TE Vwgh Erkenntnis 1984/3/20 83/05/0177

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Veröffentlicht am 20.03.1984
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Index

Baurecht - Wien
L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Wien
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien
L82000 Bauordnung
L82009 Bauordnung Wien
L82259 Garagen Wien

Norm

BauO Wr §127 Abs1 idF 1976/018
BauO Wr §127 Abs2 idF 1976/018
BauO Wr §134 Abs3
BauO Wr §134 Abs3 idF 1976/018
BauO Wr §63 Abs4 idF 1976/018
BauO Wr §67 Abs1 idF 1976/018
BauRallg implizit
GaragenG Wr 1957

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde 1) des Dr. NS, Rechtsanwalt in W, und 2) der Dr. CS in W, diese vertreten durch den Erstbeschwerdeführer, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 31. August 1983, Zl. MDR-B XVI-9/83, betreffend Anrainereinwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: „F“ Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Julius Schuster, Rechtsanwalt in Wien I, Am Hof 13), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von zusammen S 8.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Mag.Abt. 37, vom 14. März 1983 wurde der mitbeteiligten Partei dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 70 der Bauordnung für Wien die Bewilligung zur Errichtung eines zur Gänze unterkellerten Wohngebäudes mit vier Hauptgeschossen und einem ausgebauten Dachgeschoß auf dem Grundstück Nr. 496/8, inneliegend in der EZ. 4668 des Grundbuches über die Kat. Gem. O, (Wien nn, S-Gasse) erteilt. Der Einwand der Beschwerdeführer als Nachbarn dieses Bauvorhabens, wonach die S-Ggasse im Bereich der Liegenschaft der Bauwerberin eine Sackgasse sei und daher sowohl während der Bauzeit durch die Baufahrzeuge als auch nach Fertigstellung des Neubaues durch Privatfahrzeuge mit einer unzumutbaren Lärmbelästigung und einer unzumutbaren Umweltverschmutzung zu rechnen sein werde, wurde als unzulässig zurückgewiesen. Die weiteren Einwendungen der Beschwerdeführer, wonach das Projekt hinsichtlich der Stellplätze unterdimensioniert sei und eine (nach Durchführung von Bodenproben erforderliche) genaue statische Berechnung fehle, wurden als im Gesetz nicht begründet abgewiesen. Schließlich wurde der Einwand der Beschwerdeführer, wonach auf Grund der vorgesehenen Heizung mit erheblichen, das ortsübliche Maß übersteigenden Emissionen zu rechnen sein werde, ebenfalls als im Gesetz nicht begründet abgewiesen.

Die Zurückweisung des in bezug auf die erwartete Lärmbelästigung erhobenen Einwandes wurde damit begründet, daß Fragen des Straßenverkehrs im baubehördlichen Verfahren keine Berücksichtigung finden könnten. Zur Begründung der Abweisung der Einwendungen hinsichtlich der Unterdimensionierung der Stellplätze sowie hinsichtlich der Notwendigkeit statischer Berechnungen und des Fehlens von Bodenproben wurde ausgeführt: Durch die Schaffung von zehn Stellplätzen in der im Keller des Neubaues geplanten Garage werde die gemäß § 36 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes geforderte Anzahl der Pflichtstellplätze geschaffen. Im übrigen seien gemäß § 63 der Bauordnung für Wien einem Ansuchen um Baubewilligung statische Berechnungen und Bodengutachten grundsätzlich nicht anzuschließen. Weiters sei auf § 127 Abs. 1 der Bauordnung für Wien zu verweisen, wonach Unterlagen über die Tragfähigkeit des Untergrundes, über die Festigkeit von Tragwerken, Fundamenten und sonstigen besonders beanspruchten Bauteilen mindestens einen Monat vor Beginn der Bauarbeiten der Behörde vorgelegt werden müßten. Unter Punkt 6) des Bescheides sei daher eine entsprechende Vorschreibung erfolgt. Die Abweisung des Einwandes der Beschwerdeführer, wonach auf Grund der vorgesehenen Heizung mit erheblichen, das ortsübliche Maß übersteigenden Emissionen zu rechnen sei, wurde damit begründet, daß die Ausmündung von Rauchfängen innerhalb eines Umkreises von 10 m gemäß § 114 Abs. 4 der Bauordnung für Wien um 3 m höher liegen müsse als der Fenstersturz von Aufenthaltsräumen im selben Gebäude oder in anderen Gebäuden auf derselben Liegenschaft oder auf einer angrenzenden oder jenseits einer Verkehrsfläche direkt gegenüber liegenden Liegenschaft, und daß der Abstand der nächstgelegenen Rauchfangausmündung zum nächstgelegenen Fenster eines Aufenthaltsraumes im Gebäude auf der Liegenschaft der Beschwerdeführer ca. 32 m betrage.

