TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/25 95/06/0190

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Veröffentlicht am 25.04.1996
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1294;
AVG §69 Abs1 Z2;
B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art119a Abs9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der X-Gesellschaft m.b.H. in G, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 16. März 1995, Zl. 03-12.10 D4-95/2, betreffend Wiederaufnahme in einer Bausache (mitbeteiligte Partei: Gemeinde D, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.220,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 3. Jänner 1994 ersuchte die Beschwerdeführerin um Bewilligung gemäß § 56 Abs. 3 der Steiermärkischen Bauordnung betreffend die Errichtung einer Plakattafel auf dem Grundstück Nr. 103/5, KG D. Mit Kundmachung des Bürgermeisters vom 25. April 1994 wurde über dieses Ansuchen eine mündliche Verhandlung für den 10. Mai 1994 anberaumt, in welcher der Bürgermeister als Verhandlungsleiter erklärte, daß ein Gemeinderatsbeschluß vom 22. März 1994 vorliege, aus welchem hervorgehe, daß die Aufstellung der Werbetafel an der bezeichneten Stelle abgelehnt werde. Da auch aus dem Gutachten der örtlichen Raumplanung (vom 25. Jänner 1994) kein positives Ergebnis hervorgehe, könne für die Errichtung und den Verbleib dieser Tafel keine Zustimmung erteilt werden. Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 19. Mai 1994 wurde das Ansuchen der Beschwerdeführerin um Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung bzw. Genehmigung einer Werbetafel abgewiesen und die Entfernung der Werbeeinrichtung binnen vier Wochen ab Rechtskraft des Bescheides aufgetragen. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung der Beschwerdeführerin hat der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 30. August 1994 abgewiesen.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 23. Dezember 1994 den Bescheid des Gemeinderates wegen Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die mitbeteiligte Gemeinde verwiesen.

Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens wurde ausgeführt, nachdem das als Anzeige im Sinne des § 56 Abs. 3 StBO zu wertende Ansuchen der Beschwerdeführerin am 4. Jänner 1994 bei der Gemeinde eingelangt sei, hätte die erstinstanzliche Baubehörde bis 15. Februar 1994 (Ende der Sechs-Wochen-Frist) entweder einen schriftlichen Untersagungsbescheid erlassen oder die Anzeigende von der Einleitung des Bewilligungsverfahrens verständigen müssen. Da jedoch der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde innerhalb der sechswöchigen Frist weder die Untersagung des angezeigten Vorhabens verfügt habe, noch die Anzeigende von der Einleitung eines Bewilligungsverfahrens verständigt worden sei, gelte das Vorhaben nach Ablauf dieser Frist ex lege als bewilligt. Der Bürgermeister sei daher nicht mehr berechtigt gewesen, die Bewilligung des Bauvorhabens zu versagen.

Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin und der mitbeteiligten Gemeinde zugestellt.

In der Folge erging der nunmehr angefochtene Bescheid vom 16. März 1995, in dem unter I. gemäß § 69 Abs. 3 AVG die Wiederaufnahme des mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 23. Dezember 1994 abgeschlossenen aufsichtsbehördlichen Verfahrens verfügt wurde. Unter II. wurde die von der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 30. August 1994 erhobene Vorstellung mangels Verletzung von Rechten von der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung ad I. wurde ausgeführt, die Vorstellungsbehörde habe aufgrund des ursprünglich vorgelegten Verwaltungsaktes festgestellt, daß nach der erfolgten Anzeige gemäß § 56 Abs. 3 der Steiermärkischen Bauordnung die erstinstanzliche Behörde weder einen schriftlichen Untersagungsbescheid erlassen noch die Anzeigende von der Einleitung des Baubewilligungsverfahrens verständigt habe. Aus dem der Behörde nunmehr vorliegenden vollständigen Bauakt gehe jedoch hervor, daß die Gemeinde die Vorstellungswerberin mit Schreiben vom 18. Jänner 1994 über die Einleitung des Bewilligungsverfahrens in Kenntnis gesetzt habe. Da nun ein neues Beweismittel - nämlich die Verständigung über die Einleitung des Bewilligungsverfahrens - vorliege, bei dessen Beachtung in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein anders lautender Bescheid erlassen worden wäre, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Unter II. wurde die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Gemeinderates abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin führt aus, es sei ihr der Bescheid der belangten Behörde vom 16. März 1995 nicht zugestellt worden (die Richtigkeit dieses Beschwerdevorbringens ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, wonach der Bescheid erst NACH Einbringung der gegenständlichen Beschwerde, nämlich am 3. November 1995 zugestellt wurde).

