TE Vwgh Erkenntnis 2022/8/24 Ra 2021/21/0230

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Veröffentlicht am 24.08.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowei die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des F A, vertreten durch die Ruggenthaler, Rest & Borsky Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Biberstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2021, G309 2228366-6/11E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Über den Revisionswerber, einen Staatsangehörigen Ägyptens, wurde nach seiner Festnahme mit sogleich in Vollzug gesetztem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 8. Jänner 2020 die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

2        Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 18. Februar 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde als unbegründet ab, stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, und traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenaussprüche. Die nur gegen den Spruchpunkt betreffend die Fortsetzung der Schubhaft erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. Dezember 2020, Ra 2020/21/0071, mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zurück.

3        Nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am 14. Mai 2020 erhob der Revisionswerber am 23. Juni 2020 Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft im Zeitraum nach Verkündung des genannten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes von 18. Februar 2020, 15:15 Uhr, bis 9. Mai 2020, 15:25 Uhr. Über den danach liegenden Zeitraum wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit dem beim Verwaltungsgerichtshof nicht angefochtenen Erkenntnis vom 12. Mai 2020 abgesprochen.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Mai 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht diese Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 5. März 2021 als unbegründet ab, traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenaussprüche und sprach gemäß § 25a Abs.1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers „in absehbarer Zeit möglich“ erscheine, ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates werde „von Seiten der belangten Behörde betrieben“ und erscheine „nicht aussichtslos“. Der Revisionswerber sei bislang nicht freiwillig in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt und zeige keine ernsthafte Bereitschaft, dies künftig zu tun. Er verfüge in Österreich über keine familiären, beruflichen oder sozialen Bindungen, habe sich unstet im Bundesgebiet aufgehalten, wiederholt Ladungen der belangten Behörde ignoriert und keine Bereitschaft gezeigt, am Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats mitzuwirken.

6        In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass aufgrund der mit Erkenntnis vom 18. Februar 2020 getroffenen Feststellung, wonach zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, für den in Beschwerde gezogenen Zeitraum der Anhaltung in Schubhaft eine taugliche Rechtsgrundlage vorgelegen sei. Es seien keine Umstände hervorgekommen, welche in diesem Zeitraum „zu einer Aufhebung der Schubhaft führen würden“. Vielmehr sei über den vom Revisionswerber (im Stand der Schubhaft) am 15. Jänner 2020 gestellten Asylfolgeantrag mittlerweile mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. Februar 2020 rechtskräftig negativ im Sinne einer Zurückweisung (wegen entschiedener Sache) abgesprochen worden, sodass auch im Hinblick darauf angenommen werden könne, dass dieser Antrag im Sinn des § 76 Abs. 6 FPG ausschließlich in Verzögerungsabsicht gestellt worden sei. Diese Annahme begründete das Bundesverwaltungsgericht dann noch ergänzend mit Überlegungen, wie sie bereits im Erkenntnis vom 18. Februar 2020 angestellt worden waren. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Mai 2020 sei im Rahmen der amtswegigen Überprüfung gemäß § 22a Abs. 4 B-VG im Übrigen abermals festgestellt worden, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen.

7        Zusammenfassend betonte das Bundesverwaltungsgericht nochmals, dass der Revisionswerber nicht willens gewesen sei, mit den Behörden zusammenzuwirken, sich unstet im Bundesgebiet aufgehalten habe, „beharrlich“ Ladungen des BFA ignoriert habe und keine Bereitschaft zeige, am Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats mitzuwirken. In Zusammenschau mit seiner fehlenden sozialen Verankerung und der mangelnden Rückkehrbereitschaft sei das Vorliegen eines konkreten Sicherungsbedarfs zu bejahen, und „aufgrund der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft“ seien „daher auch für den angefochtenen Zeitraum“ die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft zu bejahen.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

9        Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG einerseits gegen die im Hinblick auf § 76 Abs. 6 FPG getroffene Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Asylfolgeantrag in Verzögerungsabsicht gestellt worden sei. Insoweit genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im Beschluss vom 15. Dezember 2020, Ra 2020/21/0071, Rn. 10, zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs. 6 FPG im Fall des Revisionswerbers zu verweisen.

