TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/25 95/06/0248

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Veröffentlicht am 25.04.1996
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Index

L85005 Straßen Salzburg;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §59 Abs1;
B-VG Art119a Abs5;
LStG Slbg 1972 §37 Abs1;
LStG Slbg 1972 §37;
LStG Slbg 1972 §38;
LStG Slbg 1972 §41 Abs1;
LStG Slbg 1972 §41 Abs2;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der Marktgemeinde W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in A, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 15. September 1993, Zl. 1/04-33.450/1-1993, betreffend Bildung einer Straßengenossenschaft (mitbeteiligte Parteien: 1. J S und 2. A S, beide in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde, die auch die für die Beschwerdeführung vor dem Verwaltungsgerichtshof erforderlichen Angaben enthält, und der mit der Beschwerde vorgelegten Kopie des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Verordnung vom 4. April 1991 wurde von der Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Marktgemeinde die R-Gasse nach Maßgabe eines "vorliegenden Lageplanes" zur öffentlichen Interessentenstraße erklärt. Die Verordnung wurde am 21. Mai 1991 kundgemacht.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 10. Oktober 1992 wurde ausgesprochen, daß gemäß § 37 des Salzburger Landesstraßengesetzes 1972 (im folgenden: Slbg. LStrG 1972) die "Interessentenweggenossenschaft R-Gasse" gebildet werde. Im Spruch des Bescheides wurden die Mitglieder der Genossenschaft und deren Anteile angeführt und die Satzung der Genossenschaft gemäß § 38 Slbg. LStrG 1972 straßenrechtsbehördlich genehmigt. Die gegen diesen Bescheid von der erstmitbeteiligten Partei erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 15. Jänner 1993 als unbegründet abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhoben der Erst- und die Zweitmitbeteiligte Vorstellung. Auf Grund der Vorstellung erging der nunmehr angefochtene Bescheid, mit dem die belangte Behörde der Vorstellung stattgab und den Bescheid vom 15. Jänner 1993 wegen Rechtswidrigkeit aufhob und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die beschwerdeführende Marktgemeinde zurückverwies. Begründet wurde die Aufhebung im wesentlichen damit, daß das Verfahren über die Erlassung der Verordnung rechtswidrig gewesen und damit auch die bescheidmäßige Bildung der Genossenschaft nicht rechtmäßig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Marktgemeinde Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und stellte für den Fall der Abweisung oder Ablehnung der Behandlung der Beschwerde den Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Für diesen Fall wurde unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit insbesondere geltend gemacht, daß die belangte Behörde von der Geltung der Verordnung vom 4. April 1991 über die Erklärung der in Frage stehenden Straße zum öffentlichen Interessentenweg auszugehen gehabt hätte und bezüglich der Zweitmitbeteiligten "zudem die Präklusionswirkungen zur Gänze" und hinsichtlich des Erstmitbeteiligten "insofern berücksichtigen (hätte) müssen, als in der Vorstellung neues Vorbringen erstattet" worden sei. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wird in der Beschwerde ausgeführt, daß entgegen den Annahmen der belangten Behörde sehr wohl ein Antrag der Genossenschafter auf Erlassung der Verordnung vom 4. April 1991 vorgelegen sei. Die belangte Behörde sei über diese Tatsache aktenwidrig hinweggegangen. Sofern sich jedoch diese Tatsache aus den Akten nicht eindeutig ergeben sollte, werde dies als "unterlassene Sachverhaltsfeststellung über einen wesentlichen Entscheidungspunkt gerügt".

Im übrigen wird ausgeführt, daß nur unter Zugrundelegung der in der Verordnung vom 4. April 1991 beschlossenen Straßenführung eine Aufstockung des Wohnhauses der mitbeteiligten Parteien möglich geworden sei, weil zur öffentlichen Verkehrsfläche R-Gasse eine Baufluchtlinie habe festgesetzt werden können und somit eine Unterschreitung der in § 25 Abs. 3 Bebauungsgrundlagengesetz festgelegten Mindestabstände möglich geworden sei. Damit hätten sich die Mitbeteiligten selbst der Rechtskraftwirkung der Verordnung vom 4. April 1991 bedient und damit die Verordnung als zum Rechtsbestand gehörend anerkannt.

Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß des bei ihm zu B 1902/93 protokollierten Beschwerdeverfahrens mit Beschluß vom 2. März 1995 gemäß Art. 139 Abs. 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung der Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 4. April 1991 eingeleitet. Mit Erkenntnis vom 2. Oktober 1995, V 57/95, hob der Verfassungsgerichtshof die genannte Verordnung als gesetzwidrig auf.

Im fortgesetzten Beschwerdeverfahren wies der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 12. Oktober 1995, B 1902/93-14, die Beschwerde nach Prüfung an Hand der durch die Aufhebung entstandenen ("bereinigten") Rechtslage ab und trat sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber, ob die beschwerdeführende Marktgemeinde durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht (außer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten) verletzt worden ist, ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zunächst ist der beschwerdeführenden Gemeinde darin beizupflichten, daß die belangte Behörde die Vorstellung der zweitmitbeteiligten Partei zurückzuweisen gehabt hätte. Berufung gegen den Bescheid vom 15. Jänner 1993 hat nur der Erstmitbeteiligte erhoben. Mangels Erschöpfung des Instanzenzuges war daher die zweitmitbeteiligte Partei nicht legitimiert, Vorstellung zu erheben.

Dadurch, daß die belangte Behörde den bei ihr bekämpften Bescheid der Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Marktgemeinde nach dem Vorspruch des angefochtenen Bescheides nicht nur auf Grund der Vorstellung des Erstmitbeteiligten, sondern auch auf Grund der Vorstellung der Zweitmitbeteiligten aufgehoben hat, kann die beschwerdeführende Gemeinde jedoch nur dann in einem Recht verletzt worden sein, wenn die Aufhebung auf Grund der Vorstellung des Erstmitbeteiligten rechtswidrig war. Da die Aufhebung des vor der Vorstellungsbehörde bekämpften Bescheides auf Grund einer Vorstellung des Erst- und der Zweitmitbeteiligten in einem Spruch, mit dem über beide Vorstellungen abgesprochen wurde, erfolgte, liegt im Beschwerdefall insoferne eine Untrennbarkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides vor, als eine Verletzung von Rechten der beschwerdeführenden Gemeinde nur dann gegeben sein kann, wenn die Aufhebung des Gemeindebescheides weder auf Grund der Vorstellung des Erstmitbeteiligten, noch auf Grund der Vorstellung der Zweitmitbeteiligten zulässig war. Mangels Vorliegens eines Berufungsantrages der Zweitmitbeteiligten folgt aus der Bestätigung des angefochtenen Bescheides auch nicht, daß sich aus dem (aufhebenden) angefochtenen Bescheid etwa eine Verpflichtung der Gemeindebehörden zur Entscheidung über einen Antrag der Zweitmitbeteiligten ergäbe. Die beschwerdeführende Gemeinde ist daher durch die Nichtwahrnehmung der mangelnden Legitimation der Zweitmitbeteiligten nicht in ihren Rechten verletzt.

2. Zur Frage, ob die Aufhebung des letztinstanzlichen Gemeindebescheids aufgrund der zulässigen Vorstellung des Erstmitbeteiligten rechtmäßig war, ist folgendes auszuführen:

Auf Grund der Aufhebung der Verordnung der Gemeindevertretung der beschwerdeführenden Gemeinde vom 4. April 1991 mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 1995, V 57/95, ist auf das Beschwerdevorbringen im Zusammenhang mit der Frage der Bindungswirkung dieser Verordnung für die belangte Behörde nicht weiter einzugehen. Gemäß Art. 139 Abs. 6 B-VG sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden, wenn eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden ist. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände MIT AUSNAHME DES ANLAßFALLES ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Die in Art. 139 Abs. 6 zweiter Satz B-VG genannte Rechtsfolge der Anwendung der aufgehobenen Verordnung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände "mit Ausnahme des Anlaßfalles" bedeutet, daß auch der Verwaltungsgerichtshof den vorliegenden Beschwerdefall, der den Anlaßfall für die Aufhebung der Verordnung betrifft, an Hand der bereinigten Rechtslage zu beurteilen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. April 1991, Zl. 90/17/0011). Es ist daher davon auszugehen, daß bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides sachverhaltsmäßig davon auszugehen ist, daß die Verordnung vom 4. April 1991 nicht zugrunde gelegt werden kann.

