Entscheidungsdatum
04.01.2021Index
90/01 StraßenverkehrsordnungNorm
StVO 1960 §26a Abs2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Mag. Jöbstl-Findeis über die Beschwerde der Frau A B, geb. am ****, vertreten durch C Rechtsanwälte, H, L, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Steiermark vom 23.06.2020, GZ: VStV/920300093084/2020,
z u R e c h t e r k a n n t:
I. Gemäß § 50 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden VwGVG) wird der Beschwerde dahingehend
stattgegeben,
als das angefochtene Straferkenntnis in den Spruchpunkten 1. und 3. behoben und das Verwaltungsstrafverfahren hinsichtlich Spruchpunkt 1. gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG und Spruchpunkt 3. gemäß § 45 Abs 1 Z 1 erster Fall VStG jeweils iVm § 38 VwGVG eingestellt wird.
II. Hinsichtlich Spruchpunkt 2. wird gemäß § 50 Abs 1 iVm § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden VwGVG) die Beschwerde als unbegründet
abgewiesen.
Der Kostenbeitrag für das Verwaltungsstrafverfahren der belangten Behörde in Höhe verringert sich dadurch auf € 10,00. Dieser Kostenbeitrag sowie die Geldstrafe sind binnen zwei Wochen ab Zustellung des Erkenntnisses bei sonstigen Zwangsfolgen zu leisten.
III. Gemäß § 52 Abs 1 und 2 VwGVG hat die Beschwerdeführerin binnen zwei Wochen ab Zustellung bei sonstiger Exekution einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von € 10,00 zu leisten.
IV. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (im Folgenden VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Zum angefochtenen Bescheid:
1. Mit dem eingangs näherbezeichneten Straferkenntnis vom 23.06.2020 wurde der nunmehrigen Beschwerdeführerin vorgeworfen, sie habe am 14.01.2020, um 06:41 Uhr (Spruchpunkt 1.) in L, Zstraße (Bushaltestelle) unmittelbar vor der Kreuzung mit der Vstraße, mit dem Omnibus (behördliches Kennzeichen: ****) andere Straßenbenützer beim Abfahren von der Haltestelle im Ortsgebiet gefährdet, indem sie aus der Bushaltestelle ausgefahren sei und dadurch einen Fahrzeuglenker genötigt haben, nach links abzulenken, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Dadurch habe sie § 26a Abs 2 letzter Satz StVO verletzt und wurde eine Strafe gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO i.H.v. € 95,00 (im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 23 Stunden) verhängt.
2. Weiters habe sie um 06:42 Uhr Schallzeichen abgegeben, obwohl es die Verkehrssicherheit nicht erfordert hat (Spruchpunkt 2.), weshalb sie gegen § 22 Abs. 2 StVO verstoßen habe. Gemäß § 99 Abs 3 lit. a StVO wurde eine Strafe i.H.v. € 50,00 (im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in Höhe von einem Tag und 1 Stunde) verhängt.
3. Schließlich habe sie zu einem vor ihr am selben Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst hätte, weshalb sie gegen § 18 Abs. 1 StVO verstoßen habe (Spruchpunkt 3.). Gemäß § 99 Abs 3 lit. a StVO wurde eine Strafe i.H.v. € 80,00 (im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 16 Stunden) geschlossen verhängt.
4. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen dazu aus, dass am 14.01.2020 eine Privatanzeige erstattet wurde. Nach Durchführung des behördlichen Strafverfahrens sei es für die Behörde erwiesen, dass die vorgeworfenen Übertretungen von der Beschwerdeführerin begangen wurden. Ausführlich und detailgetreu werden im Straferkenntnis die Zeugenaussagen, Rechtfertigungen der Beschwerdeführerin sowie sämtliche Stellungnahmen im Originaltext zitiert.
