Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §20 Abs1Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision 1. des O J, 2. der Z I, 3. des mj. M K, 4. der mj. O K, 5. des mj. R K, 6. der mj. S K, und 7. der mj. M K, alle in B, alle vertreten durch Mag. Stefan Huber, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 9a, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2021, Zlen. 1. L507 2151664-1/19E, 2. L507 2151668-1/22E, 3. L507 2151674-1/22E, 4. L507 2151679-1/15E, 5. L507 2151687-1/15E, 6. L507 2151569-1/16E und 7. L507 2151671-1/15E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Die Revision wird hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Sache die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
2 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof sowie eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
3 Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 28. Februar 2022, E 2047-2053/2021-13, wurde das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 7. April 2021 aufgehoben, soweit damit die Beschwerde der Revisionswerber gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebungen in den Irak und gegen die Festsetzung 14-tägiger Fristen für die freiwilligen Ausreisen als unbegründet abgewiesen wird.
4 Im Übrigen - sohin hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten - wurde die Behandlung der Beschwerde vom VfGH abgelehnt.
Zu I:
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten vor, die Zweitrevisionswerberin habe in der Verhandlung vor dem BVwG einen drohenden Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung iSd § 20 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) behauptet. Indem das BVwG dennoch durch einen Richter männlichen Geschlechts verhandelt und entschieden habe, sei die Zweitrevisionswerberin in ihren Rechten verletzt worden. In diesem Zusammenhang stelle sich die Rechtsfrage, „wie konkret die Behauptung eines Eingriffes in die sexuelle Selbstbestimmung vor dem BFA bzw. in der Beschwerde zu sein hat“, um den Anspruch nach § 20 AsylG 2005 nach sich zu ziehen. Ebenso stelle sich „im Übrigen“ die Rechtsfrage nach der Verfassungskonformität des § 20 Abs. 2 AsylG 2005, „sollte es dieser Opfern von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung tatsächlich verunmöglichen, eine Einvernahmesituation, die ihrer speziellen Situation und ihren besonderen Bedürfnissen entspricht, auch zu einem späteren Zeitpunkt im Verfahren zu erhalten“.
9 Zu diesem Vorbringen, das in weiten Teilen revisionsgründeartig erstattet wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG insbesondere dann nicht entsprochen wird, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 24.3.2021, Ra 2021/01/0086, mwN).
10 Soweit § 20 Abs. 2 AsylG 2005 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung abstellt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass eine Rechtssache, in der ein Asylwerber einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung spätestens in der Beschwerde geltend macht, gleich bei Beschwerdeanfall und nicht erst dann, wenn sich nach dessen Prüfung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als notwendig erweist, einem Einzelrichter desselben Geschlechts zur Behandlung zuzuweisen ist, sofern der Asylwerber nicht anderes verlangt. Die Zuständigkeit wird also bereits durch die entsprechende Behauptung vor dem BFA oder in der Beschwerde begründet, ohne dass dabei eine nähere Prüfung der Glaubwürdigkeit zu erfolgen hätte oder bereits ein Zusammenhang mit dem konkreten Fluchtvorbringen herzustellen wäre (vgl. VwGH 26.5.2021, Ro 2020/19/0002-0007, mwH ua auf Rechtsprechung des VfGH).
11 Der eindeutige Wortlaut des § 20 Abs. 2 AsylG 2005 stellt dabei klar, dass Abs. 1 leg. cit. für Verfahren vor dem BVwG nur gilt, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen (vgl. zu diesem Anwendungsbereich des § 20 AsylG 2005 bereits VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314).
12 Vorliegend behauptet die Revision selbst, dass die Zweitrevisionswerberin einen drohenden Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung iSd § 20 AsylG 2005 erst in der Verhandlung vor dem BVwG behauptet hat. Schon ausgehend davon stellt sich die für die Zulässigkeit der Revision behauptete Rechtsfrage nach der Konkretisierung der Behauptung nach § 20 AsylG 2005 nicht.
13 Soweit die Revision pauschal vorbringt, es stelle sich „im Übrigen“ die Rechtsfrage nach der Verfassungskonformität des § 20 Abs. 2 AsylG 2005, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der VfGH im zitierten Erkenntnis vom 28. Februar 2022, E 2047-2053/2021-13, hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten die Behandlung der Beschwerde abgelehnt hat. Auch können verfassungsrechtliche Rechtsfragen nicht zur Zulässigkeit der Revision führen (vgl. etwa VwGH 1.12.2021, Ra 2021/02/0237, mwN).
