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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §1332Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Eraslan, über den Antrag der T Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Nikolaus, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1130 Wien, St. Veit-Gasse 8, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 27. Februar 2020, RV/7105043/2018, betreffend Feststellung gemäß § 92 Abs. 1 lit. b BAO hinsichtlich Körperschaftsteuer für die Jahre 2007 bis 2009 sowie Körperschaftsteuer für die Jahre 2014 bis 2016, und in der Revisionssache gegen dieses Erkenntnis, den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht Beschwerden betreffend u.a. Körperschaftsteuer für die Jahre 2014 bis 2016 als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG hinsichtlich der Körperschaftsteuer für das Jahr 2015 zulässig, im Übrigen aber nicht zulässig sei. Dieses Erkenntnis wurde der Revisionswerberin nach dem Vorbringen in der Revision bzw. nach den im Verfahrensakt einliegenden Nachweisen am 2. März 2020 zugestellt.
2 In der vorliegenden - am 10. Juni 2020 zur Post gegebenen - außerordentlichen Revision wird zur Rechtzeitigkeit ausgeführt, die Revision werde innerhalb der „aufgrund von Art 16 § 6 Abs 2 iVm § 1 Abs 1 2. COVID-19-Gesetz, BGBl I 2020/16“ offenen Frist erhoben.
3 Über Vorhalt der Verspätung durch den Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf VwGH 1.3.2022, Ra 2020/02/0169 - stellte die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 8. Juni 2022 den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist.
4 Darin wird begründend vorgebracht, die Revisionswerberin habe der Verfügung entnehmen können, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Berechnung der Revisionsfrist § 2 Abs. 1 Z 1 COVID-19-VwBG zur Anwendung zu bringen gewesen sei und nicht - wie in der Revision angenommen - § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG. Dieser Rechtsirrtum der Revisionswerberin - über das Ende der Revisionsfrist - sei als unvorhergesehenes Ereignis anzusehen und stelle einen Wiedereinsetzungsgrund dar. Der Wiedereinsetzungsantrag sei rechtzeitig im Sinne des § 46 Abs. 3 VwGG, weil er innerhalb von zwei Wochen ab jenem Zeitpunkt gestellt wurde, ab dem die Revisionswerberin ihren Rechtsirrtum bei gehöriger Aufmerksamkeit habe erkennen können. Dieser Zeitpunkt sei mit der Zustellung der Verfügung durch den Verwaltungsgerichtshof zu bestimmen. Der Rechtsirrtum habe auf keinem Verschulden bzw. nur auf einem minderen Grad des Versehens beruht, weil der Rechtsvertreter der Revisionswerberin bei der Ermittlung der Revisionsfrist die Anwendbarkeit der Bestimmungen des COVID-19-VwBG - unter Heranziehung einschlägiger Literatur zum Verwaltungsverfahrensrecht - sorgfältig geprüft habe.
Zu Spruchpunkt I.:
5 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden des die Partei vertretenden Rechtsanwaltes ist der Partei zuzurechnen (vgl. VwGH 12.6.2019, Ra 2019/13/0022, mwN).
6 Im vorliegenden Fall wurde die Frist zur Erhebung der Revision versäumt (vgl. unten zu Spruchpunkt II.).
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. VwGH 25.5.2022, Ra 2021/19/0484, mwN).
8 Der Begriff des minderen Grads des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. An berufliche rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (vgl. VwGH 24.3.2022, Ra 2020/21/0369; 14.6.2021, Ra 2020/07/0062, jeweils mwN).
9 Daher stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa auch die Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter in der Regel keinen minderen Grad des Versehens (im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG) dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. VwGH 30.3.2022, Ra 2020/19/0212, mwN).