5. Beweiswürdigend beschränkt sich die belangte Behörde darauf, dass den Privatanzeigern aufgrund ihrer Funktion als Polizeibeamte zuzumuten ist, dass sie den geforderten Sicherheitsabstand abschätzen könnten. Darüber hinaus stünden sie unter Wahrheitspflicht, seien deren Angaben schlüssig und gut nachvollziehbar gewesen, währenddessen die Beschwerdeführerin nicht zur Wahrheit verpflichtet sei. Eine beweiswürdigende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorbringen, Angaben und Stellungnahmen der Beschwerdeführerin ist aus der Begründung des Straferkenntnisses allerdings nicht zu entnehmen, vielmehr wurde lediglich generalisierend ausgeführt, dass es sich dabei um Schutzbehauptungen handle.
Zur Beschwerde:
6. In ihrer durch den ausgewiesenen Vertreter eingebrachten Beschwerde vom 08.07.2020 bemängelte die Beschwerdeführerin zunächst die Mangelhaftigkeit des Verfahrens dahingehend, dass die Behörde ausschließlich von den Aussagen der beiden Zeugen ausging und insbesondere Beweisanträge (etwa Ortsaugenschein) unterließ. In rechtlicher Hinsicht könne gemäß § 26a Abs 2 StVO ein Lenker eines abfahrenden Busses, der erkennt, dass auf der Straße des fließenden Verkehrs Fahrzeuge in Halteposition sind, darauf vertrauen, ungehindert von der Bushaltestelle abzufahren, weshalb die Beschwerdeführerin zu Unrecht bestraft wurde. Hinsichtlich des vorgeworfenen, zu geringen Tiefenabstandes fehlten im verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren jegliche Feststellungen darüber, welchen Tiefenabstand die Beschwerdeführerin eingehalten habe und warum sie bei der Bremsung des Zeugen ihr Fahrzeug nicht anhalten hätte können. Es liegen weder Feststellungen zur Fahrgeschwindigkeit, zur möglichen Bremsverzögerung noch zum erforderlichen Tiefenabstand vor. So blieben lediglich Mutmaßungen aufgrund subjektiv falscher Eindrücke der Zeugen, die jedenfalls nicht für eine Verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung ausreichten. Die ebenfalls vorgeworfene Abgabe von Schallzeichen war eine notwendige Reaktion, um unfallverhütende einzuwirken. Beantragt wurde das Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, in eventu die Geldstrafe zu mildern und oder bedingt nachzusehen.
7. Die für den 14.10.2020 anberaumte öffentliche mündliche Verhandlung musste aufgrund eines privaten Verhinderungsgrundes beider Zeugen abberaumt werden. Am 15.12.2020 fand die öffentliche mündliche Verhandlung statt.
II. Feststellungen
1. Die Beschwerdeführerin lenkte am 14.01.2020, um 06:41 Uhr einen Linienbus (behördliches Kennzeichen: ****) im Ortsgebiet, L, Zstraße - Richtung Bahnhof. Der Omnibus hatte eine Länge von etwa 13 m.
2. Bei der Haltestelle unmittelbar vor der Kreuzung mit der Vstraße fuhr sie in den Haltestellenbereich ein, um Fahrgäste aufzunehmen bzw. aussteigen zu lassen.
3. Die Haltestelle ist in diesem Bereich als eigene Fahrspur mit einer Breite von etwa 3,7 m ausgestaltet und als öffentliche Bushaltestelle gekennzeichnet. Rechts des Haltestellenbereichs befindet sich (um wenige Zentimeter erhöht und mittels Bordsteinkante abgegrenzt) ein Gehsteig, auf dem sich ein mit Glas überdachtes, rotes „Haltestellen-Wartehäuschen“ befindet. Parallel zum Haltestellenbereich verläuft linker Hand der Fahrstreifen für den allgemeinen Verkehr. Dieser weist ebenso eine Breite von etwa 3,7 m auf. Über beide Fahrspuren verläuft eine durchgehende Haltelinie. Unmittelbar nach der Haltelinie beginnt sich die Straße auf der rechten Seite zu verjüngen. Etwa einen Meter nach dieser Haltelinie beginnt ein ca. 4,2 m breiter Schutzweg, an dessen Ende sich rechter Hand eine Ampel befindet. Die zuvor zweispurig geführte Fahrbahn setzt sich in weiterer Folge als eine Richtungsfahrbahn fort. Etwa 15,7 m nach der Haltelinie beginnt – in einem leicht abgerundeten Bogen – rechter Hand die Einmündung der Vstraße.
