TE Lvwg Erkenntnis 2022/9/2 LVwG-2022/20/2125-1

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Veröffentlicht am 02.09.2022
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Entscheidungsdatum

02.09.2022

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §69 Abs2
  1. AVG § 69 heute
  2. AVG § 69 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. AVG § 69 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  4. AVG § 69 gültig von 01.01.1999 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998
  5. AVG § 69 gültig von 01.02.1991 bis 31.12.1998

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Stöbich über die Beschwerde des AA, **** Z, vertreten durch BB Rechtsanwälte GmbH, **** Y, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 15.07.2022, Zl ***, betreffend die Zurückweisung eines Antrags auf Wiederaufnahme eines führerscheinrechtlichen Verfahrens.

zu Recht:

1.       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1. Mit Bescheid vom 15.07.2022 wies die Bezirkshauptmannschaft Y einen vom Beschwerdeführer gestellten Antrag vom 20.06.2022 auf Wiederaufnahme eines führerscheinrechtlichen Verfahrens, in welchem gegenüber dem Beschwerdeführer mit einem Mandatsbescheid vom 11.01.2022 wegen Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand ein Lenkverbot ausgesprochen wurde, als verspätet zurück. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Die Wiederaufnahme wird auf ein im parallel geführten Verwaltungsstrafverfahren ergangenes stattgebendes Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 30.05.2022 gestützt. Es wird das Vorliegen eines Neuerungstatbestandes bzw eines Vorfragentatbestandes geltend gemacht.

I.2. Mit einer Anzeige der Autobahnpolizeiinspektion X vom 30.12.2021 wurde der Bezirkshauptmannschaft Y mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer am 29.12.2021 um 22:40 Uhr auf der B*** bei StrKm 3,25 (im Bereich der CC-Tankstelle) einen PKW in einem suchtmittelbeeinträchtigten Zustand in Betrieb genommen habe. Dadurch habe er eine Übertretung gemäß § 99 Abs 1b iVm § 5 Abs 1 StVO begangen. In Bezug auf die Suchtmittelbeeinträchtigung wurde auf einen durchgeführten „DD-Test“ sowie auf das Ergebnis der Untersuchung des beigezogenen Polizeiarztes verwiesen. Es sei auch zu einer Blutabnahme gekommen.

I.3. Mit einem Mandatsbescheid vom 11.01.2022, Zl ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Y dem Beschwerdeführer das Recht aberkannt, von seinem ausländischen Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen und wurde in Bezug auf das Lenken von Kraftfahrzeugen ein Lenkverbot auf die Dauer von einem Monat, gerechnet ab 29.12.2021, ausgesprochen. Weiters wurde ein Verkehrscoaching, das innerhalb von drei Monaten ab Bescheidzustellung zu absolvieren sei, angeordnet. Schließlich wurde dem Beschwerdeführer mit diesem Bescheid auch auferlegt, ein amtsärztliches Gutachten sowie eine verkehrspsychologische und eine fachärztlich-psychiatrische Stellungnahme über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von KFZ gemäß § 8 FSG beizubringen. Gegen diesen Mandatsbescheid wurde keine Vorstellung erhoben. Der Bescheid ist somit in Rechtskraft erwachsen.

I.4. Der Beschwerdeführer hat am 17.02.2022 ein Verkehrscoaching gemäß §§ 14 und 15 Führerscheingesetz-Durchführungsverordnung, absolviert. Er hat sich auch einer fachärztlichen Untersuchung unterzogen. In der entsprechenden psychiatrischen Stellungnahme vom 07.02.2022 wurde der Beschwerdeführer hinsichtlich der Eignung zum Lenken von KFZ der Führerscheingruppe 1 als geeignet beurteilt. In einer verkehrspsychologischen Stellungnahme vom 28.02.2022 wird der Beschwerdeführer als „derzeit nicht geeignet“ zum Lenken von Kraftfahrzeugen mit der Klassen AM, A und B beurteilt. Dementsprechend wurde der Beschwerdeführer auch vom Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Y in einem ärztlichen Gutachten gemäß § 8 FSG vom 21.03.2022 als nicht geeignet zum Lenken für die Gruppe 1 beurteilt.

I.5. Parallel zum führerscheinrechtlichen Verfahren wurde wegen des angezeigten Vorfalls vom 29.12.2021 gegen den Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Y ein Verwaltungsstrafverfahren geführt. Mit einem Straferkenntnis vom 18.01.2022,
Zl ***, hat die Verwaltungsbehörde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe am 29.12.2021 um 22:40 Uhr in W, Adresse 1, bei der dortigen CC-Tankstelle einen PKW einen durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand in Betrieb genommen. Dadurch habe er gegen § 99 Abs 1b iVm § 5 Abs 1 StVO verstoßen und wurde über ihn gemäß § 99 Abs 1b StVO eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 800,00 verhängt.

