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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §8 Abs3aBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des S J in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juli 2021, Zlen. 1. W142 2129567-3/13E und 2. W142 2129567-4/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen von Somalia, der ihm mit Bescheid vom 27. April 2016 zuerkannte Status als subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 9 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt, die mit Bescheid vom 25. April 2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen sowie der Antrag des Revisionswerbers auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.
2 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (LG) vom 28. Mai 2018 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Monaten bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt worden.
3 Mit rechtskräftigem Urteil des LG vom 20. Dezember 2019 sei der Revisionswerber wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27a Abs. 2a SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten verurteilt worden. Vom Widerruf der bedingten Nachsicht wurde abgesehen und die Probezeit auf 5 Jahre verlängert.
4 Aufgrund der wiederholten Straffälligkeit des Revisionswerbers im Bereich der Suchtmittelkriminalität, wobei ihn die erste Verurteilung sowie die offene Probezeit nicht von einer weiteren Begehung einer Straftat abhalten hätten können, stelle ein weiterer Verbleib des Revisionswerbers im Bundesgebiet eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
5 Der Verurteilung vom 28. Mai 2018 sei zugrunde gelegen, dass der Revisionswerber auf einer öffentlichen Verkehrsfläche von etwa 30 Personen wahrnehmbar Suchtgift (näher bezeichnetes Cannabiskraut) in Form eines „Baggys“ gegen Entgelt an einen Polizeiinspektor zu überlassen versucht habe.
6 Bei den mit Urteil vom 20. Dezember 2019 geahndeten Vergehen habe der Revisionswerber am 7. November 2019 Cannabiskraut auf einer öffentlichen Verkehrsfläche im Bereich einer U-Bahnstation und von 30 Personen wahrnehmbar anderen Personen gegen Entgelt überlassen. Zudem habe der Revisionswerber seit August 2019 bis zum Tatzeitpunkt Cannabiskraut wiederholt zum Eigenkonsum erworben und besessen.
7 Dem Revisionswerber sei zugutezuhalten, dass er seit der Entlassung aus der Strafhaft nicht mehr straffällig geworden sei und wieder einer Beschäftigung nachgehe. Allerdings befinde sich der Revisionswerber nach wie vor in der Probezeit. Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festhalte, habe sich der Revisionswerber hinsichtlich seiner Verurteilungen äußerst uneinsichtig gezeigt, die begangenen Straftaten zum Teil bestritten und sich dabei in Widersprüche verstrickt. Dies zeige, dass der Revisionswerber das Unrecht seiner Straftaten nicht einsehe und auch keine ernsthafte Reue zu ersehen sei. Vielmehr sei ersichtlich, dass er nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, sodass auch in Zukunft die Begehung weiterer vergleichbarer Straftaten zu prognostizieren sei. Die belangte Behörde habe demnach zu Recht eine „negative Zukunftsprognose“ festgestellt.
8 Zur Rückkehrentscheidung führte das BVwG im Wesentlichen nach Vornahme einer Interessenabwägung aus, die Interessen der Republik Österreich unter anderem an der Verhinderung weiterer Straftaten wögen im gegenständlichen Fall „höher“ als die persönlichen Interessen des Revisionswerbers.
9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 22. September 2021, E 3134/2021-5, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 11. Oktober 2021, E 3134/2021-7, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
10 Begründend führte der VfGH im erstgenannten Beschluss unter anderem aus:
„Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiegt (vgl. VfSlg. 19.086/2010).“
Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Die Revision behauptet zu ihrer Zulässigkeit ein Abweichen von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht, weil sich das BVwG zur Vornahme einer Gefährdungsprognose nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber hätte verschaffen müssen, zumal seit der Einvernahme bei der belangten Behörde eineinhalb Jahre vergangen seien. Auch für die Erlassung der Rückkehrentscheidung hätte sich das BVwG einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen müssen.
15 Bei der im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung, ob eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gegeben ist, ist auf das Wesentliche zusammengefasst zu prüfen, ob sich nach Art und Schwere der Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden ziehen lässt (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/01/0109, mwN).
16 Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daher daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. zu allem VwGH 19.10.2021, Ra 2020/14/0562, mwN).
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz wiederholt und unter Verweis auf die Rechtsprechung festgehalten, dass jene ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hingewiesen, der Drogenhandel als Plage [„scourge“] bezeichnet und daher ein hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt (vgl. VwGH 26.5.2021, Ra 2021/01/0159, mit Verweis auf EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland, 40495/15, Z 110).
18 Ferner entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es grundsätzlich im Fall von strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel neben dem Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens bedarf, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können.
Die Bestimmung des - auch vorliegend herangezogenen - § 27 Abs. 2a SMG sieht eine Qualifikation für den Drogenhandel im öffentlichen Raum vor (vgl. zu allem wiederum VwGH 19.10.2021, Ra 2020/14/0562).
19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zu. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0043, mwN).
20 Dass das BVwG im vorliegenden Einzelfall angesichts der mehrmaligen Straffälligkeit des Revisionswerbers und der damit einhergehenden Verurteilungen wegen Suchtgiftdelinquenz nicht von einem solchen eindeutigen Fall ausgehen durfte, zeigt die Revision nicht auf.
21 Die Revision vermag mit ihrem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung somit nicht darzulegen, dass kein eindeutiger Fall sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) vorgelegen sei und damit das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, nach denen gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer Verhandlung Abstand genommen werden darf (vgl. nochmals VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0043, mwN).
22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
23 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 6. Mai 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010377.L00Im RIS seit
03.06.2022Zuletzt aktualisiert am
21.06.2022