4. Die Situierung der beschwerdegegenständlichen Bushaltestelle unterscheidet sich von einer „Busbucht“ dahingehend, als die Bushaltestelle mit einer Haltelinie (vor dem etwa 4,2 m breiten Schutzweg mit Ampelführung) endet und in diesem Bereich (mit einer Breite von etwa 3,7 m) als rechter Fahrbahnbereich zu sehen ist; links daneben verläuft die durchgehende Fahrbahn in derselben Breite. Eine Verjüngung der zuvor über etwa 26 m verlaufenden rechten Busfahrbahn (mit Haltestelle an deren Ende) erfolgt erst nach der Haltelinie, die durchgehend über beide Fahrbahnbereiche verläuft.
5. Der Privatanzeiger (Zeuge A) fuhr mit seinem Privat PKW Renault Megan Grand Tour auf der Zstraße zunächst hinter dem Omnibus her bis dieser in den Haltestellenbereich einfuhr. Da die Verkehrsampel auf Rot schaltete, hielt er mit seinem PKW vor der Haltelinie an. Als Sozius saß seine Freundin (Zeugin B).
6. Da das Ein- bzw. Aussteigen der Busfahrgäste beendet war, setzte die Beschwerdeführerin den linken Blinker, um das bevorstehende Ausfahren aus dem Haltestellenbereich anzuzeigen. Zu diesem Zeitpunkt stand die Ampelschaltung noch auf Rot.
7. Der Lenker des PKW (Zeuge A) vergewisserte sich vor dem Losfahren nicht, ob er Sicht auf den Blinker des neben ihm stehenden Linienbusses hatte - ebenso wenig tat dies die Beifahrerin (Zeugin B). Als er losfuhr nachdem die Ampel auf Grün geschaltet hatte, bemerkte er, dass zeitgleich auch der Bus losfuhr, weshalb er nach links auslenkte. Es lag kein Gegenverkehr vor. Danach setzte er die Fahrt vor dem Linienbus fahrend mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h fort.
8. Die Beschwerdeführerin gab nach dem zeitgleichen Abfahren beider Fahrzeuge (zumindest) ein Schallzeichen ab und fuhr danach hinter dem PKW des Zeugen A mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h.
III. Beweiswürdigung
1. Hinsichtlich Ort und Zeit sowie des Geschehensverlaufes bis zur Haltelinie stimmen sämtliche Angaben und Aussagen der Beschwerdeführerin mit jenen der beiden Zeugen überein.
2. Dass die beiden Fahrzeuge etwa zeitgleich nach der Grün-Schaltung losgefahren sind, ergibt sich zweifelsfrei aus den diesbezüglichen Aussagen. Lediglich die angegebene Position, aus welcher der Linienbus gestartet ist, unterscheidet sich in den Aussagen. Während die Beschwerdeführerin die Position des Omnibusses (im Zeitpunkt unmittelbar vor der Ampelschaltung auf Grün) im Haltestellenbereich leicht schräg stehend einzeichnet (Beilage ./I), wird dies vom Zeugen A anders gesehen – und zwar parallel etwa auf derselben Höhe stehend. Die Beschwerdeführerin erklärt die (erforderliche) schräge Positionierung damit, dass andernfalls mit den langen Bussen ein Ausfahren nicht möglich ist, da unmittelbar nach der Haltelinie der Gehsteigbereich in die Fahrbahn hineinragt. Aufgrund dieser behördlichen Gegebenheit (siehe Bild unten, vorgelegt durch den Privatanzeiger in der mündlichen Verhandlung am 15.12.2020, zum Akt genommen als Beilage ./III) müssten die Buslenker ihren Omnibus (insbesondere jene mit 13 m Länge) vor dem Ausfahren aus dem Haltestellenbereich bereits schräg positionieren. Dies sei noch während der Rotphase erfolgt. Damit habe der vorderste Bereich des Omnibusses die Vorderfront des PKW überragt. Diesbezüglich wird der Beschwerdeführerin Glauben geschenkt, da ein solches Vorgehen angesichts der örtlichen Beengtheit plausibel erscheint und da beide Zeugen aussagten, dass sie den im Haltestellenbereich befindlichen Linienbus während der Rotphase nicht weiter beachteten, weil sie davon ausgingen, berechtigterweise zuerst losfahren zu dürfen, da sie aus ihrer Position ja nicht sehen konnten, ob das Aus- bzw. Einsteigen bereits beendet war.
