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21/01 Handelsrecht;Norm
ASVG §35 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der R in E, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 8. Februar 1994, Zl. 122.820/4-7/93, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, 2. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1020 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1,
3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Reisebüro C-OEG meldete per 1. Februar 1992 die Beschwerdeführerin als Reisebüroangestellte mit einem Monatslohn von S 14.850,-- zur Pflichtversicherung an. Laut dem vorgelegten Gesellschaftsvertrag vom 3. Dezember 1991 errichteten W und die Beschwerdeführerin zum gemeinsamen Betrieb eines Reisebüros im Umfang eines minderkaufmännischen Unternehmens mit Standort E die Gesellschaft mit dem Firmennamen Reisebüro C-OEG. In Punkt 5 dieses Vertrages wurde die "Geschäftsführertätigkeit-Vertretungsvollmacht, Tätigkeit und Leistung der Gesellschafter" wie folgt bestimmt:
"Jeder der beiden Gesellschafter ist Geschäftsführer.
Nach außen hin vertritt W die Gesellschaft. Er zeichnet firmenmäßig selbständig.
Frau R, geborene G, hat beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung zur Geschäftszahl 4-21 RO 10/4-1979 am 20.4.1979 die Konzessionsprüfung gemäß § 1 der Reisebürogewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. Nr. 314/1975, zum Nachweis der Befähigung für eine unbeschränkte Konzession zur Ausübung des Reisebürogewerbes gemäß § 208 Abs. 1 GewO 1973 abgelegt. Sie hat die Konzessionsprüfung im Reisebürogewerbe bestanden.
Aufgrund dieser Konzessionsprüfung hat Frau R bei der Gewerbebehörde die Erteilung der Konzession beantragt, die sie in die Gesellschaft einbringt.
Sie übernimmt auch die gewerberechtliche Haftung im Zusammenhang mit der Führung des Unternehmens.
In den nachstehenden Fällen ist zur Entscheidung die Einhelligkeit der Gesellschafter erforderlich und zwar für:
a)
außergewöhnliche Geschäfte
b)
betriebsfremde Geschäfte
c)
Eingehen von Wechselschulden
d)
Aufnahme von Darlehen
e)
Übernahme von Bürgschaften."
Laut Punkt 6 dieses Vertrages soll W über die Entnahme eines Gewinnes aus der Gesellschaft und deren Verwendung alleine verfügen, während die Beschwerdeführerin für die Geschäftsführertätigkeit einen Gehalt bezieht.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse stellte mit Bescheid vom 2. Juli 1992 gemäß § 410 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG fest, daß die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer per 1. Februar 1992 aufgenommenen Beschäftigung als Reisebüroangestellte bei der Reisebüro C-OEG nicht der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterliege.
In der Begründung wurde ausgeführt, daß die genannte OEG im Firmenbuch des Kreisgerichtes Leoben eingetragen sei. Die Rechtsstellung der Gesellschafter entspreche jener von Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft. Daraus folge, daß das Vermögen der OEG im Gesamthandeigentum der Gesellschafter W und der Beschwerdeführerin stehe. Es stelle das gemeinschaftliche Vermögen der Gesellschafter dar und komme ihnen Unternehmereigenschaft (Selbstorganschaft) zu. Diese rechtliche Struktur der offenen Erwerbsgesellschaft sei in erster Linie gekennzeichnet durch die unbeschränkte Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Jeder einzelne Gesellschafter hafte für die Gesamtschulden unmittelbar, primär, unbeschränkt, unbeschränkbar, persönlich und solidarisch. Zu dem komme noch, daß - wie bei der OHG vorgesehen - über alltägliche Geschäfte jeder Gesellschafter entscheiden könne. Entsprechend dem Grundsatz, daß nach dem HGB jeder Gesellschafter eine Stimme habe, komme der Beschwerdeführerin eine wesentliche Einflußnahme auf die Führung der OEG zu. Aufgrund dieser gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen, mit denen so wesentliche Verantwortlichkeiten und haftungsrechtliche Verpflichtungen verbunden seien, sei die Beschäftigung der Beschwerdeführerin als selbständige Tätigkeit zu qualifizieren.
Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch. Sie führte aus, daß ihr Rechtsverhältnis zur OEG tatsächlich ein Angestelltendienstverhältnis sei. Sie sei nur unter der Bedingung eingestellt worden, daß sie als gewerberechtlicher Geschäftsführer auftrete und die entsprechende Konzession einbringe. Die Art der vertraglichen Ausgestaltung sei von W bestimmt worden und habe sie darauf keinen Einfluß gehabt. Daß sie keinen Einfluß auf die Firma gehabt habe, ergebe sich schon aus Punkt 5 des Gesellschaftsvertrages, wonach W die Gesellschaft nach außen hin vertrete und auch firmenmäßig selbständig zeichne. Sie sei als Angestellte des Reisebüros an die Weisungen des W gebunden gewesen und habe Entscheidungen lediglich in dem Rahmen treffen können, wie sie etwa für Filialleiter typisch seien. Daß sie lediglich Angestellte sei, ergebe sich auch daraus, daß sie zur Sozialversicherung angemeldet worden sei und daß Gehaltszettel mit einem fixen Monatsgehalt ausgestellt worden seien. Sollte sich aus dem Gesellschaftsvertrag tatsächlich etwas anderes ableiten, als daß sie eine normale Angestellte im Sinne einer Filialleiterin sei, welche die Konzession zur Verfügung stelle, dann sei sie bei der Vertragserstellung in Irrtum geführt worden.
In ihrer Stellungnahme vom 4. September 1992 zum Einspruch verwies die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auf den aufrechten Gesellschaftsvertrag und betonte, daß aufgrund der Vertragsgestaltungen bei der Beschwerdeführerin nicht von einer Fremdbestimmtheit ihrer Arbeitserbringung gesprochen werden könne. Ihre persönliche Abhängigkeit als offene Erwerbsgesellschafterin sei objektiv gesehen nicht gegeben und auch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit müsse aufgrund ihrer Eigenschaft als Gesamthandeigentümerin verneint werden. Aus diesen Gründen bestehe für OEG-Gesellschafter auch die Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 2 GSVG.
Die Beschwerdeführerin vertrat in ihrer Stellungnahme vom 9. Oktober 1992 die Auffassung, daß der im Firmenbuch eingetragene Gesellschaftsvertrag zwar privatrechtliche Wirkungen nach außen, aber auf die sozialrechtliche Beurteilung keinen Einfluß habe. Zu den tatsächlichen Verhältnissen werde auf eine Bestätigung ihres ehemaligen "Arbeitgebers" W vom 6. Oktober 1992 verwiesen. Dieses im Verwaltungsverfahren vorgelegte Schreiben hat folgenden Wortlaut:
"Bestätigung zur Vorlage bei der Gebietskrankenkasse
Ich, Herr W, bestätige hiermit, daß Frau R bei mir seit 15. Jänner 1992 als Reisebüroangestellte beschäftigt war.
Frau R erhielt für ihre Tätigkeit ein monatliches gleichbleibendes Gehalt in Höhe von S 14.850,-- brutto.
Für ihre Tätigkeit hatte sie ein eigenes Büro in meinem Unternehmen zur Verfügung. Sie hatte sich an die täglichen Arbeitszeiten von 8 bis 12 Uhr und 14.30 bis 18 Uhr zu halten.
Sie war mir gegenüber vollkommen weisungsgebunden. Sämtliche Arbeitsmittel wurden von mir allein beigestellt.
Da ich nicht über die erforderliche Gewerbeberechtigung verfügt habe, wurde lediglich pro forma der Gesellschaftsvertrag vom 3.12.1991 abgeschlossen.
Bereits aus Punkt 5. dieses Vertrages, wonach nur ich allein nach außen hin vertretungsbefugt bin und auch aus Punkt 6., wonach ich allein über die Entnahme und die Verwendung des Gewinnes verfügen sollte, ist ganz klar ersichtlich, daß der tatsächliche Zweck des Vertragsverhältnisses ein reines Angestelltenverhältnis war. Frau R ist auch nie als Geschäftsführerin nach außen aufgetreten und hat auch niemals einen Gewinnanteil oder dergleichen erhalten.
Zusammenfassend sind sämtliche Merkmale eines echten Angestelltendienstverhältnisses gegeben.
Da ich aus finanziellen Gründen das Gehalt nicht mehr weiterzahlen konnte, ist Frau R am 6.7.1992 gemäß Angestelltengesetz berechtigt vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten.
