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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §71Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des G P in M, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Reisinger, Rechtsanwalt in 8480 Mureck, Grazer Straße 1/I/8, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. Februar 2022, Zl. LVwG 40.34-757/2022-2, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags und Zurückweisung einer Vorstellung in einem Verfahren nach dem Führerscheingesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Mandatsbescheid vom 9. September 2021 war dem Revisionswerber wegen Verweigerung der Atemluftmessung auf Alkoholgehalt die Lenkberechtigung unter gleichzeitiger Anordnung begleitender Maßnahmen für sechs Monate entzogen worden.
2 Mit Bescheid vom 30. November 2021 wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid ab (Spruchpunkt I) und die unter einem erhobene Vorstellung als verspätet zurück (Spruchpunkt II).
3 Das Verwaltungsgericht wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die gegen letzteren Bescheid erhobene Beschwerde ab und sprach gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision unzulässig sei.
4 Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags wurde zusammengefasst damit begründet, dass der Revisionswerber auffallend sorglos gehandelt habe, da er einerseits die letzte Seite des (insgesamt 6-seitigen) Bescheides und damit die Rechtsmittelbelehrung nicht gelesen habe und andererseits erst 16 Tage nach Zustellung des Bescheides seinen Rechtsvertreter aufgesucht habe. Zwar sei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (Hinweis auf VwGH 15.7.2014, Ro 2014/02/0024), jedoch treffe Letzteres auf den Revisionswerber nicht zu. Über sein Einschreiten seien beim Verwaltungsgericht im Jahr 2020 Verfahren nach dem Waffengesetz geführt worden, die auf der Grundlage eines 2019 wegen § 105 Abs. 1 StGB ergangenen Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz entschieden worden seien. Angesichts seiner mehrfachen Beteiligung an gerichtlichen Verfahren habe der Revisionswerber seine Unkenntnis von der Möglichkeit, gegen einen Bescheid ein Rechtsmittel zu erheben, nicht glaubhaft gemacht.
5 Die Revision richtet sich ihrem Inhalt nach nur gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen (VwGH 27.4.2020, Ra 2019/11/0045, mwN).
9 Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Revisionswerber vor, es bestehe keine hg. Rechtsprechung dazu, „ob auch einem rechtsunkundigen Durchschnittsmenschen, der sich so wie der Revisionswerber im 81. Lebensjahr befindet und der bedingt durch sein hohes Lebensalter über gewisse Konzentrationsschwierigkeiten beim Lesen von Schriftstücken verfügt, der Fehler unterlaufen könnte, dass er nicht jede Hinterseite eines doppelseitig bedruckten Bescheides einer Behörde, der aus mehreren DIN-A4 Seiten besteht, und somit auch die Rechtsmittelbelehrung, die sich auf der Hinterseite der vorletzten Seite des Bescheides findet, lesen würde“. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei vor diesem Hintergrund im Fall des Revisionswerbers lediglich von einem minderen Grad des Versehens im Sinne leichter Fahrlässigkeit auszugehen.
10 Abgesehen davon, dass dieses Vorbringen bloß auf die Person des Revisionswerbers und seine konkrete Situation abstellt, unterliegt die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Versäumung geführt hat, grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 25.9.2018, Ra 2016/05/0018; 16.3.2022, Ra 2022/02/0014, 0015, jeweils mwN). Eine derartige Fehlbeurteilung ist im Revisionsfall nicht ersichtlich, vielmehr hat sich das Verwaltungsgericht an der vom Verwaltungsgerichtshof zu § 71 AVG entwickelten Judikatur orientiert.
11 Soweit ein Abweichen des Verwaltungsgerichts von der hg. Judikatur behauptet wird, weil es eine Unkenntnis des Gesetzes sowie einen Rechtsirrtum „für sich alleine“ nicht als Wiedereinsetzungsgrund anerkannte, ist auf den vom Verwaltungsgericht für seine Rechtsansicht zitierten hg. Beschluss vom 27. August 2014, Ro 2014/05/0030, hinzuweisen (vgl. auch VwGH 21.2.2014, Ro 2014/06/0009, mwN), aus dem sehr wohl hervorgeht, dass Unkenntnis des Gesetzes oder Rechtsirrtum für sich allein kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellt, weshalb das behauptete Abweichen von der hg. Judikatur nicht vorliegt. Zur Behauptung einer weiteren Abweichung von der hg. Judikatur dadurch, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung des Verschuldens auf den „Durchschnittsmenschen“ abstelle, ist der Revisionswerber auf die diesbezügliche ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen (vgl. etwa VwGH 9.6.2004, 2004/16/0096; 16.12.2011, 2011/02/0348; 15.11.2012, 2012/17/0219; 26.2.2014, 2012/13/0051).
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 6. Mai 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022110070.L00Im RIS seit
03.06.2022Zuletzt aktualisiert am
08.06.2022