[Bild durch Evidenzbüro auf Grund von personenbezogenen Daten entfernt]
3. Übereinstimmend sind hingegen die Aussagen, dass der PKW-Lenker am Bus vorbeigefahren ist und dabei nach links auslenkte. Ebenso dahingehend, dass dabei keine Gefährdungssituation (insbesondere etwa durch Gegenverkehr) vorlag.
4. Dass die Beschwerdeführerin (zumindest ein) Schallzeichen abgegeben hat, wird von ihr auch nicht bestritten. Die Beschwerdeführerin verantwortet sich diesbezüglich dahingehend, dass sie im Zuge des für sie überraschenden Vorbeifahrens des PKW gehupt habe, um auf eine mögliche Kollision hinzuweisen. Ob sie da dabei einmal oder mehrmals gehupt hatte, könne sie nicht mehr mit Bestimmtheit angegeben, weil alles so schnell ging. Die Zeugen hingegen sagten aus, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls auch nach dem Kreuzungsbereich mehrmals gehupt habe. Hinsichtlich einer Konkretisierung, wie oft dies erfolgt sei, wann und in welcher Entfernung nach dem gleichzeitigen Losfahren, konnte keine Feststellung getroffen werden. Beide Zeugen vermittelten aber glaubwürdig, dass sowohl Warnzeichen mittels Licht als auch mehrmaliges Hupen deutlich nach der Begegnungsszene durch die Beschwerdeführerin abgegeben wurden. Insbesondere sagte Zeuge A aus, dass letztlich erst das Auffahren und Hupen ihn dazu brachte, eine Privatanzeige zu erstatten. Aufgrund des gesamten Eindruckes beider Zeugen, die insgesamt in sachlicher und ruhiger Weise den Vorfall schilderten, und unter Wahrheitspflicht übereinstimmend aussagten, besteht kein Grund daran zu zweifeln.
5. Hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin eingehaltenen Tiefenabstandes zum PKW des Privatanzeigers differieren die Aussagen in der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Während sowohl Zeuge A als auch Zeugin B aussagten, dass gefühlter Maßen ein zu geringer Abstand eingehalten wurde, sie dazu aber keinerlei konkrete Angaben zum tatsächlich eingehaltenen Abstand (in Metern oder Wagenlängen) machen konnten, verantwortet sich die Beschwerdeführerin dahingehend, dass sie schon aufgrund des Umstandes der im Bus befindlichen Schüler keine Gefährdungssituation durch einen zu geringen Abstand riskiert hätte. Sie könne sich nicht erklären, weshalb ihr dieser Vorwurf gemacht wurde. Die Fahrerkarte, aus der sowohl die eingehaltenen Geschwindigkeiten (als auch das rechtzeitige Blinken) belegen hätte können, war zum Zeitpunkt der ersten Verfolgungshandlung bereits „ausgelesen“. Beweiswürdigend ist dazu auszuführen, dass die Zeugen grundsätzlich einen glaubwürdigen Eindruck hinterließen, allerdings keine zur Errechnung des eingehaltenen Tiefenabstandes dienliche Angabe machen konnten. Gerade weil das behauptete „Auffahren“ den Zeugen A erst zur Privatanzeige veranlasste, wären konkretere Wahrnehmungen erwartbar und erforderlich gewesen. Der diesbezügliche Verweis des Zeugen A auf die Angabe in der Anzeige (Anm.: aus der Anzeige lässt sich entnehmen, dass 10 m geschätzt wurden) stellt vor diesem Hintergrund keine verwertbare Zeugenaussage dar. Ebenso wenig die Aussage der Zeugin B, die sich durch einen knappen Tiefenabstand bedrängt gefühlt - und deshalb extra nach hinten geschaut - hatte, aber auch nach mehrmaligen Befragen keinerlei Abstandsangaben machen konnte. Angesichts der diesbezüglich ausgebliebenen Zeugenaussagen sowie der Tatsache, dass ein Omnibus eine geringere Beschleunigung als ein PKW aufweist, übereinstimmend aber angegeben wurde, dass beide Fahrzeuge zur selben Zeit in „normaler“ Geschwindigkeit losgefahren sind und beide Fahrzeuge am Ende etwa 50 km/h eingehalten haben, können hinsichtlich des vorgeworfenen Tiefenabstandes keine Feststellungen dahingehend getroffen werden, die den Vorwurf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestätigen können.
6. An der Aussage, dass die Beschwerdeführerin noch während der Rotphase den Blinker ihres Omnibusses nach links setzte, besteht hingegen kein Grund zu zweifeln; insbesondere wird dies von den beiden Zeugen nicht bestritten, zumal sie darauf nicht geachtet hatten. Sie sagten übereinstimmend aus, dass sie während der Rotphase gar nicht zum stehenden Bus geschaut hatten, da sie davon ausgingen, dass der Linienbus erst nach ihrem Abfahren in die Fahrspur, auf der sie standen, einfahren dürfe.
IV. Rechtsgrundlagen
Die maßgeblichen Bestimmungen nach Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 37/2019 (StVO) lauten:
§ 18 Hintereinanderfahren
(1) Der Lenker eines Fahrzeuges hat stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.
§ 22 Warnzeichen
(1) Wenn es die Verkehrssicherheit erfordert, hat der Lenker eines Fahrzeuges andere Straßenbenützer mit der zum Abgeben von akustischen Warnzeichen bestimmten Vorrichtung durch deutliche Schallzeichen, sofern solche Vorrichtungen nicht vorhanden oder gestört sind, durch deutliche Zurufe zu warnen. Der Lenker darf auch durch Blinkzeichen warnen, wenn sie ausreichen und nicht blenden.
(2) Die Abgabe von Schallzeichen (Abs. 1) ist unbeschadet der Bestimmungen über das Hupverbot (§ 43 Abs. 2) verboten, wenn es die Sicherheit des Verkehrs nicht erfordert. Schallzeichen dürfen insbesondere vor Kirchen und gekennzeichneten Schulen und Krankenhäusern sowie zur Nachtzeit nicht länger als unbedingt nötig gegeben werden.