E, am 6. Oktober 1992."
Mit Schreiben vom 26. November 1992 beharrte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auf ihrem Rechtsstandpunkt und führte aus, daß nach ihrer Meinung schon vom sozialversicherungsrechtlichen Dienstgeberbegriff her die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin anzusehen sei, da objektiv gesehen der Betrieb auch auf ihre Rechnung und Gefahr geführt werde.
Mit Bescheid vom 5. April 1993 gab der Landeshauptmann von Steiermark dem Einspruch keine Folge. In der Begründung wurde ausgeführt, daß die Rechtsstellung eines OEG-Gesellschafters jener eines offenen Handelsgesellschafters entspreche. Dies bedeute, daß das Vermögen der Reisebüro C-OEG im Gesamthandeigentum der Gesellschafter W und der Beschwerdeführerin stehe. Die Beschwerdeführerin hafte den Gesellschaftsgläubigern gegenüber für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft unbeschränkt, unmittelbar und persönlich. Aufgrund des Gesellschaftsvertrages sei die Beschwerdeführerin Geschäftsführerin und als solche berechtigt, über alltägliche Geschäfte zu entscheiden. Einhelligkeit der Geschäftsführer sei lediglich für die in Punkt 5. lit. a bis e des Gesellschaftsvertrages angeführten Punkte erforderlich. Die Gläubiger der OEG wären daher berechtigt, die Beschwerdeführerin entsprechend ihrer "gesellschaftlichen" Position in Anspruch zu nehmen. Die Position eines OEG-Gesellschafters sei mit dem sozialversicherungsrechtlichen Dienstnehmerbegriff nicht vereinbar, und zwar schon aufgrund der mangelnden wirtschaftlichen Abhängigkeit eines solchen Gesellschafters. Bereits aus dem sozialversicherungsrechtlichen Dienstgeberbegriff sei die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin anzusehen, weil objektiv gesetzlich gesehen der Betrieb auf ihre und die des W Rechnung und Gefahr geführt werde. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Bestätigung des W über ihre Arbeitszeit, ihr Gehalt usw. sei nicht geeignet, eine Änderung der Position der Beschwerdeführerin in der OEG herbeizuführen. Dies auch deshalb, weil die C-OEG ins Firmenbuch eingetragen worden sei und die darin fixierten Rechtsverhältnisse nach außen hin dokumentiert würden und jedermann auf deren Richtigkeit vertrauen dürfe. Aufgrund der Gesetzeslage sei im Falle der Beschwerdeführerin nur eine Pflichtversicherung nach dem GSVG möglich.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. In dieser wiederholte sie ihren Standpunkt, daß die Art der vertraglichen Ausgestaltung von W bestimmt worden sei. Sie sei von ihm in seinem Betrieb eingestellt worden und sollte die Konzession in den Betrieb miteinbringen. Sie habe für ihre Tätigkeit ein monatlich gleichbleibendes Gehalt erhalten. Die tägliche Arbeitszeit sei von ihr einzuhalten gewesen. W gegenüber sei sie vollkommen weisungsgebunden gewesen. Sämtliche Arbeitsmittel habe er beigestellt.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsverfahrens und Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen folgender Sachverhalt festgestellt:
Mit Gesellschaftsvertrag vom 3. Dezember 1991 hätten die Beschwerdeführerin und W die Gesellschaft Reisebüro C-OEG zum gemeinsamen Betrieb eines Reisebüros im Umfang eines minderkaufmännischen Unternehmens gegründet. Im Gesellschaftsvertrag sei unter Punkt 5. festgelegt, daß jeder der beiden Gesellschafter Geschäftsführer sei. Nach außen hin vertrete W die Gesellschaft. Er zeichne firmenmäßig selbständig. Aufgrund der Konzessionsprüfung habe die Beschwerdeführerin bei der Gewerbebehörde die Erteilung der Konzession beantragt, die sie in die Gesellschaft einbringe. Sie übernehme auch die gewerberechtliche Haftung im Zusammenhang mit der Führung des Unternehmens. In den nachstehenden Fällen sei zur Entscheidung die Einhelligkeit der Gesellschafter erforderlich und zwar für: a) außergewöhnliche Geschäfte, b) betriebsfremde Geschäfte, c) Eingehen von Wechselschulden, d) Aufnahme von Darlehen und e) Übernahme von Bürgschaften. Unter Punkt 6. (des Gesellschaftsvertrages) werde festgehalten, daß über die Entnahme eines Gewinnes aus der Gesellschaft und die Verwendung W allein verfüge und die Beschwerdeführerin aus ihrer Geschäftsführertätigkeit einen Gehalt bekomme.
