RS Vfgh 2021/3/10 G288/2020 (G288/2020-10)

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Veröffentlicht am 10.03.2021
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Index

L5050 Schulbau, Schulerhaltung

Norm

B-VG Art14 Abs3
B-VG Art15 Abs6
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
Stmk PflichtschulerhaltungsG 2004 §35 Abs1, Abs2
Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG §8 Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung einer ausführungsgesetzlichen Bestimmung des Steiermärkischen PflichtschulerhaltungsG 2004 wegen Verstoßes gegen das Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG mangels Einschränkung der Pflicht zur Vorschreibung eines Gastschulbeitrages lediglich für (bestimmte) Gebietskörperschaften

Rechtssatz

Grundsatzgesetzwidrigkeit des §35 Abs1 und Abs2 Stmk PflichtschulerhaltungsG 2004 (StPEG 2004) idF LGBl 102/2006. Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 31.12.2021. Im Übrigen: Zurückweisung des Antrags des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG). Im zugrunde liegenden Anlassverfahren wurde der Marktgemeinde Neustift an der Lafnitz von der Stadtgemeinde Hartberg mit Bescheid ein Gastschulbeitrag iSd §35 Abs1 StPEG 2004 für das Haushaltsjahr 2020 in der Höhe von € 1.325,- vorgeschrieben. Das LVwG geht daher denkmöglich davon aus, dass es bei der Prüfung, ob diese Vorschreibung eines Gastschulbeitrages zu Recht erging, §35 Abs1 StPEG 2004 anzuwenden hat. Aus der Antragsbegründung sowie der wörtlichen Wiedergabe des §35 leg cit ist unzweifelhaft erkennbar, dass §35 Abs1 bzw §35 StPEG 2004 in der Fassung LGBl 102/2006 angefochten werden soll. Da die vom LVwG behauptete Verfassungswidrigkeit nur durch eine Aufhebung von §35 Abs1 und 2 StPEG 2004 beseitigt werden können, ist der Anfechtungsumfang des Hauptantrages zu eng gewählt. §35 Abs1 und Abs2 StPEG 2004 steht in einem untrennbaren Regelungszusammenhang, weil sich im Falle der Aufhebung von §35 Abs1 StPEG 2004 aus §35 Abs2 iVm §37 Abs1 StPEG 2004 eine unbedingte Pflicht zur Vorschreibung von Pflichtschulbeiträgen ergeben würde. Der erste Eventualantrag grenzt den Anfechtungsumfang dagegen zutreffend ein, soweit er sich gegen §35 Abs1 und 2 StPEG 2004 richtet. Diese Bestimmungen stehen offenkundig nicht in einem Zusammenhang mit §35 Abs3 StPEG 2004, weshalb sich der erste Eventualantrag, soweit er sich gegen §35 Abs3 StPEG 2004 richtet, als unzulässig erweist.

Verstoß des §35 Abs1 StPEG 2004 gegen Art14 Abs3 iVm Art15 Abs6 B-VG und §8 Abs2 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG:

Aus dem Wortlaut des §8 Abs2 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG ergibt sich, dass nicht jede Beziehung einer Gebietskörperschaft zu einer Pflichtschule eine Beteiligung im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Der Grundsatzgesetzgeber hebt einen Fall der Beteiligung (Zugehörigkeit mehrerer Gebietskörperschaften zu einem Schulsprengel) hervor und spricht anschließend von einer Beteiligung der Gebietskörperschaft "in sonstiger Weise". Der vom Grundsatzgesetzgeber gebrauchte Ausdruck "Beteiligung" vermittelt dadurch deutlich, dass es sich bei der Beteiligung jedenfalls um eine unmittelbare Beziehung der Gebietskörperschaft zur öffentlichen Pflichtschule handeln muss.