In der gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Berufung machten die Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, daß das Bauwerk nicht der Bauordnung entspreche, weil das ausgebaute Dachgeschoß eindeutig als fünftes Obergeschoß mit Aufenthaltsräumen ausgestattet sei. Der Einwand der Behörde, daß eine Überprüfung der Einreichpläne auf Vollständigkeit nicht dem Anrainer sondern der Behörde unterliege, sei unrichtig. Den Plänen könne nicht entnommen werden, in weicher Ausführung das Bauwerk errichtet werde. Gemäß § 87 Abs. 1 der Bauordnung für Wien müsse das Äußere der baulichen Anlagen nach Bauformen, Baustoffen und Farben so beschaffen sein, daß es die einheitliche Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht störe. Die Beschwerdeführer hätten vorgebracht, daß keine statischen Berechnungen durchgeführt bzw. Bodengutachten erstellt worden seien. Die Baubehörde hätte im vorliegenden Fall unbedingt vor Erteilung der Baubewilligung Auflagen in dieser Richtung machen müssen, da das Bauwerk in massiver Form im reihen Lössboden errichtet werde. Aus den Erläuternden Bemerkungen zu § 127 der Bauordnung für Wien ergebe sich, daß die aufgezählten Überprüfungen der Baubehörde zwingend auferlegt worden seien, falls sie nicht bei' geringfügigen Bauanlagen schön im Baubewilligungsbescheid entweder gänzlich oder teilweise darauf verzichtet habe. Dies bedeute, daß die Baubehörde im gegenständlichen Fall auf Grund der Einwendungen unbedingt auf das Vorliegen solcher Gutachten hätte bestehen müssen, da der Sinn und Zweck eines Baubewilligungsbescheides wohl darin liege, daß das Bauwerk auch tatsächlich errichtet werde. Erst nachträglich eingeholte Bodengutachten bzw. statische Berechnungen könnten im gegenständlichen Fall sicher nicht zum Tragen kommen, da die Baubewilligung mangels statischer Fundierung sicher nicht zu erteilen wäre. Im übrigen übersehe die Behörde die Bestimmung des § 64 Abs. 4 der Bauordnung für Wien, daß über die Tragfähigkeit von Konstruktionen eine statische Berechnung vorzulegen sei. Auch gemäß § 67 der Bauordnung für Wien sei die Behörde verhalten, das Bauvorhaben dahingehend zu prüfen, ob der geplante Bau den Bestimmungen dieser Bauordnung und den auf Grund derselben erlassenen Verordnungen, insbesondere den Anforderungen der Festigkeit, Gesundheit, Feuersicherheit sowie schönheitlichen und sonstigen öffentlichen Rücksichten entspreche. Schließlich wandten sich die Beschwerdeführer in ihrem Rechtsmittel noch ausdrücklich gegen die Auffassung der Behörde erster Instanz, daß Fragen des Straßenverkehrs im baubehördlichen Verfahren keine Berücksichtigung finden könnten, und wiesen nochmals darauf hin, daß es sich bei der in Rede stehenden Verkehrsfläche um eine Sackgasse handle, wobei im Hinblick auf die Situierung des Bauvorhabens eine verkehrssichere Benützung dieser Straße bestimmt in Frage gestellt sei.

