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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie von Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit den aktuellen und verfügbaren Länderinformationen insbesondere zur Sicherheitslage sowie zur Situation von Frauen bzw Kindern in der Herkunftsregion sowie mit der COVID-19-Situation im Hinblick auf die Erkrankungen eines BeschwerdeführersSpruch
I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.139,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Araber an und bekennen sich zum sunnitischen Islam. Sie stammen aus Bagdad. Der am 16. Oktober 1966 geborene Erstbeschwerdeführer und die am 1. Juli 1969 geborene Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet. Sie sind die Eltern des am 6. April 1997 geborenen Drittbeschwerdeführers bzw des am 10. März 2005 geborenen minderjährigen Viertbeschwerdeführers. Die Familie stellte am 7. Februar 2016 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheiden vom 14. Juli 2017 und 18. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurden die Anträge auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Weiters wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Zudem wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen gesetzt.
3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 18. März 2021 als unbegründet ab.
3.1. Die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen dahin, dass die Zahl der zivilen Opfer im Irak in den vergangenen Jahren drastisch gesunken sei. Auch in Bagdad habe sich die Situation weitgehend stabilisiert. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr auf Grund ihrer bloßen Präsenz Opfer von terroristischen Anschlägen oder kriminellen Aktivitäten werden würden, könne in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage nicht erkannt werden. Es sei auf die seitens EASO vertretene Ansicht zu verweisen, wonach es im Gouvernement Bagdad nur noch derart selten zu willkürlichen, sicherheitsrelevanten Verfällen komme, dass nicht automatisch die Annahme gerechtfertigt sei, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ausgesetzt sei. Risikoerhöhende Umstände seien im Hinblick auf die Beschwerdeführer im Verfahren nicht substantiiert vorgebracht worden. Die Beschwerdeführer würden in Bagdad über zahlreiche Angehörige verfügen und könnten somit auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen. Sie könnten sich zumindest temporär bei Angehörigen in Bagdad ansiedeln und bei diesen eine angemessene Unterkunft sowie Grundversorgung vorfinden. Es sei dem Erstbeschwerdeführer schon einmal gelungen, sich nach einer Rückkehr aus Schweden 2003 wieder ein wirtschaftlich abgesichertes Leben aufzubauen. Der Erstbeschwerdeführer sei im Irak Betreiber eines Geschäftes und in der Lage gewesen, den Lebensunterhalt für sich und seine Kernfamilie zu bestreiten, und auch die Zweitbeschwerdeführerin habe angesichts ihrer Ausbildung als Designerin und Schneiderin sowie ihrer Arbeitserfahrung als Reinigungskraft eine Chance, künftig am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen. Ebenso habe der Drittbeschwerdeführer eine Schulbildung und Ausbildung genossen und sei in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Der minderjährige sechzehnjährige Viertbeschwerdeführer stehe kurz vor der Erfüllung der Schulpflicht, sei gesund und arbeitsfähig und sei damit ebenfalls in der Lage, im Irak einen Beruf zu erlernen, zumal er die dortige Landessprache spreche und mit seiner Kernfamilie zurückkehre. Eine das Kindeswohl beeinträchtigende Entwurzelung sei nicht erkennbar, da die Beschwerdeführer auch bisher im gemeinsamen Haushalt gelebt hätten und in ihrem Herkunftsstaat sozialisiert worden seien. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer sei im Falle einer Rückkehr in den Irak und insbesondere nach Bagdad auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von spezifisch gegen Kinder gerichteter Gewalt – etwa in Form von Zwangsprostitution, Zwangsrekrutierung oder Kinderarbeit – betroffen. Ein erhöhtes Risiko im Hinblick auf geschlechts- oder kinderspezifische Gewalt könne dem Vorbringen der Antragsteller nicht entnommen werden.
Im Hinblick auf die Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus:
"Auch im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführer sind keinerlei entscheidungsmaßgebliche Vulnerabilitäten gegeben. Insbesondere war der BF1 bereits im Irak für viele Jahre wegen seines hohen Blutdruckes und seines Diabetes in Behandlung und war er auch in der Lage, den zweifellos mühseligen Weg nach Europa auf sich zu nehmen, weshalb die Schwelle des Art3 EMRK auch aus diesem Grund nicht überschritten ist.
