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Sozialversicherung - ASVG - AlVGNorm
ABGB §914Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Novak, über die Beschwerden des 1.) FF in M, 2.) FG in S, 3.) RH in K, 4.) JH in S, 5.) EK in W, 6.) EL in S, 7.) EM in P, 8.) WR in W, 9.) BS in T, und 10.) PT in W, alle vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, Kaiser-Josef Platz 12, gegen die aufgrund der Beschlüsse des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheide des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 1.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/1355050554/Wels,
2.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/1379210647/Wels,
3.) 28. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/1378171041/Steyr,
4.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/3130270360/Wels,
5.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/2142071057/Wels,
6.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/3090270461/Wels,
7.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/1418100951/Linz,
8.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/1657051050/Wels,
9.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/2226120960/Wels, und 10.) 24. April 1986, Zl. IVa-AlV-7022-3-B/3231150966/Wels, alle betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Nach den angefochtenen Bescheiden, die - bis auf die Berufsbezeichnung bei jedem Beschwerdeführer und die Benennung des für ihn zuständigen Arbeitsamtes - gleichlautend sind, hätten die Beschwerdeführer am 20. Dezember 1986 beim Arbeitsamt einen Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gestellt. Laut vorgelegter Arbeitsbescheinigung habe das jeweilige Dienstverhältnis bei der J Gesellschaft m.b.H., S, durch Kündigung seitens des Dienstgebers geendet. Im Schreiben vom 21. November 1985 habe der Dienstgeber mitgeteilt, daß wie jedes Jahr der Betrieb über die Weihnachtszeit gesperrt werde und ca. 21 Arbeitnehmer „stempeln gehen“ müßten (zwischen dem 20. Dezember 1985 und dem 3. Februar 1986). Bei diesem Sachverhalt habe das Arbeitsamt die jeweils von den Beschwerdeführern mit Berufung bekämpften Bescheide erlassen. (Mit diesen wurden den jeweiligen Anträgen der Beschwerdeführer auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 7 Z. 1 in Verbindung mit § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit keine Folge gegeben.) In den dagegen fristgerecht eingebrachten Berufungen hätten die Beschwerdeführer im wesentlichen eingewendet, daß sie in keinem Dienstverhältnis stünden. Sie seien vom Dienstgeber gekündigt worden. Der Dienstgeber hätte ihnen die Wiedereinstellung angeboten, in diesem Zusammenhang sei ihnen die Stundung der Endabrechnung vorgeschlagen worden, weil für das neue Arbeitsverhältnis die Wahrung ihrer Ansprüche zugesagt worden sei. Diesen Vorschlag hätten sie angenommen. Über Aufforderung der belangten Behörde habe der Dienstgeber am 10. April 1986 die jeweils an die Beschwerdeführer gerichteten Schreiben vom 18. Dezember 1985 vorgelegt, die folgenden Inhalt hätten:
„Aufgrund der (vorübergehenden) schlechten Auftrags- und Beschäftigungslage sind wir gezwungen Ihr Dienstverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen aufzukündigen. Aufgrund dieser Kündigung endet Ihr Dienstverhältnis am 19.12.1985. Gleichzeitig bieten wir Ihnen jedoch die Wiedereinstellung in unserem Betrieb mit 1.2.1986 an. Im Hinblick auf die sohin nur kurzzeitige Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses (soweit Sie unser Wiedereinstellungsangebot annehmen), schlagen wir Ihnen vor, daß Ihre Ansprüche aus der Beendigung des Dienstverhältnisses mit Ausnahme der Abfertigung liquidiert werden. Für den Fall des Wiedereintrittes sagen wir Ihnen schon jetzt zu, daß das neue Arbeitsverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses gilt.“