Mit dem auf dem Sitzungsbeschluß der Bauoberbehörde für Wien vom 31. August 1983 beruhenden Bescheid gleichen Datums wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, die Beschwerdeführer hätten während des erstinstanzlichen Verfahrens nicht vorgebracht, daß die vorgelegten Einreichpläne nicht zur Beurteilung des Bauvorhabens durch die Anrainer geeignet gewesen seien. Nach der Aktenlage sei dies auszuschließen. § 63 der Bauordnung für Wien normiere, welche Belege dem Ansuchen um Baubewilligung anzuschließen seien. Die dort genannten Pläne und Unterlagen seien dem Ansuchen der Aktenlage nach angeschlossen gewesen und vor der Verhandlung zur Einsichtnahme der Beteiligten bei der Baubehörde aufgelegen. Falls die Beschwerdeführer ihr Vorbringen so verstanden wissen wollten, daß in Ermangelung statischer Berechnungen bzw. Bodenproben die Unterlagen zur Beurteilung des Bauvorhabens nicht ausreichend seien, müsse ihnen entgegengehalten werden, daß § 63 der Bauordnung für Wien keinerlei Hinweis auf statische Berechnungen enthalte. Die Anforderung derartiger Unterlagen sei vielmehr im § 127 leg. cit. gedeckt. Diese Bestimmung beziehe sich jedoch auf Unterlagen, die bereits eine baubehördliche Bewilligung voraussetzten und der Behörde im Zuge der Bauausführung vorgelegt werden müßten. Damit sei aber klargestellt, daß den Nachbarn bezüglich der Vorlage von Nachweisen über die Tragfähigkeit des Untergrundes weder ein verfahrensrechtlicher Anspruch eingeräumt sei noch hinsichtlich der tatsächlichen Tragfähigkeit ein subjektiv-öffentliches Recht zukomme. Der Verwaltungsgerichtshof habe in bisher einhelliger Rechtsprechung erkannt, daß auf die Einhaltung jener Vorschriften der Bauordnung für Wien, die sich mit der Frage der Festigkeit (Statik) befassen, kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht bestehe. Einwendungen bezüglich des Stadtbildes seien im erstinstanzlichen Verfahren von den Beschwerdeführern nicht erhoben worden, weshalb sie in dieser Hinsicht präkludiert seien. Im übrigen komme den Anrainern in bezug auf die Gestaltung des örtlichen Stadtbildes kein subjektiv-öffentliches Recht zu. Gleiches gelte für allfällige Aufenthaltsräume im Dachgeschoß. Auch hiezu hätten die Beschwerdeführer während des Verfahrens vor der Behörde erster Instanz keine Einwendungen vorgebracht, und außerdem räume die Bauordnung für Wien den Anrainern auch hinsichtlich der Ausstattung von Dachgeschossen mit Aufenthaltsräumen kein subjektiv-öffentliches Recht ein. Außerdem sei den einen Bestandteil des erstinstanzlichen Bescheides bildenden Plänen und der Baubeschreibung zu entnehmen, daß im ausgebauten Dachgeschoß keine Aufenthaltsräume angeordnet würden. Mit dem Vorbringen bezüglich der verkehrssicheren Benützung der Straße seien die Beschwerdeführer präkludiert. Ihre Einwendungen anläßlich der Verhandlung vom 30. November 1982 könnten auch bei großzügigster Auslegung nicht in der Richtung verstanden werden, daß sie sich auf die Frage der verkehrssicheren Benützung bezogen hätten, sodaß sich eine Befragung der Beschwerdeführer zur Interpretation und Erforschung des Parteiwillens erübrige. Der belangten Behörde sei es somit verwehrt, auf dieses Vorbringen einzugehen, da Einwendungen der Anrainer nur im Rahmen ihrer Einwendungen im Verfahren vor der Behörde erster Instanz zu beachten seien (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Zl. 06/3112/79 = Slg. N. F. Nr. 10317/A). Schließlich sei zu bemerken, die Beschwerdeführer hätten selbst vorgebracht, daß ein Umdrehen und Umkehren der Fahrzeuge in dieser Sackgasse möglich sei. Lärm und Abgase, die durch den Straßenverkehr auf öffentlichen Straßen erzeugt werden, würden durch die Bestimmungen der Bauordnung für Wien nicht erfaßt. Dieser Einwand sei daher als im Gesetz nicht begründet abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erwogen hat:

Die Beschwerdeführer wenden sich zunächst gegen die von der belangten Behörde vertretene Auffassung, daß den Nachbarn kein subjektiv-öffentliches Recht auf die Einhaltung jener Bauvorschriften zustehe, die sich mit Fragen der Festigkeit befassen, und meinen, daß ihr Antrag insbesondere deshalb gestellt worden sei, weil in Ermangelung statischer Berechnungen mit erheblichen Beschädigungen des von ihnen bewohnten Objektes zu rechnen sei. Im Hinblick auf entsprechende Erkundigungen bei Fachleuten handle es sich nicht um bloße Vermutungen. Da das Bauvorhaben von der W-Straße bis zur S-Gasse reiche und erheblich abschüssig sei, müsse man nämlich Setzungserscheinungen befürchten. Insbesondere aus hydrologischer Sicht sei ein Abrutschen zu erwarten, sodaß erhebliche Setzungserscheinungen einen schweren Nachteil für das von den Beschwerdeführern bewohnte Objekt erwarten ließen. Die Beschwerdeführer vertreten daher die Auffassung, daß ihr diesbezügliches erstinstanzliches Vorbringen beachtlich sei, weil sich die mangelnden statischen Berechnungen im vorliegenden Fall als unbedingt notwendig erwiesen. Im Hinblick auf einen diesbezüglichen Antrag der Beschwerdeführer hätte die Behörde statische Überprüfungen anzuordnen gehabt, denen unbedingt Bodenproben voranzugehen gehabt hätten.

Diesem Vorbringen kommt teilweise Berechtigung zu. Der belangten Behörde ist zwar einzuräumen, daß der Verwaltungsgerichtshof zur Rechtslage vor der Bauordnungsnovelle 1976 wiederholt ausgesprochen hat, dem Nachbarn stehe auf die Einhaltung jener Vorschriften der Bauordnung für Wien, die sich mit der Frage der Festigkeit (Statik) befassen, kein subjektiv-öffentliches Recht zu, doch trifft dies nach der nunmehrigen Textierung des § 134 Abs. 3 der Bauordnung in der Fassung der Novelle 1976, LGBl. Nr. 18, nicht mehr zu. § 134 Abs. 3 der Bauordnung für Wien (WBO) lautet nunmehr wie folgt: „Im Baubewilligungsverfahren sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaft Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Ferner sind die Eigentümer (Miteigentümer) der benachbarten Liegenschaften dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre in diesem Gesetz festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt. Solche Rechte werden durch jene Bestimmungen begründet, die dem Schutz der Nachbarn dienen; hiezu zählen jedenfalls alle Bestimmungen des Bebauungsplanes für die Bebauung der Liegenschaft sowie alle jene Bestimmungen, die Rechte zum Schutz vor Gefahren und Belästigungen, die sich auf die Nachbargrundstücke erstrecken können, zum Inhalt haben. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§ 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes).“

