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AbgabenverfahrenNorm
AVG §56 implizitBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kadecka und die Hofräte Dr. Reichel, Dr. Seiler, Dr. Großmann und Dr. Schubert als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesgerichtsrat Dr. Gerhard, über die Beschwerde der MH in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. Herbert Stegmüller in Wien I, Schottenring 28/1/4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 28. März 1977, Zl. GA 7 - 1643/11/76, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach der Sachverhaltsannahme der belangten Behörde, die sich mit den in den Verwaltungsakten erliegenden Abgabenerklärungen deckt, betrieb die Beschwerdeführerin, in der Zeit vom 1. September 1973 bis 31. Mai 1974 in W. gemeinsam mit dem aus Jugoslawien gebürtigen M. B. eine Gastwirtschaft in der Form einer Erwerbsgesellschaft nach bürgerlichem Recht. Sie hatte am 4. April 1975 ein Ansuchen um Nachsicht von Umsatzsteuervorauszahlungen eingebracht, das vom zuständigen Finanzamt abgewiesen worden war. Nach Ergehen des Umsatzsteuerbescheides für 1974 wandte sie sich mit einer „Gnadenbitte“ an das Bundesministerium für Finanzen. Darin machte sie im wesentlichen geltend, von B. betrogen worden zu sein. Sie sei nicht in der Lage, die Umsatzsteuerschuld von S 36.167,-- zu bezahlen, wogegen B., der „das Weite gesucht“ habe, diesen Betrag jederzeit bezahlen könne, weil er in Jugoslawien Vermögen besitze.
Das Finanzamt wertete diese Eingabe als Ansuchen um Bewilligung einer Nachsicht für die noch aushaftende Abgabenschuld im Betrage von S 33.963,-- und wies es mit Bescheid vom 17. Mai 1976 mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen des § 236 BAO nach wie vor nicht gegeben seien. Hierauf richtete die Beschwerdeführerin eine als „Einspruch“ gegen diesen Bescheid bezeichnete Eingabe an das Bundesministerium für Finanzen, in der sie einwendete, daß das bisher Vorgebrachte genügen müßte, um ihrem Nachsichtsansuchen stattzugeben. Weitere Ausführungen bezogen sich auf B. und dessen angebliche Betrügereien sowie auf namentlich genannte dritte Personen, denen die Beschwerdeführerin eine Mitschuld anlastete.
Die belangte Behörde erblickte in dem „Einspruch“ der Beschwerdeführerin eine Berufung und sprach mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid aus, daß dem Rechtsmittel gegen den Bescheid des Finanzamtes Wiener Neustadt vom 17. Mai 1976, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, insoweit stattgegeben werde, als von der Umsatzsteuer für 1974 ein Teilbetrag von S 18.000,-- gemäß § 236 BAO durch Abschreibung nachgesehen werde.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides stellte die belangte Behörde zunächst fest, daß die Beschwerdeführerin in der bereits angeführten Zeitspanne gemeinsam mit B. eine Gastwirtschaft in der Form einer Erwerbsgesellschaft nach bürgerlichem Recht betrieben habe. Die Beschwerdeführerin sei daher gemäß § 6 Abs. 2 BAO „gemeinsam mit B.“Gesamtschuldnerin der für diese Gastwirtschaft zu entrichtenden Betriebssteuern. Sodann führte sie nach Wiedergabe der Vorschriften der §§ 236 Abs. 1 und 237 Abs. 1 BAO aus: Die Beschwerdeführerin halte die Einhebung der auf die Veräußerung des Betriebsinventars entfallenden Umsatzsteuer für unbillig, weil ihr Gesellschafter B. ihren Gatten überredet habe, die Bürgschaft für einen Kredit zu übernehmen, aus dem die Umsatzsteuer hätte bezahlt werden sollen, dann jedoch die Umsatzsteuer nicht bezahlt und auch den Kredit nicht zurückgezahlt habe. Dieses Vorbringen sei schon deshalb verfehlt, weil Schuldner der Umsatzsteuer nicht B. allein, sondern ebenso die Beschwerdeführerin gewesen sei. Sie sei ebenso wie B. dafür verantwortlich gewesen, daß die Umsatzsteuer abgeführt werde. Wenn sie sich um diese Verpflichtung nicht gekümmert und alles B. überlassen habe, habe sie die dadurch eingetretenen Nachteile sich selbst zuzuschreiben und könne sie nicht als unbillig bezeichnen. Dies umsoweniger, als der Vorsteuerabzug, der bei der Anschaffung des Inventars geltend gemacht worden sei und in seiner Höhe annähernd der Umsatzsteuerbelastung bei der Veräußerung des Inventars entsprochen habe, auch nicht B. allein, sondern ebenso der Beschwerdeführerin zugutegekommen sei. Da sohin die Beschwerdeführerin für die Nichtentrichtung der Umsatzsteuer ebenso verantwortlich sei wie B., halte es die belangte Behörde nicht für vertretbar, sie aus der Gesamtschuld für die Umsatzsteuer zu entlassen. Die von der Beschwerdeführerin beantragte Nachsicht der Umsatzsteuer sei von vornherein nicht in Betracht gekommen, denn durch eine Nachsicht erlösche die Zahlungsverpflichtung sämtlicher Gesamtschuldner, im vorliegenden Fall also auch die des B. Die Beschwerdeführerin behaupte aber selbst nicht, daß die Einhebung der Umsatzsteuer bei B. unbillig wäre. Hingegen halte die belangte Behörde aus einem von der Beschwerdeführerin nicht vorgebrachten Grund die Nachsicht eines Teilbetrages von S 18.000,-- für billig. Um annähernd diesen Betrag wäre nämlich