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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §19 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der J K in W, vertreten durch Mag. Wolfgang Ferstl, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Allerheiligengasse 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 16. Dezember 2021, Zl. LVwG-S-601/001-2021, betreffend Übertretungen des NÖ Polizeistrafgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 5. Februar 2021 wurde die Revisionswerberin - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - insgesamt neun Übertretungen des § 1 lit. a NÖ Polizeistrafgesetz schuldig erkannt, weil sie an neun näher bezeichneten Zeitpunkten am 4. Oktober 2020 zwischen 15:10 Uhr und 15:49 Uhr an neun näher bezeichneten, unterschiedlichen Orten jeweils „durch Schreien von Sprüchen gegen die COVID19 Maßnahmen sowie Verwenden eines Lautsprechers aus dem Musik ertönte was weithin hörbar war, ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt“ habe (Spruchpunkte 3 bis 10 und 12), sowie einer Übertretung des § 1 lit. b NÖ Polizeistrafgesetz, weil sie am 4. Oktober 2020 um 15:42 Uhr an einem näher bestimmten Ort „durch das Beschimpfen der einschreitenden Einsatzkräfte mit Worten wie ‚Es seits so deppad‘ den öffentlichen Anstand verletzt“ habe (Spruchpunkt 11). Über die Revisionswerberin wurden dafür nach § 1 NÖ Polizeistrafgesetz insgesamt zehn Geldstrafen von jeweils € 100 (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 20 Stunden) verhängt.
2 Die Revisionswerberin erhob dagegen Beschwerde an das Verwaltungsgericht.
3 Dieses führte eine mündliche Verhandlung durch, in der die Revisionswerberin sowie zwei Zeugen vernommen wurden, und welche sodann zur Vernehmung von weiteren Zeugen vertagt wurde.
4 Zur fortgesetzten Verhandlung erschien die Revisionswerberin nicht. Aus der Niederschrift zur Verhandlung ergibt sich, dass sie sich etwa eine Viertelstunde nach Beginn telefonisch beim Verwaltungsgericht gemeldet und dem Richter mitgeteilt habe, dass sie nicht fristgerecht kommen könne, weil „um halb fünf Uhr morgens“ (also etwa vier Stunden zuvor) ihr Zelt von der Polizei in W „weggeräumt“ worden sei. Die Frage, warum sie dies nicht früher gemeldet habe, habe sie damit beantwortet, dass sie sich um ihre Wertsachen habe kümmern müssen. Sie befinde sich nun in W. Den Hinweis des Richters darauf, dass sie an der Verhandlung (in N) teilnehmen könne, wenn sie bis zur Beendigung der Vernehmung der anwesenden Zeugen erscheine, habe sie mit der Bemerkung quittiert, dass „das Gericht nicht so kleinlich sein“ solle.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin mit einer für das Revisionsverfahren nicht weiter relevanten Maßgabe als unbegründet abgewiesen, die Revisionswerberin zur Leistung eines näher bestimmten Beitrags zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet und ausgesprochen, dass eine Revision nicht zulässig sei.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es nicht vom Vorliegen eines fortgesetzten Deliktes ausgegangen sei, eine Verhandlung in Abwesenheit der ordnungsgemäß entschuldigten Revisionswerberin durchgeführt und die Vernehmung eines beantragten, aber zunächst ebenso verhinderten Zeugen unterlassen habe.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Für das Verwaltungsstrafverfahren gilt beim Zusammentreffen mehrerer Verwaltungsübertretungen, anders als im gerichtlichen Strafverfahren, nach § 22 Abs. 2 erster Satz VStG das Kumulationsprinzip. Danach ist grundsätzlich jede gesetzwidrige Einzelhandlung, durch die der Tatbestand verwirklicht wird, als Verwaltungsübertretung zu bestrafen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs beim fortgesetzten Delikt bzw. beim Dauerdelikt. Ein fortgesetztes Delikt liegt vor, wenn eine Reihe von rechtswidrigen Einzelhandlungen aufgrund der Gleichartigkeit der Begehungsform und der Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs sowie eines diesbezüglichen Gesamtkonzepts des Täters zu einer Einheit zusammentreten. Als objektive Voraussetzungen für das Vorliegen eines fortgesetzten Deliktes müssen sowohl gleichartige Einzelhandlungen als auch ein Angriff auf dasselbe Rechtsgut gegeben sein, und die einzelnen Handlungen dürfen nicht durch einen zu großen Zeitraum unterbrochen werden. Darüber hinaus müssen die Einzelakte im Sinne der subjektiven Komponente von einem einheitlichen Willensentschluss getragen sein. Wie groß der Zeitraum zwischen den einzelnen Tathandlungen sein darf, um noch von einem fortgesetzten Delikt sprechen zu können, ist von Delikt zu Delikt verschieden und hängt im besonderen Maß von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist, dass die einzelnen Tathandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss getragen werden. Der einheitliche Willensentschluss bzw. das Gesamtkonzept des Täters ist der Entschluss, sich fortgesetzt in bestimmter Weise rechtswidrig zu verhalten, und muss alle vom Täter gesetzten Einzelhandlungen umfassen. Es handelt sich dabei um nicht mehr als ein Motiv zu wiederholtem, gleichartigem deliktischem Handeln (vgl. zu alldem VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108, je mwN).