In den Erläuternden Bemerkungen zu dieser Gesetzesstelle wurde die Ansicht vertreten, daß der Umfang der Nachbarrechte nun näher bestimmt, jedoch gegenüber der bisherigen Regelung nicht erweitert oder eingeschränkt worden sei. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist durch die neue gesetzliche Regelung eine solche Änderung der Rechtslage jedenfalls eingetreten (vgl. auch das Erkenntnis vom 8. März 1983, Zl. 82/05/0147). So kann doch kein Zweifel daran bestehen, daß die Vorschriften über die Fundierung nach § 98 WBO, aber auch jene über die standfeste und tragfähige Ausführung der Außenmauern der Gebäude nach § 99 WBO eine Regelung über die Abwehr von Gefahren zum Gegenstand haben. Daß sich eine solche Gefahr auch auf die Nachbargrundstücke erstrecken kann - eine solche Normierung enthielt § 134 Abs. 3 WBO in seiner Fassung vor der Novelle 1976 nicht - ist bei einer gegebenen räumlichen Nähe evident - etwa dann, wenn ein an der Nachbargrenze oder in der Nähe der Nachbargrenze errichtetes Gebäude einstürzt, bzw. wenn trotz gegebener Rutschgefahr des Untergrundes keine ausreichenden Fundierungsmaßnahmen ergriffen wurden. So hat auch der Verwaltungsgerichtshof zur Bestimmung des § 30 NÖ Bauordnung betreffend Fundierung und Tragfähigkeit wiederholt ausgesprochen, daß diese Vorschriften ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht begründen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 24. Februar 1975, Zl. 791/75, vom 23. Juni 1978, Zl. 1545/77). Der Gerichtshof teilt daher die Auffassung der Beschwerdeführer, daß ihnen insoweit ein Mitspracherecht in Fragen der Tragfähigkeit und Statik zusteht, als sich eine Gefahr von der zu bebauenden Liegenschaft auf ihre Grundflächen zu erstrecken vermag.

Wenn die belangte Behörde und die Baubehörde erster Instanz die Ansicht vertreten, Fragen der Statik seien im Rahmen des baubehördlichen Bewilligungsverfahrens nicht zu prüfen, so trifft dies nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu. Für die Beantwortung dieser Frage ist nämlich nicht eine isolierte Betrachtungsweise des § 127 WBO ausreichend, sondern es sind auch die anderen Bestimmungen dieses Gesetzes heranzuziehen.

Mit der Frage, welche Belege dem Ersuchen um Baubewilligung anzuschließen sind, beschäftigen sich die Bestimmungen des § 63 WBO. Nach § 63 Abs. 2 leg. cit. sind dem Ansuchen außer den in Abs. 1 genannten Belegen jene Unterlagen (schaubildliche Darstellungen, Lichtbilder, Baubeschreibung u.a.) anzuschließen, die eine ausreichende Beurteilung des Bauvorhabens gewährleisten und das Ermittlungsverfahren beschleunigen.

Wird durch die vorgelegten Unterlagen nicht die Einhaltung der statischen Erfordernisse nachgewiesen, hat der Bauwerber nach § 63 Abs. 4 WBO über Auftrag der Behörde dem Ansuchen um Baubewilligung ein Gutachten über das Ergebnis der Bodenuntersuchung und eine statische Vorbemessung anzuschließen.

Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 WBO ist das Bauvorhaben dahin zu überprüfen, ob es den Bestimmungen dieses Gesetzes und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen entspricht.

§ 127 Abs. 1 WBO ordnet an, daß der Baubehörde, sofern entsprechende Unterlagen nicht bereits- vor Erteilung der Baubewilligung vorgelegt worden sind, im Zuge der Bauausführung folgende Nachweise vorzulegen sind, die von einem nach den für die Berufsausübung maßgeblichen Vorschriften hiezu Berechtigten erbracht werden:

a) über die Tragfähigkeit des Untergrundes mindestens einen Monat vor Beginn der Herstellung der Fundamente bzw. in den Fällen, in denen neue Fundamente nicht hergestellt werden, vor Beginn der Bauarbeiten ein Gutachten über das Ergebnis der Bodenuntersuchung;