§ 26a Fahrzeuge im öffentlichen Dienst
(2) Den Omnibussen des Kraftfahrlinienverkehrs ist im Ortsgebiet das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen, sobald der Lenker eines solchen Fahrzeuges mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigt, von der Haltestelle abzufahren. Zu diesem Zweck haben die Lenker nachkommender Fahrzeuge die Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und, falls erforderlich, anzuhalten. Der Lenker des Kraftfahrlinienfahrzeuges darf die Absicht zum Abfahren erst anzeigen, wenn das Fahrzeug tatsächlich abfahrbereit ist und er darf beim Abfahren andere Straßenbenützer nicht gefährden. […]
§ 99 Strafbestimmungen
(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,
a) wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,
V. Rechtliche Beurteilung
Zum 1. Spruchpunkt:
1. Gemäß § 26a Abs 2 StVO ist Omnibussen des Kraftlinienverkehrs im Ortsgebiet das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen, sobald der Lenker eines solchen Fahrzeuges mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigt, von der Haltestelle abzufahren. Der erste Satz begründet damit das generelle Einordnungsvorrecht. Dieses wird im zweiten Satz für nachkommende (also in Bewegung befindliche) Fahrzeuge mit konkreten Verpflichtungen dahingehend ergänzt, dass Nachfolgende die Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und falls erforderlich anzuhalten haben. Beide Verpflichtungen sind darauf ausgelegt, nachfolgende Fahrzeuge hinsichtlich ihrer Geschwindigkeit erforderlichenfalls zu reduzieren respektive anzuhalten. Dieser Gesetzesbefehl kann sich konsequenterweise nur an nachfolgende Fahrzeuge richten, da auf gleicher Höhe Fahrende keine Möglichkeit mehr haben, rechtzeitig anzuhalten, um dem generellen (im ersten Satz normierten) Einordnungsvorrecht nachkommen zu können. Im beschwerdegegenständlichen Fall war der PKW des Privatanzeigers kein nachfolgendes Fahrzeug, an den sich der Gesetzesauftrag zur Geschwindigkeitsreduktion (erforderlichenfalls bis zum Anhalten) richtete und war dies auch nicht nötig, da sich das Fahrzeug bereits im Stillstand befunden hatte. Dies neben einer gekennzeichneten Haltestelle im Ortsgebiet. Er war sich dieses Umstandes auch bewusst und der Tatsache, dass der Linienbus demnächst aus dem Haltestellenbereich ausfahren würde.
2. Bei der Spezialvorschrift des § 26a Abs 2 StVO handelt es sich um keine Vorrangregelung iSd § 19 Abs 6 StVO. Der an die Lenker nachkommender Fahrzeuge gerichtete Gesetzesbefehl, ihre Fahrgeschwindigkeit gegenüber aus gekennzeichneten Haltestellen ausfahrenden Omnibussen zu vermindern und erforderlichenfalls anzuhalten, bezieht sich auf den gesamten – egal auf welchem Fahrstreifen – nachfolgenden Fahrzeugverkehr. Sein Zweck liegt in der Erleichterung des öffentlichen Kraftfahrlinienverkehrs, der es mitunter auch erfordert, unmittelbar nach einer Haltestelle nach links abzubiegen. (Grundtner, Die Österreichische Straßenverkehrsordnung (42. Lfg 2019) zu § 26a StVO). Die Bestimmung des § 26a Abs 2 StVO ist als lex specialis zu § 19 StVO zu sehen und soll zur Erleichterung des öffentlichen Kraftlinienverkehrs dienen, die im Ortsgebiet den Autobussen das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen ermöglichen soll. Diese Bestimmung impliziert auch, dass der Buslenker nachkommende Fahrzeuglenker zu einem Auslenken oder Bremsen des Fahrzeuges veranlassen darf.
3. Der Lenker des Kraftlinienfahrzeuges darf die Absicht zum Abfahren erst anzeigen, wenn das Fahrzeug tatsächlich abfahrbereit ist und er darf beim Abfahren andere Straßenbenützer nicht gefährden. Da die Beschwerdeführerin rechtzeitig das Blinksignal setzte und von stehenden Fahrzeugen zunächst keine Gefahr ausgeht, war sie auch berechtigt, auszufahren nachdem die Ampel auf Grün schaltete, da sich der nachfolgende Verkehr im Stillstand befunden hatte – wie auch der neben ihr stehende PKW des Privatanzeigers.
