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L8000 RaumordnungNorm
B-VG Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Gesetzwidrigkeit der Verordnung einer Tiroler Gemeinde betreffend die Aufhebung eines Bebauungsplans; Begriff der "Änderung" eines Bebauungsplans iSd Tir RaumOG 2016 umfasst auch dessen ersatzlose Aufhebung; Einhaltung der Verfahrensbestimmungen (Auflegungs- und Stellungnahmefristen, Verständigung der betroffenen Grundstückseigentümer) auch bei Aufhebung eines Bebauungsplans geboten; Missachtung der Verfahrensbestimmungen stellt wesentlichen Mangel des Verfahrens zur Erlassung der Verordnung darRechtssatz
Aufhebung der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Götzens, mit der der Bebauungsplan BE/006/10/2012, Zentrum I/II - Neuwirt, Bp. .129/1, aufgehoben wird, beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde Götzens am 24.04.2019 (Antrag des Landesverwaltungsgerichts Tirol - LVwG). Die beantragte Baubewilligung für den Zubau wurde durch die zuständige Baubehörde nicht erteilt, nachdem mit der angefochtenen Verordnung der Bebauungsplan BE/006/10/2012 aufgehoben worden war. Sowohl die zuständige Baubehörde als auch das LVwG hätten somit den Bebauungsplan BE/006/10/2012 der Erteilung bzw Versagung der Baubewilligung zugrunde legen müssen, wenn dieser nicht durch die angefochtene Verordnung aufgehoben worden wäre. Der Umstand, dass der Versagung der Baubewilligung kein Bebauungsplan zugrunde lag, ist nur an Hand der angefochtenen Verordnung zu beurteilen. Diese ist daher präjudiziell iSd Art139 Abs1 B-VG. Dass sich der Inhalt dieser Verordnung in der Aufhebung einer anderen Verordnung erschöpft, ändert daran nichts.
Die zum Zeitpunkt der Erlassung des Bebauungsplanes BE/006/10/2012 in Geltung stehenden Bestimmungen des TROG 2016 idF LGBl 144/2018 sahen ein spezielles Verfahren zur Erlassung von Bebauungsplänen (§66 TROG 2016 idF LGBl 144/2018) vor, das unter anderem Auflegungs- und Stellungnahmefristen zum Entwurf eines Bebauungsplanes sowie die Pflicht, die betroffenen Grundeigentümer zu verständigen, regelte. Diese Vorgaben waren gemäß §71 TROG 2016 idF LGBl 144/2018 sinngemäß auch auf das Verfahren zur Änderung eines Bebauungsplanes anzuwenden. Ausdrückliche Vorschriften über die vom Verordnungsgeber einzuschlagende Vorgangsweise bei der (ersatzlosen) Aufhebung von Bebauungsplänen enthielt das TROG 2016 idF LGBl 144/2018 nicht.
Erst mit der Novelle LGBl 110/2019 wurden mit §64 TROG 2016 Verfahrensvorschriften eingeführt, die explizit auch den Fall einer Aufhebung eines Bebauungsplanes erfassen (Verpflichtung zum Hinweis auf Auflegungs- und Stellungnahmefristen sowie die Pflicht, die betroffenen Grundeigentümer zu verständigen).
Die angefochtene Verordnung, mit der der Bebauungsplan BE/006/10/2012 ersatzlos aufgehoben wurde, wurde vom Gemeinderat der Gemeinde Götzens am 24.04.2019 beschlossen. Dieses Vorhaben wurde im Vorfeld nicht öffentlich bekannt gegeben; insbesondere erfolgte keine Verständigung unter Hinweis auf etwaige Auflegungs- bzw Stellungnahmefristen. Die betroffene Grundstückseigentümerin wurde davon erst nach der Aufhebung mit Schreiben vom 17.05.2019 in Kenntnis gesetzt.
Nach der stRsp des VfGH kommt der Einhaltung der Vorschriften des Raumplanungsrechtes, welche das Verfahren zur Erlassung eines Raumplanes regeln, zentrale Bedeutung zu, insbesondere stellt das Unterlassen der Verständigung der betroffenen Grundeigentümer einen wesentlichen Mangel des Verfahrens - etwa zur Erlassung eines Flächenwidmungsplanes - dar, weil die Verständigung das Mitspracherecht der von der Planung betroffenen Grundeigentümer sicherstellt. Hält der Verordnungsgeber die vom Gesetzgeber vorgegebene Vorgehensweise zur Erlassung der Verordnung nicht ein, ist eine solche Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben.
Wie der VfGH im Fall VfSlg 11029/1986 - hinsichtlich der dem §66 TROG 2016 idF LGBl 144/2018 vergleichbaren Regelung des damals in Geltung stehenden §23 Oö ROG - ausgesprochen hat, dienen besondere Verfahrensbestimmungen für den Fall der Abänderung eines Bebauungsplanes dem Zweck, die "Interessen Dritter" zu schützen. Diese Rechtsschutzinteressen sprachen für die Anwendung der Verfahrensbestimmung zur Änderung von Bebauungsplänen auch auf den Fall, dass die Rechtslage durch ersatzlose Aufhebung eines Bebauungsplanes eine Änderung erfährt. Ein solcher Entfall eines Bebauungsplanes sei nämlich im Effekt einer Änderung eines solchen Planes gleichzuhalten. Nach Ansicht des VfGH war auf Grund dieser Erwägungen unter dem Begriff "Änderung" von Bebauungsplänen auch die ersatzlose Aufhebung eines Bebauungsplanes zu verstehen.
Vor diesem Hintergrund wäre auch bei der Erlassung der angefochtenen Verordnung, mit der der Bebauungsplan BE/006/10/2012 ersatzlos aufgehoben wurde, das in den §§66 und 71 TROG 2016 idF LGBl 144/2018 geregelte Verfahren - insbesondere die darin enthaltenen Verständigungen unter Hinweis auf die Auflegungs- und Stellungnahmefrist - einzuhalten gewesen. Da dieses Verfahren nicht eingehalten wurde, ist die angefochtene Verordnung gesetzwidrig zustande gekommen und schon aus diesem Grund aufzuheben. Ein ersatzlos aufgehobener Bebauungsplan erlangt mit der Aufhebung der aufhebenden Verordnung durch den VfGH neuerlich seine Wirksamkeit.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Bebauungsplan, Raumordnung, Planungsakte Verfahren, Anhörungsrecht, Verordnungserlassung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / GerichtsantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V586.2020Zuletzt aktualisiert am
15.09.2022