3. § 37 Salzburger Landesstraßengesetz 1972 lautet:

" Von den öffentlichen Interessentenstraßen

§ 37

(1) Die Interessentenstraßen vermitteln den öffentlichen Verkehr von Siedlungen mit den öffentlichen Straßen und erlangen und verlieren ihre Eigenschaft als öffentliche Interessentenstraße durch Verordnung der Straßenrechtsbehörde.

(2) Der Bau einer Interessentenstraße oder die Übernahme einer bestehenden Straße als Interessentenstraße und die Erhaltung der Straße kommt einer Weggenossenschaft derjenigen zu, in deren Interesse die Straße errichtet wird oder besteht.

(3) Die Bildung und Auflassung der Genossenschaft und die Bezeichnung ihrer Mitglieder ist mit Bescheid der Straßenrechtsbehörde zu bewirken."

Gemäß § 38 Abs. 1 Slbg. LStrG 1972 braucht die Genossenschaft Satzungen; diese müssen den in § 38 Abs. 1 LStrG 1972 näher genannten Inhalt aufweisen.

Aus § 37 Slbg. LStrG 1972 ist zu schließen, daß einerseits nach Erklärung einer Straße zur öffentlichen Interessentenstraße gemäß § 37 Abs. 1 zwingend eine Genossenschaft gemäß § 37 Abs. 2 und 3 zu bilden ist, daß aber umgekehrt die Bildung einer derartigen Genossenschaft eine Verordnung gemäß § 37 Abs. 1 Slbg. LStrG 1972 voraussetzt (vgl.das hg. Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/06/0046, und in diesem Sinne auch zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Tiroler Straßengesetz 1951 das hg. Erkenntnis vom 22. September 1993, Zl. 90/06/0061).

Daraus ergibt sich, daß bei einer gemäß Art. 139 Abs. 6 B-VG gebotenen Beurteilung anhand der bereinigten Rechtslage (also unter Außerachtlassung der Verordnung vom 4. April 1991) die Aufhebung des Berufungsbescheides betreffend die Bildung der Genossenschaft durch die belangte Behörde zutreffend war.

Soweit in der Beschwerde auf § 41 Abs. 1 Slbg. LStrG 1972 Bezug genommen wird ist darauf hinzuweisen, daß auch nach einer Antragstellung nach § 41 Abs. 1 Slbg. LStrG 1972 und einer entsprechenden behördlichen FESTSTELLUNG gemäß § 41 Abs. 2 eine Erklärung zur öffentlichen Interessentenstraße durch eine Verordnung gemäß § 37 Abs. 1 Slbg. LStrG zu erfolgen hat. Die Bildung der Interessentengenossenschaft kann auch in diesem Fall nur bei Vorliegen der entsprechenden Verordnung erfolgen. Die diesbezüglichen Ausführungen sind daher nicht geeignet, die Zulässigkeit der Bildung einer Genossenschaft gemäß § 37 Abs. 2 und 3 Slbg. LStrG 1972 nachzuweisen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist daher die Aufhebung des Bescheides vom 15. Jänner 1993 durch die belangte Behörde nicht rechtswidrig.

4. Auch die Ausführungen betreffend die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beziehen sich auf die Frage einer allfälligen Antragstellung nach § 41 Abs. 1 Slbg. LStrG 1972. Auch diesbezüglich gilt das Vorgesagte (da die entsprechende Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde, erübrigt sich auch diesbezüglich ein näheres Eingehen auf diese Ausführungen). Das Gleiche gilt für den Vorwurf, es sei aktenwidrig vom Fehlen eines Antrages auf Bildung der Genossenschaft ausgegangen worden, da dieser Frage angesichts des Fehlens der erforderlichen Verordnung gemäß § 37 Abs. 1 leg. cit. im Beschwerdefall keine Bedeutung mehr zukommt.

5. Da somit die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen und dies bereits auf Grund des Inhaltes der Beschwerde ersichtlich ist, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Schlagworte

Trennbarkeit gesonderter Abspruch Zuständigkeit der Vorstellungsbehörde Verhältnis zwischen gemeindebehördlichem Verfahren und Vorstellungsverfahren Rechtsstellung der Gemeinde im Vorstellungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995060248.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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