Mit Schreiben der mitbeteiligten Gemeinde vom 26. Juni 1995 sei der Beschwerdeführerin unter Androhung der Ersatzvornahme aufgetragen worden, einem die Entfernung der gegenständlichen Werbeeinrichtung betreffenden baupolizeilichen Auftrag vom 25. April 1994, der der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht zugestellt worden sei, bis 31. August 1995 nachzukommen. In diesem Schreiben sei seitens der mitbeteiligten Gemeinde vorgebracht worden, daß die von der Beschwerdeführerin erhobene Vorstellung mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung als unbegründet abgewiesen worden sei. In ihrer Stellungnahme vom 21. Juli 1995 hat die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, daß ihr ein derartiger Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung nicht zugekommen sei, worauf der Beschwerdeführerin mit Schreiben der mitbeteiligten Gemeinde vom 26. Juli 1995 mitgeteilt wurde, daß der gegenständliche Akt nunmehr der Bezirkshauptmannschaft Radkersburg zur Vollstreckung zugemittelt worden sei; dieser Mitteilung war die - laut Beschwerdevorbringen - schlecht leserliche Kopie des Bescheides des Steiermärkischen Landesregierung vom 16. März 1995 beigelegt.

Aus Gründen prozessualer Sicherheit ging die Beschwerdeführerin davon aus, daß mit dem dem Schreiben der mitbeteiligten Gemeinde vom 26. Juli 1995 beigelegten Bescheid vom 16. März 1995 der Steiermärkischen Landesregierung die vorhandenen Zustellmängel geheilt wurden, sodaß dagegen Beschwerde erhoben werden könne.

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden.

Die belangte Behörde stützt die Wiederaufnahme darauf, daß nunmehr ein neues Beweismittel - nämlich die Verständigung über die Einleitung des Bewilligungsverfahrens - vorliege. Bei dem Verschulden im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b (nunmehr Z. 2) AVG handelt es sich, wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgeführt hat, um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Juni 1994, Zl. 94/06/0106).

Das hier gegenständliche aufsichtsbehördliche Verfahren ist ein Mehrparteienverfahren, in dem nicht nur der Beschwerdeführerin, sondern auch der Gemeinde Parteistellung zukommt (Art. 119 a Abs. 9 B-VG).

Im Verfahren betreffend die amtswegige Wiederaufnahme hätte sich somit die belangte Behörde mit der Frage auseinandersetzen müssen, weshalb das neu hervorgekommene Beweismittel ohne Verschulden der Gemeinde nicht im Verfahren geltend gemacht wurde. Eine derartige Auseinandersetzung ist aber unterblieben. Für den Verwaltungsgerichtshof ist nicht erkennbar, worin das mangelnde Verschulden der Gemeinde als Partei des Vorstellungsverfahrens bei der Vorlage nicht vollständiger Verwaltungsakten zu erblicken ist. Waren aber die Akten (entgegen der seinerzeitigen Annahme der belangten Behörde) ohnedies vollständig, so hätte die Gemeinde den Bescheid der belangten Behörde mit Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfen müssen, was sie aber nicht getan hat.

Da sich die belangte Behörde zu Unrecht nicht mit der Frage des mangelnden Verschuldens der Gemeinde auseinandergesetzt hat, belastete sie ihren Bescheid in seinem Spruchpunkt I. mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war im Hinblick auf die Rückwirkung der Aufhebung des Spruchpunktes I. gemäß § 42 Abs. 3 VwGG aufzuheben, weil damit, trotz Vorliegens eines rechtskräftigen Bescheides der belangten Behörde vom 23. Dezember 1994 entgegen der Vorschrift des § 68 Abs. 1 AVG neuerlich über die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 30. August 1994 entschieden wurde.

Der angefochtene Bescheid war somit insgesamt mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist mit der Erledigung der Beschwerde gegenstandslos geworden.

Schlagworte

Verschulden Zuständigkeit der Vorstellungsbehörde Verhältnis zwischen gemeindebehördlichem Verfahren und Vorstellungsverfahren Rechtsstellung der Gemeinde im Vorstellungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995060190.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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