Die Betriebsmittel, wie Räumlichkeiten, Mobiliar etc., seien von W in die Gesellschaft eingebracht worden, von der Beschwerdeführerin die für den Betrieb eines Reisebüros notwendige Konzession. Da W nicht über die erforderliche Gewerbeberechtigung verfügt habe, sei der zitierte Gesellschaftsvertrag lediglich pro forma abgeschlossen worden. Die Beschwerdeführerin sei nach außen als Geschäftsführerin faktisch nicht in Erscheinung getreten.
Die Beschwerdeführerin habe alle Tätigkeiten, die in einem Reisebüro anfallen, ausgeführt, wie Kundenberatung, Anbote einholen und stellen, Brief- und Schriftverkehr, Reisen zusammenstellen, Buchungen, Tageslosung, Telefondienst. Bei der Durchführung ihrer Tätigkeit sei sie an die Öffnungszeiten des Reisebüros gebunden gewesen. Sie habe allfällige Krankenstände W gemeldet, ebenso Urlaube und arbeitsfreie Tage. In Finanzangelegenheiten sei sie weisungsgebunden gewesen. W habe sich ca. zweimal täglich im Reisebüro aufgehalten. Die Beschwerdeführerin sei berechtigt gewesen, ihre Tätigkeit durch Dritte ausführen zu lassen, sie habe diese Person selbst bestimmen können.
Die Beschwerdeführerin habe ihre Tätigkeit im Reisebüro am 6. Juli 1992 beendet, weil W aus finanziellen Gründen das Gehalt nicht mehr weiter bezahlen habe können. Das Reisebüro werde nicht mehr betrieben.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bewertete die belangte Behörde zunächst die Auffassung der Einspruchsbehörde, daß die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin anzusehen sei, als verfehlt; in sinngemäßer Anwendung des Erkenntnisses vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200 (Slg. Nr. 12.325/A), komme nämlich auch bei einer OEG nur der Gesellschaft die Dienstgebereigenschaft zu. Sie vertrat ferner die Ansicht, daß ein Beschäftigungsverhältnis in persönlicher Abhängigkeit eines Gesellschafters zu einer OEG durchaus möglich sein könne. Dies dann, wenn die Gesellschaft im Innenverhältnis einen mitarbeitenden Gesellschafter von der Geschäftsführung ausschließe, was sowohl vertraglich als auch stillschweigend erfolgen könne, und diesem Gesellschafter faktisch keine Möglichkeit zukomme, auf die der Gesellschaft ihm gegenüber zukommenden Weisungs- und Kontrollbefugnisse in bezug auf das arbeitsbezogene Verhalten Einfluß zu nehmen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit finde ihren Ausdruck im Fehlen der im eigenen Namen auszuübenden Verfügungsmacht über die nach dem Einzelfall für den Betrieb wesentlichen organisatorischen Einrichtungen und Betriebsmittel. Daß das Vermögen der OEG im Gesamthandeigentum der Gesellschafter stehe, vermöge nicht von vornherein wirtschaftliche Abhängigkeit auszuschließen. Der Gesellschafter habe nämlich (allein aufgrund des Gesetzes) keine Möglichkeit, über die im Einzelfall für den Betrieb wesentlichen organisatorischen Einrichtungen und Betriebsmittel im eigenen Namen zu verfügen.