4. Vielmehr konnte die Beschwerdeführerin gemäß § 3 StVO darauf vertrauen, dass der links neben ihr wartende Fahrzeuglenker die Gesetzesvorschrift des § 26a Abs 2 StVO insofern beachtet, als er dem Bus die ungehinderte Abfahrt ermöglicht, zumal dazu weder ein Abbremsen noch ein Auslenken erforderlich war. Von stehenden Fahrzeugen geht zunächst keine Kollisionsgefahr aus. Falls es in der Folge – sohin nach dem Anfahren aus der ampelbedingten Halteposition heraus – aufgrund des Umstandes, dass der Privatanzeiger (allenfalls irrtümlich) gleichzeitig mit dem Bus aus der Halteposition zu beschleunigen begann - zu einer gefährdenden Situation gekommen ist, so wäre es dem Privatanzeiger auch beim Anfahren – infolge der geringen Geschwindigkeit - noch möglich gewesen, unmittelbar anzuhalten.
5. Ein Fahrzeuglenker, der bemerkt, dass ein Omnibus in einer Haltestelle steht, hat damit zu rechnen, dass dieser unter Setzung des Fahrtrichtungsanzeigers aus der Haltestelle ausfahren wird. Es handelt sich dabei um eine vorausberechenbare und bekannte Verkehrssituation mit einem prägnanten und auffälligen Wahrnehmungsgegenstand, demzufolge laut Rechtssprechung einem solchen Fahrzeuglenker eine maximale Reaktionszeit von 0,7 Sekunden zuzubilligen ist. Das Gefährdungsverbot, das der Lenker des Kraftfahrlinienfahrzeugs zu beachten hat, schließt eine Behinderung nicht aus. Sogar eine starke Behinderung, die zum Anhalten zwingt, ist zulässig. Im gegenständlichen Fall befand sich das Fahrzeug des Privatanklägers bereits in Stillstand und gab der Lenker des PKW auch zu Protokoll, dass er überhaupt nicht auf das mögliche Ausfahren des Omnibusses geachtet hatte.
6. Wenn der Anzeiger einwendet, dass er vermutlich (da er nicht zum Bus sah) keine Sicht auf den Fahrbahnrichtungsanzeiger des Busses gehabt hätte, so entbindet ihn dies unter Ansehung des § 26a Abs 2 StVO nicht davor, dem Kraftlinienfahrzeug die ungehinderte Ausfahrt aus der Haltestelle zu ermöglichen. Vielmehr hätte der Anzeiger gerade dann, wenn er ihm durch die Warteposition der Blick auf den Fahrbahnrichtungsanzeiger verstellt ist, im Besonderen darauf achten müssen (allenfalls durch kurzes Zuwarten nach Erscheinen des grünen Ampelsignals), ob der Bus von seinem Ausfahrtsrecht Gebrauch macht.
7. Der Verordnungsgeber wollte bei der Haltestellen-Ausgestaltung offenbar nicht nur den übrigen Verkehrsfluss während jener Zeiträume, in denen ein Bus im Haltebereich anhält, ungehindert (ohne Gefahr einer Straßenenge auf Höhe des Haltestellenbereiches) ermöglichen, sondern zudem auch noch eine erleichterte Anfahrmöglichkeit für Linienbusse schaffen, indem er nicht zunächst ein Ausfahren aus dem Haltestellenbereich in die durchgehend verlaufende Fahrbahn vorsieht, sondern mit der über beide Fahrbahnstreifen durchgehend geführte Haltelinie ein erleichtertes Anfahren auch nach einem allenfalls schutzwegbedingten Anhalten aus dem Haltestellenbereich vorgesehen hat.
8. Selbst wenn man im Bereich der Haltelinie lediglich von zwei gleichrangig ausgeführten Fahrstreifen (wovon eine nur berechtigten Benützern gem § 26a StVO vorbehalten ist) mit einer durchgehenden Haltelinie ausgehen würde, käme – bei der darauffolgenden – Straßenverjüngung auf eine Fahrbahn das „Reißverschluss-System“ zum Tragen, das einen gesetzlich normierten Spurenvorrang für den rechten Fahrstreifen einräumt (§ 11 Abs 5 StVO).