11 Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich festgehalten, dass es sich bei den angelasteten Übertretungen des § 1 lit. a NÖ Polizeigesetz um voneinander völlig unabhängige Tatbilder handle, die situationsbezogen hinsichtlich der örtlichen Ausführung, des Erscheinungsbildes und der zeitlichen Lage spontan durch die Revisionswerberin gesetzt worden seien. Es hat damit also den nach der dargestellten Rechtsprechung für die Annahme eines fortgesetzten (Vorsatz-)Deliktes entscheidenden einheitlichen Willensentschluss ausdrücklich verneint.
12 Der Revision, die ausschließlich darauf abstellt, dass die Tathandlungen (alle) in der Fußgängerzone und in einem engen zeitlichen Zusammenhang begangen worden seien, legt damit nicht dar, dass das Verwaltungsgericht in dieser Frage von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.
13 Zur Durchführung der fortgesetzten mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Revisionswerberin ist zunächst darauf zu verweisen, dass gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses hindert. Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine ordnungsgemäße Ladung, von der dann nicht gesprochen werden kann, wenn einer der in § 19 Abs. 3 AVG genannten - das Nichterscheinen rechtfertigenden - Gründe vorliegt. Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun. Sie muss etwa im Fall einer Erkrankung nicht nur deren Vorliegen behaupten und dartun, sondern auch die konkrete Hinderung am Erscheinen aus diesem Grund (etwa wegen notwendiger Bettruhe). Die Triftigkeit des Nichterscheinens muss überprüfbar sein. Auch eine Entschuldigung etwa mit beruflicher Verhinderung bedarf näherer Ausführungen, stellt sie doch für sich genommen keinen tauglichen Rechtfertigungsgrund für das Nichterscheinen zur Verhandlung dar (vgl. zu alldem VwGH 20.12.2021, Ra 2018/08/0013, je mwN).
14 Die Revision rechtfertigt das Nichterscheinen der Revisionswerberin zum zweiten Verhandlungstermin ohne weitere Ausführungen lediglich damit, dass der „ihr erteilte Auftrag auf Räumung des Protestcamps in W“ ein zwingender Grund dafür gewesen sei. Damit zeigt sie aber nicht eine Fehlerhaftigkeit der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes auf, wonach aus den Angaben der Revisionswerberin gegenüber dem Richter noch kein triftiger Grund für ein Nichterscheinen auch noch über vier Stunden später zu erkennen gewesen sei.
15 Schließlich rügt die Revision das Unterbleiben der neuerlichen Ladung und Vernehmung eines von der Revisionswerberin beantragten, aber nicht erschienenen „Entlastungszeugen“, weil dieser aufgrund einer behördlichen Absonderung verhindert gewesen sei.
16 Hierzu genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Fall einer unterbliebenen Vernehmung - um die notwendige Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzustellen - in der Revision konkret darzulegen ist, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. etwa VwGH 7.3.2022, Ra 2021/14/0385, mwN). Eine solche Relevanzdarstellung enthält die Revision, die dazu lediglich pauschal angibt, das Verwaltungsgericht wäre bei Durchführung des Zeugenbeweises zu einem anderen Erkenntnis gelangt, nicht.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 5. Mai 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022030027.L00Im RIS seit
03.06.2022Zuletzt aktualisiert am
21.06.2022