Entscheidungsdatum
04.09.2020Index
90/01 StraßenverkehrsordnungNorm
StVO 1960 §19 Abs1 bis 7Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Mag. P. Maier über die Beschwerde des Dr. A B, geb. am ***, vertreten durch C D GmbH, Mag. E F, Sstraße, G, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Steiermark vom 07.12.2019, GZ: VStV/919300115905/2019, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung
z u R e c h t e r k a n n t:
I. Gemäß § 50 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz idgF (im Folgenden VwGVG) wird der Beschwerde
stattgegeben,
das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG iVm § 38 VwGVG eingestellt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1. Zur Ausfertigung des Erkenntnisses in gekürzter Form:
1.1. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat am 24.07.2020 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt und im Anschluss das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet.
1.2. Die Niederschrift über die durchgeführte mündliche Verhandlung wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers ausgefolgt. Der belangten Behörde wurde die Niederschrift am 28.07.2020 zugestellt. Dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (nunmehr: Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) wurde die Niederschrift am 28.07.2020 zugestellt
1.3. Die Rechtsmittelbelehrung des Erkenntnisses enthält gemäß § 30 Z 4 VwGVG einen Hinweis auf die Möglichkeit und die Folgen des Verzichts auf die Revision, die Niederschrift enthält gemäß § 29 Abs 2a VwGVG eine Belehrung über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG zu verlangen (Z 1) und darüber, dass ein Antrag auf schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt (Z 2).
1.4. Unmittelbar nach der mündlichen Verkündung hat der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ausdrücklich verzichtet.
1.5. Von den sonstigen Parteien des Verfahrens hat keine zur Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof legitimierte Partei binnen der in § 29 Abs 5 VwGVG normierten Frist von zwei Wochen nach Ausfolgung / Zustellung der Niederschrift, die längstens mit 11.08.2020 abgelaufen ist, den Antrag auf schriftliche Ausfertigung gemäß § 29 Abs 4 VwGVG gestellt.
1.6. Das Erkenntnis wird daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form ausgefertigt.
2. Zu den für die Einstellung maßgebenden Gründen:
Die relevanten Bestimmungen der StVO in der zur Tatzeit geltenden Fassung lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 19 Vorrang
…
(5) Fahrzeuge, die ihre Fahrtrichtung beibehalten oder nach rechts einbiegen, haben, sofern sich aus Abs. 4 nichts anderes ergibt, den Vorrang gegenüber entgegenkommenden, nach links einbiegenden Fahrzeugen.
…
(7) Wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), darf durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.
§ 12. Einordnen
…
(5) Müssen Fahrzeuge vor Kreuzungen, Straßenengen, schienengleichen Eisenbahnübergängen und dergleichen angehalten werden, so dürfen die Lenker einspuriger, später ankommender Fahrzeuge nur dann neben oder zwischen den bereits angehaltenen Fahrzeugen vorfahren, um sich mit ihren Fahrzeugen weiter vorne aufzustellen, wenn für das Vorfahren ausreichend Platz vorhanden ist und die Lenker von Fahrzeugen, die ihre Absicht zum Einbiegen angezeigt haben, dadurch beim Einbiegen nicht behindert werden.“
Der Verstoß gegen die Vorrangregeln des § 19 Abs 1 bis 6 ist nur dann strafbar, wenn die Tatbestandsmomente des Abs 7 leg. cit. hinzutreten.
Bei einer Vorrangverletzung gem. § 19 Abs 7 StVO ist der Sachverhalt nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insofern zu konkretisieren, dass die ungefähre Entfernung der Fahrzeuge voneinander und die von ihnen ungefähr eingehaltene Geschwindigkeit festzustellen ist (VwGH 15.09.1999, 99/03/0253 ua).
Der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass sich der Vorrang auf die ganze Fahrbahn der bevorrangten Straße bezieht und auch dann nicht verlorengeht, wenn sich der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhält (ZVR 1990/155 mit weiteren Nachweisen, uva, zuletzt 2 Ob 47/94), hat seine Richtigkeit in dem Fall, dass der bevorrangte Verkehr vom wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen oder schuldhaft nicht wahrgenommen wird sowie, dass mit einem Verkehr auf der bevorrangten Straße gerechnet werden muss. Er verliert jedoch dann seine Wirkung, wenn der auf der bevorrangten Straße fahrende Verkehrsteilnehmer vom Wartepflichtigen nicht oder nicht aus dieser Annäherungsrichtung erwartet werden kann, also mit einer derartigen Fahrweise nicht gerechnet werden konnte und musste (OGH, RS0073421).
Der Linksabbieger muss sein Fahrverhalten nicht auf eine völlig unvorhersehbare und unberechenbare Fahrweise eines anderen Verkehrsteilnehmers einstellen. (Pürstl, StVO13, § 19 E116).
Aus dem schlüssigen, und für das erkennende Gericht einwandfrei nachvollziehbaren Gutachten des kfz-technischen Sachverständigen ergibt sich, dass sich der Motorradlenker mit für die gegenständlichen, örtlichen Verhältnisse zu hoher Geschwindigkeit und einem zu geringen Seitenabstand an den stehenden Fahrzeugen vorbeibewegt hat.
Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer im Sinne obiger Ausführungen nicht mit dem Motorradlenker rechnen konnte, weshalb ihm kein, für eine Bestrafung ausreichendes, schuldhaftes Verhalten anzulasten ist und deshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Schlagworte
Vorrang, Vorrangregeln, Verstoß, Tatbestandselemente § 19 Abs 7 StVO, kumulativ, Entfernung der Fahrzeuge ermitteln, Geschwindigkeit ermitteln, verkehrswidriges Verhalten, unvorhersehbare Fahrweise, unberechenbare FahrweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGST:2020:LVwG.30.33.158.2020Zuletzt aktualisiert am
23.09.2022