Im Innenverhältnis sei die Beschwerdeführerin von der Geschäftsführung ausgeschlossen gewesen. Sie sei nur deswegen Gesellschafterin der OEG gewesen, weil sie die für ein Reisebüro erforderliche Konzessionsprüfung abgelegt habe. Darauf, daß der Gesellschaftsvertrag nur zum Schein abgeschlossen worden sei, deute auch Punkt 6. des Gesellschaftsvertrages hin, wonach W über den Gewinn alleine verfüge und die Beschwerdeführerin ein Gehalt erhalte. Allerdings könne die Beschwerdeführerin nicht als Dienstnehmerin im Sinne des ASVG angesehen werden, weil sie während ihrer Tätigkeit berechtigt gewesen sei, sich vertreten zu lassen und sich diese Person auch selbst habe aussuchen können. Daß die Beschwerdeführerin von ihrer Befugnis, sich generell vertreten zu lassen, keinen Gebrauch gemacht habe, ändere an dieser Beurteilung nichts.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, stellte den Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf die von ihr im Verwaltungsverfahren vorgelegte Bestätigung des W vom 6. Oktober 1992 und den Gesellschaftsvertrag geltend, daß der tatsächliche Zweck des Vertragverhältnisses ein reines Angestelltenverhältnis gewesen sei. Der Gesellschaftsvertrag sei lediglich pro forma abgeschlossen worden. Durch einen den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Scheinvertrag könne die Versicherungspflicht aber nicht umgangen werden.
Diesem Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, daß dann, wenn - wie die Beschwerdeführerin behauptet und wovon die belangte Behörde ausgeht - der Gesellschaftsvertrag tatsächlich als ein seine Nichtigkeit bewirkender Scheinvertrag oder zumindest als ein mit einer solchen Wirkung behafteter Umgehungsvertrag bewertet werden müßte, keine OEG entstanden wäre und bereits deswegen der angefochtene Bescheid dem Gesetz entspräche. Entscheidend ist diesbezüglich aber, ob - wovon die belangte Behörde im Ergebnis zutreffend ausgegangen ist - ein Gesellschafter einer OEG grundsätzlich Dienstnehmer dieser OEG sein kann. Denn wenn dies rechtlich möglich ist, könnte der vorliegende Gesellschaftsvertrag bei Aufrechterhaltung seines eigentlichen Zweckes der OEG (Nutzungsmöglichkeit der Konzession der Beschwerdeführerin durch W) nicht allein aufgrund einer solchen Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen W und der Beschwerdeführerin, die ihre Dienstnehmereigenschaft gegenüber der Gesellschaft bewirkte, als Schein- oder Umgehungsvertrag qualifiziert werden:
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200 (VwSlg. 12.325/A), näher dargelegt hat, ist Dienstgeber von Personen, die für eine Personengesellschaft des Handelsrechtes in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit tätig sind, die Gesellschaft selbst und nicht auch die Gesellschafter. Dies gilt auch für eingetragene Erwerbsgesellschaften im Sinne des EGG, zumal diese Gesellschaften gemäß § 4 Abs. 1 EGG in handelsrechtlicher Hinsicht und durch das Sozialrechtsänderungsgesetz 1990, BGBl. Nr. 741/1990, in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht der OHG (KG) gleichgestellt sind. Die Ausübung der Dienstgeberfunktion fällt ausschließlich in die Zuständigkeit der vertretungsbefugten Gesellschafter (SZ 38/154 und SZ 51/21, sowie Koppensteiner in Straube - Kommentar zum HGB, § 125, Rz 3). Nach § 125 HGB ist, falls der Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes bestimmt, jeder Gesellschafter einzelvertretungsbefugt. Doch können einzelne Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen werden. Dies trifft im Beschwerdefall auf die Beschwerdeführerin zu. Sie ist daher von der Ausübung der Dienstgeberfunktion der OEG ausgeschlossen.
Ob dem - im Beschwerdefall - allein vertretungsbefugten W gegenüber der nicht vertretungsbefugten Beschwerdeführerin ein für ihre - behauptete - Dienstnehmereigenschaft typisches Weisungsrecht zustand, ist weiters aus der sonstigen Gestaltung der rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen der Gesellschafter im Innenverhältnis (Geschäftsführung) zu klären. Hiebei ist wesentlich, daß die Beschwerdeführerin als Gesellschafterin zufolge der Abdingbarkeit des § 114 Abs. 1 HGB auch von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden kann. Es ist zulässig, einzelnen Gesellschaftern durch Gesellschaftsvertrag die Berechtigung zur Geschäftsführung ganz oder teilweise zu nehmen oder sie zumindest von der Verpflichtung zur Geschäftsführung zu entbinden (Hämmerle/Wünsch, Handelsrecht, Band 2, 4. Auflage, Seite 159). Dies kann im Gesellschaftsvertrag von Anfang an oder durch seine spätere Abänderung festgelegt werden. Der Vertrag bzw. eine Abänderung kann schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder stillschweigend abgeschlossen werden (Hämmerle/Wünsch, a. a.O. Seite 134).
