5 FrG geht hervor, daß in
jedem Fall "der maßgebliche Sachverhalt ... im Akt nachvollziehbar
sein ... muß".
c) Die Beschwerdeführer O S und H E wurden durch die bekämpften Bescheide sohin nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.
2. Der Beschwerdeführer O S wurde auch in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt:
Er behauptete lediglich, Geschäftsanteile an einer in Bludenz ansässigen Gastwirtschafts-Gesellschaft m.b.H. zu besitzen, um deren Fortkommen er sich persönlich kümmern wolle. Andere Beziehungen zu Österreich machte er nicht geltend. Damit aber steht fest, daß die Versagung des Sichtvermerkes nicht in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens eingreift. Deshalb ist ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer in diesem Recht verletzt wurde.
Das Verfahren hat auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde.
Die von O S erhobene Beschwerde war sohin abzuweisen und antragsgemäß nach Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (Pkt. 3 des Spruches).
3.a) Hingegen wurde die Beschwerdeführerin H E durch den sie betreffenden, angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt:
Die Beschwerdeführerin ist mit einem seit Jahren legal in Österreich wohnhaften türkischen Staatsangehörigen verheiratet. Die Weigerung, ihr einen Sichtvermerk zu erteilen und so eine Familienzusammenführung zu ermöglichen, greift in das - durch die oben zitierte (auf Verfassungsstufe stehende) Konventionsnorm garantierte - Recht auf Achtung des Familienlebens ein (vgl. zB VfSlg. 11044/1986; VfGH 13.3.1993 G212-215/92 u.a. Zlen.; siehe auch die von Pernthaler/Rath-Kathrein in: Grund- und Menschenrechte in Österreich (Hrsg. Machacek/Pahr/Stadler), Bd. II, Kehl 1992, S 271 ff., zitierte Rechtsprechung von EGMR und EKMR zu Art8 EMRK (Einreisesperren und Ausweisungen)).
Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK
widersprechenden Rechtsvorschrift beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).
b) Solche in die Verfassungssphäre reichende Fehler - dazu zählen auch gravierende Verfahrensmängel - sind der Behörde im Beschwerdefall H E anzulasten:
Wie oben zu III.B.1.b. dargetan wurde, enthält §69 FrG besondere Verfahrensvorschriften für die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland. Nur dann, wenn wenigstens diese Minimalanforderungen beachtet werden, entspricht das Verfahren den Voraussetzungen, die die Bundesverfassung aus rechtsstaatlicher Sicht postuliert.
In diesem Beschwerdefall hat die Behörde diese Verfahrensvorschriften grob mißachtet:
Weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus dem sonstigen Akteninhalt geht hervor, auf welche gesetzliche Bestimmung die Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes gestützt wurde. Damit hat die Behörde §69 Abs2 zweiter Halbsatz FrG verletzt.
Offenbar war die Behörde der Meinung - aus welchem Sichtvermerksversagungs-Tatbestand sie diese auch immer abgeleitet haben mag (§10 Abs1 Z3 FrG (?)) -, es sei entscheidungsrelevant, ob die Sichtvermerkswerberin (die Beschwerdeführerin) in Österreich eine angemessene Wohnmöglichkeit haben werde. Sie kam zum Ergebnis, der Nachweis einer ortsüblichen Wohnung sei nicht gegeben und begründete dies lediglich damit, aus der von der Sichtvermerkswerberin vorgelegten Mietvertragskopie sei ersichtlich, "daß das Mietverhältnis am 30. April 1993 erlischt" (gemeint war offenbar der die Wohnung des in Österreich lebenden Ehegatten der Sichtvermerkswerberin betreffende Mietvertrag). Mit der Feststellung der bevorstehenden Beendigung des Mietverhältnisses war aber keineswegs nachgewiesen, daß der seit Jahren legal in Österreich wohnende und hier arbeitende Ehegatte nach dem 30. April 1993 keine andere Unterkunft haben werde, in die er die Sichtvermerkswerberin aufnehmen könnte. Die Behörde unterließ es, der Sichtvermerkswerberin Gelegenheit zu bieten, zu den Bedenken Stellung zu nehmen (siehe §69 Abs1 letzter Satz FrG) und die Partei anzuleiten, diese Bedenken durch ergänzende Vorbringen allenfalls auszuräumen (siehe §69 Abs1 erster Satz FrG).
Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen aufzuheben (Pkt. 1 des Spruches).
4. Die Kostenentscheidungen gründen sich auf §88 VerfGG.
a) In den der Beschwerdeführerin H E zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
b) Der belangten Behörde waren in den Fällen, in denen sie obsiegt hat, Kosten nicht zuzusprechen, weil ihr keine nach §88 VerfGG ersatzfähigen Kosten (etwa Reisespesen) erwachsen sind.
5. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Bescheidbegriff, Fremdenrecht, VfGH / Legitimation, Bescheiderlassung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Rechtsschutz, Kompetenz Bund - Länder, Bedarfskompetenz, Kompetenz Bund - Länder Verwaltungsverfahren, Rechtsstaatsprinzip, Bescheidbegründung, Manuduktion, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:B966.1993Dokumentnummer
JFT_10059689_93B00966_00