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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision der A S in L, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher und Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 2021, W196 2129040-4/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte am 4. Oktober 2014 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Dieser Antrag wurde im Instanzenzug vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14. Februar 2018 abgewiesen und gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung erlassen (sowie weitere nach dem Gesetz vorgesehene Aussprüche getätigt).
2 Ein in weiterer Folge von der Revisionswerberin gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens blieb erfolglos.
3 Am 26. Juni 2018 stellte die Revisionswerberin den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005.
4 Mit Bescheid vom 8. September 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot, und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt.
5 Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2020 wurde die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wurde der Beschwerde hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben und sowohl dieser Spruchpunkt als auch die davon abhängigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides aufgehoben.
6 Nach weiterer Einvernahme der Revisionswerberin sowie nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens wurde der Folgeantrag auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15. Oktober 2020 abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Revisionswerberin in die Russische Föderation zulässig sei. Weiters wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
7 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Begründend ging das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - in Bezug auf die Voraussetzungen für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon aus, dass die Revisionswerberin aktuell an „rezidivierend depressiver Störung, gegenwärtig mittelgradig (F33.1), Anpassungsstörung mit einer leicht-bis mittelgradigen depressiven Reaktion (F43.2)“ leide und medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehme. Im Herkunftsstaat bestünden entsprechende Behandlungsmöglichkeiten. Aktuell bestehe kein akuter Behandlungsbedarf wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Derartige Umstände lägen nicht vor.
9 Die Revisionswerberin erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 30. November 2021, E 3801/2021-7, deren Behandlung ablehnte und sie über nachträglichen Antrag der Revisionswerberin mit Beschluss vom 12. Jänner 2022, E 3801/2021-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
10 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Die Revision wendet sich in der Begründung ihrer Zulässigkeit der Sache nach gegen die Versagung der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und macht Verfahrensmängel geltend, indem einerseits ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes Ermittlungsverfahren im Hinblick auf im Verfahren eingeführte medizinische Unterlagen und anderseits die Verletzung des Parteiengehörs zu den Länderberichten angesprochen wird.
15 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 1.2.2022, Ra 2021/20/0419, mwN).
16 Abgesehen davon, dass sich die von der Revisionswerberin aufgestellte Behauptung, eine medikamentöse Therapie ihrer schweren rezidivierenden Depression sei in der Russischen Föderation nicht erhältlich, in den Länderfeststellungen, woraus sich ergibt, dass dort psychische Krankheiten behandelbar seien und erforderliche Medikamente zur Verfügung stünden, keine Deckung findet, übersieht die Revision Folgendes:
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 9.12.2021, Ra 2021/14/0340 bis 0341, mwN).
18 Zum Erkrankungen betreffenden Aspekt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jüngst im Urteil (der Großen Kammer) vom 7. Dezember 2021, Savran/Dänemark, 57467/15, neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen. Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (vgl. dazu VwGH 25.4.2022, Ra 2021/20/0448, mwN).
19 Dass diese (hohe) Schwelle erreicht worden wäre, zeigt die Revision nicht auf, so dass es der Verfahrensrüge auch an der erforderlichen Relevanz mangelt (vgl. auch VwGH 17.2.2022, Ra 2021/20/0356, mwN).
20 Davon ausgehend versagt auch die Beweisrüge. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der - zur Rechtskontrolle berufene - Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 30.11.2021, Ra 2021/20/0350, mwN). Das Vorbringen der Revisionswerberin lässt keine - im Revisionsverfahren aufzugreifende - Unvertretbarkeit der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Beweiswürdigung erkennen.
21 Die Revisionswerberin wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung schließlich auch gegen das Unterbleiben einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Sie habe in der Beschwerde ein detailliertes Vorbringen erstattet und insbesondere auf die unvollständigen Länderberichte hinsichtlich der medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat hingewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch durch das Einholen aktualisierter Länderberichte die Feststellungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nicht bloß unwesentlich ergänzt.
22 Mit diesem Vorbringen verabsäumt es die Revision, konkret darzulegen, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung zu § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre (vgl. ausführlich zu den Kriterien für das Absehen von der mündlichen Verhandlung VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018; aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 11.10.2021, Ra 2021/20/0021 bis 0022, mwN).
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar in seiner Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass bei der Aktualisierung der Länderberichte und Ergänzung der Feststellungen eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. etwa VwGH 3.8.2020, Ra 2020/20/0083, mwN). Aber abgesehen davon, dass dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt vom 18. Mai 2021 gegenüber dem im Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ausgeführten Länderinformationsblatt mit letzter Änderung vom 27. März 2020 keine fallbezogen entscheidungswesentlichen Ergänzungen zu entnehmen sind, vermag die Revisionswerberin in der Zulässigkeitsbegründung auch nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht andere oder zusätzliche entscheidungswesentliche Feststellungen getroffen hätte und damit von den behördlichen Feststellungen abgewichen wäre.
24 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 25. April 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200044.L00Im RIS seit
03.06.2022Zuletzt aktualisiert am
21.06.2022