Zusammenfassend war die Beschwerdeführerin daher berechtigt, mit dem Linienbus auszufahren, weshalb das Strafverfahren in diesem Spruchpunkt einzustellen war.
Zum 2. Spruchpunkt:
9. Die Abgabe von Warnzeichen gemäß § 22 Abs 2 StVO stellt eine für die Verkehrssicherheit notwendige Maßnahme dar; andererseits ist sie aber auch wegen der damit verbundenen Lärmbelästigung geeignet, besonders Störungen der Ruhe hervorzurufen. Daher wurde vom Gesetzgeber bestimmt, dass Warnzeichen nur dann abzugeben sind, wenn es die Verkehrssicherheit erfordert und dass die Betätigung der akustischen Warneinrichtung ansonsten zu unterbleiben hat. Die akustischen Warnzeichen dürfen auch nicht länger abgegeben werden, als dies unbedingt erforderlich ist. Da die Beschwerdeführerin selbst aussagte, dass aus ihrer Sicht keine Gefährdungssituation vorgelegen hat, sie aber zugesteht, zumindest im Zuge des Vorbeifahrens des Privatanzeigers wenigstens ein Schallsignal abgegeben zu haben, hat sie die objektive Tatseite erfüllt.
10. Bei der gegenständlichen Verwaltungsübertretung handelt es sich um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 VStG. Zur Strafbarkeit genügt daher fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Zwar sagte die Beschwerdeführerin einerseits aus, dass sie gehupt habe, weil sie eine Kollision vermeiden wollte, andererseits aber habe aus ihrer Sicht nie eine Gefahrensituation bestanden.
Zum 3. Spruchpunkt:
11. Ein Kfz-Lenker muss jedenfalls einen Abstand einhalten, der etwa der Länge des Reaktionsweges (Sekundenweges) entspricht, das sind in Metern 3/10 der Höhe der eingehaltenen Geschwindigkeit in km/h. Bei einer Geschwindigkeit von höchstens 50 km/h wären wenigstens 15 Meter Reaktionsweg einzuhalten gewesen. Zwar wurden in der Anzeige geschätzte 10 m Tiefenabstand angegeben, aber dies konnte im Zuge der öffentlichen mündlichen Verhandlung aufgrund der Zeugenaussagen nicht bestätigt werden, weshalb das Strafverfahren in diesem Punkt nach dem Grundsatz in dubio pro reo einzustellen war.
Strafbemessung
1. Gemäß § 19 Abs 1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Die übertretene Norm zielt darauf ab, Lärmbelästigungen zu vermeiden und Warnsignale (auch zur Sicherheit anderer – nicht vom Vorfall betroffener – Verkehrsteilnehmer, die dadurch etwa erschreckt werden können) nur dann abzugeben, wenn es die Sicherheit des Verkehrs erfordert.
2. Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
3. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen, wobei nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Verhängung einer Geldstrafe auch dann gerechtfertigt ist, wenn der Bestrafte kein Einkommen erzielt (vgl. VwGH 30.01.2014, 2013/03/0129). Die Beschwerdeführerin gab in der mündlichen Verhandlung an, dass sie Karenzgeld in Höhe von ca. € 1.400,00 erhalte, Sorgepflicht für ein Kind habe und einen ausstehenden Kredit in Höhe von etwa € 13.000,00.
4. Bei der Strafbemessung wertete die belangte Behörde in ihrer Begründung als erschwerend nichts, als mildernd die bisherige Unbescholtenheit. Die verhängte Strafe erscheint als tat-und schuldangemessen, um die Beschwerdeführerin von weiteren Übertretungen dieser Art abzuhalten.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 26a StVO. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Omnibusse, Ortsgebiet, ungehindertes Abfahren, gekennzeichnete Haltestellen, nachfolgende Fahrzeuge, nicht Fahrzeuge auf gleicher HöheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGST:2021:LVwG.30.17.1621.2020Zuletzt aktualisiert am
16.09.2022