die Umsatzsteuerbelastung geringer gewesen, wenn die Beschwerdeführerin in der Umsatzsteuererklärung für 1974 gemäß § 29 Abs. 10 des Umsatzsteuergesetzes 1972 den Antrag gestellt hätte, die Umsatzsteuer für die Veräußerung des Inventars um die auf die Anschaffung des Inventars entfallende Steuer vom Selbstverbrauch zu kürzen. Zwar bilde ein derartiges Versehen normalerweise keinen Nachsichtsgrund; im vorliegenden Fall glaube die belangte Behörde jedoch wegen der besonderen Umstände des Falles eine Nachsicht verantworten zu können. Der Berufung sei daher insoweit stattzugeben gewesen, als ein Teilbetrag von S 18.000,-- von der Umsatzsteuer für 1974 durch Abschreibung nachzusehen gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den obigen Bescheid in dem Recht verletzt, „unter Zugrundelegung des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes nicht unter die §§ 236 und 237 BAO subsumiert worden zu sein“. Die bewilligte Teilnachsicht wird ausdrücklich unbekämpft gelassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift erwogen:
Im Beschwerdefall ist vorerst klarzustellen, über welchen Gegenstand die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abgesprochen hat. Während sie sich in der Bescheidbegründung sowohl mit der Nachsicht gemäß § 236 BAO als auch mit der Entlassung aus der Gesamtschuld gemäß § 237 leg. cit. befaßt hat, kommt im Spruch des Bescheides nur zum Ausdruck, daß der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid teilweise - durch Nachsicht eines Teilbetrages von S 18.000,-- - stattgegeben werde. Da nur die Nachsicht gemäß § 236 BAO den Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides gebildet hatte, muß der Ausspruch über die teilweise Stattgebung der Berufung zugleich als Ablehnung einer Nachsicht hinsichtlich des übersteigenden Betrages verstanden werden. Dagegen enthält der Spruch des angefochtenen Bescheides keine Entscheidung über eine Maßnahme gemäß § 237 BAO. Daß die Angelegenheit in den Entscheidungsgründen behandelt wurde, vermag den hier gänzlich fehlenden Bescheidspruch nicht zu ersetzen. Im übrigen wäre, da mit dem erstinstanzlichen Bescheid nur über eine Maßnahme gemäß § 236 BAO entschieden worden war, die belangte Behörde auch gar nicht berechtigt gewesen, die Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Gesamtschuld gemäß § 237 BAO zum Gegenstand ihrer Berufungsentscheidung zu machen. Nach § 289 BAO hat die Berufungsbehörde, sofern eine Berufung nicht gemäß § 278 BAO zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. „Sache“ im Sinne dieser Gesetzesstelle ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat. Nur im Fall der Trennbarkeit des Bescheides (Spruches) ist „Sache“ der vom Rechtsmittel erfaßte Teil des Bescheides. Die Berufungsbehörde darf also nicht eine Angelegenheit entscheiden, die gar nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides war.
In Rechtskraft erwächst nur der Spruch eines Bescheides, Ausführungen in der Begründung können die Rechte der Partei nicht verletzen (Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. März 1950, Slg. N. F. Nr. 1281/A). Da der angefochtene Bescheid, wie bereits oben ausgeführt, einen Abspruch über eine Maßnahme im Sinne des § 237 BAO nicht enthält, konnte die Beschwerdeführerin durch ihn nicht in einem aus dieser Norm abgeleiteten Recht verletzt worden sein.
Eine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin ist aber auch in Angelegenheit der Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO nicht feststellbar. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, daß die belangte Behörde ihre Ermessensübung nicht ausreichend begründet habe, übersieht sie, daß nur in Ansehung der unbekämpft gebliebenen Teilnachsicht über S 18.000,-- eine Ermessensentscheidung getroffen wurde. In bezug auf die Ablehnung einer Nachsicht für den übersteigenden Betrag liegt dagegen eine gebundene Rechtsentscheidung vor, gegen deren Begründung seitens des Verwaltungsgerichtshofes keine Bedenken bestehen. Der Beschwerdeführerin kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie der belangten Behörde vorwirft, nicht geprüft zu haben, ob tatsächlich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts vorlag. Es war nicht Aufgabe der belangten Behörde, in dem über Antrag der Beschwerdeführerin durchgeführten Nachsichtsverfahren die dem Steuerfestsetzungsverfahren zugehörige und dort bereits entschiedene Frage der Unternehmerschaft aufzurollen.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit zur Gänze als unbegründet. Sie mußte daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 316/1976 abgewiesen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 542/1977.
Wien, am 13. November 1978
Schlagworte
Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bescheidcharakter Bescheidbegriff Formelle Erfordernisse Inhalt des Spruches Allgemein Angewendete Gesetzesbestimmung Spruch und BegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1978:1977001013.X00Im RIS seit
01.06.2022Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022