I.6. Der Bestrafte hat gegen dieses Straferkenntnis Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis vom 30.05.2022, Zl ***, hat das Landesverwaltungsgericht Tirol der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt. In der Begründung wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass die im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Vorfall abgenommene Blutprobe aus „schleierhaften und nicht nachvollziehbaren Gründen bei der Polizei in Verstoß geraten“ sei. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bringe aber erst die Blutabnahme (bzw die Auswertung der Blutprobe) Gewissheit, ob der durch eine klinische Untersuchung gewonnene Verdacht, die Beeinträchtigung sei auf Suchtgifteinnahme zurückzuführen, zutreffe. Die Sucht-mittelbeeinträchtigung sei daher nicht eindeutig nachweisbar. Dieses Erkenntnis wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertretung am 01.06.2022 zugestellt.

I.7. Mit Schriftsatz vom 20.06.2022 wurde vom Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft im führerscheinrechtlichen Verfahren ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs 1 und Abs 3 AVG gestellt. Dabei wurde darauf verwiesen, dass die ausgewiesene Vertretung vom Beschwerdeführer beauftragt worden sei, gegen das Straferkenntnis Beschwerde zu erheben. Für den rechtsunkundigen Antragsteller sei nicht klar und erkennbar gewesen, dass gegen ihn zwei gesonderte Verwaltungsverfahren geführt würden. Es sei daher gegen den Mandatsbescheid vom 11.01.2022 kein Rechtsmittel erhoben worden.

Aus dem Erkenntnis des LVwG Tirol vom 30.05.2022 gehe hervor, dass eine Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch Suchtgift zum Vorfallszeitpunkt „nicht begründet bzw belegt werden“ könne. Die ausgewiesene Vertreterin hätte mit 07.06.2022 die Aushändigung des Führerscheins bei der Bezirkshauptmannschaft Y beantragt. Mit Email vom 13.06.2022 der Bezirkshauptmannschaft Y sei der ausgewiesenen Vertreterin und nach dementsprechender Aufklärung auch dem rechtsunkundigen Beschwerdeführer erstmals das gegenständliche Verfahren und der Bescheid vom 11.01.2022 zur Kenntnis gelangt.

Es lägen nunmehr Wiederaufnahmsgründe gemäß § 69 Abs 1 Z 2 und Z 3 AVG vor. Der Umstand, dass keine Blutprobe vorliege, stelle eine neue Tatsache dar. Es sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt gewesen, dass hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis ein eigenes verwaltungsrechtliches Verfahren anhängig gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei eine rechtsunkundige Person. Den Beschwerdeführer treffe daher kein Verschulden. Erst durch das Email der Bezirkshauptmannschaft Y vom 23.06.2022 sei hervorgekommen, dass ein weiteres, rechtskräftig abgeschlossenes (führerscheinrechtliches) Verfahren anhängig gewesen sei. Durch das Erkenntnis des LVwG Tirol und das Email der Bezirkshauptmannschaft Y seien neue Tatsachen hervorgekommen, die einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Es hätte aufgrund der fehlenden Blutprobe kein Verbot in Österreich ausgesprochen werden dürfen. Das Verfahren wäre einzustellen gewesen. Im Übrigen hätte das Landesverwaltungsgericht Tirol die Vorfrage des Lenkens in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand in seinem Erkenntnis verneint. Es liege daher keine Rechtsgrundlage für den Ausspruch eines Lenkverbots in Österreich vor.

In Bezug auf die Rechtzeitigkeit der Stellung des Antrages auf Wiederaufnahme wurde darauf verwiesen, dass erst am 13.06.2022 in Bezug auf das gegenständliche führerscheinrechtliche Verfahren Kenntnis erlangt worden sei. Die Frist beginne daher erst mit diesem Tag. Es wurde beantragt, den Bescheid vom 11.01.2022, Zl ***, aufzuheben, das zu dieser Aktenzahl behängende Verfahren wiederaufzunehmen und nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens einzustellen sowie den Führerschein des Antragstellers auszufolgen. In eventu wurde angeregt, dieses Verfahren aufgrund der vorliegenden Wiederaufnahmegründe gemäß § 69 Abs 3 AVG von Amts wegen wiederaufzunehmen.