[…]
Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf die Beschwerdeführer. Zwar gehört der BF1 durch seine Erkrankungen einer Gruppe mit erhöhtem Risiko eines schweren Verlaufs einer COVID-19-Infektion an, dieses Risiko trifft ihn jedoch auf der ganzen Welt und in Österreich insbesondere stärker als im Irak. Betrachtet man überdies die aktuelle COVID-19-Risikogruppe-Verordnung in der Fassung vom 11.03.2021 so ergibt sich, dass die Hypertonie des BF1 davon nur bei nicht kontrollierbarer Blutdruckeinstellung erfasst wäre (§2 Z9 leg cit). Da der BF1 medikamentös eingestellt ist und dies auch im Irak - wie vor seiner Ausreise - zweifellos möglich sein wird, ist er davon nicht betroffen. Auch in Bezug auf seine Diabetes-Erkrankung ist nicht von den in §2 Z8 angeführten hohen Werten, welche die Voraussetzung für die Zuordnung zur COVID-19-Risikogruppe wären auszugehen, zumal kein diesbezügliches Vorbringen erstattet wurde. Es fehlt sohin auch vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie an den geforderten außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Art3 EMRK (zur 'Schwelle' des Art3 EMRK vgl VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059). Selbiges gilt für die Gelenksschmerzen der BF2, welche per se keine Relevanz im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie entfalten."
4. Gegen dieses Erkenntnis brachten die Beschwerdeführer eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde ein, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt und ebenfalls auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak und – daran anknüpfend – die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang wiederholt darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl zB VfGH 8.6.2020, E175/2019 mwN). Vor diesem Hintergrund kommt den Ermittlungen und Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes in Bezug auf die Situation im Herkunftsstaat besondere Bedeutung zu.
Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind zudem, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Länderberichte zum Herkunftsland, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl United Nations High Commissioner for Refugees [UNHCR], Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Bei entsprechenden Anhaltspunkten in den Länderberichten zum Herkunftsland hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit der Situation von Minderjährigen auseinanderzusetzen (vgl zB VfGH 13.3.2019, E1480/2018 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua, E5061/2018 ua und E1846/2019 ua; 26.6.2020, E810/2020 ua).
2.3. Die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte beschränken sich auf knappe, oberflächliche Ausführungen zu sicherheitsrelevanten Vorfällen, zum Zustand der Wirtschaft, zur Situation am Wohnungsmarkt und von Rückkehrern im Irak sowie zur Sicherheitslage in Bagdad. Es fehlen insbesondere Länderfeststellungen die Situation von Frauen, die spezielle Gefährdungslage für Minderjährige und die Grundversorgung im Irak bzw in der Herkunftsregion der Beschwerdeführer. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, dass eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Beschwerdeführer nicht vorliege und dass der minderjährige Viertbeschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nicht von geschlechts- oder kinderspezifischer Gewalt, insbesondere Zwangsrekrutierung, betroffen sei, lässt sich daher aus den zitierten Länderberichten nicht ableiten.
2.4. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich sohin im Hinblick auf die Beurteilung einer den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK schon aus diesem Grund als verfassungswidrig.
2.5. Weiters stellt das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers fest, dass dieser an erhöhtem Blutdruck und Diabetes leide. Seine Hypertonie sei aber nicht von der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl II 203/2020, umfasst, da dies nur bei unkontrollierbarer Blutdruckeinstellung der Fall wäre, der Erstbeschwerdeführer aber medikamentös eingestellt sei und ihm dies auch im Irak möglich sein werde. Bezüglich der Diabetes-Erkrankung des Erstbeschwerdeführers führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass nicht von den in §2 Z8 der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung angeführten hohen Werten auszugehen sei, die aber eine Voraussetzung für die Zuordnung zur entsprechenden Risikogruppe sei.
Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgungslage und der Verfügbarkeit von Medikamenten im Herkunftsstaat trifft das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht. Es ist daher nicht nachvollziehbar, inwieweit die medizinische Versorgung des Erstbeschwerdeführers mit den von ihm benötigten Medikamenten sichergestellt ist bzw wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Feststellung gelangen konnte, dass die in §2 Z8 der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung festgelegten Werte nicht überschritten werden und der Erstbeschwerdeführer keiner Risikogruppe iSd COVID-19-Risikogruppe-Verordnung angehört.
2.6. Da das Bundesverwaltungsgericht es sohin unterlassen hat, sich vollständig und nachvollziehbar mit den von ihm selbst festgestellten Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers und – in diesem Zusammenhang – mit der aktuellen Lage im Herkunftsstaat auseinanderzusetzen, insbesondere mit der möglichen Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufes im Falle einer Infektion mit COVID-19 und den diesbezüglichen Behandlungsmöglichkeiten, hat es durch seine Entscheidung Willkür geübt (vgl dazu VfGH 24.11.2020, E3285/2020; 9.3.2021, E3791/2020; 8.6.2021, E4570/2020 ua).
3. Diese Mängel schlagen gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung bzgl. der anderen Beschwerdeführer durch (vgl VfSlg 19.855/2014), sodass das Erkenntnis bzgl. aller Beschwerdeführer im selben Umfang aufzuheben ist.
B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Erkenntnis in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, insoweit nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, abzusehen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurden, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, COVID (Corona), Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E1739.2021Zuletzt aktualisiert am
19.09.2022