Nach den rechtlichen Erwägungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides komme entsprechend der im Erkenntnis vom 29. November 1984, Zl. 83/08/0083 ausführlich dargelegten Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes in den vorliegenden Fällen der Lösung der privatrechtlichen Vorfrage, ob es sich bei den mit dem Dienstgeber getroffenen Vereinbarungen um eine Lösung und Wiederbegründung der Arbeitsverhältnisse der Dienstnehmer oder um eine bloß Karenzierung handle, entscheidende Bedeutung zu. Nur im Fall einer tatsächlichen Lösung der Arbeitsverhältnisse der Beschwerdeführer könnte das Vorliegen von Arbeitslosigkeit bejaht werden. Die bloße Karenzierung der Arbeits- und Entgeltpflicht wäre dagegen nicht als Beendigung des Dienstverhältnisses nach § 12 Abs. 1 AlVG anzusehen. Die belangte Behörde gehe davon aus, daß zwischen den Dienstnehmern und dem Dienstgeber nur eine Karenzierung des jeweiligen Dienstverhältnisses beabsichtigt gewesen sei. Diese Absicht lasse sich daraus schließen, daß die Dienstnehmer eine sonst mit der Kündigung (durch den Dienstgeber) verbundene Rechtsfolge, nämlich die Abfertigung, ausgeschlossen hätten. Weiter sei seitens des Dienstgebers jeweils zugesichert worden, daß das neue Arbeitsverhältnis als Fortsetzung des bisherigen gelte, was insbesondere im Hinblick auf den Urlaubsanspruch bedeutsam sei und ein weiteres Indiz für die bloße Karenzierungsabsicht darstelle. Im Zeitpunkt der Antragstellung der Beschwerdeführer sei daher bei ihnen Arbeitslosigkeit nicht gegeben gewesen.
Gegen diese angefochtenen Bescheide wenden sich die eingebrachten Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Nach den Beschwerdeausführungen vermeine die belangte Behörde zu Unrecht, daß in den gegenständlichen Fällen nur eine Karenzierung des Dienstverhältnisses beabsichtigt gewesen sei. Dagegen spreche der klare Wortlaut der jeweiligen Schreiben des Dienstgebers vom 12. Dezember 1985. Wenn die belangte Behörde eine andere Absicht vermute, hätte sie weiter Beweise zur Erforschung der Absicht aufnehmen müssen. Aufgrund der erfolgten Kündigungen, die unbedingt ausgesprochen worden seien, hätten die Beschwerdeführer den ihnen zustehenden Abfertigungsanspruch jederzeit geltend machen können. Auch sei seitens des Dienstgebers nur für den Fall des Wiedereintrittes zugesichert worden, daß die neuen Arbeitsverhältnisse als Fortsetzung der bisherigen zu gelten hätten. Es sei aber diesbezüglich vor oder bei Ausspruch der Kündigung keine Vereinbarung getroffen worden. Es hätten auch mehrere andere Dienstnehmer, deren Dienstverhältnisse in derselben Art aufgekündigt worden seien, vom Wiedereinstellungsangebot keinen Gebrauch gemacht. Sie hätten auch alle Ansprüche, die sich durch die Beendigung des Dienstverhältnisses ergeben hätten, wie Abfertigung u.dgl., voll erfüllt erhalten. Auch in den Fällen der Beschwerdeführer sei es zu einer einseitigen Beendigung des Dienstverhältnisses durch Kündigung des Dienstgebers gekommen und keine einvernehmliche Vertragsauflösung erfolgt. Anläßlich der Kündigung durch den Dienstgeber (Beendigung der Dienstverhältnisse) sei keine Vereinbarung über eine Wiedereinstellung und eine Vordienstanrechnung für die neuen Arbeitsverhältnisse geschlossen worden. Der Dienstgeber habe nur den Vorschlag unterbreitet, die Abfertigungsansprüche der Beschwerdeführer vorerst nicht zu liquidieren, sondern abzuwarten, ob sie in der Folge wieder eintreten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerden wegen der sachlichen Gleichartigkeit gemeinsam zu behandeln und darüber erwogen:
Nach dem (in der obigen Sachverhaltsdarstellung wiedergegebenen) Wortlaut des jeweils vom Dienstgeber an die Beschwerdeführer gerichteten Schreibens vom 18. Dezember 1985 ist davon auszugehen, daß zwar eine Kündigung vorliegt, jedoch gekoppelt mit dem Anbot, das Dienstverhältnis bei vorgeschlagener teilweise Liquidierung der Ansprüche am 1. Februar 1986 fortzusetzen.