14 Die Revision bringt weiter zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 3.8.2020, Ra 2020/20/0034) abgewichen, in welcher sich der Verwaltungsgerichtshof „näher mit Länderberichten zur Situation sunnitischer Staatsbürger in Bagdad auseinandergesetzt“ habe. Vor dem Hintergrund der vom BVwG vorliegend getroffenen Länderfeststellungen sei eine Gruppenverfolgung sunnitischer Araber „im Übrigen“ nicht auszuschließen.
15 Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, je nach den individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen hat. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch festgehalten, dass die Glaubhaftmachung des Fluchtvorbringens einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt und im Allgemeinen nicht revisibel ist (vgl. VwGH 23.2.2022, Ra 2022/01/0025, mwN aus der ständigen Rechtsprechung).
16 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in dem von der Revision zitierten Erkenntnis nur davon gesprochen, dass die (dort einzelfallbezogen getroffenen) Länderfeststellungen die (dortige) Einschätzung des BVwG „jedenfalls nicht ohne Weiteres“ tragen und das (dortige) Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben (vgl. VwGH 3.8.2020, Ra 2020/20/0034, Rn. 11 und 13). Eine Abweichung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt daher schon aus diesem Grund nicht vor (vgl. im Übrigen auch VwGH 20.12.2021, Ra 2021/20/0262, wo der Verwaltungsgerichtshof fallbezogen zur dort behaupteten Gruppenverfolgung von Sunniten in Bagdad darauf hingewiesen hat, dass nach der EASO Country Guidance von Jänner 2021 allein der Umstand, dass eine Person arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitischen Glaubens ist, für sich genommen nicht zur Verfolgung führt).
17 Soweit die Revision zuletzt in weiten Teilen revisionsgründeartig eine unvertretbare Beweiswürdigung behauptet, ist wiederum darauf hinzuweisen, dass dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG insbesondere dann nicht entsprochen wird, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. nochmals etwa VwGH 24.3.2021, Ra 2021/01/0086, mwN).
18 Im Übrigen soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für viele VwGH 21.7.2021, Ra 2021/01/0223-0224, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung legt die Revision nicht dar.
19 In der Revision werden somit insoweit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
20 Sie war daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Zu II:
21 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
22 Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt u.a. dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. etwa VwGH 13.12.2021, Ra 2021/01/0123-0126, mwN).
23 Auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes erklärten die Revisionswerber, sie seien im Umfang der Revisionspunkte betreffend die Verletzung im Recht auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und im Recht, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen erlassen wird, klaglos gestellt.
24 Soweit sich die Revisionswerber in dieser Stellungnahme weiterhin in ihrem gemäß § 3 AsylG 2005 gewährleisteten Recht auf Zuerkennung des Status als Asylberechtigte verletzt erachten, ist auf die obigen Ausführungen unter I. hinzuweisen.
25 Insoweit sie sich weiterhin in ihrem gemäß „§ 37 AVG iVm § 18 AsylG 2005 gewährleisteten Recht“ verletzt erachten, ist darauf hinzuweisen, dass die Verletzung von Verfahrensvorschriften als solche keinen Revisionspunkt darstellt, sondern zu den Revisionsgründen (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) zählt (vgl. etwa VwGH 6.6.2019, Ra 2018/20/0432, mwN).
26 Die Revision war daher im übrigen Umfang als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
27 Gemäß § 53 Abs. 1 VwGG ist bei Anfechtung eines Erkenntnisses oder Beschlusses durch mehrere Revisionswerber in einer Revision die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz so zu beurteilen, als ob die Revision nur vom erstangeführten Revisionswerber eingebracht worden wäre. Diese Bestimmung gilt jedoch nur für den Fall, dass die Revisionen aller Revisionswerber dasselbe Schicksal teilen, was hier der Fall ist (vgl. etwa VwGH 7.5.2020, Ro 2019/18/0004, sowie VwGH 3.9.2018, Ra 2017/01/0206-0207, mwN; vgl. idS auch etwa VwGH 3.2.2022, Ra 2020/18/0185-0188, oder VwGH 3.2.2022, Ra 2020/18/0165-0170). Das Mehrbegehren war daher abzuweisen (vgl. wiederum VwGH Ra 2017/01/0206-0207, mwN).
Wien, am 9. Mai 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010184.L00Im RIS seit
03.06.2022Zuletzt aktualisiert am
21.06.2022