I.8. Mit dem nunmehr angefochtenen, eingangs erwähnten Bescheid vom 15.07.2022 wies die Bezirkshauptmannschaft Y den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs 1 Z 2 und 3 AVG als verspätet zurück. Der Eventualantrag, das Verfahren von Amts wegen als unzulässig zurückzuweisen, wurde als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht zuletzt im Hinblick auf die Absolvierung des Verkehrscoachings am 17.02.2022 vom führerscheinrechtlichen Verfahren Kenntnis gehabt hätte und nicht glaubhaft sei, dass er vom Vorliegen lediglich eines Verfahrens ausgegangen sei.

Durch Zustellung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 30.05.2022 am 01.06.2022 sei dem Beschwerdeführer bzw seiner Rechtsvertretung erstmals zur Kenntnis gelangt, dass seine Blutprobe abhandengekommen sei. Die Frist zur Stellung des Wiederaufnahmeantrages habe mit Zustellung des Erkenntnisses des LVwG begonnen und hätte der Wiederaufnahmeantrag bis spätestens 15.06.2022 gestellt werden müssen.

In Bezug auf die begehrte amtswegige Wiederaufnahme wurde ausgeführt, dass diesbezüglich niemand einen Rechtsanspruch habe und daher der Antrag mangels Antragslegitimation als unzulässig zurückzuweisen sei.

I.9. Ergänzend wies die Bezirkshauptmannschaft Y in der Bescheidbegründung darauf hin, dass die Behörde aufgrund des gemessenen enorm hohen Kokain-Werts im Urin (> 3000 ng/ml) sowie im Zusammenhang mit der klinischen Untersuchung durch den Polizeiarzt am 29.12.2021 von einer Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch Suchtgift ausgehe. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass der Amtsarzt insbesondere aufgrund der verkehrspsychologischen Stellungnahme festgestellt habe, dass der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gesundheitlich nicht geeignet sei.

I.10. In der Beschwerde machte der Beschwerdeführer in Bezug auf die Rechtzeitigkeit des Antrages geltend, dass das Erkenntnis des LVwG Tirol dem Beschwerdeführer zwar schon am 01.06.2022 zugestellt worden sei. Es hätten sich die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme jedoch erst in Verbindung mit Bekanntwerden des in Rechtskraft erwachsenen Entziehungsbescheides ergeben. Die Absolvierung des Verkehrscoachings hätte dem Beschwerdeführer keine Kenntnis davon verschafft, dass neben dem Strafverfahren noch ein Administrativverfahrens geführt worden sei.

In Bezug auf den Vorfragentatbestand wurde nochmals hervorgehoben, dass das LVwG Tirol die entscheidende Vorfrage nachträglich anders entschieden habe als die Führerscheinbehörde. Sie habe das Lenken in einem beeinträchtigten Zustand verneint. Bezüglich des Neuerungstatbestandes wurde neuerlich darauf verwiesen, dass erst durch Zustellung des Erkenntnisses des LVwG die neue Tatsache, nämlich der Verlust der Blutprobe hervorgekommen sei, welche in Verbindung mit der am 13.06.2022 hervorgekommenen Tatsache, nämlich(der Kenntniserlangung in Bezug auf das zuvor geführte Administrativverfahrens, voraussichtlich zu einem im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid geführt hätte.

Zur amtswegigen Wiederaufnahme wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer trotz seines verwaltungsstrafrechtlichen „Freispruches“ eine gravierende Einschränkung in Form eines Entzuges der Lenkberechtigung hinnehmen müsse, wofür jedoch aufgrund des Erkenntnisses des LVwG Tirol in Bezug auf die Vorfrage keine Rechtsgrundlage bestanden hätte. Eine derartige Diskrepanz zwischen der Beurteilung im Verwaltungsstrafverfahren und jener im Administrativverfahren widerspreche dem Grundsatz der einheitlichen Rechtsanwendung und erscheine bedenklich.

II.      Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den behördlichen Akt. Dass das Erkenntnis des LVwG vom 30.05.2022 am 01.06.2022 dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertretung zugestellt wurde, ist unstrittig. Ebenso ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer den mit dem führerscheinrechtlichen Bescheid vom 11.01.2022 getroffenen Anordnungen nachgekommen ist und das Verkehrscoaching absolviert bzw eine fachärztliche Stellungnahme und eine verkehrspsychologische Stellungnahme beigebracht hat.