Die belangte Behörde beurteilte diese Kündigung aber als Scheinhandlung, der in Wirklichkeit ein Aussetzungsvertrag zugrunde liege. Ob dies der Fall ist, muß anhand verschiedener unterscheidungskräftiger Kriterien geprüft werden.
Die belangte Behörde stützte sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich auf den Ausschluß der Abfertigung und auf die Zusage für den Fall des Wiedereintrittes, daß das „neue“ Arbeitsverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses gelte.
Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. November 1984, Zl. 83/08/0083, teilweise veröffentlicht in Slg. Nr. 11.600/A, wurde dargelegt, daß allein deshalb, weil mit der zwischen den Vertragsparteien getroffenen Vereinbarung eine sonst mit der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundene Rechtsfolge (Abfertigung) ausgeschlossen und eine Vordienstzeitanrechnung für das „neue“ Arbeitsverhältnis vereinbart wurde, nicht zweifelsfrei auf eine bloße Karenzierung geschlossen werden kann. Diese beiden Umstände sind allein noch keine unterscheidungskräftigen Kriterien für das Vorliegen einer Scheinhandlung.
In die Gesamtbetrachtung ist auch die fristwidrige Kündigung, auf die die belangte Behörde erst in ihrer Gegenschrift hinweist, einzubeziehen.
Nicht nur die gerechtfertigte, sondern auch die ungerechtfertigte Entlassung aus einem einen besonderen Kündigungs- oder Entlassungsschutz nicht genießenden Dienstverhältnis stellt eine „Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses“ im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG dar (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. März 1981, Zlen. 3099, 3263/80, auf das unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965 hingewiesen wird). Dies gilt grundsätzlich auch für eine fristwidrige Kündigung.
Im gleichlautenden Schreiben an die belangte Behörde vom 8. April 1986 teilte der Dienstgeber mit, daß die Dienstverhältnisse durch Kündigung beendet worden seien, und zwar sei den Beschwerdeführern das (in der obigen Sachverhaltsdarstellung wiedergegebene) Kündigungsschreiben vom 18. Dezember 1985 zugegangen. Daraus gehe eindeutig hervor, daß im Hinblick auf die mögliche bzw. wahrscheinliche Wiedereinstellung mit Ausnahme der Abfertigung sämtliche Ansprüche, die mit der Beendigung des Dienstverhältnisses verbunden seien, liquidiert worden seien. Die Abfertigung allerdings hätten die Beschwerdeführer dem Dienstgeber vereinbarungsgemäß gestundet.
Im Sinne der erforderlichen Gesamtbetrachtung aller Umstände kommt es bei Beantwortung der Frage, ob eine wirksame Kündigung oder bloß eine Scheinhandlung vorliegt, im Hinblick auf die Fristwidrigkeit der „Kündigung“, den schriftlichen Vorschlag des Dienstgebers im Schreiben vom 18. Dezember 1985, daß die Ansprüche der Beschwerdeführer aus der Beendigung des Dienstverhältnisses mit Ausnahme der Abfertigung liquidiert würden, sowie die schriftliche Mitteilung des Dienstgebers vom 8. April 1986 an die belangte Behörde darauf an, wie ernsthaft die einzelnen Beschwerdeführer ihre aus der behaupteten Beendigung des Dienstverhältnisses entstandenen Ansprüche (Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung etc.) verfolgt bzw. aufgrund welcher Motive sie darauf verzichtet hätten.
Eine solche umfassende Ermittlung wurde von der belangten Behörde nicht durchgeführt. Da es aber nicht auszuschließen ist, daß sie bei Unterlassung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen als dem angefochtenen Bescheid gekommen wäre, ist dieser wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 16. Oktober 1986
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1986:1986080129.X00Im RIS seit
29.09.2022Zuletzt aktualisiert am
29.09.2022