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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Somalia; mangelhafte Begründung der Unglaubwürdigkeit des FluchtvorbringensSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,? bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein am 8. August 1993 geborener somalischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 14. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, in Mogadischu geboren zu sein, der Volksgruppe der Ashraf und dem islamischen Glauben anzugehören. Als Fluchtgrund brachte er die Rekrutierungsversuche durch die al-Shabaab und den damit im Zusammenhang stehenden Tod seines Bruders vor.
3. Am 7. April 2017 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Säumnisbeschwerde gemäß Art130 Abs1 Z3 B-VG ein. Die Säumnisbeschwerde samt Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 10. Juli 2017 zur Vorlage gebracht. Am 2. November 2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein schriftliches Ersuchen des Beschwerdeführers ein, das Verfahren rasch abzuschließen.
4. Mit Erkenntnis vom 28. Juli 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht ? nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16. Oktober 2017 und am 14. August 2020 ? den Antrag auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 ab (I. Spruchpunkt), erkannte dem Beschwerdeführer gemäß §8 Abs1 Z1 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (II. Spruchpunkt) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr (III. Spruchpunkt).
5. Gegen den I. Spruchpunkt dieser Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten rügt und zwar die Verletzung des Rechtes auf Leben und des Verbotes von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art2 und 3 EMRK) und des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK).
Begründend führte der Beschwerdeführer aus:
"Die vom Erstgericht aufgezeigten Widersprüche sind aber lediglich geringfügiger Natur und legen nahe, dass sich diese aus dem zeitlich auseinanderliegenden Intervall der mündlichen Verhandlungen am 16.10.2017 und am 14.08.2020, sohin knapp 3 Jahre, sowie aus der begründeten F[ur]cht des Beschwerdeführers und der traumatischen Ereignisse in Somalia ergeben. Jedenfalls kann daraus nicht generell eine Unglaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers abgeleitet werden.
[…]
Angesichts der wohlbegründeten F[ur]cht des Beschwerdeführers vor der Verfolgung durch die Al Shabaab, ergibt sich daraus eine asylrelevante Bedrohung die dadurch konkretisiert wird, dass bereits der Bruder des Beschwerdeführers aufgrund derselben Weigerung getötet worden war."
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die ? zulässige ? Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die individuelle Bedrohungssituation des Beschwerdeführers für unglaubwürdig und führt dafür zunächst dessen Angaben im Zusammenhang mit dem Geschäft, in welchem er gearbeitet habe, an (s Entscheidung S 48):
"So erklärte er in der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am 16.10.2017, dass er und sein älterer Bruder ein Geschäft gehabt hätten (siehe OZ 3, Seite 6 [Anm. d. Verf.: "R: Können Sie mir das Problem näher schildern? BF: Ja. Ich und mein älterer Bruder hatten ein Geschäft in Suuqabakaaraha."]). Hingegen erklärte er in einer weiteren Verhandlung, dass das Geschäft seiner Mutter gehört habe (OZ 11, Seite 4. [Anm. d. Verf.: "R: Wem hat dieses Geschäft gehört? Hat es Ihrem Vater gehört? BF: Es hat meiner Mutter gehört."]). Auch bei den Angaben, wo das Geschäft gewesen sei, ergaben sich weitere Unstimmigkeiten. Der BF gab nämlich bei der ersten Verhandlung an, dass das Geschäft im Markt Suuqabakaaraha gewesen sei (OZ 3, Seite 6). In der zweiten Verhandlung erklärte er hingegen, dass das Geschäft im Markt Bakar gewesen sei, um etwas später mitzuteilen, das der Markt phonetsch Bakara laute (OZ 11, Seiten 4 und 5 [Anm. d. Verf.: vgl die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 24. Dezember 2018, in welcher er angab: "Meine Familie besaß am Bakara-Markt in Mogadischu (somalisch: Suuqa Bakaaraha, […]) einen Gemischtwarenladen."). Schon allein diese widersprüchlichen Aussagen deuten darauf hin, dass der BF keine den Tatsachen entsprechenden Aussagen zu seinem Fluchtvorbringen macht."