b) über die Festigkeit von Tragwerken, Fundamenten und sonstigen besonders beanspruchten Bauteilen mindestens einen Monat vor Beginn der Bauarbeiten eine statische Berechnung samt Konstruktionsplänen, die auch die allenfalls zu erwartenden Senkungen und Setzungen aufzeigen müssen; wurde gemäß § 63 Abs. 4 vor Erteilung der Baubewilligung eine statische Vorbemessung aller Bauteile unter Berücksichtigung ihres Zusammenwirkens vorgelegt, müssen die statischen Berechnungen nur jeweils mindestens einen Monat vor Ausführung des betreffenden Bauteiles vorgelegt werden;

c) über die Überprüfung der Probekörper bei Betongüten von B 300 und darüber ein Gutachten.

Von der Vorlage der in Abs. 1 lit. a, b und c vorgesehenen Unterlagen kann gemäß § 127 Abs. 2 WBO befreit werden, wenn es sich um ein kleineres Gebäude mit einfacher Konstruktion handelt und die der Behörde bekannten Bodenverhältnisse die Abstandnahme rechtfertigen.

Bei der aufgezeigten Rechtslage kann nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß die für jedes Bauvorhaben wichtigen Voraussetzungen der Tragfähigkeit des Untergrundes und der ausreichenden Festigkeit von Tragwerken und Fundierungen im Rahmen des baubehördlichen Bewilligungsverfahrens nicht zu prüfen sind, sondern erst nach Durchführung des Baubewilligungsverfahrens bei der Ausführung des Baues. Die von der belangten Behörde aufgezeigte Betrachtungsweise widerspricht insbesondere der erwähnten Bestimmung des § 67 Abs. 1 Satz 1 WBO, wonach das Bauvorhaben dahin zu überprüfen ist, ob es den Bestimmungen des Gesetzes entspricht. Entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheides läßt die Textierung des § 63 Abs. 4 WBO auch nicht den Schluß zu, Unterlagen über die Einhaltung der statischen Erfordernisse seien dem Bauansuchen keinesfalls anzuschließen. Wie sich auch aus § 127 Abs. 2 WBO und der Natur der Sache ergibt, werden freilich nicht bei jedem Bauvorhaben eine Bodenuntersuchung und die Vorlage statischer Berechnungen erforderlich sein, insbesondere dann nicht, wenn der Behörde die Bodenverhältnisse bekannt sind und es sich um keine umfangreichen Bauvorhaben handelt.

Im Beschwerdefall haben Nachbarn im Hinblick auf eine bestimmte Art der Bodenverhältnisse Bedenken gegen die Tragfähigkeit des Bodens vorgebracht, sodaß über dieses Vorbringen auf Grund der dargelegten Erwägungen sachlich abzusprechen gewesen wäre, zumal auf Grund der Größe des Bauvorhabens und der Lage der Grundstücke nicht ausgeschlossen werden kann, daß eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer in Betracht kommt. Das bedeutet aber nicht, daß die Baubehörde ein Gutachten im Sinne des § 63 Abs. 4 WBO vom Bauwerber hätte fordern müssen, insbesondere dann nicht, wenn auf Grund der amtsbekannten Bodenverhältnisse und der Fachkenntnisse der baubehördlichen Organwalter das Vorbringen der Beschwerdeführer auch ohne Einholung eines solchen Gutachtens zu widerlegen - oder zu bestätigen - ist. Dem Nachbarn steht sohin, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt, zwar kein verfahrensrechtlicher Anspruch auf Vorlage von Gutachten durch den Bauwerber zu, jedoch sind die Nachbarn im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens berechtigt, Fragen der Tragfähigkeit des Untergrundes und der Festigkeit von Bauwerken bei möglicher Beeinträchtigung ihrer Rechte aufzuwerfen und die Baubehörde hat sich mit diesen Fragen inhaltlich auseinanderzusetzen. Da die belangte Behörde eine solche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführer als nicht erforderlich erachtete, hat sie den in Beschwerde gezogenen Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet.