10       Andererseits macht die Revision aber auch eine unrichtige Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft im Hinblick auf die (mangelnde) Abschiebbarkeit des Revisionswerbers geltend. Das Ziel der Außerlandesbringung von Fremden werde durch die infolge der Covid-19-Pandemie verhinderte Ausstellung von Heimreisezertifikaten verunmöglicht. Seit Beginn der Pandemie sei nicht absehbar gewesen, wie lange und in welchem Ausmaß die Ausstellung von Heimreisezertifikaten beeinflusst werde. Das Bundesverwaltungsgericht habe lediglich pauschal die Möglichkeit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats attestiert. Aufgrund des eingeschränkten Betriebs der Botschaft sei kein Interview mit dem Revisionswerber möglich gewesen. Aus damaliger Sicht sei eine Abschiebung daher auf unbestimmte Zeit nicht möglich gewesen. Das BFA hätte folglich eine sofortige Neubeurteilung der Schubhaft vornehmen und den Revisionswerber entlassen müssen.

Dieses Vorbringen führt zur Zulässigkeit und inhaltlichen Berechtigung der Revision.

11       § 80 Abs. 1 FPG sieht vor, dass die Schubhaft nur solange aufrechterhalten werden darf, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Es sind daher Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der (jeweils) zulässigen Schubhafthöchstdauer zu treffen (vgl. VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, Rn. 14, mwN). Denn Schubhaft kann generell ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn das zu sichernde Verfahren in eine Abschiebung münden kann (vgl. etwa VwGH 27.4.2020, Ra 2020/21/0116, Rn. 12, mwN).

12       Die Frage der rechtzeitigen Abschiebbarkeit, insbesondere im Hinblick auf die Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikats, ist gerade bei länger andauernden Schubhaften typischerweise entscheidend für die (weitere) Verhältnismäßigkeit der Anhaltung, was entsprechende Ermittlungen und eine fundierte Auseinandersetzung mit den erlangten Ergebnissen erfordert (vgl. dazu nochmals VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, Rn. 20, mit dem Hinweis auf VwGH 26.11.2020, Ra 2020/21/0070, Rn. 13). Erfolgt die Entscheidung über eine Schubhaftbeschwerde erst nach der Beendigung der Haft (zur Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit einer solchen Beschwerde siehe des Näheren VwGH 5.4.2022, Ra 2021/21/0121, Rn. 9 und Rn. 13, jeweils mwN), so hat diese Beurteilung ausschließlich aus der zeitlichen Perspektive des bekämpften Zeitraums der Anhaltung zu erfolgen. Die Schubhaft ist unter dem Gesichtspunkt der Realisierbarkeit der Abschiebung als rechtmäßig anzusehen, solange (in einer ex-ante-Betrachtung) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden konnte, dass die Abschiebung innerhalb der nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 bis 5 FPG zu berechnenden Schubhafthöchstdauer möglich sein würde.

13       Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage fehlt im angefochtenen Erkenntnis aber zur Gänze. Dies, obwohl der Revisionswerber in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 5. März 2021 vorgebracht hatte, sein für den 20. Februar 2020 anberaumter Interview-Termin bei der ägyptischen Botschaft im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats sei abgesagt worden, was auch in der gegenständlichen Schubhaftbeschwerde schon geltend gemacht worden war. Der Behördenvertreter hatte in der Verhandlung überdies angegeben, ein neuer Vorführtermin habe aufgrund der Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie - die ägyptische Botschaft sei auf Notbetrieb gewesen, weshalb keine Interviews durchgeführt worden seien - bis zum Zeitpunkt der Verhandlung (also lange nach Beendigung der Schubhaft) nicht stattfinden können.

14       Das Bundesverwaltungsgericht ging auf dieses Vorbringen nicht ein, sondern stellte - wie oben wiedergegeben - ohne nähere Begründung lediglich fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers „in absehbarer Zeit möglich“ erscheine sowie dass ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats „von Seiten der belangten Behörde betrieben“ werde und „nicht aussichtslos“ erscheine. Darauf, ob die Abschiebung aktuell - zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - in absehbarer Zeit möglich war, ist es aber nach dem in Rn. 12 Gesagten nicht angekommen. Vielmehr wäre unter Berücksichtigung insbesondere der Aussagen in der mündlichen Verhandlung zu beurteilen gewesen, ob im Zeitraum 18. Februar bis 9. Mai 2020 - vor allem ab dem Beginn der auch den Betrieb der ägyptischen Botschaft und überdies den Flugverkehr betreffenden Einschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie Mitte März 2020 - zu erwarten war, dass die Abschiebung innerhalb der damals noch offen stehenden Schubhafthöchstdauer - zu deren Berechnung sich im angefochtenen Erkenntnis im Übrigen ebenfalls keinerlei Aussagen finden - realisierbar sein würde.

15       Da das Bundesverwaltungsgericht die Maßgeblichkeit dieser Frage verkannt und folglich Feststellungen dazu unterlassen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

16       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthaltene Umsatzsteuer.

Wien, am 24. August 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210230.L00

Im RIS seit

29.09.2022

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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