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L92007 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung TirolNorm
ASVG §153Rechtssatz
§ 7 Abs. 2 Tir. MSG 2010 regelt nur die Übernahme von "Selbstbehalten" (und der Rezeptgebühr) aus Mitteln der Mindestsicherung ausdrücklich. Das Gesetz nimmt keine Legaldefinition des Begriffes "Selbstbehalt" vor. Auch die Gesetzesmaterialien zum Tir. MSG 2010 enthalten keine Klarstellung des Inhaltes dieses Begriffs. Der VwGH hat zum Wr SHG 1973 bereits festgehalten, dass zu den Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankenhilfe - wozu auch die Zahnbehandlung zählt - die medizinische Notwendigkeit gehört. Dies gilt sowohl für den Grund als auch für das Ausmaß der Hilfegewährung. Insoweit kann in Ermangelung konkreter Regelungen im Wr SHG 1973 auf sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen (vgl. § 153 ASVG) zurückgegriffen werden. Soweit die Satzung eines Trägers der Krankenversicherung nur eine teilweise Kostenübernahme vorsieht, kann es trotz Bestehens der Krankenversicherung dazu kommen, dass der Sozialhilfeträger die Kosten in der Höhe des vom Hilfesuchenden zu tragenden Selbstbehaltes im Rahmen der Krankenhilfe zu übernehmen hat (vgl. VwGH 2.9.2008, 2005/10/0194; VwGH 26.11.2002, 2001/11/0168, 0169, 0325; VwGH 20.2.2001, 2000/11/0040 = VwSlg. 15.551 A). Diese Überlegungen sind auch für das Tir. MSG 2010 maßgeblich. In der Literatur wird ausgeführt, dass unter "Selbstbehalten" in der Krankenversicherung eine Eigenleistung des Versicherten für bestimmte Leistungen der Krankenversicherung verstanden wird. Diese Eigenleistung kann in Form eines Selbstbehaltes im engeren Sinn, in Form von Pflegegebührenersätzen oder als Kostenbeteiligung ausgestaltet sein. Als Beispiel einer solchen Kostenbeteiligung wird unter anderem eine Eigenleistung für Zahnbehandlung und Zahnersatz genannt. Auch vor diesem Hintergrund scheint die Annahme des VwG, der Selbstbehalt in der gesetzlichen Krankenversicherung beziehe sich immer nur auf den ausgehandelten Vertragstarif, zu kurz zu greifen. Auch die Zielsetzung des Tir MSG 2010 spricht sich dafür, dass der dort verwendete Selbstbehaltbegriff nicht im Sinne des vom VwG zugrunde gelegten engen Verständnisses auszulegen ist (vgl. ErlRV 498/10, XV. GP TirLT, 21). Den Erläuternden Bemerkungen zu § 7 Tir MSG 2010 (Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung) ist unter anderem zu entnehmen, dass die Einbeziehung nicht krankenversicherter Mindestsicherungsbezieher in die gesetzliche Krankenversicherung in dem "Bewusstsein [erfolgt], dass prekäre Lebenssituationen vielfach krank machen und Erkrankungen es zugleich erschweren, Wege aus der Armut zu finden". Dem solle "nunmehr entgegengewirkt werden, indem auch diesem Personenkreis ein uneingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung eingeräumt wird" (vgl. ErlRV 498/10, XV. GP TirLT, 21). Zwar beziehen sich diese Ausführungen primär auf die Einbeziehung von Mindestsicherungsbeziehern in die gesetzliche Krankenversicherung nach § 7 Abs. 1 Tir MSG 2010; sie lassen jedoch unzweifelhaft die Absicht des Gesetzgebers erkennen, uneingeschränkten Zugang dieses Personenkreises zur Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Daraus folgt, dass sich das Ausmaß der der Hilfesuchenden zu gewährenden Krankenhilfe letztlich an der medizinischen Notwendigkeit der kieferorthopädischen Behandlung zu orientieren hat.
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020100030.J01Im RIS seit
01.06.2022Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022