In weiterer Folge machen die Beschwerdeführer geltend, daß sie insbesondere gegen die Ausstattung des Bauvorhabens während des erstinstanzlichen Verfahrens Einwendungen erhoben hätten, wobei darauf hingewiesen werde, daß das Haus keineswegs als viergeschossiges, sondern als fünfgeschossiges Bauwerk errichtet werde. Die Beschwerdeführer knüpfen daran u.a. die Erwägung, daß ihnen nach erfolgter Errichtung des Bauwerkes jegliche Einwendungen gegen den Bauwerber genommen wären, wenn der 5. Stock nachträglich konsenswidrig als Aufenthaltsraum benützt werde.

Bei diesem Vorbringen übersehen die Beschwerdeführer, daß sie anläßlich der am 30. November 1982 durchgeführten Verhandlung, zu welcher sie unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 Abs. 1 AVG 1950 geladen worden sind, keine Einwendungen hinsichtlich der Ausgestaltung des fünften Geschosses des Bauvorhabens der Mitbeteiligten erhoben haben, sodaß in dieser Hinsicht Präklusion eingetreten ist, die nicht nur von den Baubehörden, sondern auch vom Verwaltungsgerichtshof zu beachten ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1964, Slg. N. F. Nr. 6246/A, u.v.a.). Dem Gerichtshof bleibt daher schon aus diesem Grund eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen der Beschwerdeführer verwehrt.

Schließlich weisen die Beschwerdeführer noch darauf hin, daß sie während des erstinstanzlichen Verfahrens konkrete Einwendungen gegen die Veränderung der Verkehrslage und die damit zusammenhängende Lärmbelästigung erhoben hätten, und vertreten die Auffassung, daß ein Umdrehen und Umkehren von Fahrzeugen zwar praktisch wohl auf jeder Straße möglich sei, allerdings gefragt werden müsse, ob diese Manöver in einem Zuge durchgeführt werden könnten oder dafür eine erhebliche Anzahl von Fahrmanövern erforderlich sei. Beim gegenständlichen Bauvorhaben sei im Hinblick auf die Einfahrt und die Situierung der Garage mit langwierigen Fahrmanövern zu rechnen.

Wenngleich die Beschwerdeführer anläßlich der schon erwähnten Bauverhandlung zwar eine diesem Vorbringen entsprechende Einwendung erhoben haben und daher in dieser Hinsicht - entgegen der in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretenen Auffassung - nicht präkludiert sind, vermögen sie damit keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit aufzuzeigen, weil der Nachbar nach der ständigen hg. Judikatur (vgl. die hg. Erkenntnisse Slg. N. F. Nr. 3735/A und 5182/A) keinen Rechtsanspruch darauf hat, daß sich die Verkehrsverhältnisse auf öffentlichen Verkehrsflächen nicht ändern, weshalb er auch keinen baurechtlich begründeten Anspruch auf das Unterbleiben der damit im Zusammenhang stehenden erhöhten Immissionen durch Lärm oder Abgase hat. Auch die Vorschriften über die Schaffung von Garagen dienen nicht dem Interesse der Nachbarn (vgl. das hg. Erkenntnis Slg. N. F. Nr. 7510/A, u.v.a.).

Auf Grund der vorhin dargelegten Erwägungen war jedoch der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965 sowie die Verordnung BGBl. Nr. 221/1981. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den Antrag auf Zuerkennung einer den pauschalierten Schriftsatzaufwand übersteigenden Umsatzsteuer.

Wien, am 20. März 1984

Schlagworte

Baubewilligung BauRallg6 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1984:1983050177.X00

Im RIS seit

27.09.2022

Zuletzt aktualisiert am

27.09.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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