Die Beschwerdeführerin führt im Einspruch aus, daß sie an die "Weisungen des W gebunden" gewesen sei und wiederholte in der Berufung, daß sie "W gegenüber vollkommen weisungsgebunden" gewesen sei. Auch laut dem von ihr vorgelegten Schreiben vom 6. Oktober 1992 war sie W gegenüber "vollkommen weisungsgebunden". Aus diesem Vorbringen - wenn es zutreffen sollte - ergibt sich, daß die der Beschwerdeführerin laut Gesellschaftsvertrag vom 3. Dezember 1991 zukommende Geschäftsführungsbefugnis ausgeschaltet wurde. In einem solchen Fall ist aber zu prüfen, ob die Beschäftigung eines Gesellschafters einer OEG zu dieser die Dienstnehmereigenschaft dieses Gesellschafters im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. Abs. 2 ASVG begründet. Soweit die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse bereits aus eigentums- und haftungsrechtlichen Gründen die Dienstnehmereigenschaft eines Gesellschafters ausschließen will, ist sie auf das oben zitierte Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hinzuweisen.
Welche Umstände bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen sind, ob bei einer Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit einer Person vom Empfänger der Arbeitsleistung gegenüber jenen persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit überwiegen, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt, so etwa im Erkenntnis vom 19. März 1984, Slg. Nr. 11.361/A, im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Slg. 12.325/A, und zuletzt im Erkenntnis vom 31. Jänner 1995, Zl. 92/08/0213, auf deren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG insoweit verwiesen wird.
Die belangte Behörde hat das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 4 Abs. 2 ASVG deswegen verneint, weil die Beschwerdeführerin die Befugnis gehabt habe, sich generell durch Dritte vertreten zu lassen.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen diese Auffassung mit dem Argument, daß sie nicht berechtigt gewesen wäre, Personal aufzunehmen, um sich beliebig vertreten zu lassen. Ein generelles Vertretungsrecht könne daher nicht vorliegen. Im übrigen sei eine Vertretungsbefugnis dem Arbeitsrecht grundsätzlich nicht fremd, und wie das Beispiel des Hausbesorgers zeige, auch mit der Sozialversicherungspflicht nach dem ASVG vereinbar.
Letzterem ist entgegenzuhalten, daß gemäß § 17 des Hausbesorgergesetzes der Hausbesorger für den Fall der Verhinderung berechtigt und verpflichtet ist, für eine Vertretung auf seine Kosten zu sorgen. Dies bedeutet jedoch keine generelle Vertretungsbefugnis (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1996, Zl. 95/08/0175). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse vom 25. Jänner 1994, Zl. 92/08/0226 und Zl. 93/08/0154, sowie vom 22. November 1994, Zl. 93/08/0257) schließt nur die Berechtigung eines Beschäftigten, die übernommene Arbeitspflicht generell durch Dritte vornehmen zu lassen, - unabhängig davon, ob er von dieser Berechtigung auch tatsächlich Gebrauch macht - wegen des in dieser Berechtigung zum Ausdruck kommenden Fehlens der für die persönliche Abhängigkeit wesentlichen (grundsätzlich) persönlichen Arbeitspflicht und damit der Ausschaltung seiner Bestimmungsfreiheit durch die übernommene Arbeitspflicht, seine persönliche Abhängigkeit vom Empfänger der Arbeitsleistung und damit ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG aus. Ob dann hinsichtlich der Beschäftigung selbst, sofern sie der Verpflichtete unter Verzicht auf seine Berechtigung, sich generell vertreten zu lassen, ausübt, ohne Bedachtnahme auf die genannte Berechtigung die sonstigen Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit überwögen, ist (abgesehen davon, daß zu prüfen wäre, ob diese Merkmale nicht im Hinblick auf die eingeräumte Vertretungsberechtigung einen inhaltlichen Bedeutungswandel erfahren) wegen der - schon