III.     Rechtslage:

§ 69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr 51/1991 in der Fassung BGBl I 33/2013, regelt die Wiederaufnahme des Verfahrens und hat folgenden Wortlaut:

„§ 69

Wiederaufnahme des Verfahrens

(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1.       der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere  gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist  oder

2.       neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne  Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in  Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im  Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3.       der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine  solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen  Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;

4.       nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der  bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt  und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.“

IV.      Rechtliche Erwägungen:

IV.1. Zunächst sei angemerkt, dass der Beschwerdeführer in Österreich wohnhaft ist und daher eine Entziehung der (EWR-)Lenkberechtigung auszusprechen gewesen wäre. Dass der Beschwerdeführer im Besitz eines in der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Führerscheins war, führte offenbar dazu, dass die Führerscheinbehörde anstelle einer Entziehung der Lenkberechtigung ein Lenkverbot aussprach.

IV.2. Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Führerscheinrechtsverfahrens als verspätet zurückgewiesen. Die Führerscheinbehörde sieht den Zeitpunkt der Zustellung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 30.05.2022 als maßgeblich für den Beginn der in § 69 Abs 2 erster Satz AVG angeführten zweiwöchigen Frist an. Dadurch sei dem Beschwerdeführer der verfahrensrelevante Umstand zur Kenntnis gebracht worden, dass die Blutprobe verloren gegangen und damit der Nachweis der Suchtmittelbeeinträchtigung zum Tatzeitpunkt nicht möglich gewesen sei. Eine Kenntnis von einer Erledigung im führerscheinrechtlichen Verfahren ergäbe sich schon allein aufgrund der Absolvierung des mit dem führerscheinrechtlichen Bescheid angeordneten Verkehrscoachings.

Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, dass er erst mit Übermittlung des Emails der Bezirkshauptmannschaft Y vom 13.06.2022 Kenntnis vom führerscheinrechtlichen Verfahren erlangt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt sei dem Beschwerdeführer als Rechtsunkundigen nicht bewusst gewesen, dass gegen ihn wegen des gegenständlichen Vorfalls neben dem Verwaltungsstrafverfahren auch ein führerscheinrechtliches Verfahren geführt und mit einem Bescheid abgeschlossen worden sei.

IV.3. Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, dass ihm der Mandatsbescheid vom 11.01.2022 zugestellt wurde und ihm daraus erhebliche Rechtsfolgen erwuchsen. So musste er aufgrund dessen ein Verkehrscoaching absolvieren und eine fachärztliche Stellungnahme sowie eine verkehrspsychologische Stellungnahme beibringen. Letztlich war auch eine amtsärztliche Beurteilung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen vorzunehmen, wobei eine Nichteignung festgestellt wurde. Insofern musste der Beschwerdeführer Kenntnis von der Durchführung eines führerscheinrechtlichen Verfahrens haben. Dazu bedurfte es nicht spezieller Rechtskenntnisse.

Die Verwaltungsbehörde ist daher im Recht, wenn sie den Beginn der zweiwöchigen Frist zur Einbringung des Antrages auf Wiederaufnahme mit der Zustellung des im Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes (am 01.06.2022) festlegte. Die in § 69 Abs 2 erster Satz AVG festgelegte Frist zur Einbringung eines Antrags auf Wiederaufnahme endete daher am 15.06.2022. Die Einbringung des Antrages auf Wiederaufnahme am 22.06.2022 war daher verspätet.

In Bezug auf die amtswegige Wiederaufnahme des führerscheinrechtlichen Verfahrens sei darauf verwiesen, dass diesbezüglich kein Rechtsanspruch besteht. Insofern fehlt dem Beschwerdeführer eine Legitimation zur Stellung eines diesbezüglichen Antrages Wiederaufnahme. Die Zurückweisung des Eventualbegehrens ist daher rechtskonform.

V.       Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Verfahren geht es um die Frage der Rechtzeitigkeit der Einbringung des Wiederaufnahmeantrages. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt, insbesondere die Zustellung des führerscheinrechtlichen Bescheides, die Erfüllung der damit verbundenen Anordnungen und die Zustellung des im Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes, sind unstrittig. Die Beurteilung dieser Rechtsfrage, wann von einem Kenntniserlangen des Wiederaufnahmegrundes auszugehen ist, erfordert auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 MRK nicht zwingend die Durchführung einer Verhandlung (vgl VwGH 02.05.2016, Ra 2016/11/0043, und die dort zit Jud).

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl die oben zitierten Erkenntnisse). Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu 750 Euro und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu 400 Euro verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Stöbich

(Richter)

Schlagworte

Wiederaufnahme des führerscheinrechtlichen Verfahrens
Vorfragentatbestand
Neuerungstatbestand
Rechtzeitigkeit der Antragstellung
Kenntniserlangen von den Wiederaufnahmegründen
Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2022.20.2125.1

Zuletzt aktualisiert am

23.09.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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