Sodann schildert das Gericht einzelne Situationen des Fluchtvorbringens und hält dem Beschwerdeführer vor, diese in den mündlichen Verhandlungen unterschiedlich dargestellt zu haben (s Entscheidung S 48 f., mit Hervorhebungen im Original):
"Darüberhinaus stellte der BF den Ablauf über den Versuch der Al Shabaab ihn und seinen älteren Bruder zu rekrutieren unterschiedlich dar. Im Rahmen der ersten Verhandlung vor dem Bundesverwaltunsgericht erklärte er, dass vier Al Shabaab Männer zu ihm und seinem Bruder ins Geschäft gekommen seien und hätten diese Männer gesagt den BF und seinen Bruder trainieren zu wollen. Der BF und sein Bruder hätten aber gesagt, dass sie sich dies überlegen wollten. Nach drei Tagen seien dann die AS Männer wiedergekommen und hätten den Bruder entführt. Zu dem Zeitpunkt sei der BF nicht anwesend gewesen (OZ 3, Seite 8). In der zuletzt durchgeführten Verhandlung erklärte der BF jedoch, dass die Al Shabaab dem BF und seinem Bruder eine Zeit gewährt hätten zu überlegen, ob sie von der Al Shabaab trainiert werden wollten. Die Al Shabaab hätte gesagt, dass sie nach zwei Tagen wiederkommen würden (OZ 11, Seite 7). Als die Al Shabaab wiedergekommen sei, hätten sie seinen Bruder aus dem Geschäft geholt und draußen getötet (OZ 11, Seite 5). Etwas später erklärte der BF jedoch, dass die Al Shabaab den Leichnam seines Bruders zum Markt gebracht hätten (OZ 11, Seite 6).
Widersprüchliche Aussagen gab es auch im Zusammenhang mit der Dauer seines Aufenthaltes in Mogadishu nachdem sein Bruder getötet worden sei. In der ersten Verhandlung vor dem erkennenden Gericht erklärte er nämlich zunächst ungefähr eine Woche lang nur zu Hause gewesen zu sein. Nach näherer Befragung erklärte er jedoch auf[…]einmal sich lediglich bei seinem Freund aufgehalten zu haben (OZ 3, Seite 9). Im Gegensatz dazu erklärte er in der zuletzt durchgeführten Verhandlung sich zwei Wochen zu Hause aufgehalten zu haben, nachdem sein Bruder getötet worden sei, um dann etwas später zu erklären sich doch nur in einem anderen Haus versteckt zu haben (OZ 11, Seiten 8 und 9). Dem erkennenden Gericht ist es unverständlich, warum der BF keine gleichbleibenden Aussagen über die Dauer seines Aufenthaltes in Mogadishu nach dem Tod seines Bruders machen konnte. […] Auch konnte nicht festgestellt werden, wann der BF Somalia verlassen hat. Während er in der ersten Verhandlung vor dem erkennenden Gericht detailliert angeben konnte, wann er mit dem Flugzeug Somalia verlassen hat, konnte er in der zule[t]zt durchgeführten Verhandlung keinen genauen Tag mehr nennen."
4. Das Bundesverwaltungsgericht vermag auf Basis der von ihm als Begründung herangezogenen widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers, wie etwa, ob das Geschäft dem Beschwerdeführer und seinem Bruder oder seiner Mutter gehört habe oder ob die al-Shabaab nach drei oder zwei Tagen wiedergekommen sei, nicht substantiiert zu begründen, weshalb es die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Furcht vor Verfolgung als nicht schlüssig erachtet.
Die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Unterschiede in den Aussagen des Beschwerdeführers sind geringfügig und betreffen keine für die Beurteilung der Rechtsfragen wesentlichen Tatsachen. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach bloß Nuancen betreffende Abweichungen in den Aussagen des Beschwerdeführers allein nicht den Schluss zulassen, dass das Vorbringen insgesamt unglaubwürdig ist (vgl VfGH 13.3.2013, U1175/2012 ua; 21.2.2014, U2600/2013; 25.02.2019, E3632/2018).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E3472.2021Zuletzt aktualisiert am
16.09.2022