in dieser Berechtigung zum Ausdruck kommenden - fehlenden Ausschaltung seiner Bestimmungsfreiheit bedeutungslos. All dies setzt aber voraus, daß der Beschäftigte berechtigt ist, die übernommene Arbeitspflicht generell durch Dritte vornehmen zu lassen. Von einer solchen Vertretungsbefugnis kann nur dann gesprochen werden, wenn der Beschäftigte berechtigt ist, jederzeit (wenn auch nach Rücksprache oder - unter bestimmten eingeschränkten Umständen - sogar nach Zustimmung des Empfängers der Arbeitsleistung) und nach Gutdünken (d.h. ohne bestimmten Grund) irgendeinen geeigneten Vertreter zur Erfüllung der von ihm übernommenen Arbeitspflicht heranzuziehen. Eine solche Vertretungsbefugnis setzt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht das Recht voraus, Personal für den Arbeitgeber aufzunehmen. Der Dritte wird nur für den Beschäftigten tätig und tritt nicht notwendigerweise in ein wie immer geartetes Rechtsverhältnis zum Arbeitgeber des Beschäftigten. Diese generelle Vertretungsbefugnis hat mit einem von der Beschwerdeführerin angesprochenen wechselseitigen Vertretungsrecht von mehreren von einem Dienstgeber aufgenommenen Personen nichts zu tun. Es ist daher unerheblich, ob die OEG eine oder mehrere Personen zur Verrichtung von Diensten aufgenommen hat.
Von einer "generellen Vertretungsbefugnis" (mit dem obgenannten Inhalt) ist zumindest die Beschwerdeführerin bei Beantwortung der an sie von der belangten Behörde im ergänzenden Ermittlungsverfahren gestellten Frage ("10. War Frau R berechtigt, ihre Tätigkeit durch Dritte ausführen zu lassen? Konnte sie diese selbst bestimmen oder brauchte sie hiezu die Genehmigung von Herrn W?") nicht ausgegangen: Nach dem Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten beantwortete die Beschwerdeführerin diese Frage wie folgt: "Ja, ich war berechtigt, meine Tätigkeit durch Dritte ausführen zu lassen. Ja, ich konnte dies selbst bestimmen. Es handelte sich hiebei um die Büroorganisation".
W beantwortete diese Frage wie folgt: "Ja. Frau R war berechtigt, ihre Arbeit durch Dritte ausführen zu lassen. Die Aufnahme von Personal war ausgeschlossen. Die Übertragung einer Tätigkeit konnte im Ermessen von Frau R erfolgen."
In ihrer Stellungnahme zu dieser Aussage des W führte die Beschwerdeführerin aus, die Berechtigung, Tätigkeiten im Rahmen der Büroorganisation durch Dritte ausführen zu lassen, sei nicht gegeben gewesen. Es sei niemand da gewesen, der diese Tätigkeit hätte ausüben können, wobei Herr W ohnehin angebe, daß die Aufnahme von Personal durch die Beschwerdeführerin ausgeschlossen gewesen sei. Es habe daher in der Praxis keinen Dritten gegeben, an den die Beschwerdeführerin delegieren hätte können.
Aus diesen Angaben der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ergibt sich, daß sie nicht von der generellen Vertretungsbefugnis im oben angegebenen rechtlichen Sinn bei Beantwortung der an sie gerichteten Fragen ausgegangen ist. Die belangte Behörde hätte daher den genauen Inhalt der von der Beschwerdeführerin geäußerten Vertretungsmöglichkeit aufzuklären gehabt. Diesem - in der Beschwerde der Sache nach geltend gemachten - Verfahrensmangel kommt auch Relevanz zu, weil im Falle einer nicht bestehenden generellen Vertretungsbefugnis der Beschwerdeführerin die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin behaupteten übrigen Momente für die persönliche Abhängigkeit - nach weiteren Feststellungen im Sinne der obigen Ausführungen - zu prüfen gehabt hätte.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff HausbesorgerDienstnehmer Begriff Wirtschaftliche AbhängigkeitBesondere Rechtsprobleme Verhältnis zu anderen Normen Materien Sozialversicherung Handelsrecht GesellschaftsrechtDienstnehmer Begriff Persönliche AbhängigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994080073.X00Im RIS seit
13.12.2001Zuletzt aktualisiert am
20.04.2012