TE Vfgh Beschluss 1994/6/13 V96/93

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Veröffentlicht am 13.06.1994
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/02 Strafvollzug

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung eines Erlasses betreffend die Berichtspflicht von Justizanstalten an den Bundesminister mangels Eingriff in die Rechtssphäre des inhaftierten Antragstellers; Abweisung des Antrags auf Akteneinsicht mangels rechtlichen Interesses

Spruch

Der Individualantrag wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf uneingeschränkte Akteneinsicht wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Der Antragsteller, der zur Zeit in der Justizanstalt Mittersteig eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, legt in seinem Antrag dar, daß er aufgrund einer Bewilligung der Leiterin der Strafvollzugsbehörde I. Instanz in den Monaten Juli, August, September und Oktober 1993 seinen minderjährigen Sohn in der mütterlichen Wohnung habe besuchen können. Der derzeitige Leiter der Justizanstalt habe jedoch nun dem anwaltlichen Vertreter des Antragstellers eröffnet, er "könne auf Grund einer generellen Weisung des Ministeriums ... keinerlei Vollzugserleichterungen, welcher Art immer, daher auch nicht eine Ausführung gemäß §98 Abs2 StVG., genehmigen".

Bei dieser generellen Weisung handle es sich um den "'Erlaß' der Antragsgegnerin JMZl. 43.803/19 V/1993, womit sämtliche Bewilligungen für Vollzugserleichterungen (Bewilligungen zum Freigang nach §126 Abs3 StVG., Bewilligung für 'Sozialtraining', d. s. Ausführungen nach §98 Abs2 StVG. im privaten Interesse des jeweiligen Strafgefangenen oder Untergebrachten), die durch die Justizanstalt MITTERSTEIG als Strafvollzugsbehörde I.Instanz bis zum 29. November 1993 erteilt worden waren, 'widerrufen' wurden." Durch diesen, vom Antragsteller als Verordnung gewerteten, Erlaß werde "ohne jede Rechtsgrundlage, demnach grob rechtswidrig, in bestehende Rechte eingegriffen". Es werde daher beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen sowie "die als 'Erlaß' bezeichnete Verordnung des Bundesministeriums für JUSTIZ, JMZl. 43.803/19 V/1993, als gesetzwidrig aufzuheben" und den Bund schuldig zu erkennen, die Verfahrenskosten zu bezahlen.

2. Der Bundesminister für Justiz hat die Erlaßakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in welcher er das Vorliegen der Legitimation des Antragstellers verneint.

2.1. Der bekämpfte Erlaß richtet sich an die Präsidenten der in Strafsachen tätigen Gerichtshöfe I. Instanz als Vollzugsoberbehörden sowie an die Leiter und Leiterinnen der Justizanstalten, der Justizwachschule, des Fortbildungszentrums Strafvollzug, des Zentralen Wirtschaftsamtes (Strafvollzug) beim BMJ und des Massafonds der Justizwache (Geschäftsführer). Er betrifft die "Berichterstattung über unbewachte Aufenthalte sicherheitsgefährlicher Insassen außerhalb der Justizanstalten" und hat folgenden Wortlaut:

"I. Das Bundesministerium für Justiz ersucht, vor der erstmaligen Gewährung unbewachter Aufenthalte außerhalb einer Justizanstalt (Freigänge, Ausgänge, sozialtherapeutische Maßnahmen usw.) rechtzeitig und umfassend über ein solches Vorhaben zu berichten und zwar

1.

in den Justizanstalten Wien-Mittersteig (samt Außenstelle) und Göllersdorf hinsichtlich aller Insassen

2.

in allen übrigen Justizanstalten hinsichtlich jener Insassen, die

2.1. wegen psychischer Besonderheiten besonders verwahrt und betreut werden (§129 StVG) oder im Maßnahmenvollzug gemäß §§21 Abs1 und 2, 23 StGB angehalten werden oder

2.2. verurteilt worden sind

2.2.1. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe

2.2.2. zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 5 Jahren wegen

2.2.2.1. einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben nach den §§75, 76, 82, 86, 87, 92 und 93 StGB

2.2.2.2. einer strafbaren Handlung gegen die Freiheit nach §§99, 102 und 103 StGB

2.2.2.3. oder einer sonstigen mit Vorsatz begangenen strafbaren Handlung, sofern diese den Tod eines Menschen zur Folge hatte

2.2.3. zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr wegen einer strafbaren Handlung gegen die Sittlichkeit nach den §§201 bis 207 StGB.

Nicht erfaßt von dieser Berichtspflicht sind Ausgänge nach §147 StVG, die nicht früher als 3 Monate vor dem bereits feststehenden Entlassungstermin gewährt werden.

Die Berichte sind so rechtzeitig zu erstellen, daß sie spätestens am 10. Arbeitstag vor Durchführung der beabsichtigten Maßnahmen beim Bundesministerium für Justiz einlangen (allenfalls durch Telefax).

