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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten im fortgesetzten Verfahren betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; neuerlich mangelhafte Auseinandersetzung mit der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion angesichts des sich aus den Länderinformationen ergebenden Risikoprofils des sunnitischen ArabersSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus Mossul und hat Familie im Irak. Er stellte am 12. November 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen damit, einfacher Soldat beim irakischen Militär und in Kirkuk stationiert gewesen zu sein, bis irakische Streitkräfte und schiitische Einheiten gewaltsam gegen sunnitische Demonstranten vorgegangen seien.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 19. Februar 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht als unbegründet ab und begründete dabei die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen mit der persönlichen Situation des Beschwerdeführers – dieser sei jung, gesund und im erwerbsfähigen Alter und verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Irak – und wies darauf hin, dass die allgemeine Sicherheitslage in Mossul einer Rückkehr nicht entgegenstehe.
Der Verfassungsgerichtshof hob diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 7. Oktober 2021, E2637/2021, auf, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes verletzte den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, weil es die sunnitisch-arabische Identität des Beschwerdeführers und den Umstand, dass dieser aus einem Gebiet stammt, das vormals vom IS besetzt war, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der sicheren Erreichbarkeit der Region, nicht berücksichtigte und damit sein Erkenntnis mit Willkür behaftete. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtete – lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.
3. Mit der nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise ("Beschwerde gegen die Spruchpunkte II, III, IV, V und VI des Bescheides") erneut abgewiesen.
Im Vergleich zu der vom Verfassungsgerichtshof behobenen Entscheidung im ersten Rechtsgang hat das Bundesverwaltungsgericht sein Erkenntnis um Feststellungen zur Einreise und Niederlassung in bestimmte(n) Landesteile(n) ergänzt, führt aber beweiswürdigend aus, dass den herangezogenen aktuellen Länderinformationen keine Einreise- oder Niederlassungshindernisse für sunnitische Araber, die aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet stammen, weder im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr in die Stadt Mossul noch im Hinblick auf eine mögliche innerstaatliche Fluchtalternative in die Stadt Erbil bzw an den Aufenthaltsort der Ehefrau und Kinder des Beschwerdeführers in der Nähe von Erbil zu entnehmen seien:
"Dass er angesichts seines Persönlichkeitsprofils als Sunnit und Araber bei einer Rückkehr in die ehemals vom IS kontrollierte Provinz Ninawa mit maßgeblichen Hindernissen konfrontiert sein würde, hat weder er selbst vor dem BVwG dargelegt noch wäre dies aus den zuletzt herangezogenen länderkundlichen Informationen zu gewinnen gewesen. Insbesondere fanden sich auch im jüngsten Positionspapier des UNHCR keine Hinweise darauf […].
Das Fehlen grundsätzlicher Einreise- und Niederlassungshindernisse war letztlich auch für den aktuellen Aufenthaltsort seiner Gattin und Kinder unweit von Erbil festzustellen, wie dies ebenso aus den herangezogenen länderkundlichen Informationen zu gewinnen war und nicht zuletzt auch von der Aussage des BF in der mündlichen Verhandlung gestützt wurde, dass seine Gattin in jüngerer Vergangenheit an ihrem Wohnort von ihren Verwandten aus Mosul besucht wurde."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Nr 6 oder Nr 13 ZPEMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit den familiären Anknüpfungspunkten in Mossul und in der Nähe von Erbil sowie mit dem Umstand, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung handelt. Dass der Beschwerdeführer auf Grund seines Persönlichkeitsprofils als sunnitischer Araber, der aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet stammt, bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion mit maßgeblichen Hindernissen konfrontiert sein werde, verneint das Bundesverwaltungsgericht ua mit Verweis auf aktuelle Länderinformationen.
Mit Blick auf diese verneint das Bundesverwaltungsgericht auch das Fehlen grundsätzlicher Einreise- und Niederlassungshindernisse für Erbil bzw den aktuellen Aufenthaltsort seiner Ehefrau und Kinder in einem Flüchtlingslager unweit von Erbil und geht schließlich mit Verweis auf die familiären Anknüpfungspunkte und mit Blick auf den Umstand, dass seine Ehefrau in jüngerer Vergangenheit von Verwandten aus Mossul besucht wurde, von der sicheren Erreichbarkeit der genannten Orte und einer Niederlassungsmöglichkeit aus. Die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Erbil bzw am aktuellen Aufenthaltsort seiner Ehefrau und Kinder begründet das Bundesverwaltungsgericht sodann auch nicht näher.
2.2. Dem zum Entscheidungszeitpunkt aktuellsten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aus Oktober 2021 ist allerdings – wie jenem Bericht aus Mai 2020, den der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 7. Oktober 2021, E2637/2021, herangezogen hat – zu entnehmen, dass sunnitische Araber, die aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet stammen, kollektiv verdächtigt werden, Verbindungen zum IS zu haben oder diesen zu unterstützen. Angehörige dieser Personengruppe sind folglich diversen Gefährdungen insbesondere bei Kontrollpunkten (Checkpoints) sowie Beschränkungen ihrer Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ausgesetzt:
"
Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. […]
Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt […]. Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish […].
Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren […]."
Im Hinblick auf innerstaatliche Fluchtalternativen, im vorliegenden Fall in der Autonomen Region Kurdistan, sind auch dem Bericht "Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Iraq: Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation" des UNHCR aus Jänner 2021 Einreise- und Niederlassungsbeschränkungen für Angehörige dieser Personengruppe zu entnehmen.
2.3. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat das Bundesverwaltungsgericht die sich aus den Länderberichten ergebenden Gefährdungen für sunnitische Araber, die aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet stammen, bei der Beurteilung der sicheren Erreichbarkeit der Region, in die der Beschwerdeführer zurückkehren soll (vgl dazu bereits VfGH 7.10.2021, E2637/2021 mwN) sowie auch im Hinblick auf eine Neuansiedlungsmöglichkeit (vgl dazu etwa nur VfGH 7.10.2021, E2563/2021; VfGH 1.3.2022, E4304/2021) entsprechend zu berücksichtigen. Der bloße Verweis auf familiäre Anknüpfungspunkte sowie auf den Umstand, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers ihre Verwandten in Mossul besuchen kann, sowie die nahezu begründungslose Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine entsprechende Auseinandersetzung nicht gerecht.
Indem es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen hat, sich sowohl im Hinblick auf die sichere Erreichbarkeit der Herkunftsregion Mossul als auch im Hinblick auf die Neuansiedlungsmöglichkeit am aktuellen Aufenthaltsort der Ehefrau und Kinder des Beschwerdeführers bzw in der Stadt Erbil in der Autonomen Region Kurdistan mit den aktuellen Länderinformationen auseinanderzusetzen, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet. Dieses ist daher aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E851.2022Zuletzt aktualisiert am
16.09.2022