10 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat (vgl. VwGH 30.3.2022, Ra 2020/19/0212; 18.3.2022, Ra 2020/18/0232; 1.3.2022, Ra 2020/02/0169; 15.12.2021, Ra 2020/10/0063; 25.8.2021, Ro 2020/05/0024, jeweils mwN), lässt der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision im Sinn des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder im Sinn des § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ ist, auf dem Boden der dargestellten Rechtsprechung für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen; ein Parteienvertreter, der sich in der Revision zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung auf § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG gestützt hat, hätte § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen (zu den sich aufgrund der Ausgestaltung des Revisionsmodells des Art. 133 Abs. 4 B-VG ergebenden Anhaltspunkten, dass die Revision einen verfahrenseinleitenden Antrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG bildet, vgl. VwGH 28.2.2022, Ra 2020/12/0042).
11 Wenn die antragstellende Revisionswerberin in diesem Zusammenhang vorbringt, ihr Rechtsvertreter habe zur Klärung der gegenständlichen Rechtsfrage eine Literaturrecherche durchgeführt, zeigt schon allein dieser behauptete Umstand, dass auch beim Rechtsvertreter Zweifel an der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG aufgekommen waren (vgl. VwGH 25.8.2021, Ro 2020/05/0024). Vor diesem Hintergrund hätte es der einem Rechtsvertreter obliegenden Sorgfaltspflicht entsprochen, die Revision vorsorglich vor Ablauf der unter Anwendung des § 2 Abs. 1 COVID-19-VwBG berechneten Frist einzubringen (vgl. in diesem Sinne VwGH 9.6.2021, Ra 2020/11/0098).
12 Der Umstand, dass in der Literatur von einer Anwendbarkeit des § 1 COVID-19-VwBG auf Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof ausgegangen wird, lässt zudem keine Rückschlüsse auf das allein maßgebliche Verschulden des im hier zu beurteilenden Verfahren tätigen Parteienvertreters zu (vgl. in diesem Sinne VwGH 1.3.2022, Ra 2020/02/0169; 28.2.2022, Ra 2020/12/0042; 14.6.2021, Ra 2020/07/0062).
13 Da das der antragstellenden Revisionswerberin anzulastende Verschulden ihres Parteienvertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II.:
14 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) sechs Wochen. Sie beginnt gemäß Z 1 leg. cit. in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber nur mündlich verkündet wurde, jedoch mit dem Tag der Verkündung.
15 Für die Rechtzeitigkeit der gegenständlichen Revision kommt es entscheidungswesentlich darauf an, ob die Revisionsfrist durch das COVID-19-VwBG unterbrochen oder lediglich gehemmt wurde.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 17. März 2021, Ra 2020/11/0098, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass die Erhebung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht in einem bei diesem bereits anhängigen Verfahren erfolgt, sodass die Fristunterbrechung des § 1 COVID-19-VwBG schon aus diesem Grund nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr ist die Revisionsfrist als Frist für einen „verfahrenseinleitenden“ Antrag im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG anzusehen und nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur gehemmt worden (vgl. auch VwGH 30.3.2022, Ra 2020/19/0212; 18.3.2022, Ra 2020/18/0232; 1.3.2022, Ra 2020/02/0169, jeweils mwN).
17 Für den Revisionsfall bedeutet dies, dass die Revisionsfrist am 2. März 2020, somit vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG am 22. März 2020, zu laufen begann.
18 Ausgehend vom Beginn der Revisionsfrist hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit Ablauf des 13. April 2020 geendet. Unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristenhemmung hat die Revisionsfrist daher - unter Berücksichtigung des § 33 Abs. 2 AVG, weil das Fristende auf Samstag, den 23. Mai 2020, fiel - mit Ablauf des 25. Mai 2020 geendet.
19 Im Hinblick darauf erweist sich die am 10. Juni 2020 zur Post gegebene Revision wegen Versäumung der sechswöchigen Frist des § 26 Abs. 1 VwGG als verspätet.
20 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 4. August 2022
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130063.L00Im RIS seit
20.09.2022Zuletzt aktualisiert am
20.09.2022