Die Berichte haben zu enthalten:

A. Ablichtungen der 1. Seite des Umschlages des Personalaktes und der Strafregisterauskunft

B. Ablichtungen aller der Anstalt vorliegenden psychiatrischen und psychologischen Gutachten aus Gerichtsverfahren, soweit sie nicht bereits der Klassifizierung zugrundelagen, sowie von Gerichtsbeschlüssen betreffend die bedingte Entlassung

C. Stellungnahme des Anstaltsleiters zur Person des Insassen unter besonderer Berücksichtigung

a) allfälliger besonderer Vorkommnisse während des bisherigen Vollzuges der Haft

b) allfälliger Ordnungsstrafen

D. Stellungnahme des zuständigen Abteilungskommandanten und Werkstättenbeamten über allfällige Verhaltensauffälligkeiten

E. Stellungnahme des psychiatrischen, psychologischen und sozialen Dienstes

F. allfällige Stellungnahmen sonstiger Personen und Dienste, mit denen der betroffene Insasse laufend Kontakt hatte.

II. Treten nach der Gewährung eines unbewachten Aufenthaltes außerhalb der Justizanstalt Umstände auf, die die abermalige Gewährung eines solchen Aufenthaltes bedenklich erscheinen lassen (z.B. Gewalttätigkeiten, Fluchtversuche), so ist ergänzend zu berichten. Solche Berichte haben nur jene Unterlagen zu enthalten, die bislang nicht vorgelegt worden sind.

III. Hinsichtlich Insassen, auf welche die unter Punkt I 1. und 2. genannten Voraussetzungen zutreffen und denen der unbewachte Aufenthalt außerhalb der Anstalt bereits bewilligt ist, ist dem Bundesministerium für Justiz bis längstens 1. Dezember 1993, 12.00 Uhr, zu berichten (mit Telefax).

26. November 1993

Für den Bundesminister:

MANN"

2.2. Der Bundesminister für Justiz führt in seiner Äußerung insbesondere aus:

    "... Die bis Ende November 1993 bestellte Leiterin der

Justizanstalt Wien-Mittersteig ermöglichte aufgrund ihres

persönlichen Engagements dem Antragsteller, das Kind ... zu

besuchen, wobei sie persönlich die Begleitung des Antragstellers übernahm. Der seit Dezember 1993 mit der Führung der Justizanstalt Wien-Mittersteig betraute Anstaltsleiter sieht sich nicht veranlaßt, die von der früheren Anstaltsleiterin in dieser Sache gehandhabte Vorgangsweise weiterzuführen.

Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang 'rechtswidrige Eingriffe in wohlerworbene Rechte' behauptet, ist diesbezüglich ein von ihm im Jänner 1994 angestrengtes Beschwerdeverfahren (§§120, 121 StVG) im Bundesministerium für Justiz (JMZ 418.392/219-V7/94) anhängig.

Mit Erlaß vom 26.11.1993, JMZ 43803/19-V/93, erteilte der Bundesminister für Justiz den Vollzugsbehörden erster Instanz den Auftrag, über bereits bewilligte sowie beabsichtigte unbewachte Aufenthalte sicherheitsgefährlicher Insassen außerhalb der Justizanstalten zu berichten. Die Behauptung des Antragstellers, daß durch diesen Verwaltungsakt 'sämtliche (bereits erteilte) Bewilligungen für Vollzugserleichterungen (die zum Verlassen der Anstalt führen) widerrufen worden wären', entspricht nicht den Tatsachen. Die an Organe der Vollzugsverwaltung gerichtete Weisung, über bestehende und beabsichtigte Vollzugsmaßnahmen (unbewachte Aufenthalte) zu berichten, entfaltet keine Wirksamkeit gegenüber dem Antragsteller, der im übrigen bewachte Ausführungen begehrt(e).

Nach Ansicht des Bundesministers für Justiz liegt kein der Normenkontrolle gemäß Artikel 139 B-VG zugänglicher Verwaltungsakt vor. Im übrigen hat der Antragsteller den zur Wahrung der von ihm behaupteten Rechte zumutbaren Weg einer Beschwerdeführung (§§120 f StVG) bereits beschritten. Die für einen Individualantrag gemäß Art139 B-VG notwendige Legitimation erscheint somit insgesamt nicht gegeben."

3. Der Antrag ist unzulässig.

Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988).

Es kann dahingestellt bleiben, ob der bekämpfte Erlaß Verordnungscharakter besitzt, da schon nach dem Wortlaut des in Rede stehenden Erlasses offenkundig ist, daß mit diesem bloß eine Berichtspflicht der Vollzugsbehörde I. Instanz an den Bundesminister für Justiz angeordnet wird; der angegriffene Erlaß kann daher in die dem Antragsteller behaupteterweise zukommenden Rechte nicht eingreifen. Damit aber ist die grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation aus diesem Grunde nicht gegeben.

Der Antrag ist daher allein schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen.

4. Der Antrag des Individualantragstellers auf uneingeschränkte Akteneinsicht, zu dem der Bundesminister für Justiz nach Aufforderung durch den Verfassungsgerichtshof mit Schriftsatz vom 25. Mai 1994, Z418.392/231-V.7/1994, Stellung genommen hat, ist schon deshalb mangels rechtlichen Interesses abzuweisen, weil der Antragsteller durch den von ihm bekämpften Erlaß nicht in seiner Rechtssphäre berührt wird.

5. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

Strafvollzug, VfGH / Individualantrag, VfGH / Akteneinsicht, Akteneinsicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:V96.1993

Dokumentnummer

JFT_10059387_93V00096_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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