Der VfGH hat in seiner Entscheidung VfSlg 18785/2009 ausführlich dargelegt, dass der Landesausführungsgesetzgeber für den Fall, dass keine Beteiligung einer Gebietskörperschaft an einer öffentlichen Pflichtschule vorliegt, die Gebietskörperschaft unter den im §8 Abs2 dritter Satz Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG genannten Voraussetzungen zu Umlagen oder Schulerhaltungsbeiträgen heranziehen kann, wenn sich die Sprengelzugehörigkeit nach dem Wohnort richtet. Gemäß §21 Abs1 StPEG 2004 sind dabei jene Schulpflichtigen sprengelangehörig, die - wenn auch nur zum Zwecke des Schulbesuches - im Schulsprengel wohnen.

§8 Abs2 dritter Satz Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG räumt dem Landesausführungsgesetzgeber die Möglichkeit ein, in drei verschiedenen Fallkonstellationen Umlagen und Schulerhaltungsbeiträge an Gebietskörperschaften auch dann vorzuschreiben, wenn diese Gebietskörperschaften weder zu einem Schulsprengel gehören noch an einer öffentlichen Pflichtschule in sonstiger Weise beteiligt sind, und zwar

1. wenn Schulpflichtige, deren Hauptwohnsitz außerhalb des Schulsprengels gelegen ist, lediglich zum Schulbesuch innerhalb des Schulsprengels wohnen

2. wenn Schulpflichtige, deren Hauptwohnsitz außerhalb des Schulsprengels gelegen ist, auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt innerhalb des Schulsprengels wohnen oder

3. wenn Schulpflichtige, deren Hauptwohnsitz außerhalb des Schulsprengels gelegen ist, mit Zustimmung des Schulerhalters der sprengelmäßig zuständigen Schule eine sprengelfremde Schule besuchen.

Für den Fall, dass der Landesausführungsgesetzgeber die Vorschreibung von Umlagen oder Schulerhaltungsbeiträgen für Schulpflichtige, deren Hauptwohnsitz außerhalb des Schulsprengels gelegen ist und die eine sprengelfremde Schule besuchen, vorsehen will, hat dieser - abgesehen von den beiden in §8 Abs2 Z1 und Z2 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG genannten Fällen - gemäß §8 Abs2 vierter Satz Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG stets das Erfordernis der Zustimmung des Schulerhalters der sprengelmäßig zuständigen Schule vorzusehen.

Gemäß §37 Abs1 StPEG 2004 haben die gesetzlichen Schulerhalter bis 30.11. jedes Jahres die Schulerhaltungsbeiträge und Gastschulbeiträge gemäß den §§29, 30 und 35 leg cit für den voraussichtlichen Schulsachaufwand des folgenden Kalenderjahres den beitragspflichtigen Gemeinden mit Bescheid vorzuschreiben.

§35 Abs1 StPEG 2004 führt die Bundesgrundsatzbestimmung des §8 Abs2 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG landesgesetzlich aus. §8 Abs2 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG trifft eine abschließende Regelung der Kostenbeteiligung sprengelfremder Gebietskörperschaften. Gemäß §35 Abs1 StPEG 2004 sind für nicht dem Schulsprengel angehörige Schulpflichtige vom Erhalter der aufnehmenden Schule jährlich Gastschulbeiträge vorzuschreiben.

Die Wohnsitzgemeinde ist zur Entrichtung des Gastschulbeitrages gemäß §35 Abs1 StPEG 2004 verpflichtet, sofern nicht eine Vereinbarung gemäß §30 Abs5 StPEG 2004 abgeschlossen ist.

Eine Einschränkung der Pflicht zur Vorschreibung eines Gastschulbeitrages lediglich für Gebietskörperschaften, die zu einem Schulsprengel gehören oder in "sonstiger Weise" an einer öffentlichen Pflichtschule beteiligt sind oder für nicht beteiligte Gebietskörperschaften gemäß §8 Abs2 vierter Satz Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG findet sich in §35 Abs1 StPEG 2004 nicht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Schulerhaltungsbeiträge, Pflichtschulen, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Fristsetzung, Schulsprengel, Schulorganisation, Kostentragung, Schulen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G288.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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